2. Grundlegung von Waldund Erlebnispädagogik
Die große historische und gegenwärtige Bedeutung des Waldes für den Menschen, sein Bildungsgehalt, aber auch das wachsende Interesse am Wald seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Auftreten erster Anzeichen von Neuartigen Waldschäden, haben am Ende des 20. Jahrhunderts zum Entstehen einer eigenen Pädagogik geführt, der Waldpädagogik.
2.1. Zur Waldpädagogik
2.1.1. Die Waldschulbewegung als Ursprung der Waldpädagogik
Erste Ursprünge heutiger Waldpädagogik gehen auf das 19. Jahrhundert zurück, als sich in Frankreich, Italien und Deutschland die mittleren und unteren sozialen Schichten von Stadtund Vorstadtbewohnern im Wald von der schweren körperlichen Industriearbeit erholten. Neben Naturund Heimatschutzvereinen entstanden zur Zeit der Reformpädagogik Bewegungen wie der Wandervogel, die Naturfreunde oder die Landerziehungsheime.[62]
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde dann beobachtet, dass der Schulbesuch für schwächliche Kinder und Kinder in der Rekonvaleszenz nicht gesundheitsfördernd sei. Zudem wurde festgestellt, dass die Schule mit ihrer verbrauchten Luft in den Klassenzimmern, oft ungenügendem Licht und der Forderung nach langem Stillsitzen
in unangepassten Bänken der Gesundheit zusätzlich schaden kann, wenn nicht Aus-gleichsmöglichkeiten geboten werden. Als eine solche Ausgleichsmöglichkeit ent-stand 1904 die erste Waldschule in Charlottenburg. Mit ihr nimmt die Waldschul-bewegung ihren Anfang.[63]
Diese Idee fand schnell Nachahmer. In den darauffolgenden Jahren entstanden in Mönchengladbach, Kassel, Lübeck und Dortmund weitere Waldschulen. 1929 schlossen sich die Vertreter aller Waldund Freiluftschulen[64] in Deutschland zur „Vereinigung deutscher Freiluftund Waldschulen“ als Arbeitsgemeinschaft des „Deutschen Vereins für Schulgesundheitspflege“ zusammen. Hier war man um den Ausbau weiterer Waldschulen als auch pädagogischer Aufgaben bemüht. Bereits 1930 umfasste diese Vereinigung 70 Waldschulen.[65]
Die ersten Waldschulen glichen eher Sanatorien und Erholungsstätten. Für vier Wochen bis sechs Monate wurde für Klassen aller Schularten der Unterricht im Grüngürtel der Städte oder im nahe gelegenen Wald in geeigneten Räumen durchgeführt. Hier waren Freiluftunterrichtsräume, Liegehallen, Spielund Sport-plätze, Luftund Schwimmbäder, Schulgartenanlagen und Werkstätten vorhanden. Die Schüler[66] befanden sich den ganzen Tag über in der Waldschule. Sie wurden bestmöglichst verpflegt, mussten Liegekuren machen und gesundheitsbewusst leben. Dabei standen die Kinder unter ärztlicher Kontrolle.[67]
Im Laufe der Jahre entwickelten sich aufgrund der positiven Erfahrungen in den Waldund Freiluftschulen für schwache und kranke Kinder Waldschulen, die nicht mehr die medizinische Gesundheitspflege in den Vordergrund stellten, sondern das Lernen und den Aufenthalt im Freien allgemein als wertvoll ansahen.[68]
König führt verschiedene Heilkräfte der Waldschule an. So wurde besonderer Wert auf den Unterricht im Freien gelegt. Den Kindern sollte die frische Luft und die Sonne zugute kommen. Neben der geistigen Arbeit wurde auch viel Wert auf die körperliche Arbeit und die damit verbundene Bewegung gelegt. Außerdem wurden die Kinder, wie auch in den Waldschulen für kranke Kinder, zur Reinlichkeit, zu einer gesunden Ernährung und zur Zahnpflege angehalten. Neben den nicht zu vergessenen Ruhepausen bestimmten Sport und Spiel, sowie Gartenarbeit, Chor und Musik-unterricht den Lehrplan.[69]
„Bei einer Gestaltung von Unterricht und Erziehung im Sinne der Freiluftschule, bei möglichster Herabsetzung der durch die Schule hervorgerufenen gesundheitlichen Schäden auf ein Mindestmaß und bei planmäßiger Durchführung einer ausreichenden, nachhaltigen Erziehung zur Gesundheit bedeutet die Freiluftschule für gesunde Kinder das Endziel der Waldschulbewegung. Bei dieser Endforderung der Freiluftschule für
gesunde Kinder befindet sich die Freiluftschulbewegung in vollem Einvernehmen mit den gleichgerichteten Bestrebungen, wie Gartenschule, Schullandheim, Kinderdörfer und Landerziehungsheim.“ [70]
