Big Context – wie Daten die Kommunikation verändern
Franziska von Lewinski
Die Welt hat sich verändert. Wir generieren Daten, bei allem was wir tun. Sogar beim Zähneputzen mit der elektrischen Zahnbürste, welche Daten zum Putzverhalten über eine App ausliest. Nach der Industrialisierung, der IT-Revolution und der Digitalisierung aller Lebensbereiche scheint es wahrscheinlich, dass Daten der nächste Treiber großer Veränderungen sind. Neunzig Prozent aller existierenden Daten wurden in den letzten zwei Jahren produziert, errechnete IBM. Aber: Nur 0,5 Prozent aller Daten werden laut dem Marktforscher IDC überhaupt analysiert. Und schon heute geht man davon aus, dass die Menge an Daten von 2005 bis 2020 um das Dreihundertfache steigen wird auf vierzig Zettabytes. Willkommen in der Datengesellschaft.
Ob man will oder nicht: Daten steuern wichtige Entscheidungen, die unser Leben betreffen. Ob bei Scoring-Verfahren für Kredite oder der Höhe der Hausratsversicherung anhand der Wohnlage. Durch Datenanalyse bessere Entscheidungen zu treffen, ist nichts Neues: Business Intelligence über alle Unternehmensbereiche hinweg ist etabliert. Neu dagegen ist, dass wir oft schon lange vor dem Kauf Daten über Konsumenten sammeln können. Neu ist auch, dass Marketingabteilungen viele Entscheidungen auf der Grundlage von Daten treffen, statt sich nur auf das Bauchgefühl zu verlassen. Die Herausforderung lautet also, Customer Intelligence und Business Intelligence zusammenzubringen und sinnvolle Produkte und Services für die Kunden zu entwickeln. Mit unserem Whitepaper „Big Context“ haben wir einen Ansatz entwickelt, der aufzeigt, wie Daten für die Marketingkommunikation nutzbar werden.
Damit können Sie Ihre Zielgruppe besser verstehen, individueller ansprechen, effizienter die Kanäle orchestrieren, kreativere Kampagnen konzipieren sowie involvierenden und relevanten Content kreieren. Natürlich ist Datenschutz dabei ein wichtiges Thema. Für uns sind Konsumenten mündig und entscheiden selbst, welche Daten sie preisgeben. Daher muss die Nutzung von Daten für den Nutzer transparent und nachvollziehbar sein. Nur dann gibt es Akzeptanz für die neue Datenwelt. Was kann man tun?
„Wer Daten preisgibt, erwartet zukünftig, besser bedient zu werden“, sagt Peter Wippermann, Trendforscher, den wir in der Studie interviewt haben. Relevanz für den Kunden ist der Schlüssel zum Erfolg. Mit Hilfe von Daten können wir neue Produkte und Services für Kunden entwickeln. Neue Datenquellen können dabei helfen.
Vor allem drei Datenquellen ermöglichen kontextsensitives Marketing: Konsumenten vermessen digital ihr Leben, um sich selbst zu optimieren (Quantified Self). Unternehmen sind in der Lage, große Datenmengen in kurzer Zeit zu analysieren (Big Data). Daten werden öffentlich und über Schnittstellen verfügbar gemacht (Open Data). „Big Context“ entsteht durch eine Schnittmenge dieser Datenquellen. Marken sind durch die neuen Datenquellen in der Lage, ihre Kunden besser kennenzulernen und individueller anzusprechen. Sie können Kanäle und Touchpoints wirksamer und virtuoser orchestrieren. Kampagnen lassen sich durch Daten kreativ anreichern und aktueller halten. Inhalte werden relevanter und resonanzfähiger, neue Ideen für Kommunikation entstehen. Um zu verstehen, wie das funktioniert, ist es wichtig, die drei wesentlichen Datenquellen zu kennen.
Quantified Self
Neuro-Forscher gehen davon aus, dass Menschen geschätzte 85 Prozent ihres Lebens auf Autopilot geschaltet sind. Wie schwer es ist, sein Verhalten zu ändern, weiß jeder, der schon einmal versucht hat, das Rauchen aufzugeben. Ein zahlenbasierter Lifestyle nutzt neue Technologien, um das eigene Verhalten besser zu verstehen und sich selbst zu optimieren. Die „Quantified-Self-Bewegung“ zählt die täglichen Kalorien, misst die Schritte und analysiert die Schlafqualität und vieles mehr. In den USA nutzt bereits jeder Fünfte die verschiedenen Möglichkeiten der Selbstvermessung. Deutsche Marketer und Agenturmitarbeiter haben bei Quantified Self deutlichen Nachholbedarf. Fünfzig Prozent haben noch nie davon gehört (Eigene Befragung: Antworten: 176, Basis: 351). Nur eine Avantgarde von neun Prozent nutzt diese Datenquelle bereits.
