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E-Book

Liebe in alle Richtungen

Sexuell ambivalente Dreiecksbeziehungen im Film

AutorAndreas Köhnemann
VerlagMühlbeyer Filmbuchverlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl233 Seiten
ISBN9783945378090
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Seit jeher ist 'boy meets girl' die Prämisse der Liebesfiktion - und 'boy gets girl' beziehungsweise 'boy loses girl' deren Schlusspunkt. In der filmischen Darstellung der Liebe zwischen zwei Figuren unterschiedlichen Geschlechts haben sich etliche dramaturgische und ästhetische Konventionen entwickelt. Doch welche Herausforderungen ergeben sich, wenn ein Film von der Liebe zwischen einem boy, einem girl und einer zusätzlichen, dritten Person handelt? Wenn die Liebe in diesem Figuren- und Beziehungsdreieck in alle Richtungen verläuft und somit eine sexuelle Ambivalenz ins Spiel kommt? Wenn es nicht (nur) um das Glück zu zweit, sondern zu dritt geht? Andreas Köhnemann nimmt in 'Liebe in alle Richtungen' die erzählerischen und inszenatorischen Strategien in den Blick, die bei einer Abweichung von der herkömmlichen 'Junge trifft Mädchen'-Liebesfilmformel zum Einsatz kommen können. Eingebettet in literatur- und filmwissenschaftliche sowie gender- und queertheoretische Kontexte werden zehn Filme einer eingehenden Untersuchung unterzogen: Claude Chabrols 'Zwei Freundinnen', Bertrand Bliers 'Abendanzug', Andrew Flemings 'Einsam, zweisam, dreisam', Gregg Arakis 'The Doom Generation', Anne Fontaines 'Eine saubere Affäre', Michael Mayers 'Ein Zuhause am Ende der Welt', Alexis Dos Santos' 'Glue', Adam Salkys 'Dare - Hab' keine Angst, tu's einfach!', Tom Tykwers 'Drei' sowie Xavier Dolans 'Herzensbrecher'.

Andreas Köhnemann, geboren 1984 in Lindenfels, studierte Filmwissenschaft und Publizistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist als freier Mitarbeiter für das Filmmagazin Deadline sowie für die Film-Websites Movieworlds.com, Moviebreak.de, Critic.de und Screenshot-online.com tätig.

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Leseprobe

2. Heteronormativität

2.1 Gender und Queer Studies

Im Folgenden gilt es, einige Begriffe der Gender Studies und Queer Studies zu erläutern. Ein bestimmtes Werk soll dabei als primäre Quelle dienen: Gender / Queer Studies: Eine Einführung von Nina Degele aus dem Jahre 2008. Während die Gender Studies im Zuge der Frauenforschung der Siebzigerjahre entstanden, gingen die Queer Studies in den Neunzigerjahren aus philosophischen und literaturwissenschaftlichen Kontexten des französischen Poststrukturalismus hervor (wobei die Gay and Lesbian Studies von Degele als Vorläuferinnen der Queer Studies genannt werden).[79] Obgleich sich die beiden Fachrichtungen aus unterschiedlichen historischen Zusammenhängen mit verschiedenen Themen- und Interessenschwerpunkten entwickelten, betrachtet Degele sie nicht getrennt voneinander. Die Autorin befasst sich mit drei theoretischen Strömungen in den Gender und Queer Studies: erstens mit der strukturorientierten Gesellschaftskritik, in welcher es vor allem darauf ankomme, sich auf der Makroebene gesellschaftlicher Strukturen mit geschlechtlicher Ungleichbehandlung (beispielsweise im Recht, in den Medien) zu beschäftigen; zweitens mit dem interaktionistischen Konstruktivismus, in welchem eine Analyse der Prozesse stattfinde, wie Geschlecht (im Alltag) in der Interaktion zwischen Personen hergestellt werde; und drittens mit dem diskurstheoretischen Dekonstruktivismus, in welchem es in erster Linie darum gehe, sich kritisch mit Begriffen und Kategorien (etwa ›männlich‹ und ›weiblich‹) auseinanderzusetzen.[80] Degele intendiert dabei nicht den wechselseitigen Ausschluss der drei Strömungen, sondern eine komplementäre Sichtweise. Eine Gemeinsamkeit der Strömungen erkennt sie im Motiv des Entnaturalisierens: Vermeintlich ›Natürliches‹ wie Geschlecht oder Sexualität solle »als sozial konstruiert ausgewiesen, neudeutsch: dekonstruiert werden.«[81] Dazu biete sich der Begriff der Heteronormativität an.[82] Auf diesen soll sich auch hier die Aufmerksamkeit richten – wofür neben Degeles Werk insbesondere zwei Publikationen herangezogen werden sollen: zum einen Heteronormativität: Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht, welches 2007 von Jutta Hartmann und anderen herausgegeben wurde; zum anderen Heteronormativität und Homosexualitäten von 2008, zu dessen sechs Herausgebern Rainer Bartel zählt. Eine zentrale Bedeutung in diesem Unterkapitel soll zudem dem im Jahre 1990 publizierten Buch Gender Trouble – welches 1991 unter dem Titel Das Unbehagen der Geschlechter in Deutschland erschienen ist – zukommen. Die Verfasserin Judith Butler ist dem diskurstheoretischen Dekonstruktivismus zuzuordnen.

