2 Alles Pfeifen? – Warum Ihre Mitarbeiter mehr können, als sie heute tun
Die Quartalszahlen sind fertig, und die Endversion der Präsentation für den Vorstand habe ich Ihnen gerade rübergemailt«, sagt Mark Gürtler, der in der Tür seines Chefs steht. René Stapf, der Leiter des Controllings, schaut von seinem überquellenden Schreibtisch hoch.
»Danke Mark, gerade rechtzeitig. Ich gebe Dir das Feedback so schnell wie möglich«, verspricht René seinem Mitarbeiter.
Weil sein Chef den Blick bereits wieder senkt, um sich wieder in seine Arbeit zu vertiefen, bleibt Mark nichts anderes übrig, als das Büro wieder zu verlassen. »Alles klar, danke«, murmelt er noch.
Kaum ist die Tür zu, macht René neugierig das Mailprogramm auf und öffnet die Powerpoint-Präsentation. Das erste Chart ist okay, das zweite auch. »Super«, denkt René mit einem zufriedenen Lächeln, »so langsam scheint Mark zu verstehen, was wichtig ist.«
Doch mit jeder weiteren Seite verfinstert sich seine Miene mehr. »Ich kapier das nicht!«, sagt er jetzt laut. »Mark macht immer wieder die gleichen Fehler! Er arbeitet jetzt seit zweieinhalb Jahren hier und immer noch legt er die Tabellen falsch an und bindet sie falsch ein! Und das, obwohl ich ihm von Anfang an haargenau erklärt habe, worauf er besonders achten muss.« Als René dann auch noch entdeckt, dass sein Mitarbeiter einen wichtigen Posten in seiner Gewinnberechnung vergessen hat, platzt ihm der Kragen. Er hatte Mark zu den letzten Präsentationen ein immer detaillierteres Feedback gegeben! Und nun das?
»Was soll ich denn noch tun, damit er es endlich richtig macht?«, zischt René vor sich hin und schaut aus dem Fenster. »Wahrscheinlich packt er es einfach nicht. Er ist einfach nicht in der Lage, zuzuhören und die einfachsten Anweisungen umzusetzen.«
René geht zu seinem Schreibtisch, schnappt sich die Liste kommender Projekte und notiert: Mark kleinere Projekte geben, eng coachen.
»Ich dachte, Mark hat mehr drauf ...«, seufzt René und packt die Projektliste wieder in die Mappe.
Die Abwärtsspirale
Mitarbeiter, bei denen man am liebsten die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, gibt es fast überall. Auch wenn die Führungskraft alles tut, um solche Leute möglichst eng zu führen und vor jedem Arbeitsauftrag umfassend zu briefen, ist das Ergebnis ihrer Arbeit mäßig, schlimmstenfalls sogar so schlecht, dass es nicht verwendet werden kann. Es ist zum Verzweifeln: Je mehr man ihnen erklärt, desto schlechter werden ihre Leistungen.
Wenn der Mitarbeiter nach mehreren ausführlichen Feedbacks immer noch die gleichen Fehler macht, ist das Urteil schnell gefallen: Was für eine Pfeife! Die Frage ist nur: Wie kann es sein, dass die Leistungen einiger Mitarbeiter trotz immer intensiverer Feedbacks einfach nicht besser werden?
Es kann doch nicht sein, dass diese Mitarbeiter nicht lernfähig sind. Sie müssen doch zu etwas imstande sein, sonst wären sie nicht eingestellt worden. Und trotzdem stolpert immer wieder einer dieser Bremser über den Platz und gefährdet das Teamergebnis. Was geht da vor sich? Könnte es sein, dass auch die Führungskräfte einen Beitrag dazu leisten, dass ihre Mitarbeiter auf diesem niedrigen Niveau verweilen? Schließlich haben sie den Führungsauftrag. Und so wie sie ihre Mitarbeiter führen, so führen diese ihre Anweisungen aus.
»… und benutzen Sie Verdana als Schrifttyp. Nicht mehr als vier Spalten pro Tabelle, das wird sonst zu unübersichtlich. Und am besten setzen Sie die Schrift in den Grafiken kursiv; das sieht besser aus. Ach und noch was: Vergessen Sie nicht, für die Handouts das dickere Papier zu nehmen!«
Wer genauer hinschaut, wird merken: Die Abwärtsspirale beginnt meist schon beim Briefing. Sicher, klare Vorgaben gehören dazu. Doch zu viele Auflagen des Chefs wirken wie ein Korsett und sorgen dafür, dass die Mitarbeiter aufhören, eigene Lösungen zu suchen und selbst kreativ zu werden. Es ist nicht sinnvoll, dass der Chef das Ergebnis, das er in allen Einzelheiten schon im Kopf hat, seinem Mitarbeiter haarklein erläutert. Der Mitarbeiter wird versuchen, den detaillierten Erwartungen zu entsprechen und exakt die Lösung zu liefern, von der er meint, dass sein Chef sie wünscht. Damit ist er ohnehin zum Scheitern verurteilt – schließlich ist er kein Klon seines Vorgesetzten. Viel schlimmer ist aber die Folge dieses Verhaltens. Der Mitarbeiter wird darauf getrimmt, nicht mehr ergebnisoffen nach der bestmöglichen Lösung für die Aufgabe zu suchen, sondern nur nach der Lösung, an die auch schon der Vorgesetzte gedacht hat.
