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Leuchten in der Stille

Über Glühwürmchen und das Glück des Moments

AutorSara Lewis
VerlagVerlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783732540143
Altersgruppe16 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR

Glühwürmchen in einer lauen Sommernacht - nichts fasziniert uns Menschen mehr, als diese kleinen Lebewesen, die wahre Lichtermeere hervorrufen können. Sara Lewis ist Ökologin und Professorin für Biologie und hat die Leuchtkäfer, die uns seit Jahrhunderten verzaubern, intensiv erforscht. Sie lässt uns in die geheime Welt der Leuchtkäfer eintauchen und erklärt voller Hingabe, wie es ihnen gelingt, mit einem Minimum an Energie so herrlich zu funkeln. Mithilfe ihres stillen Leuchtens können Glühwürmchen den passenden Partner finden und Fressfeinde austricksen. Durch die hohe Lichtverschmutzung gehören sie jedoch mittlerweile zu den bedrohten Tierarten. Sara Lewis weiß, wie es dennoch gelingen kann, Glühwürmchen in unsere Gärten zu locken.




Sara Lewis lehrt an der Tufts University in Medford und forscht in erster Linie im Bereich der evolutionären Ökologie. Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt betrifft den entscheidenden evolutionären Prozess der sexuellen Selektion, basierend auf Unterschieden zwischen den Individuen in ihrer Paarung. Regina Schneider ist Amerikanistin (M.A.) und arbeitet seit Jahren als Übersetzerin in den Bereichen wissenschaftliches und erzählerisches Sachbuch. Daneben ist sie Dozentin für deutsche Sprache an Universitäten und Hochschulen.

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Leseprobe

Kapitel 1

Lautlose Lichtfunken


Und über allem, betrachte die Welt um dich herum mit glitzernden Augen, weil die großartigsten Geheimnisse immer an den ungewöhnlichsten Orten versteckt sind. Diejenigen, die nicht an Magie glauben, werden sie auch niemals finden.

ROALD DAHL

Eine Welt der Wunder


Leuchtkäfer, auch Glühwürmchen genannt, gehören sicherlich zu den wundersamsten Kreaturen, mit denen wir unsere Erde teilen. Wie winzige, lebende Feuerwerkskörper zaubern diese Symbole des Sommers eine spektakuläre, aber lautlose Lichtershow in die Nacht. Seit Jahrhunderten inspiriert ihr anmutiger Lichtertanz Dichter, Künstler und Kinder, kleine wie große. Was macht diese lautlos glitzernden Lichtfunken so überaus anziehend?

Viele von uns fühlen eine tiefe nostalgische Verbundenheit mit Glühwürmchen. Sie rufen Kindheitserinnerungen wach – an laue Sommerabende, als wir durch Wiesen und Felder tollten, sie mit bloßen Händen, Fangnetzen oder Bechern zu haschen suchten. Neugierig, mit prüfenden Blicken bestaunten wir diese winzigen Lichtwesen. Manchmal quetschten wir sogar einige, um unsere Körper und Gesichter mit ihrem nachglimmenden Schein zu schmücken.

Glühwürmchen erschaffen eine Magie, die Zeit und Raum übersteigt. Ihr strahlendes Erscheinen verleiht gewöhnlichen Landschaften einen geradezu himmlischen, jenseitigen Glanz. Mit ihrem tausendfachen Funkeln verwandeln sie Berghänge in schillernd fließende Kaskaden, Vorstadtwiesen in glitzernd helle Pforten zu anderen Welten, stille, Mangroven gesäumte Flüsse in hypnotisch pulsierende Leuchtkonzerte.

