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Ludwig II.

Das phantastische Leben des Königs von Bayern

AutorChristine Tauber
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783406651984
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Schlösser auf einsamen Inseln und Bergeshöhen wurden zunehmend zum Lebens- und Herrschaftsinhalt des bayerischen Königs. Christine Tauber hat sich diese Fluchtburgen genauer angesehen und erzählt erstmals das Leben Ludwigs II. im Spiegel seiner Bauten. Ihr meisterhaft geschriebenes Buch ist zugleich ein einzigartiger Führer durch die Schlösser und die Traumwelt des "Kini".
Ludwig II. (1845 – 1886) gehörte zu den glücklosen Herrschern des 19. Jahrhunderts, die an der Aufgabe scheiterten, in Zeiten politischer Modernisierung Monarchen sein zu müssen. Das Buch schildert anschaulich, wie der lichtscheue König versuchte, sein Leben mit Hilfe von Idealvorstellungen zu meistern, die ihm Richard Wagner einflüsterte. In Schlössern wie Neuschwanstein, Linderhof oder Herrenchiemsee mit ihren mittelalterlichen, französisch-absolutistischen, byzantinischen oder auch orientalischen Architekturen schuf er sich eine entrückte Gegenwelt zur politischen Realität. Nur in dieser selbstgeschaffenen Utopie konnte er noch als legitimer Alleinherrscher regieren. Christine Tauber gelingt es eindrucksvoll, die faszinierenden und verstörenden Phantasien des Königs wieder lebendig werden zu lassen. Wer ihr Buch gelesen hat, wird Ludwigs Schlösser und Parks mit anderen Augen sehen.



Christine Tauber, geb. 1967, ist Verantwortliche Redakteurin der «Kunstchronik» am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und lehrt als Privatdozentin an der Ludwig-Maximilians-Universität. Zahlreiche Publikationen zur italienischen und französischen Renaissance, zur Kunstpatronage und zur französischen Kunst der Revolutionszeit.

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Leseprobe

PROLOG


HIER WERDEN KEINE MÄRCHEN ERZÄHLT!


Ludwig II. von Bayern war kein Märchenkönig. Sein politisches Leben war alles andere als romantisch oder gar traumhaft. Seine psychische wie physiognomische Entwicklung in den späten Jahren war bedenklich (Abb. 1) und sein Tod im Starnberger See tragisch. Er gehört der Riege der glücklosen Herrscher des 19. Jahrhunderts an, die an der unzeitgemäßen Aufgabe scheiterten, in Zeiten der fortschreitenden Konstitutionalisierung und Verbürgerlichung monarchisch regieren zu müssen. Unmittelbar nach seinem Regierungsantritt im Jahr 1864 sah sich Ludwig mit einer nachrevolutionären politischen Realität konfrontiert, die mit seinem ausgeprägten spätabsolutistischen Herrscherverständnis eines Souveräns von Gottes Gnaden in denkbar großem Kontrast stand. Bereits den Zeitgenossen war bewusst, dass das Berufsbild König seit der Französischen Revolution kaum noch zu erfüllende Ansprüche an seine Repräsentanten stellte. Joseph Freiherr von Hormayr, der Ludwigs Vater Maximilian in den Jahren 1827 bis 1830 in bayerischer Geschichte unterrichtete, hat das Faktum der einen einzelnen schier überfordernden Komplexität der Aufgabe 1829 in großer zeitdiagnostischer Hellsichtigkeit formuliert: «Die heutige Welt erfordert leider allzuviel von den Königen. Ihr Spiel ist viel zusammengesetzter und schwerer als vor fünfzig Jahren, ‹payer de Sa personne› heißt es nun – und nicht mehr wie einst bloß – leidlich repräsentieren.»[1] Diesen zu hohen Preis haben sowohl Maximilian II. als auch Ludwig II. zahlen müssen; der Vater erreichte gerade einmal sein dreiundfünfzigstes Lebensjahr (Abb. 2), der Sohn starb mit Vierzig. Beide waren dem Druck der Anforderungen auf längere Sicht nicht gewachsen.

