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E-Book

Lesen ist Denken mit fremdem Gehirn

Gespräche mit Osvaldo Ferrari

AutorJorge Luis Borges, Osvaldo Ferrari
VerlagKampa Verlag
Erscheinungsjahr2018
ReiheKampa Salon 
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783311700258
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Es begann in Buenos Aires, in der Bibliothek seines Vaters, über die Borges einmal sagte, wahrscheinlich habe er nie aus ihr herausgefunden. Nach dem Tod des Vaters trat er eine Stelle in einer städtischen Bibliothek an, »neun Jahre soliden Unglücks«, aber er hatte Zeit zum Lesen - und zum Schreiben von (im Doppelsinn) phantastischen Erzählungen wie Die Bibliothek von Babel. Die vierte Bibliothek seines Lebens war die argentinische Nationalbibliothek, der Borges ab 1955 vorstand. Im selben Jahr erblindete er: »Eine Ironie Gottes, der mir zugleich die Bücher und die Nacht gab.« Die Bücher blieben, und von ihnen erzählte er dem argentinischen Autor Osvaldo Ferrari in dreißig kurzen Gesprächen zwischen 1984 und 1986. So kurz diese Dialoge sind, so reich das Innenleben, das sie offenbaren. Und Borges gewährt nicht nur Einblick in seine geistige Bibliothek, er erzählt von seinem Faible für Dolche und Messer, dass er sich von seiner Blindheit nicht das Reisen verderben lasse und davon, dass er dem Tod ungeduldig entgegensehe. Es entsteht ein Memoir in Fragmenten, reich an farbigen Anekdoten und verblüffenden Details - eine Fundgrube literarischer Perlen.

Jorge Luis Borges, geboren 1899 in Buenos Aires, gestorben 1986 in Genf, war ein argentinischer Schriftsteller und Bibliothekar und gehört zu den wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts. Er verfasste unzählige phantastische Erzählungen und Gedichte und gilt als Mitbegründer des Magischen Realismus. Für sein Werk erhielt er zahlreiche internationale Ehrungen.

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Leseprobe

Über Vorworte


Mir ist aufgefallen, Borges, dass Ihre Liebe zur Literatur, zu den Schriftstellern sich mehr noch als in Ihren Essays in Ihren Vorworten ausdrückt, in den Vorworten zu Schriftstellern und Büchern, die Ihnen im Lauf der Zeit Bewunderung eingeflößt haben.

Nun ja, natürlich ist der Prolog ein Mittelding zwischen kritischer Studie und, sagen wir, Trinkspruch. Das heißt, im Prolog muss es einen kleinen Überschuss an Lob geben; der Leser zieht ihn wieder ab. Aber gleichzeitig muss der Prolog großmütig sein, und nach so vielen Jahren, nach zu vielen Jahren bin ich zu dem Schluss gelangt, dass man nur über das schreiben sollte, was einem gefällt.

Ich glaube, dass negative Kritik keinen Sinn hat; Schopenhauer hielt zum Beispiel Hegel für einen Aufschneider oder für einen Trottel oder beides. In den Geschichten der deutschen Philosophie leben die beiden heute friedfertig zusammen. Novalis war der Meinung, Goethe sei ein oberflächlicher Autor, bloß korrekt, bloß elegant; er verglich Goethes Werke mit englischen Möbeln … Heute sind Novalis und Goethe beide Klassiker. Das heißt, was gegen jemanden geschrieben wird, setzt ihn nicht herab, und ich weiß nicht, ob das, was man für jemanden schreibt, ihn erhöht.

Aber ich schreibe jedenfalls seit langer Zeit nur über das, was mir gefällt, auch weil ich meine, wenn mir etwas nicht gefällt, liegt das eher an einer Unfähigkeit meinerseits oder einer Plumpheit, und davon brauche ich andere nicht zu überzeugen. Ich habe an die zwanzig Jahre englische und nordamerikanische Literatur gelehrt, ich habe gelehrt … ich will nicht sagen, die Liebe zu diesen Literaturen, denn das ist ein zu weiter und zu vager Begriff, wohl aber die Liebe zu bestimmten Autoren oder die Liebe zu bestimmten Büchern; oder, noch konkreter, die Liebe zu bestimmten Abschnitten oder bestimmten Versen oder bestimmten Plots. Und das habe ich erreicht.

Mir scheint, gegen etwas zu schreiben ist zu nichts nütze. Sicher, wenn man sehr einfallsreich schreibt, dann bleibt der Satz haften; ich denke da an jenen Satz von Byron. Horaz hatte gesagt, der gute Homer schlafe bisweilen; und Byron setzte hinzu, Wordsworth wache gelegentlich auf (lacht). Der Satz hat Witz, aber er schadet Wordsworth nicht, denn wenn ein Satz Esprit hat, existiert er aus eigenem Recht; und es ist unwichtig, auf wen er sich bezieht. Der Satz, »Wordsworth wacht bisweilen auf«, steht und lebt neben seinem großartigen Werk – und tut ihm nicht weh.

So auch das Beispiel von Groussac, der über eine Geschichte der spanischen Philosophie von Menéndez y Pelayo sagte, der Titel sei recht beeindruckend, und hinzufügte: »Die Strenge oder die Feierlichkeit des Substantivs ›Philosophie‹ wird korrigiert durch das Lächeln des Epithetons ›spanisch‹.« Ich glaube, das schadet der spanischen Philosophie nicht – falls es eine solche gibt –, denn der Satz existiert um seiner selbst willen.