Überall auf der Welt rufen Glühwürmchen eine geradezu mystische Ehrfurcht hervor. Und sicherlich hat der Anblick dieser lautlosen, kleinen Funken im Dunkeln einst auch früheste Hominiden in ehrfürchtiges Staunen versetzt! Vielleicht ist es genau das, dieser Moment der Ehrfurcht, dieses einzigartige Erlebnis, das Touristen in wachsenden Scharen anzieht, sie hinauslockt in die Nacht, um diese funkelnden Wesen hautnah zu erleben. In der Hochsaison zieht das überwältigende Schauspiel 80 000 Glühwürmchen-Touristen nach Malaysia. In Taiwan buchen rund 90 000 eine organisierte Glühwürmchen-Tour. Und in den USA sind es 30 000, die alljährlich im Juni in die Great-Smoky-Mountains pilgern, um die atemberaubende Lichtershow zu bestaunen, die synchron blinkende Glühwürmchen inszenieren. Dort in den Bergen traf ich einmal eine Frau, die eigens deshalb mitsamt ihrer Familie viele hunderte Kilometer gefahren war – so wie jedes Jahr seit mehr als zehn Jahren. Als ich sie fragte, was sie bewegt, immer wieder an diesen Ort zurückzukehren, überlegte sie kurz und sagte dann: »Nun, ich denke mal, es ist dieser ehrfurchtgebietende Moment. Wir alle stehen staunend davor, vor diesem stillen Geheimnis der Glühwürmchen – sie rühren uns zu Freude und Dankbarkeit.«

Glühwürmchen rufen Kindheitserinnerungen wach, verzaubern Landschaften, lassen uns staunen und erwecken in uns den Sinn für das Wunderbare, immer wieder (Foto: Tsuneaki Hiramatsu).

Glühwürmchen spielen in vielen Kulturen eine Rolle. Doch wohl nirgendwo sonst auf der Welt dringt ihr glanzvoller Schein heller durch den kulturellen Stoff als in Japan. Wie später in diesem Buch noch näher ausgeführt, hegen Japaner seit mehr als tausend Jahren eine tief empfundene Liebe zu diesen kleinen, funkelnden Wesen. Das Beobachten von Glühwürmchen ist bis heute ein beliebter Zeitvertreib, tief verwurzelt in der uralten Religion des Shinto, wonach heilige Geister, oder kami, überall in der Natur erkennbar sind. Glühwürmchen wurden zu einer Metapher für eine stille, leidenschaftliche Liebe, von der »Die Geschichte vom Prinzen Genji« (Genji Monogatari) erzählt, ein berühmter Roman aus dem 11. Jahrhundert, geschrieben von einer japanischen Hofdame. Und ohne dass es ein Widerspruch wäre, gelten Glühwürmchen auch als die Geister der Toten, wie im Film »Die letzten Glühwürmchen«, dem Anime-Klassiker von 1998, eindrucksvoll dargestellt wird. In der japanischen Kunst und Poesie werden Glühwürmchen seit Jahrtausenden gefeiert. Sie spielen eine zentrale Rolle im Haiku, der traditionellen japanischen Gedichtform, wo sie ihren festen Platz als Vorboten des Sommers haben. Trotz alledem waren diese geliebten Insekten im 20. Jahrhundert aus den Naturlandschaften Japans nahezu verschwunden. Mittlerweile sind sie zurück und mehr denn je ein Symbol für Nationalstolz und Umweltbewusstsein. In der japanischen Kultur sind sie wie schimmernde Perlen, die mit jeder neu wachsenden, symbolträchtigen Schicht an Wert hinzugewinnen.

Kleiner Grundkurs: Was? Wo? Wie viele?


Im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte sorgten die Glühwürmchen immer wieder für echte »Lichtblicke« in der Wissenschaft, die neue Einsichten in ihre Biochemie, Verhaltensweise und Evolution erbrachten. Vor allem in den letzten Jahrzehnten schritt die Forschung rasant voran und lieferte viele spannende Erkenntnisse. Hinter ihrer anmutigen Fassade verbirgt sich ein einziger, dramatischer Kampf ums Überleben – geführt mit verschmähten Avancen, teuren Hochzeitsgeschenken, chemischen Waffen, ausgeklügelten Taktiken und Tricks und einem oft tragischen tödlichen Ende! In den folgenden Kapiteln werde ich die verborgene Welt der Glühwürmchen bis ins kleinste Detail »erhellen«.

Doch zunächst die Frage: Was genau sind Glühwürmchen?