Abb. 1 Joseph Albert, Ludwig II. – eine der letzten Photographien des Königs, um 1883

Abb. 2 Joseph Albert, König Maximilian II. auf dem Totenbett, 1864

Die besondere Tragik der Regentschaft Ludwigs II. lag in der Tatsache begründet, dass er seine Herrschaft nicht nur von unten, durch die unaufhaltsame Modernisierung und Demokratisierung gesellschaftlicher Strukturen, bedroht sah. Auch von oben wurde seit der Reichsgründung 1871 seine monarchische Souveränität von der hierarchisch übergeordneten Instanz des Kaisers eingeschränkt, den er – durch die Zwänge der politischen Lage in die Enge getrieben – mit dem Unterschreiben des sogenannten Kaiserbriefes vom 30. November 1870 selbst mit inthronisiert hatte. In dem von Bismarck aufgesetzten Schreiben an die deutschen Bundesfürsten wurde dem preußischen König Wilhelm I. die Kaiserkrone des soeben neu gegründeten Deutschen Reiches angetragen. Seine tatsächlichen Gefühle angesichts dieses Vorgangs äußerte Ludwig in einem Brief an seinen Onkel, den späteren Prinzregenten Luitpold, in dem er seine ausweglose Lage beschrieb, sich diesem «sehr entwürdigenden Anerbieten» des «wahnsinnigen deutschen Kaiserschwindels» kaum entziehen zu können und nach der bayerischen Niederlage an der Seite Österreichs 1866 im sogenannten Deutschen Krieg gezwungen zu sein, diese «geradezu herabwürdigende Rolle zu spielen».

Die Autonomie Bayerns und die Souveränität des bayerischen Königs waren damit unwiederbringlich verloren: «Du erkennst hieraus, lieber Onkel, die entsetzlich peinliche Lage, in die ich mich versetzt finde. Gebe Gott, daß alles zu gutem Ende geführt werden kann und zum Besten des teuren Bayerlandes ausgehe. Erfreulich sind die Aussichten nicht. Von jenen Versicherungen der Dankbarkeit, seinen Zusicherungen von ‹Treue um Treue›, die mir der ritterliche König Preußens gab, ist bis jetzt nichts zu merken, eher das Gegenteil.»[2] Aber Gott hatte kein Einsehen, vielleicht weil er letztlich doch ein Anhänger von Hegels Weltgeist und dessen gnadenlos moderner Entwicklungsdynamik war, – und das Ende im Starnberger See an jenem schrecklichen 13. Juni 1886 war alles andere als ein gutes und wird bis heute zu Recht als «Königskatastrophe» bezeichnet.

Ob Ludwigs Handeln und Denken pathologische Strukturen aufwies und wodurch diese eventuelle Devianz begründet sein könnte, soll in diesem erneuten Versuch einer Annäherung ebensowenig im einzelnen diskutiert werden wie seine unbestreitbare Homosexualität und die Umstände seines Todes. Aber es war zweifellos ein großes Königsdrama und ein Lebensdrama zugleich. Was ein echtes Drama ausmache, hatte bereits ein Schlüsseltext des 19. Jahrhunderts, der Ludwig enorm geprägt hat, dargelegt – Richard Wagners Kunstwerk der Zukunft von 1850:

Diejenige Handlung muß der dramatischen Kunst als geeignetster und würdigster Gegenstand der Darstellung erscheinen, die mit dem Leben der sie bestimmenden Hauptperson zugleich abschließt, deren Abschluß in Wahrheit kein anderer ist, als der Abschluß des Lebens dieses Menschen selbst. Nur die Handlung ist eine vollkommen wahrhafte und ihre Nothwendigkeit uns klar darthuende, an deren Vollbringung ein Mensch die ganze Kraft seines Wesens setzte, die ihm so nothwendig und unerläßlich war, daß er mit der ganzen Kraft seines Wesens in ihr aufgehen mußte.[3]

