Der Bräutigam
Die meisten Prinzessinnen mussten jedoch feststellen, dass die größte Unannehmlichkeit ihres Lebens nicht das Wetter, das Ungeziefer oder der Gestank menschlicher Fäkalien waren: Nichts, auch der erstaunliche Geiz ihrer neuen Verwandten, war so schlimm wie der Mann, den sie hatten heiraten müssen. Der alleinige Zweck einer königlichen Braut war das Gebären königlicher Kinder. Napoleon sagte: »Ich beabsichtige, eine Gebärmutter zu heiraten.«[17] Andere Herrscher mögen über die Taktlosigkeit des kleinen Korsen die Nase gerümpft haben, in der Sache waren sie seiner Meinung. Das Wichtigste an einer Heiratskandidatin waren nicht Bildung, Persönlichkeit oder Mildtätigkeit, nicht einmal Schönheit, sondern ihre Gebärfähigkeit.
Da sie nicht als Individuum, sondern als Körperteil gesehen wurden, machten die meisten Prinzessinnen die bittere Erfahrung, dass ihre Gefühle missachtet wurden. Die Vertreter eines Staates verfolgten ausschließlich ihre eigenen Ziele, wenn sie einer Prinzessin einen Anwärter auf ihre Hand, den sie noch nie gesehen hatte, in den höchsten Tönen priesen. Die Wünsche der künftigen Braut spielten selbstverständlich keine Rolle. Ein preußischer Minister, der 1727 Prinzessin Wilhelmine, Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, die Zustimmung zu einem Ehekandidaten abzuringen versuchte, erklärte mit großer Geste, bedeutende Prinzessinnen würden geboren, um sich dem Wohl des Staates zu opfern. Den Einwand der Prinzessin, dass sie den zur Rede stehenden Bewerber nicht kenne, parierte der Minister geschickt mit dem Hinweis, da sie ihn nicht kenne, könne sie auch keine Abneigung gegen ihn gefasst haben.[18]
Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts lernten allerdings die meisten Prinzessinnen ihren künftigen Gemahl erst kennen, nachdem sie ihm durch Stellvertretung bereits angetraut worden waren. Diese Zeremonie fand vor der ersten Begegnung der Verlobten an deren jeweiligen Heimatorten statt, bei der kirchlichen Trauung und dem Ringwechsel wurde der abwesende Ehegatte, also die Braut oder der Bräutigam, durch eine ehrenwerte Person vertreten.
Eigentümlicherweise folgte auf eine solche Trauungszeremonie durch Stellvertretung auch eine Beischlafzeremonie durch Stellvertretung. Dafür begaben sich Ehegatte und Stellvertreter in Anwesenheit der gesamten Hochzeitsgesellschaft zum königlichen Bett. Die mit einem aufwendig gearbeiteten Nachtgewand bekleidete Braut legte sich hin. Der völlig bekleidete Bräutigam zog Stiefel und Strümpfe aus, legte sich neben die Braut und berührte ihren nackten Fuß mit dem seinen. Damit galt die Ehe durch Stellvertretung als vollzogen.
Eine Eheschließung durch Stellvertretung hatte viele Vorteile. Damit waren Mitgift, Handelsabkommen, militärische Bündnisse und Verträge ratifiziert, bevor sich die Braut auf Reisen begab. Zudem war die Ehre der Prinzessin gesichert, denn nun verließ sie ihr Heimatland als verheiratete Frau, um ihren Ehemann zu treffen. Von Vorteil war auch, dass es danach keinen Weg zurück gab, egal, ob den Bräutigam beim ersten Blick auf seine Braut das Entsetzen packte oder die Braut ihren Gatten sofort zum Weglaufen fand. Mit dem »echten« Brautpaar wurde eine zweite Trauungszeremonie abgehalten, aber nach der Heirat durch Stellvertretung war eine Aufhebung der Ehe nur durch langwierige juristische Verfahren möglich.
1672 verließ die 20-jährige Prinzessin Elisabeth Charlotte (Liselotte) von der Pfalz ihre Heimatstadt Heidelberg, um zu ihrem Gatten zu reisen, dem sie bereits angetraut worden war – es handelte sich um Philipp, Herzog von Orléans, den transvestitischen Bruder Ludwigs XIV. Die ganze Reise über weinte sie bitterlich, denn sie hatte bereits von seiner Vorliebe für junge Männer gehört, und man hatte ihr zudem das Gerücht zugetragen, einer seiner Liebhaber habe Philipps erste Frau in einem Eifersuchtsanfall vergiftet.