Was mich angeht, so habe ich viele Prologe geschrieben; ich habe Vorworte geschrieben zu Autoren, die zu jenem Zeitpunkt unbekannt waren … Gut, das war ich auch. Und in all diesen Vorworten bin ich großmütig gewesen.

Allerdings. Nun wurden aber einige Ihrer Prologe in einem Buch zusammengestellt, und darin kommt zum Ausdruck, was Sie in der Literatur am meisten bewundern, was Sie mit der größten Zuneigung bedenken.

Ja, diese Auswahl hat ein Neffe von mir gemacht, Miguel de Torre. Ich wollte mich mit niemandem anlegen, und manchmal gab es, nun ja, Prologe aufgrund von Umständen, wissen Sie? Prologe aus Höflichkeit. Oder aber auch schlicht Prologe, die ehrlich, aber nicht besonders gut geschrieben waren oder keine besondere Gedankentiefe hatten, sondern lediglich ein Buch lobten … Deshalb ließ ich zu, dass mein Neffe die Texte auswählte.

Trotzdem kann man sagen, dass kein anderer über Ihre Großherzigkeit verfügte, was Vorworte für junge Schriftsteller oder noch unbekannte Autoren angeht.

Ich habe zum Beispiel ein Vorwort zu dem ersten Buch von Norah Lange geschrieben. Ich weiß nicht, ob das erste Buch ein Wiederlesen verdient, aber Norah Lange hat später die Kindheitshefte veröffentlicht, ein sehr hübsches Buch mit Erinnerungen an ihre Kindheit in Mendoza.

Unter den ausgewählten Vorworten ist zum Beispiel das, was Sie für Pedro Henríquez Ureña geschrieben haben. Man sieht dort sehr deutlich Ihre Zuneigung zu ihm, Ihre Bewunderung und all das, was Sie mittels Ihrer Zuneigung entdecken.

Ja, Henríquez Ureña habe ich in sehr guter Erinnerung, und vielleicht … also, das geht mir aber mit Macedonio Fernández genauso: Vielleicht erinnere ich mich besser an den Dialog mit ihnen oder an ihre Präsenz, die eine Form des Dialogs ist, als an das, was sie geschrieben haben, wissen Sie? Aber alle großen Meister in der Geschichte der Menschheit waren Meister des gesprochenen Wortes.

Wie Sie sagen: jene, die ihr Bestes im Dialog gegeben haben.

Ja. Pythagoras hat absichtlich nicht geschrieben. Er wollte, nehme ich an, dass sein Denken sich in seinen Schülern weiter verzweigte. So bedeutet zum Beispiel der Satz – das Griechische ist mein Latein, ich zitiere ihn aber auf Lateinisch – »Magister dixit«, »Der Meister hat es gesagt«, keinerlei rigide Autorität, im Gegenteil; wenn die Schüler die Lehre des Pythagoras abwandelten oder, wie man besser sagen sollte, wenn sie diese Gedanken über den leiblichen Tod des Pythagoras hinaus verlängerten, dann sagten sie, um sich zu vergewissern: »Der Meister hat es gesagt.« Aber es war klar, dass der Meister dies nicht wörtlich gesagt hatte, sondern dass es so war, als ob sie den ursprünglichen Gedanken des Pythagoras verlängerten – was ja genau das ist, was ein Mensch im Laufe seines Lebens tut: Er hält sich nicht einfach an das, was er gesagt oder geschrieben hat, sondern an das, was er weiterhin denkt, und dabei kann er durchaus auch seine Meinung ändern.

Was das angeht, wäre für uns der Argentinier Lugones das Beispiel: Er war Anarchist, Sozialist, während des Ersten Weltkriegs Anhänger der Alliierten, das heißt, Demokrat, und später predigte er die Stunde des Degens, das heißt, den Faschismus. Da sagten dann viele Leute: »Er ist ein Wetterhahn.« Nein, er war kein Wetterhahn; er war ein Mann, den die Politik sehr interessierte und der in verschiedenen Epochen seines Lebens zu verschiedenen Schlussfolgerungen gelangte, ohne daraus je einen Vorteil zu ziehen. Im Gegenteil, er machte sich jedes Mal unbeliebt, wenn er sagte: Ich habe mich geirrt, jetzt denke ich anders.

In vielen Fällen wird man zweifellos sagen, Borges, dass Sie den Autor erfunden haben mithilfe des Vorworts, das Sie ihm widmen. Zum Beispiel gibt es einen Prolog von Ihnen zu Almafuerte; darin kommt Ihre alte Bewunderung für ihn zum Ausdruck, und darin loben Sie ihn auf eine Art, die ihn gleichzeitig enthüllt, könnte man sagen.

Also, wenn ich ein großes Beispiel zitieren darf: Als Bernard Shaw seine Quintessenz des Ibsenismus vorlegte, wurde ihm gesagt, in diesem Buch stünde vieles, was im Werk Ibsens nicht zu finden sei. Shaw erwiderte: »Wenn ich nur wiederholte, was Ibsen gesagt hat, wäre mein Buch nichts wert.« Und er setzte hinzu: »Was ich hier sage, ist vielleicht eine Form von Abstraktion« – das...

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