Diese winzigen Insekten haben viele Namen – Leuchtkäfer, Feuerfliegen, Johanniskäfer, Johanniswürmchen, Johannisfünkchen oder auch Sonnenwendkäfer. Aber sie sind weder Fliegen noch Würmchen – stattdessen gehören sie zur Ordnung der Käfer (Coleoptera), einer bekanntlich sehr artenreichen und höchst erfolgreichen Familie der Insekten. Als die ersten Käfer vor 300 Millionen Jahren erstmals auftraten, waren zahllose andere Insekten bereits vorhanden. Im Laufe ihrer Evolution kam es dann zu einer wahren Explosion der Arten- und Formenvielfalt. Heute gibt es gut 400 000 beschriebene Arten, die irgendwo auf der Welt verbreitet sind, das heißt, 25 Prozent aller bekannten biologischen Arten sind Käfer. Doch was berechtigt das Glühwürmchen zum zoologischen »Käfer«-Ausweis? Alle Leuchtkäfer-Arten gehören zu den »Deckflügel«-Insekten, deren Zugehörigkeit zu den Käfern daran zu erkennen ist, dass die Vorderflügel abgewandelt sind und als verhärtete Deckflügel die zarten Hinterflügel panzerartig schützen.

Glühwürmchen sind genau genommen Käfer; ihre Vorderflügel sind abgewandelt und schützen als verhärtete Deckflügel die zarten Hinterflügel, die sie zum Fliegen benutzen (Photinus pyralis, Foto: Terry Priest).

Innerhalb der Käfer (Coleoptera) gehört das Glühwürmchen zur Familie der Leuchtkäfer (Lampyridae). Diese Käferfamilie unterscheidet sich durch eine Reihe gemeinsamer spezifischer Merkmale von anderen Käferarten. Dabei ist die Biolumineszenz (griechisch biós für »Leben« und lateinisch lumen für »Licht«), die natürliche Fähigkeit zu leuchten, sicherlich das Schlüsselmerkmal schlechthin, obgleich viele Leuchtkäfer diese Eigenschaft nur während ihrer Jugendphase aufweisen. Ein weiteres spezifisches Merkmal ist der relativ weiche Körper. Wer schon mal ein Leuchtkäferchen in der Hand gehalten hat, der wird vielleicht bemerkt haben, dass es sich im Unterschied zu den steifen, schalenförmigen Körpern, wie sie für viele andere Käfer typisch sind, leicht schwammartig anfühlt. Und nicht zuletzt zeichnet sich jedes Glühwürmchen dadurch aus, dass es ein auffällig plattgedrücktes Schild mit sich trägt, das seinen Hinterkopf bedeckt.

Alle heute lebenden Leuchtkäfer-Arten sehen nicht nur ähnlich aus, auch ihre genetischen Wurzeln reichen auf einen einzigen gemeinsamen Vorfahren zurück. Dieser Ur-Leuchtkäfer lebte vor ungefähr 150 Millionen Jahren, in der von Dinosauriern dominierten Jura-Periode. Zu jener Zeit begann die Verbreitung und Diversifizierung der Insekten, um in neue ökologische Nischen vorzustoßen und fortzubestehen (darunter eine Kakerlaken-Art, die sich auf den Verzehr von Dinosaurier-Dung spezialisierte!). Was Ur-Glühwürmchen zur damaligen Zeit gefressen haben könnten, wissen wir nicht, was wir aber wissen, ist, dass sie bereits vor 26 Millionen Jahren ähnlich aussahen wie ihre Artgenossen heute. Das wissen wir deshalb, weil sich einige Glühwürmchen im klebrigen Baumharz verfingen, das später zu Bernstein erhärtete, womit die Tierchen endgültig eingeschlossen waren und bis ins kleinste Detail erhalten blieben. Ein 19 Millionen Jahre altes Bernsteinstück enthält zwei Glühwürmchen beim Paarungsakt, die so für immer in Liebe miteinander vereint sein werden.

Vor langer Zeit wurden diese beiden Glühwürmchen in flagranti erwischt und sind seither im Baumharz auf ewig in Liebe vereint (Foto: Marc Branham, mit freundlicher Genehmigung).

Man mag sich wundern, aber es gibt viele verschiedene Leuchtkäfer-Arten, nicht nur eine. Rund um den Globus gibt es sage und schreibe fast 2000 Arten. Sie treten von Feuerland am 55. südlichen Breitengrad bis Schweden am 55. nördlichen Breitengrad auf und sind über alle Kontinente außer der Antarktis verbreitet. Wie bei den meisten...

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