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E-Book

Lerngesetze verstehen und anwenden

in Alltag, Arbeit und Sport mit dem Hund

AutorEkard Lind
VerlagKynos Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl440 Seiten
ISBN9783954640560
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,99 EUR
Immer mehr Hundehalter geben sich heute mit einfachen Anleitungen und Methoden nicht zufrieden. Das Interesse, Lernvorgänge wissenschaftlich begründet zu verstehen, ist groß. Um den inzwischen beachtlichen Wissensstand praktisch umzusetzen, kommt man an soliden Grundkenntnissen über Lerntheorien, Gehirnfunktionen und dem Wissen über die Fähigkeiten unserer Hunde nicht vorbei. Hundebesitzer, die Lerngesetze verstehen und anwenden möchten, finden im vorliegenden Buch von Prof. Ekard Lind eine gründliche Aufarbeitung der umfangreichen Lernthematik, informativ und spannend geschrieben, bereichert durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis, an denen man das 'Warum' nachvollziehen kann.

Prof. Ekard Lind, langjähriger Hochschulpädagoge, Autor und Erfinder, wird von zahlreichen Fachorganen als 'Wegbereiter moderner Hundeausbildung' gewürdigt. Seine Fachbuch- und Video-Bestseller 'Richtig spielen mit Hunden' (1996,1999, 2004) und 'Mensch-Hund-Harmonie' (2000,2003) fanden großen Anklang. In den 90er Jahren prägte er mit 'Lind-art'® eine Ausbildungsrichtung, die heute von über 30 lizensierten Trainern in mehreren Ländern gelehrt wird. Seine Frau Helenira, ausgebildete Tierpsychologin, leitet das 2003 von ihrem Mann gegründete Ausbildungszentrum 'Canis-hominis©'.

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Leseprobe

2. Neurobiologie des Lernens

Das Gehirn

In weniger als zwei Jahrzehnten entwickelte sich die Gehirnwissenschaft zu einer der aufstrebendsten und weitreichendsten Forschungszweige unserer Zeit. Kaum eine Wissenschaftsdisziplin, die nicht von diesem Erkenntnisreichtum beeinflusst wird. Grund genug, das Organ Gehirn näher kennenzulernen. Aus Raummangel müssen wir uns jedoch auf das Wichtigste beschränken. Mehr über diese Thematik kann der umfangreichen Fachliteratur entnommen werden.

Das Gehirn ist das zentrale Regulations- und Steuersystem des Organismus aller höheren Lebewesen, also auch der Menschen und Hunde. Gehirn und Rückenmark bilden gemeinsam das Zentrale Nervensystem (ZNS), das im Zusammenspiel mit dem PNS (Peripheres Nervensystem) voll zur Entfaltung kommt. Die neueren Erkenntnisse, die von einem „zweiten und dritten Gehirn“ ausgehen, besprechen wir weiter unten.

Die Evolution des Gehirns

Der gewaltige Entwicklungssprung zur Sprache, zum logischen Denken, zur Abstraktion und zum Bewusstsein begann beim Menschen vor zirka 300.000 Jahren. Er manifestiert sich vor allem im Großhirn, in welchem darüber hinaus Langzeitgedächtnis, Wille und Kreativität untergebracht sind. Vor zirka 100.000 Jahren kam die rasche Entwicklung des menschlichen Gehirns langsam zum Stillstand. Man nimmt an, dass hierfür die Bildung sozialer Gemeinschaften die Ursache war. Die Vorteile der Gruppe brachten bessere Überlebenchancen. Die Vorteile des Einzelnen im Schutz der Gruppe nahmen noch einmal zu, als der Mensch der unsicheren und gefährlichen Jagd den Rücken kehrte und Ackerbau und Viehzucht den Vorzug gab. Dies war vor etwa 12.000 Jahren. Die Evolution des Gehirns beim Menschen gipfelt in der Bildung des individuellen Ich-Bewusstseins. Auch im Tierreich lässt sich eine Evolution des Gehirns nachweisen. Wenngleich diese nicht so weit reicht wie beim Menschen, so sind doch immer mehr Wissenschaftler heute der Überzeugung, dass auch Tiere ein Ich-Bewusstsein haben.