Bis heute wurden viele Waldschulen gegründet, wieder geschlossen und andere eröffnet. Zu nennen sei an dieser Stelle die „Private Waldschule Kaliski“ in Berlin. Sie wurde 1932 von Lotte Kaliski als konfessionell nicht gebundene Waldschule gegründet. Als die Hälfte der Schüler trotzdem jüdisch war und die National-sozialisten ab 1933 daran interessiert waren, den Anteil der Juden in den öffentlichen Schulen zu reduzieren, nahm die private Waldschule immer mehr jüdische Schüler auf.[71] Damit einher ging, dass die Schule ab 1936 verstärkt mit der Vorbereitung der Kinder auf ein mögliches Exil und damit auf das Erlernen von Fremdsprachen, die Ausgangspunkt für eine Berufsausbildung im Ausland sein sollten, beschäftigt war. Mit der Pogromnacht 1939 mussten viele Kinder mit ihren Familien das Land verlassen. Die Private Waldschule Kaliski wurde geschlossen und bis heute nicht mehr eröffnet.[72]
Andere Waldschulen bestehen bis heute. Vor allem in der Schweiz, in Österreich und auch in Deutschland ist eine verstärkte Aktivität zu beobachten. Auch die 1919 errichtete Waldschule für kranke Kinder in Wiener Neustadt besteht heute noch. Sie wurde aufgrund fehlender Gelder von 1934-44 geschlossen, wurde zwischenzeitlich von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt als Erholungsheim genutzt, brannte 1944 ab und wurde kurz darauf wieder aufgebaut.[73] Mit dem wachsenden Interesse am Wald in den 80er Jahren gab es einen neuen Schub an Waldschulen. Hierzu gehört z.B. die 1986 in Zürich eröffnete Sihlwaldschule.
Der gesellschaftspolitische Hintergrund bildet heute die Legitimation für die Wald-schulaktivitäten. Waldämter argumentieren, dass heute in den Familien kaum noch Wissen über das Ökosystem Wald vorhanden ist. So haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, diesem Defizit durch die Vermittlung von Waldwissen und durch die Ermöglichung authentischer Naturerfahrung zu begegnen.[74]
Die Sihlwaldschule nennt sieben Grundsätze, nach denen sie arbeitet. Sie können in ihren Grundzügen als repräsentativ auch für andere Waldschulen angesehen werden.
1. Wir wecken Neugierde, fördern eine bewusste und differenzierte Wahrnehmung sowie die Achtung vor der Natur.
2. Wir sprechen alle Sinne an und stärken damit die Naturbeziehung.
3. Wir schaffen Verständnis für natürliche Zusammenhänge, Kreisläufe und Prozesse.
4. Wir vermitteln unsere Inhalte direkt in der Natur.
5. Wir richten unsere Angebote auf die Bedürfnisse der unterschiedlichen Altersgruppen aus.
6. Wir arbeiten mit ganzheitlichen Lehrmethoden und vermitteln Inhalte, welche dem Lehrplan angepasst sind.
7. Wir ermöglichen eine aktive Betätigung in und für die Natur.[75]
Die praktische Erfahrung steht im Vordergrund. Es geht um einen möglichst direkten Kontakt mit dem Wald. Dabei ist es das Ziel, ein positives Naturbild und eine Beziehung zum Wald herzustellen. Die Kinder sollen in Waldschulen durch erlebnis-orientierte Elemente, z.B. in Form von sinnlicher Wahrnehmung, mit dem Wald vertraut werden und so eine Beziehung zu ihm aufbauen. Die Hoffnung ist, dass diese Beziehung für einen rücksichtsvollen und schützenden Umgang mit dem Wald sorgt.[76]
Eine genauere Erklärung waldpädagogischer Ziele und Inhalte folgt im Kapitel 2.1.3..
2.1.2. Heutige Gründung von waldpädagogischen Bildungseinrichtungen
Das seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts gestiegene Interesse der Menschen am Wald hat zur Gründung von einer Vielzahl von pädagogischen Angeboten, die den Wald zum Thema haben oder im Wald stattfinden, geführt. Parallel dazu hat die Waldpädagogik in der Bildung und Erziehung immer stärker an Bedeutung gewonnen und die Umweltbildung in den Schulen einen größeren Stellenwert erhalten.[77]
Während es 1989 in den alten Bundesländern 110 Umweltzentren gab, wurden 2001 schon 650 Umweltzentren in ganz Deutschland registriert. Zu diesen Initiativen gehören zum Beispiel Jugendwaldheime, Schulbiologiezentren, Umweltmobile und rollende Waldschulen, Schullandheime und Umweltstudienplätze, die bereits erläuterten Waldschulen und die in Kapitel 5 zu erläuternden Waldkindergärten.[78]
Jugendwaldheime: In den Programmen der Jugendwaldheime wechseln sich praktische Arbeit und...