Wenn der Chef dazu neigt, seinen Mitarbeitern zu viele Vorgaben zu machen, nimmt er ihnen den Freiraum zur Gestaltung. Wer bereits am Anfang alles bis ins letzte Detail erklärt, signalisiert seinem Mitarbeiter, dass er alles kritisieren wird, was seiner genauen Vorstellung vom Endergebnis nicht entspricht. Das wirkt demotivierend.
Wenn der Mitarbeiter dann sein Arbeitsergebnis vorstellt, geht es weiter in der Abwärtsspirale: Der Chef korrigiert die Lösung des Mitarbeiters und verändert sie nach seinen Vorstellungen. Es hagelt negatives Feedback – das bisschen Lob geht in der Kritik unter. Doch wer dramatisiert, sorgt nur für noch mehr Dramen. Denn ein Mitarbeiter, der häufig negatives Feedback bekommt und kaum Wertschätzung für seine eigenen Ideen spürt, verliert die Freude an der Arbeit.
»Ich hab mir so viel Mühe gegeben, damit der Chef endlich zufrieden ist, und jetzt hat er das neue Konzept schon wieder zerhackt. Kein Wort darüber, was gut gelaufen ist! Ich kann doch nicht alles verbockt haben ...«
So ist es zwar vom Vorgesetzten nicht gemeint, kommt aber beim Mitarbeiter so an. Lesen Sie einmal aufmerksam die Körpersprache Ihrer Mitarbeiter.
Die logische Folge aus diesem Kreislauf: Der Mitarbeiter beschließt, häufig unbewusst, nur noch Minimallösungen zu liefern. Niemand setzt gerne Energie und Kreativität in eine Aufgabe, wenn der Chef hinterher ohnehin alles korrigiert und seinen eigenen Stempel aufdrückt. Und weil so auch der Mitarbeiter nicht mehr hinter seiner Arbeit steht, sinkt seine Motivation.
Wer als Führungskraft keinen Raum für andersartige und kreative Lösungen lässt und häufig ein rein negatives Feedback gibt, wird Mitarbeiter heranziehen, die unter ihren Möglichkeiten bleiben. Das Ergebnis: Noch mehr Arbeit für den Chef, weil die Arbeitsergebnisse auf niedrigem Niveau bleiben, manchmal sogar an Qualität verlieren. Am Ende leistet der Chef intensive Korrekturarbeiten.
Wenn dann von Pfeifen die Rede ist, kann ich nur sagen: Ja, es gibt sie. Aber sie sind nicht als Pfeifen geboren, sondern von ihren Chefs dazu gemacht worden! Wenn eine Führungskraft in ihrem Team oder in ihrer Abteilung Kandidaten hat, die in ihrer Leistung abfallen oder insgesamt auf einem niedrigen Niveau bleiben, dann überlegen Sie doch mal, womit Sie selbst zu dieser Situation beigetragen haben könnten. Die Auslöser für schlechte Arbeitsergebnisse können unterschiedlich sein – oft sind sie ein Ausdruck dafür, dass der Chef seinen Mitarbeitern zu wenig zutraut.
- Der Vorgesetzte macht vieles selbst und trifft immer wieder Entscheidungen, die in den Kompetenzbereich seiner Mitarbeiter fallen – im schlimmsten Fall sogar, ohne sie vorher einzubeziehen.
- Er präsentiert bei wichtigen Team-Entscheidungen seinen Mitarbeitern nur die beschlossene Lösung – zum Beispiel eine neue Aufteilung der Büroräume.
- Die Briefing-Falle: Der Chef diktiert seinen Mitarbeitern viel zu detaillierte Vorgaben und lässt ihnen zu wenig Raum für eigene Kreativität.
- Sein Briefing wird zum Monolog. So bleibt für die Mitarbeiter keine Möglichkeit, abzuklären, inwieweit sie die Aufgabe richtig verstanden haben. Die zwangsläufig entstehenden Missverständnisse führen zu Ergebnissen, die schlechter sind als erwartet.
- Die Führungskraft hört einem Mitarbeiter, der gerade einen Beitrag zur Lösung eines Problems liefern will, nicht aufmerksam zu. So setzt er dessen Bereitschaft aufs Spiel, sich auch in Zukunft zu engagieren.
- Beim jährlichen Mitarbeitergespräch redet der Vorgesetzte lange über die Verbesserungsthemen; die Zeit, über gute Leistungen zu sprechen, ist viel zu kurz. Der Mitarbeiter gewinnt den Eindruck, dass seine Leistungen nur mittelmäßig sind und beginnt – zum Teil unbewusst – an seinen eigenen Kompetenzen zu zweifeln.
- Der Chef übergeht die sieben gut gelösten Aufgaben und bauscht die eine Aufgabe auf, die der Mitarbeiter nicht gut umgesetzt hat. Indem er dem wenigen Schlechten mehr Zeit widmet als dem vielen Guten, hat er im Laufe der Zeit auch tatsächlich mehr schlechte Arbeitsergebnisse als gute.
»Muss ich meine Mitarbeiter jetzt auch noch zum Jagen tragen? Die Motivation, etwas leisten zu wollen, muss vom Mitarbeiter ausgehen, sonst funktioniert das nicht!« – Das ist der Stoßseufzer vieler Führungskräfte. Doch im Grunde muss niemand zum Jagen getragen werden, denn der Mensch ist...