Während das Großhirn bei den Wirbellosen noch völlig fehlt, nimmt es bei den Wirbeltieren im Verlaufe der Evolution mehr und mehr an Größe (und Bedeutung) zu. Bei Haien ist das Großhirn noch extrem klein, bei Reptilien und Amphibien ist es bereits größer. Bei Vögeln hat das Großhirn (im Verhältnis zur übrigen Gehirnmasse!) nochmals an Größe zugenommen, was unter anderem auf den Zuwachs des Sehzentrums zurückgeführt wird. Bei Säugetieren schließlich hat sich das Großhirn zum vorherrschenden und anteilsmäßig größten Gehirnteil manifestiert. Dies ist besonders bei den Primaten ausgeprägt, deren Gehirn dem des Menschen am ähnlichsten ist. Primaten weisen die im Tierreich höchst entwickelte Intelligenz auf. Beim Menschen, der mit Abstand die am weitesten ausgereiften kognitiven Fähigkeiten besitzt, umfasst das Großhirn 85 % der gesamten Hirnmasse. Nur Wale und Delphine haben ein (im Verhältnis zu den anderen Hirnteilen) noch größeres Stirnhirn-Volumen (Frontallappen – lat. Lobus frontalis – Assoziations-Kortex) und eine noch ausgeprägtere Faltung der Großhirnrinde. Auch das Gehirn der Hunde ist dem des Menschen sehr ähnlich. Die Unterschiede liegen weniger im Aufbau als in der Bedeutung und Ausreifung der einzelnen Gehirnteile, vor allem aber in der Großhirnrinde, dem Kortex.

Neben der relativen Größe des Großhirns ist noch ein Zweites zu nennen, das in der Gehirnstruktur der Wirbeltiere gegenüber primitiveren Spezies hervorsticht: Die Großhirn-Rinde. In der Großhirnrinde sind die stammesgeschichtlich neueren Gehirnleistungen untergebracht, unter anderem das Denken, Sprechen sowie das Bilden von Abstraktionen. Hinzu kommen die im sogenannten Langzeitgedächtnis gespeicherten Erinnerungen. Im Laufe der Evolution hat sich die Oberfläche des Großhirns mehr und mehr verändert, indem Windungen, Spalten und Furchen hinzukamen. Diese Struktur, einer Rinde ähnlich, ging mit einer immensen Flächenvergrößerung einher, ohne das Volumen zu verändern. Die Oberfläche des Kortex beim Menschen beträgt etwa 1,8 m². Einige Säugetier, beispielsweise Nagetiere, Igel und Vögel weisen übrigens noch keine Furchen im Großhirn auf.

Das Großhirn wird in verschiedene Bereiche unterteilt, die man je nach Lage entsprechend benennt: z.B. Frontallappen oder Schläfenlappen. Im Frontallappen ist unter anderem der Sitz der Intelligenz, des Bewusstseins und des Gedächtnisses. Bestimmte Leistungen werden bestimmten Hirnregionen zugeordnet. Aus Versuchen ist jedoch bekannt, dass die lokalisierten Leistungen auch von anderen Hirnregionen übernommen werden können.

Wie kam es zu den Veränderungen des Gehirns? Bei den niederen (entwicklungsgeschichtlich älteren) Tieren wird das Verhalten von weitgehend vorbestimmten (determinierten) Handlungsabläufen gesteuert. Hierfür war das stark ausgeprägte, sogenannte Riechhirn verantwortlich. Man vermutet, dass mit der Zeit das Sehen gegenüber dem Riechen – unter anderem auf Grund der Wahrnehmungsvorteile in der Entfernung – vermehrt gebraucht wurde und infolge dessen das Kleinhirn und Großhirn zunahmen. Dies könnte zur sogenannten Vorherrschaft des Sehens (Primat des Visuellen) geführt haben.

