2. Autonomie der Lernenden im schulischen Lernkontext
Die kognitiven, konstruktivistischen und subjektwissenschaftlichen Lerntheorien, welche die Grundlage für den Perspektivenwechsel – weg von der Produktorientierung bis hin zur Lerner- und Lernprozessorientierung– bilden, bleiben nicht ohne Einfluss auf den heutigen Fremdsprachenunterricht (somit auch auf den Unterricht Deutsch als Fremdsprache – DaF) (vgl. Chudak 2007). Die Autonomie der Lernenden ist erst dann möglich, wenn die Lernenden über bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten zum selbständigen Lernen verfügen (vgl. Rampillon 2003).
Lernerautonomie, Selbstlernprozesse, Handlungsorientierung und Binnendifferenzierung gehören zu den Begriffen, die häufig in der aktuellen Lern- und Lehrforschung auftauchen und die als Indikatoren für den veränderten Fremdsprachenunterricht gelten (vgl. Leuschner 2003). Es werden solche Prozesse untersucht und analysiert, die von Lernenden selbst initiiert, gesteuert und reguliert werden. Die Entfaltung der Fähigkeiten zum selbstregulierten Lernen wird als eine der Hauptaufgaben der Erziehung und somit auch als ein bedeutendes Ziel des Fremdsprachenunterrichts angesehen. Damit das Ziel erreicht werden kann, werden auch verschiedene Wege ausprobiert, Herausforderungen aufgefasst und überwunden. In der Schule wissen die Lernenden meistens nicht, was sie lernen sollen oder werden und wozu sie dies tun. Das Lernen ist für die Menschen eine natürliche und lebensnotwendige Aktivität (vgl. Tornberg 1996). In den Industriegesellschaften findet eine sich fortwährend beschleunigende Veränderung der Arbeitsorganisation statt. Es wird von vielen Menschen erwartet, dass sie sich ständig verändern und lebenslang lernen, um genügend personale und soziale Kompetenzen aufzubringen. Die Fremdsprachenkenntnisse spielen dabei eine wesentliche Rolle. Die Förderung des selbstbestimmten und selbstorganisierten Lernens unterstreicht die Emanzipation der Menschen, die die Bildung als traditionelles Ziel seines Lebens sehen (vgl. Grünhage-Monetti/Klepp 1997). Hierbei müssen auch folgende Punkte zur Sprache gebracht werden und zwar, dass die Evaluation der Lernenden von den Lehrkräften bestimmt wird und die Lernenden meistens eine passive Rolle übernehmen. Diese Auffassung beweist, dass das neue Verhalten von den Lehrenden und den Lernenden eine grundlegende Voraussetzung für eine neue Lernkultur in der Schule ist (vgl. Tornberg 1996). Man ist bemüht, aus der Schule „ein Haus des Lernens“ zu machen, „in dem sich alle als Lernende verstehen in einem Lebensraum, den es zu gestalten gibt und in dem Fremdsprachen möglichst unbefangen gelernt werden sollen“ (Weskamp 1999:8 zitiert nach Chudak 2007:41).
Fremdsprachenunterricht unterscheidet sich von dem natürlichen Fremdsprachenerwerb dadurch, dass er geplant und gesteuert ist (vgl. Storch 1999). Bei der Planung eines Sprachkurses oder des Fremdsprachenlehrwerks gibt man sich die Mühe, möglichst wenig dem Zufall zu überlassen und überlegt, welche Ziele die Lernenden, die in einem Kurs oder mit einem Lehrwerk lernen, erreichen sollten. Die Zielsetzung hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Die kommunikative Kompetenz, die in linguistische, inhaltlich-kognitive und sozial-affektive Kompetenz differenziert wird, wird als übergeordnetes Ziel gesehen (vgl. Chudak 2007).
Wilczyńska (1999) nennt den Lernererfolg als eins der wichtigsten Ziele des Fremdsprachenunterrichts. Es werden auch weitere Bedingungen für dessen Erreichung genannt, und zwar die Lernkompetenz, die Informationen über das Funktionieren des Gedächtnisses sowie die Konzentrations- oder Stressreduzierungsfähigkeit.
Die Berliner Didaktische Schule hat in den sechziger Jahren ein einflussreiches didaktisches Modell entwickelt, in dem drei Arten von Lernzielen unterschieden werden: pragmatische, kognitive und emotionale Lernziele
„ 1. pragmatische Lernziele bezeichnen die Handlungskomponente des
Lernens, d.h. was soll der Lernende nach dem Unterricht können
2. kognitive Lernziele bezeichnen das explizite Wissen der Lernenden
3. emotionale Lerngegenstände und Lernziele bezeichnen Einstellungen
und Haltungen, d.h. was gefördert und angestrebt werden soll“ (Storch
1999:25)
Unter den von Storch (1999) genannten Zielen entdeckt man den folgenden Hinweis:
„Im DaF-Unterricht sollen die Lernenden ein explizites Wissen vor allem in den folgenden Bereichen erwerben: [...] ein Wissen über das Lernen von Fremdsprachen, das sie dazu befähigt, ihr Lern- und Kommunikationsverhalten zu reflektieren und selbständig weiterzuentwickeln (Lernstrategien)“ (Storch 1999: 28).