 

Zunächst ist die Klärung einzelner Termini vonnöten, um diese (auch in den nachfolgenden Kapiteln der Arbeit) anwenden zu können. Begonnen werden soll mit dem Terminus ›queer‹ – welchem zugrunde liege, dass er nicht definiert werden kann.[83] Als Adjektiv bedeute queer etwa ›seltsam, komisch, unwohl‹, ›gefälscht, fragwürdig‹, als Verb meine es ›jemanden irreführen‹, ›etwas verderben, verpfuschen‹.[84] Queer sei, so Annamarie Jagose, »ein Begriff im Wandel«: Einst als homophobes Schimpfwort in Gebrauch, sei es zum »Sammelbegriff für ein politisches Bündnis sexueller Randgruppen und zur Bezeichnung eines neuen theoretischen Konzepts«[85] geworden (obschon das Wort, wie Thomas Schroedter und Christina Vetter anmerken, auch heute noch in einigen Fällen abwertend benutzt werde[86]). Dass ein solcher Prozess der Selbstbehauptung – der Aneignung eines diskriminierenden Ausdrucks – im englischsprachigen Raum stattgefunden habe, sei bei der Benutzung des Wortes im deutschsprachigen Raum immer im Blick zu behalten, erläutern die Übersetzer und Herausgeber der deutschen Ausgabe von Jagoses Werk – und legen ihre Gründe dar, das Wort zu importieren, statt zu versuchen, ein deutsches Pendant zu finden.[87] Auch in dieser Arbeit soll der Begriff übernommen (und im Gegensatz zu allen anderen englischsprachigen Vokabeln nicht kursiv gesetzt) werden; stets gilt es, »die trotzige Geste der Selbstbehauptung«[88] mitzudenken.

Der Unterschied zwischen den Begriffen ›queer‹ und ›gay‹ / ›lesbian‹ beziehungsweise ›schwul‹ / ›lesbisch‹[89] liege darin, dass es sich bei letzteren um »essenzialisierende Identitätskategorien« handelt – um »Bezeichnung[en] dessen, was jemand ist[90] Der Begriff ›queer‹ werde zwar auch als Identitätsbeschreibung / Selbstbezeichnung benutzt[91] – neben gays und lesbians umfasse er, so Harry Benshoff und Sean Griffin, »bisexuals, cross-dressers, transgendered people, interracial couples whether homosexual or heterosexual, disabled sexualities, sadomasochistic sexualities whether homosexual or heterosexual etc.«[92] –, jedoch gehe es in den Queer Studies gerade darum, sich gegen ein essenzialisierendes Denken zu wenden, das Eigenschaften und Identitäten festschreibe und dadurch zu Ausschlüssen führe[93] (wobei Nina Degele auf den Bedarf nach einer queeren Ethik hinweist, der sich daraus ergebe, dass queer ein Sammelbegriff für potenziell alle sexuellen Randgruppen ist[94]). Queer sei keine Identität, sondern eine Strategie[95] – »it is not a question of being queer but rather of doing queer«[96], schreibt Bob Nowlan; zuvörderst sei queer in der Verbform ›to queer‹ / ›queering‹ / ›verqueeren‹ zu verstehen.[97] Beim Verqueeren gelte es, die Gegenstände und Anordnungen der Heteronormativität durcheinanderzubringen.[98]