Riechen und Sehen

Die Zunahme des Großhirns bedeutet nicht, dass die Riechfähigkeit zurücktrat, sondern lediglich, dass eine optimierte Verwertung visueller Eindrücke hinzukam. Caniden verfügen heute noch über einen ausgeprägten Geruchssinn; aber sie haben in ihrer Phylogenese (Biologie: Stammesgeschichte) gelernt, Geruchs- und Sehsinn, den unterschiedlichen Situationen entsprechend, jeweils bestmöglich einzusetzen. Einen Teil ihrer ursprünglichen Riechleistung haben Hunde als Folge der Domestikation allerdings eingebüßt. Die Verlagerung zugunsten visueller Wahrnehmung bei Haushunden hatte möglicherweise folgende Ursache: Im sozialen Bund mit Menschen bieten sich dem Hund weit mehr visuelle Botschaften als geruchliche. Um häusliche Situationen besser einzuschätzen, nahmen auch akustische Signale an Bedeutung zu, denn über die Sprache äußert der Mensch nicht nur Befehle und Mitteilungen, sondern gleichzeitig seine emotionale Befindlichkeit und Absicht. Die Stimmungslage des Menschen an Visuellem und Akustischem zu lesen, bringt dem Hund mannigfache Vorteile. Daher hat er sich zu einem Meister der Stimmungsanalyse entwickelt und dabei die entsprechenden Sinne und Gehirnleistungen weiter ausgebaut. Ein Beispiel hierfür: Hunde verstehen Zeigegesten des Menschen, Wölfe je nach Umfeld und Erfahrung entweder gar nicht oder nur begrenzt.

Dass Hunde ihre Menschen permanent lesen, und dies auf verschiedenen Kanälen, ist mittlerweile durch zahlreiche Studien gesichert. Aufklärung im Hinblick auf die Bedeutung und Wirkung der vom Menschen ausgehenden (bewussten und unbewussten) Signale ist daher enorm wichtig.

Beispiel für widersprüchliche Signale beim Heranrufen:

Wohl jeder Hundebesitzer wünscht sich ein freudiges, zuverlässiges Herkommen seines Hundes (übliche Hörzeichen: <Komm> bzw. <Hier>). Was aber geht im Hund vor, wenn er zwar ab und zu nach dem Herkommen gelobt wird oder ein Leckerli erhält, aber im Augenblick des Hörzeichens, vor allem wenn es mehrmals gegeben werden muss, Druck und Zwang heraushört und wenn sich die Chiffren (klangliche Symbole) noch zusätzlich durch gleichlautende Kriterien (Erkennungszeichen) der Körperhaltung (und evtl. auch Bewegung) bestätigen? Was nützt es, wenn der Besitzer „eigentlich“ ein freudiges Herkommen wünscht, wenn seine konkrete Signalgebung jedoch etwas ganz anderes vermittelt? Hör- und sichtbar werden dem Hund nur die realen akustischen und visuellen Signale, die in ihrer Gesamtheit in Millisekunden als Botschaft interpretiert werden. Lob oder Leckerli werden in der Regel erst später, beim Herankommen, gegeben. Zu diesem Zeitpunkt hat der Hund längst eine Einschätzung gebildet. Aus der Gehirnforschung wissen wir: Reize, die Gefahr erwarten lassen, wurden im Gehirn bereits verarbeitet, b e v o r sie bewusst werden! Wenn der Besitzer das <Hier> oder <Komm> drohend, oder auch nur befehlend, ausspricht, dann bildet der Hund bereits in diesem Augenblick die unterbewusste Interpretation und Entscheidung zwischen „Darf oder Muss“, und das wiederum schlägt sich in Erwartung, Motivation und Handlung nieder. Hunde versuchen zu ihrem Vorteil stets, das zeitlich früheste Signal zu erfassen (Antizipations-Tendenz). Daher ist es so wichtig, dass sich der Mensch über den Gehalt seiner Signale bewusst wird und vor allem die jeweils frühesten Signale eines Kommunikationsablaufs so formuliert, mimt, gestikuliert und postiert , dass sie die Zielsetzung stützen und ihr nicht entgegenstehen! (“postiert“ = Ausdrucksverhalten in den Bereichen der Haltung und Bewegung). Das will geübt sein! Es empfielt sich zunächst das Training ohne Hund (so genanntes Trockentraining).

Auch an diesem Beispiel wird deutlich, dass wir zuerst einmal das Lernen besser verstehen müssen, um lehrend Erfolg zu haben. Im Folgenden werden wir erarbeiten, wie man beispielsweise Widersprüche zwischen Ziel und Botschaft vermeidet oder wie man das Timing von Übungsablauf und Verstärkung lernoptimiert gestaltet. Die Kommunikation sollte nicht zum Gegenspieler der Lernzielvermittlung werden (Korrumpierende...

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