Dieses Buch ist ein Essai – ganz im Sinne von Jacob Burckhardts Untertitel zu seiner Cultur der Renaissance in Italien: Ein Versuch –, der weitestgehend auf ein absicherndes Postament an Fußnoten verzichtet und der in den Endnoten vor allem direkte Zitate nachweist. Auf welchen Lektüren er beruht und welchen Autoren er Anregungen verdankt, ist dem Literaturverzeichnis zu entnehmen, das sich zugleich auch als Aufforderung zum Weiterlesen versteht. Äußerungen von Zeitgenossen Ludwigs wie auch von ihm selbst wird der Leser im Text sehr häufig begegnen, denn wir folgen auch hier Burckhardts Selbstverpflichtung als Historiker, Denkweisen früherer Zeiten, «ganze vergangene Geisteshorizonte»,[4] nur über die Interpretation von Originalquellen rekonstruieren zu wollen. Diese sind umso aufschlussreicher und gehen dann am besten «die richtige chemische Verbindung»[5] mit unseren hermeneutischen Bemühungen ein, je fremder sie uns Heutigen erscheinen mögen. Denn die Quellen «sind unerschöpflich, so daß jeder die tausendmal ausgebeuteten Bücher wieder lesen muß, weil sie jedem Leser und jedem Jahrhundert ein besonderes Antlitz weisen».[6]

Die Zeittafel am Ende des Buches soll dem Leser als Leitseil für die Chronologie eines Lebens dienen, von der im Text an manchen Stellen bewusst abgewichen wird. Denn hier sollen konstante und typische Strukturen sowie über die Jahre hinweg sich immer stärker ausprägende Charakteristika im Denken und Handeln Ludwigs II. möglichst prägnant herausarbeitet werden. Eine etwas andere Biographie des bayerischen Königs, die ihn zudem von dem ihm gerne zugesprochenen Sonderstatus eines Exzentrikers zu befreien versucht, wird hier geschrieben: Schlaglichtartig werden immer wieder Parallelphänomene unter den Herrschern des 19. Jahrhunderts he rangezogen. Der Vergleich soll das Zeittypische wie das Spezifische von Ludwigs Herrschaftsverständnis hervortreten lassen. Denn der König von Bayern war nicht der einzige Verlierer unter den Herrschern des 19. Jahrhunderts, aber sicherlich der spektakulärste in seinem fast trotzig zu nennenden Festhalten an einem immer illusorischer werdenden monarchischen Prinzip. Die hier angedeutete Entwicklung hatte bereits in der ersten Jahrhunderthälfte, insbesondere nach 1848, eingesetzt. Der Habsburger Maximilian von Mexiko, der Hohenzoller Friedrich Wilhelm IV. von Preußen oder der Wittelsbacher Otto von Griechenland, alle eine Generation älter als Ludwig, waren ihm im Kampf um die Aufrechterhaltung eines zunehmend unzeitgemäßen Herrschaftsverständnisses vorangegangen und dabei gescheitert: einer im vollen Wortsinn absolutistischen Königsherrschaft. All den genannten Herrschern ist gemeinsam, dass sie sich in Reaktion auf ihr partielles oder vollständiges politisches Scheitern Flucht- und Schutzräume schufen, in denen sie ihren überkommenen Herrschaftsidealen in utopischen Konstrukten Form zu geben versuchten.

Familiäre Verbindungen zwischen dem bayerischen und dem preußischen Herrscherhaus machen es gerade in diesem Fall wahrscheinlich, dass Ludwig sich auf die von seinem Großonkel entwickelten regressiv-autoritären Bildwelten bezogen hat, in denen die Welt in der Sicht ihrer königlichen Auftraggeber und Erschaffer noch in Ordnung war: Friedrich Wilhelm IV. begründete noch als Kronprinz eine Tradition von Heiratsverbindungen zwischen den Häusern Hohenzollern und Wittelsbach, als er am 29. November 1823 die Prinzessin Elisabeth Ludovika von Bayern ehelichte, Tochter des seit 1806 ersten bayerischen Königs Maximilian I. Joseph, und damit zum Schwager Ludwigs I. wurde. Im Gegenzug heiratete der bayerische Thronfolger Maximilian (II.) 1842 die Preußin Marie Friederike, Tochter eines Bruders Friedrich...

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