Ehe nun der Terminus ›Heteronormativität‹ beleuchtet werden soll, seien an dieser Stelle noch einige Anmerkungen zur Begriffsverwendung gemacht: Die Bezeichnungen ›schwul‹ und ›lesbisch‹ sollen in dieser Arbeit Verwendung finden, wenn sich eine Figur selbst als schwul beziehungsweise lesbisch definiert oder wenn eine solche Definition von anderen Figuren vorgenommen wird. Der Begriff ›homosexuell‹ soll in dieser Arbeit (außer gegebenenfalls in Zitaten) nicht benutzt werden, da er (wie aus vielen Quellen hervorgeht) aufgrund der festen Verbindung mit pathologisierenden Diskursen der Medizin abgelehnt werde[99] – was in den Sechzigerjahren auch zur Aneignung der nicht-klinischen Beschreibung ›gay‹ (? ›vergnügt, leichtherzig, überschwänglich fröhlich‹) geführt habe, die im Jargon des 19. Jahrhunderts Frauen ›zweifelhafter Moral‹ bezeichnete.[100] Das »Label der Bisexualität«[101] sei ebenfalls nicht unproblematisch, wie Bettina Fritzsche in ihrem Beitrag Das Begehren, das nicht eins ist: Fallstricke beim Reden über Bisexualität darlegt. Da das Wort ›bisexuell‹ in den zehn Primärfilmen dieser Arbeit weder als Selbstbezeichnung einer Figur noch als Bezeichnung durch andere jemals auftaucht, soll der Begriff nicht angewandt werden.

 

Um aufzuzeigen, was der Terminus ›Heteronormativität‹ ausdrückt, sei an der lesbisch-feministischen Problematisierung von Heterosexualität angesetzt: »I am suggesting that heterosexuality, like motherhood, needs to be recognized and studied as a political institution«[102], formuliert Adrienne Rich 1980. In ihrem Aufsatz Compulsory Heterosexuality and Lesbian Existence kritisiert Rich die Unhinterfragtheit der Heterosexualität und bezeichnet Letztere als »something that has had to be imposed, managed, organized, propagandized, and maintained by force«[103]; ferner konstatiert sie die historische Leugnung lesbischer Existenz.[104] Auch Monique Wittig führt in ihrem (ebenfalls 1980 erstmals erschienenen) Essay The Straight Mind aus: »The discourses which particularly oppress all of us, lesbians, women, and homosexual men, are those which take for granted that what founds society, any society, is heterosexuality.«[105] Die heterosexuellen Diskurse würden ›lesbians, women, and homosexual men‹ (im Text stets: ›us‹) dergestalt unterdrücken, dass sie das Sprechen verhindern, »unless we speak in their terms.«[106] Wittig erkennt einen »obligatory character of the ›you-will-be-straight-or-you-will-not-be‹«[107] (wobei der Begriff ›straight‹ hier ›heterosexuell‹ meint); es gelte – so die Autorin –, den heterosexuellen Vertrag (heterosexual contract) zu brechen.[108]

Judith Butler nennt Richs Begriff der compulsory heterosexuality und mehr noch Wittigs Begriff vom heterosexual contract als Bezugspunkte für ihr Konzept der heterosexual matrix,[109] auf welchem der Komplex ›Heteronormativität‹ aufbaut. Mit der heterosexual matrix sei ein Raster (grid) kultureller Intelligibilität gemeint.[110] Letztere bedeute wiederum, dass etwas kulturell als existent wahrgenommen und...

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