|20|4 Struktur und Ablauf des Lerncoachings
Lerncoaching ist eine zeitlich begrenzte, individuelle Förderung des Lern- und Arbeitsverhaltens. Ziel ist es, dass der Lernende sich selbst steuert, Vertrauen zu sich selbst gewinnt und den Lernstoff wirksamer verarbeitet. Auf dem Weg dorthin ist der Lerncoach Ansprechpartner und Begleiter. Die Lernexpertise, die der Schüler dadurch erwirbt, soll ihn auch zur selbstständigen Bewältigung von Lernschwierigkeiten befähigen.
Um dem einzelnen Schüler wirksam zu helfen, müssen im Schulalltag Lerncoaching-Angebote geschaffen werden. Optimal wären Förderstunden, die im Stundenplan offiziell ausgewiesen sind. Bei der Organisation dieses Förderservice ist darauf zu achten, dass für den Start in ein Lerncoaching 1 bis 2 Schulstunden zur Verfügung stehen. Man spricht von einer initiierenden Intensivberatung. Folgekontakte erfordern erfahrungsgemäß nicht mehr denselben Aufwand wie die Erstberatung. Sie können oft in Form von Kurzberatungen stattfinden.
Vor dem Beginn des Lerncoachings ist dafür zu sorgen, dass dieses in einer störungsfreien Umgebung stattfindet. Möchte man mit dem Schüler ins Gespräch kommen, ist eine Aufwärmphase vonnöten. Man begrüßt ihn freundlich und schafft eine emotionale Atmosphäre, die einen angstfreien Ausdruck von Gedanken und Gefühlen ermöglicht.
Der nächste Schritt ist die Erfassung des aktuellen Leistungsbildes. Der Schüler berichtet ehrlich, wo er in den einzelnen Fächern notenmäßig steht und wie die Leistungsentwicklung seit dem Schuljahresbeginn verlaufen ist. In der Regel wissen die Schüler ihre Noten und kennen ihre Stärken und Schwächen, weshalb nur in Zweifelsfällen eine Validierung durch eine Kollegenbefragung notwendig wird. Außerdem wird danach gefragt, ob der Leistungsstand den Eltern bekannt ist, in welcher Form sie am Lernprozess des Schülers Anteil nehmen und wie sie Lernschwierigkeiten und schlechte Noten kommentieren.
Wenn der Leistungsstand erhoben ist, folgt die Lerndiagnose. Im Kontext eines pädagogischen Lerncoachings besteht ihr Hauptziel darin, |21|die Lernmotivation und die Lernstrategien des Schülers zu erfassen. Ohne Analyse dieser wichtigen Lernvoraussetzungen ist die „Erarbeitung geeigneter Interventions- bzw. Fördermaßnahmen“ kaum möglich (Hesse & Latzko 2011, S. 12).
Um genaueren Aufschluss über die Lernmotivation und Lernstrategien zu erhalten, wird eine Lernbefragung durchgeführt. Da für die coachende Lehrperson nur begrenzte Beratungszeit zur Verfügung steht, ist eine rationelle und strukturierte Vorgehensweise angebracht. Hierfür eignet sich entweder die Lerncheckliste oder das Lerninterview (siehe S. 30ff. und S. 32). Um Zeit zu sparen, kann man dem Ratsuchenden die Lerncheckliste vor dem Ersttermin aushändigen und ihn darum bitten, diese in die Coaching-Sitzung ausgefüllt mitzubringen.
Die Lerncheckliste ist ein Selbsteinschätzungsbogen, der 25 motivations- und lernstrategische Aussagen enthält. Man kann sie auch als Zielverhaltensweisen bezeichnen. Das Selbsteinschätzungsverfahren liefert diagnostische Informationen zu folgenden Bereichen:
Strategien der Lernmotivation,
allgemeine Lernstrategien,
fachbezogene Lernstrategien.
Der Schüler muss auf der fünfstufigen Antwortskala ankreuzen, wie häufig die jeweilige Aussage auf ihn zutrifft (1 = nie, 2 = selten, 3 = manchmal, 4 = häufig, 5 = immer). Aus der angekreuzten Zahl lässt sich somit ersehen, wie weit der Schüler von der jeweiligen Zielverhaltensweise entfernt ist. Um besser zu erkennen, wo die Stärken und Schwächen liegen, kann man die einzelnen Ankreuzungen miteinander zu einer Linie verbinden. Diese Darstellung nennt man Lernstrategieprofil.
Vor der Anwendung dieser Checkliste wird der Schüler gebeten, sein Lern- und Arbeitsverhalten ehrlich zu beurteilen. Das heißt, er muss es so einschätzen, wie es momentan tatsächlich ist, und nicht, wie es sein sollte. Die Selbsteinschätzung weist den Weg zur Verhaltensänderung. Der Schüler muss Zielverhaltensweisen, die er nur mit „manchmal“, „selten“ oder „nie“ angekreuzt hat, künftig häufiger zeigen. Zu ihrer |22|Aneignung und Förderung eignen sich die in Kapitel 5 dargestellten Strategien und Übungen. Nach dem Lerncoaching kann man die Checkliste ein halbes Jahr später zur Erfolgskontrolle anwenden und einen Vorher-Nachher-Vergleich durchführen.