Als sich die Jungvermählten zum ersten Mal gegenüberstanden, waren beide sprachlos. Liselotte sah eine lange aristokratische Nase unter einer schwarzen Lockenperücke hervorragen, außerdem trug ihr Mann Brillantohrringe, Sturzfluten von Spitzenvolants und Bordüren, Dutzende von klirrenden Armbändern, Kniebundhosen mit applizierten Bändern und Schuhe mit hohem Absatz. Philipp erblickte ein breites, gutmütiges Gesicht, nach der Reise sauber geschrubbt, winzige blaue Schweinsäuglein und ein ausladendes Hinterteil. Der entsetzte Bräutigam flüsterte den Herren seiner Entourage zu: »O Gott! Soll ich mit so etwas schlafen?«[19]
Liselotte musste feststellen, dass die vergoldete Pracht ihres neuen Zuhauses nicht dazu angetan war, ihren Schmerz zu lindern. Ihrer geliebten Tante, Herzogin Sophie von Hannover, klagte sie, sie müsse gegen ihren Willen in Versailles bleiben, dort müsse sie, ob sie wolle oder nicht, leben und eines Tages sterben.[20] In den vielen Jahren ihrer Ehe dachte sie hin und wieder daran, ihrem Mann und der Verlogenheit der Hofgesellschaft einfach zu entfliehen.[21] Aber dann trotzte sie all dem bewusst und schrieb, wer sterbe, weil man ihm droht, den solle man unter Eselfürzen in die Erde senken.[22]
Als Liselotte und ihr Mann, den man Monsieur nannte, älter wurden, brüskierte er sie, indem er seinen Liebhabern ihre Roben und ihren Schmuck schenkte. Abseits ihrer Repräsentationspflichten bei Hofe, in der Privatheit ihrer elegant eingerichteten Versailler Gemächer, hatten die beiden einander selten etwas zu sagen. Liselotte erzählte Herzogin Sophie von einem Abend, den sie mit ihrem Mann und den erwachsenen Kindern verbracht hatte. Nach einer langen Stille habe Monsieur, der sie und die Kinder einer Unterhaltung nicht für würdig befunden habe, laut gefurzt und dann, an Liselotte gewandt, gefragt: Was war das, Madame? Liselotte habe ihm den Hintern zugedreht, selbst ein entsprechendes Geräusch produziert und geantwortet: Das war es, Monsieur. Daraufhin habe ihr Sohn gemeint, wenn das alles sei, das könne er ebenso gut wie Monsieur und Madame – dann habe auch er ordentlich einen fahren lassen. So, schloss sie ihren Brief, verliefen fürstliche Konversationen.[23]
1768 bestieg Erzherzogin Karoline Marie von Österreich ein farbenfroh geschmücktes Schiff, das sie nach Neapel bringen würde, in jenes Königreich, über das sie mit dem Mann herrschen sollte, dem sie bereits vermählt worden war. Die 15-Jährige blickte auf das Meer hinaus und äußerte düster, es wäre vermutlich besser für sie, wenn jemand sie über Bord würfe.
König Ferdinand IV., ihr 17-jähriger Bräutigam, war oft von Herpesbläschen bedeckt, was seine Leibärzte als Zeichen von unverwüstlich guter Gesundheit deuteten. Er hatte nahezu keine Schulbildung erhalten, seine Brüder galten als unheilbar geisteskrank, und seine Betreuer fürchteten, dass Ferdinand bei der geringsten geistigen Anstrengung selbst den Verstand verlieren könnte. Der König amüsierte sich damit, seine Höflinge in den Hintern zu kneifen und ihnen, wenn sie nicht hinsahen, Marmelade in den Hut zu kippen. Er fuhr mit den neapolitanischen Fischern aufs Meer hinaus und verkaufte seinen Fang selbst an einem Marktstand, wobei er mit den Kunden um den Preis feilschte und sie laut verfluchte.
Am Morgen nach seiner Hochzeitsnacht mit Karoline Marie wurde Ferdinand befragt, wie ihm seine Braut gefallen habe. Er schüttelte nur den Kopf: »Sie schläft wie erschlagen und schwitzt wie ein Schwein.«[24]
Nachdem Ferdinand in der Öffentlichkeit eine Mahlzeit zu sich genommen hatte – ein besonderes Ereignis, bei dem der Monarch allein auf einem Podest saß, von gaffenden Zuschauern aller Schichten umgeben –, pflegte er nach seinem Nachtgeschirr zu verlangen und zum Amüsement seines Publikums mit erkennbarem Stolz zu defäkieren. Aber der König wollte immer, nicht nur bei öffentlichen Banketten, Gesellschaft haben, wenn er einem natürlichen Bedürfnis nachkam. 1771 besuchte Karoline Maries Bruder Joseph II. von Österreich das neapolitanische Königspaar und konnte sich über die besondere Auszeichnung einer Einladung freuen, den Monarchen nach dem Festmahl zu dessen Nachtgeschirr begleiten zu dürfen.
Joseph schilderte die Szene in einem Brief nach Hause. Er habe ihn mit heruntergelassenen Hosen auf diesem Thron sitzend vorgefunden, von fünf oder sechs Dienern, Kammerherrn und anderen umstanden. Man habe über eine halbe Stunde lang geplaudert, und der König wäre wohl immer noch dort, wenn nicht ein grässlicher Gestank alle Anwesenden überzeugt hätte, dass der Akt vollzogen war. Der König aber habe mit großer Freude alle Details beschrieben und sogar den Wunsch geäußert, den Anwesenden das Ergebnis zu zeigen. Er sei mit heruntergelassenen Hosen und dem stinkenden Topf in der Hand zwei Herren hinterhergelaufen, die allerdings die Flucht ergriffen hätten. Er selbst habe sich unauffällig zu seiner Schwester zurückgezogen, sodass er nicht wisse, wie die Sache ausgegangen sei und ob die Flüchtenden mit dem Schrecken davongekommen seien.[25]
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Reisen dank komfortabler Züge und luxuriös ausgestatteter Dampfschiffe erheblich einfacher und bequemer. Als Folge davon konnten sich die füreinander Bestimmten wenigstens kennen lernen, bevor sie einer Heirat zustimmten. Das änderte nichts daran, dass die meisten Ehen unglücklich waren. 1891 heiratete Prinzessin Luise von Toskana Prinz Friedrich August, den...