Heyd (1997) unterstreicht, dass unter der Einflussnahme kognitiver Lerntheorien das Lernziel der kommunikativen Kompetenz durch die Sprachhandlungsorientierung und durch den Begriff der Kognition erweitert wurde. In den Mittelpunkt tritt das strategische Verhalten der Lernenden. Sie sollen wissen, dass prozedurale Strategien die Sprachverarbeitung steuern und die Lernenden sollen auch lernen, diese Strategien auf das Fremdsprachenlernen zu übertragen und zu nutzen (vgl. Heyd 1997:27).
Komorowska (2002) akzentuiert die Ausbildung der Fähigkeit zur selbständigen Arbeit, also zum Teil die Fähigkeit, das eigene Lernen zu planen, zu überprüfen, zu bewerten und demgegenüber die Beherrschung von Lernstrategien und die Fähigkeit, sie entsprechend einzusetzen.
Nodari (1995) geht von der vorläufigen Definition des übergeordneten Lehrziels ‚Kommunikationsfähigkeit‛ aus und fordert, der Kommunikationsfähigkeit mehr Interesse zu schenken und sie u.a. bei der Lehrwerksgestaltung einzubeziehen. Darunter versteht er vor allem die Förderung der Selbständigkeit, des Selbstvertrauens, des Verantwortungsbewusstseins, der kooperativen Haltung im Bereich des Fremdsprachenlernens, zusammengefasst der Lernerautonomie. Er bestätigt auch, dass die Lehrziele auf dem Gebiet der Autonomie unabhängig von der aktuell zu lernenden Fremdsprache sind, und „[...]in der didaktischen Umsetzung die zwei Lernzielbereiche natürlich nicht trennbar sind, denn ohne den Erwerb einer spezifischen Fremdsprache können auch keine Fähigkeiten zum autonomen Erwerb von Fremdsprachen erworben werden. Kommunikationsfähigkeit in einer Fremdsprache und Autonomie in Sachen Fremdsprachenlernen ergänzen sich vielmehr und ergeben in ihrer Zweiteiligkeit ein Ganzes“ (Nodari 1995:100 zitiert nach Chudak:2007:43). Autonomie ist für Nodari (1995) zwischen den allgemeinerzieherischen und sprachspezifischen Lernzielen fundamental. Es müssen aber bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, damit das Ziel erreicht werden kann:
- „[...]das Lernen muss in einer Lernumgebung stattfinden, in der die Zusammenarbeit und der Erfahrungsaustausch im Unterricht von den Lernern als ein wichtiger Teil des Unterrichtsgeschehens wahrgenommen wird,
- den Lernern muss die Verantwortung für unterrichtsrelevante Entscheidungen übertragen werden,
- im Unterricht muss der Lernprozess (auch individuelle Lernwege) und nicht ausschließlich der fachspezifische Lerngegenstand thematisiert werden,
- die Lerner müssen zu einer metakognitiven Reflexion angeregt werden und Angebote zur Verbesserung der eigenen Handlungs- und Lernweisen erhalten,
- die Lerner müssen dazu angeregt werden, durch den Vergleich mit kultur-spezifischen Ausprägungen in der Fremdsprache über ihre eigenen kultur-spezifischen Verhaltensweisen und Normen zu reflektieren,
- die Lehrperson muss zusätzlich zu ihren fachlichen Qualifikationen auch über ihre eigenen kognitiven Lern- und Handlungsweisen im Bilde sein“ (Nodari 1995:127 in Chudak 2007:43).
Im Kontext der Förderung der Lernerautonomie ist zu bedenken, was noch gemacht werden könnte, um das Sprach– und Kommunikationsbewusstsein der Lernenden zu entfalten, welche artikulatorischen Fertigkeiten die Lernenden besitzen und welche man in ihnen herausbilden soll, welche Lerntechniken sowie heuristischen Fertigkeiten die Lernenden entwickeln und einsetzen können und wie man die Lernenden dazu ermutigt, beim Lernen und beim Gebrauch der Sprache zunehmend selbständig zu werden (vgl. Chudak 2007).
Der Unterricht gilt als Modell der kontinuierlichen Ergänzung und Erneuerung von Bildung. Ein Modell, das nicht anderes bedeutet als eine Erweiterung der schulischen Unterrichtsziele vom fachlichen Reproduktionslernen zum Lernen des Lernens selbst, von der Informationsaufnahme zur Ausbildung einer breit und flexibel nutzbaren Lern- und Denkfähigkeit (vgl. Reusser 2001).
...