Eine Alternative oder Ergänzung zur Lerncheckliste ist das Lerninterview. Es ist ein halbstandardisiertes Befragungsgespräch mit offenen Fragen, das der Lerncoach mit dem Schüler in der ersten Coaching-Sitzung führt. Ebenso wie die Lerncheckliste orientiert es sich an der Inhaltsstruktur des Kapitels 5. Mithilfe des Gesprächsleitfadens erhält der Lerncoach einen fundierten Einblick in das Motivations- und Lernstrategierepertoire des Schülers. Wichtig ist, dass der Lerncoach die Inhalte des Kapitels 5 genau kennt.
Der Lerncoach richtet die Fragen in der Reihenfolge des Leitfadens in verständlicher und freundlicher Sprache an den Schüler. Sie müssen nicht wortwörtlich gestellt werden. Versteht der Schüler eine Frage nicht, kann man sie bedeutungsgleich verständlich machen. Die Antworten auf die Fragen werden stichwortartig mitgeschrieben. Damit der Schüler dadurch nicht irritiert wird, erklärt man ihm zuvor, dass auf der Grundlage der Mitschrift für ihn ein hilfreiches Lernprogramm entsteht.
Der Lerncoach darf das Antwortverhalten des Schülers nicht dahingehend beeinflussen, dass er ihm Aussagen suggestiv in den Mund legt. Er darf aber Beispiele und Verdeutlichungen einfordern. Ebenso sind Stoppsignale erlaubt, wenn der Schüler abschweift. Keinesfalls angebracht ist es, schon im Lerninterview Tipps zur Verhaltensänderung zu vermitteln.
Bevor der Lerncoach dem Schüler das lerndiagnostische Eindrucksbild zurückmeldet, kann er Ergänzungsfragen stellen, die dem Schließen von Verständnislücken dienen. Dies wird dann häufig der Fall sein, wenn als Befragungsinstrument lediglich die Lerncheckliste eingesetzt wird. Ist beispielsweise die Konzentrationssteuerung in der Lerncheckliste als sehr problematisch eingeschätzt worden, können die Zusatzfragen lauten: „Wie lange kannst du dich beim häuslichen Lernen konzentrieren? Wie lange im Unterricht? Was lenkt dich ab?“
|23|Liegt eine ausreichende Informationsbasis vor, fasst der Lerncoach seine Eindrücke in Form eines lerndiagnostischen Feedbacks zusammen. Wenn er Defizite beschreibt und mitteilt, geschieht dies einfühlsam und ermutigend. Die Akzeptanz wird positiv beeinflusst, wenn er Schwächen als „Noch-Nicht-Stärken“ bezeichnet.
Nach dem diagnostischen Feedback wird der Schüler gefragt, ob es seinem Selbstbild entspricht. Treten Diskrepanzen auf, müssen diese geklärt werden. Anschließend findet die Änderungsplanung statt. Der Lerncoach formuliert zusammen mit dem Schüler Änderungsziele und erläutert ihm die entsprechenden Zielverhaltensweisen. Diese ergeben den Änderungsplan. Was darunter konkret zu verstehen ist, zeigt das folgende Beispiel.
Änderungsplan
Frühzeitige und schrittweise Vorbereitung von Klassenarbeiten: Vorbereitungsplan, in dem festgelegt ist, wann welche Stoffportionen durchgearbeitet werden.
Vokabeln gründlicher einprägen: Laut lesen und schriftlich prüfen, ob sie fehlerfrei wiedergegeben werden können.
Mathematische Lösungsverfahren sicher beherrschen: Übungsaufgaben schriftlich trainieren.
Texte gründlich bearbeiten: Nicht nur lesen, sondern Wichtiges in Form einer Mind Map zusammenfassen und mithilfe von Fragen kontrollieren, ob man den Textinhalt verstanden und gespeichert hat.
Manche der empfohlenen Zielverhaltensweisen können während der Coaching-Sitzung praktisch veranschaulicht und geübt werden. So kann man den Schüler Vokabeln lernen oder einen Lerntext bearbeiten lassen (siehe Kapitel 5). Diese Art der Handlungsorientierung fördert das Instruktionsverständnis und den Lerntransfer. Darüber hinaus bieten die Lernübungen auch erste ermutigende Erfolgsgelegenheiten.
Um sicherzustellen, dass der Änderungsplan im Lernalltag umgesetzt wird, wird ein Lernvertrag abgeschlossen (Vorlage siehe S. 33). In...