Vom Smartphone zu Wearables
Mit dem Siegeszug von Smartphones sind Sensoren allgegenwärtig geworden. GPS-Empfänger, Kameras, Mikrofone, Lage- und Bewegungssensoren sind heute Massenware. Per Smartphone und ergänzenden Geräten dokumentieren Nutzer ihre Mahlzeiten auf The Eatery, speichern die Leistungswerte des eigenen Workouts auf Nike+, zählen die täglichen Schritte per Fitbit. Auf den dazugehörigen Webseiten und Apps analysieren sie ihre Daten, teilen und vergleichen sie mit anderen. Neue multisensorische Geräteklassen stehen in den Startlöchern. Smartwear wie das Samsung Gearfit erobert den Massenmarkt.
Abb. 1: Die drei Datenquellen des Big Context.
Wirtschaft: Big Data
Unternehmen, die in gesättigten Märkten weiterwachsen wollen, setzen auf die Doppelstrategie aus Innovationen und Effizienzsteigerungen. Beide Ansätze setzen darauf, große und vielfältige Datenmengen zu sammeln, zu verknüpfen, in kürzester Zeit auszuwerten und nutzbar zu machen. Big Data verspricht Effizienz- und Produktivitätssteigerungen, granulare Kundensegmentierungen, rationalere Entscheidungsgrundlagen. Evolutionssprünge im Bereich der Infrastruktur, künstliche Intelligenz und Datenvisualisierung machen dies möglich. Auch wenn Unternehmen bereits Daten sammeln, wird daraus zu selten ein Nutzen gezogen. 38 Prozent der von uns befragten Marketer und Agentur-Insider möchten Big Data nutzen. Noch haben Unternehmen, die auf Big Data setzen, Wettbewerbsvorteile. In wenigen Jahren ist das effiziente Handling großer Datenmengen Standard.
Die eigenen Daten zusammenführen
Die meisten Unternehmen wissen heute genau, welche Produkte sie wann, wie, wo, wem für wie viel verkauft haben. Sie wissen aus der Vergangenheit, welche Farben gut gehen, welche Geschmacksrichtungen wann ankommen. Über den Kundenservice erhalten sie Feedback von den Nutzern. Sie hören ihren Zielgruppen über die sozialen Medien zu und versuchen, den Erfolgsbeitrag von Kanälen zu messen. Aber intern teilen viele Abteilungen ihre Daten äußerst ungern. Daten sind hochpolitisch. Sie machen Erfolge wie Misserfolge transparent. Aber nur wenn die internen Daten zusammengeführt werden, lassen sich neue, relevante Erkenntnisse aufzeigen. Kulturelle Hürden sind derzeit höher als die technischen oder rechtlichen.
Das Ende der Intuition?
Viele Big-Data-Experten versprechen, dass Entscheidungen zukünftig noch stärker auf Basis von Zahlen getroffen würden. Intuition und Erfahrung hätten ausgedient. Aber Maschinen spucken keine sinnvollen Ergebnisse aus. Um neue Insights zu generieren, sind Hypothesen und Fragen nötig, anhand derer die Datenberge durchkämmt oder neue Daten erhoben werden. Datenberge bleiben nutzlos, wenn keine intelligenten Anfragen gestellt werden. Hierfür sind Intuition, Erfahrung und gesunder Menschenverstand unerlässlich.
Zusammenhänge erkennen, Prognosen erstellen
Big Data verspricht Planbarkeit. Wer die richtigen Zusammenhänge im bisherigen Verhalten erkennt, kann routinemäßige Konsumentscheidungen identifizieren und gezielter agieren. So stellte Procter & Gamble fest, dass Windeln häufig zusammen mit Bier gekauft werden. Denn junge Väter kaufen auf dem Rückweg nach Hause Windeln und belohnen sich mit einem Drink.
Gesellschaft: Open Data
Unternehmen oder Verwaltungen beginnen, ihre Daten öffentlich zu machen. Denn die beste Idee, Daten nutzbar zu machen, hat im Zweifelsfall ein Dritter. Offene Datensätze erlauben es Interessierten, die Daten uneingeschränkt zu nutzen, zu bearbeiten und erneut zu verbreiten. Auch Unternehmen haben über Open Data Zugang zu Kontextinformationen. Zudem entstehen neue Geschäftsmodelle rund um die Offenlegung von Unternehmens- oder Nutzerdaten. Auch Journalisten lernen, Zahlen mit Leben zu füllen. Keine Krise oder kein Konflikt kommt heute ohne die Visualisierung von Daten aus. In Deutschland steckt Open Data noch in den Kinderschuhen. 39 Prozent der Befragten können sich nichts darunter vorstellen.
Von der API zum Mash-up
Wer verfügbare und dynamische Daten sucht, kann auf eine Vielzahl von Datenbanken zugreifen. Idealerweise sind diese über eine sogenannte Application Programming Interface (API) zugänglich. Die Website Programmableweb listet viele der verfügbaren APIs auf. Neben Twitter und Facebook haben auch Regierungen (USA, Großbritannien, Deutschland), Städte wie Leipzig (Verwaltungsdaten), Verkehrsbetriebe oder Medienunternehmen wie „Die Zeit“ auslesbare Schnittstellen oder Datenportale. Die so erhältlichen Daten lassen sich mit anderen öffentlichen oder privaten Daten...