1.1 Ein systemisches Leitungsverständnis
Aktuell ist der Begriff „systemisch“ in aller Munde: systemische Betrachtungen, systemische Fortbildungen, systemische Erkenntnisse … Einfach übersetzt, könnte man sagen, dass die Dinge eben zusammengehören – kein Phänomen existiert aus sich allein heraus.
Bei der systemischen Betrachtung handelt es sich um eine naturwissenschaftliche Herangehensweise. Sie hat ihren Ursprung in der Kybernetik, bei der es um die Steuerung technischer Systeme geht. Stellen Sie sich zum Beispiel einen Kühlschrank vor, der seine Temperatur konstant halten muss, damit die eingelagerten Lebensmittel nicht verderben. Funktioniert auch nur ein Teil nicht mehr richtig, löst das große Probleme aus (= negatives Feedback; die Lebensmittel verderben). Weil das so ist, muss versucht werden, alle Steuerungsmöglichkeiten einzubeziehen, um Störungen zu vermeiden.
Seit einigen Jahren hat der Begriff der Systemtheorie auch in den Bereich der Erziehungswissenschaften Einzug gehalten. Der Systemtheoretiker Helmut Willke beschreibt die Systemtheorie in seinen Werken wie folgt: „ … Die neuere Systemtheorie ist eine Theorie der Beziehungen zwischen Systemen und Umwelt in dem Sinne, als sie die herkömmliche analytische Isolierung von Einzelsystemen überwinden will und Systeme immer nur im Zusammenhang mit ihrer jeweiligen Umwelt zu erfassen sucht“ (2006, S. 54). Aus seinen Ausführungen geht hervor, dass ein System aus einem Netz von Beziehungen und Operationen besteht und immer wieder veränderbar ist. Menschen sind Teil von Systemen, meist von mehreren Systemen, in denen sie unterschiedliche Rollen einnehmen. So sind Sie zum Beispiel im System Familie Mutter und liebende Frau, im System Kita Vorgesetzte. Diese unterschiedlichen Systeme und die daraus resultierenden Rollen gilt es zu definieren und sie voneinander abzugrenzen. Um zu wissen, welche Verhaltensweisen ich für meine Tätigkeit ausschließen möchte, muss ich deswegen zunächst herausfinden, wer ich bin (Identitätsfindung).
Ein systemisches Leitungsverständnis zeichnet sich durch systematische Steuerung und Integration von Personal- und Organisationsentwicklung aus. Ziel ist die fortlaufende Weiterentwicklung der Organisation, die Veränderungen wahrnimmt und auf sie reagiert. Kommt ein neues Mitglied ins Team, ist es zum Beispiel Aufgabe der Leitungskraft, daran zu denken, dass sich nun das Zusammenspiel verändern wird. Aufgaben müssen möglicherweise neu verteilt werden, Rollen und auch der Umgang miteinander verändern sich. Für die Leitung kann es hilfreich sein, wenn sie für sich selbst ein positiv empfundenes Verhältnis zu „Veränderungen“ spüren kann. Wer als Leitung gerne „festhält“, wird schnell mit dem wirklichen Leben konfrontiert: Es bleibt nichts, wie es war.
Der Schlüssel für das Funktionieren einer Organisation sind die Menschen, die in ihr arbeiten. Und dabei spielt die Leitung eine bedeutsame Rolle. „Die Leiterin ist das Herzstück des Kindergartens. Wenn diese in Ordnung ist, geht vieles gut. Zwar hängt davon allein nicht alles ab, doch ist es die zentrale Bedingung für das Funktionieren alles übrigen“, schrieb schon 1986 der Pädagoge und Verfechter des lebensbezogenen Ansatzes Norbert Huppertz in seinem Buch „Die Leitung des Kindergartens“. (…) „Richtig, der Begriff ´Leitung´ umfasst eigentlich Träger und Leiterin einer Kindertageseinrichtung. Jedoch zeigt sich trotz der Nationalen Qualitätsinitiative ´Trägerqualität´, dass die eigentliche Leitung die Leiterin einer Kindertageseinrichtung ist. Nicht selten sind Träger mit ihren Aufgaben zeitlich und fachlich – bzw. organisatorisch und pädagogisch – überfordert, sodass viele Aufgaben von der Leiterin übernommen werden“ (Huppertz zitiert in: Haderlein 2008, S. 4). Es kommt also weiterhin auf die Leitung und damit auf Sie an. Sie werden sich mit hohen Anforderungen auseinandersetzen müssen.
Sieht man sich Listen an, in denen aufgeführt wird, welche Erwartungen an Leitungskräfte gestellt werden, dann lesen wir: teamfähig, reflexiv, visionär, kommunikativ, unternehmerisch denkend, charismatisch, multikulturell, kreativ, verantwortungsbewusst, rhetorisch geschickt, methodisch und fachlich kompetent, strategisch denkend, kundenorientiert, fähig, in Netzwerken zu arbeiten. Eine Leitungskraft sollte auch empathisch, konfliktfähig, kontaktfähig und kritikfähig sein und über eine gewisse Autorität verfügen. Kurz: Sie sollte ein Genie sein. Würden wir diese Anforderungen wirklich ernst nehmen, könnten wohl die meisten Leitungsstellen nicht besetzt werden.
Doch kann eine Kita-Leitung alle Möglichkeiten ausschöpfen, die sich ihr bieten, um die Einrichtung erfolgreich zu führen. Das bedeutet für ihr systemisches Leitungsverständnis: Sie
führt die Fach- und Dienstaufsicht über das Personal
entwickelt die Qualität der Arbeit fortlaufend weiter und führt ein Qualitätsmanagement ein
fördert die Teamentwicklung
wendet Kenntnisse der Organisationsentwicklung an
gestaltet die Einbeziehung der Eltern.
Im engeren Sinne bedeutet das: Die Kita-Leitung
stellt die Kinder in den Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit
arbeitet mit Eltern und Experten zusammen (stellt Nähe her und bietet Identifizierungsmöglichkeiten)
nutzt die Fähigkeiten und Potenziale ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (lebt Partizipation)
beteiligt die Kinder (Partizipation)
kooperiert mit anderen Einrichtungen, Organisationen, Beratungsstellen und Schulen (sorgt aktiv für Vernetzung)
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