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»Madame sein ist ein ellendes Handwerck«

Liselotte von der Pfalz - eine deutsche Prinzessin am Hof des Sonnenkönigs

AutorDirk Van der Cruysse
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl752 Seiten
ISBN9783492974707
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
1671 heiratet Liselotte von der Pfalz Herzog Philipp von Orléans, den homosexuellen Bruder von König Ludwig XIV. Ihre Eindrücke am französischen Hof hielt sie in zahlreichen Briefen fest. Diese kritische, urwüchsige und oft auch derbe Korrespondenz ist die Grundlage dieses ebenso amüsanten wie aufschlussreichen Buches.

Dirk van der Cruysse wurde 1939 geboren. Der Historiker und Literaturwissenschaftler ist Professor für Französische Literatur an der Universität Antwerpen.

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Leseprobe

Kapitel I


Zwei Fürstenhochzeiten


(1612–1650)


Ein Feenmärchen

London glich einem Meer von Fahnen. Seit nahezu siebzig Jahren hatte England keine königliche Hochzeit mehr gefeiert. Als daher der Stuart Jakob I. Ende 1612 die Hand seiner einzigen Tochter, Elisabeth, der »Perle Großbritanniens«, dem Kurfürsten Friedrich V. von Wittelsbach gab, gerieten der Hof von Whitehall und die Stadt London in freudige Erregung. Die beiden Verlobten waren kaum sechzehn Jahre alt (sie hatten im Abstand von wenigen Tagen im August 1596 das Licht der Welt erblickt), und alle waren hellauf begeistert von ihrer Schönheit. Die gertenschlanke Prinzessin Elisabeth hatte blonde Haare und blaue Augen. Sie war von heiterem Wesen, liebte die Jagd, Pferde und Hunde und sprach französisch und italienisch. Bei dem großen John Bull, dem Organisten der Königlichen Kapelle, hatte sie gelernt, voller Anmut das Virginal zu spielen. Selten hatte England eine so vollkommene Prinzessin hervorgebracht.

Der junge Kurfürst hatte einen dunklen Teint und war recht geistreich; das Mittelmäßige seines Charakters verbarg sich noch hinter seiner Jugendlichkeit. Außer seiner Muttersprache und Latein sprach er ein elegantes Französisch, das er am Hof von Sedan, bei seinem Onkel, dem Herzog von Bouillon, gelernt hatte, und in dieser Sprache verkehrten die beiden ihr Leben lang miteinander. Friedrich, ein vollendeter Kavalier, verkörperte nahezu das Ideal eines Fürsten. Zur Vermählung mit Elisabeth war er mit einem zweihundertköpfigen Gefolge angereist, wie es seinem Reichtum und Rang entsprach. Es traf ihn wirklich wie ein Blitzschlag, als er feststellte, daß sie tatsächlich so hübsch war wie auf den Bildern, die man ihm gezeigt hatte. Er überhäufte sie derart verschwenderisch mit kostbaren Geschenken, daß sein zukünftiger Schwiegervater, den man den »Salomon des Nordens« nannte, sich gezwungen sah, ihn um Mäßigung zu bitten. Im Alter von achtzehn Jahren sollte er die Volljährigkeit erlangen und damit die Rechte und Pflichten eines Pfalzgrafen bei Rhein und Ersten Weltlichen Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation (Summus in electione Imperatoris) übernehmen, da sein Vater, Friedrich IV., 1610 gestorben war.

In ihm hatte Elisabeth einen des königlichen Blutes der Stuarts würdigen Gemahl gefunden. Andere Fürsten hatten ebenfalls um sie geworben, darunter der Thronfolger Schwedens, Gustav Adolf, Philipp III. von Spanien und der Herzog von Savoyen (allerdings waren die beiden letzteren katholisch), aber Jakob I. hatte den Kurfürsten vorgezogen; er hoffte, auf diese Weise seine Beziehungen zum protestantischen Deutschland zu festigen. Den Ahnenforschern galten die Wittelsbacher als das an dritter Stelle stehende Geschlecht des christlichen Abendlandes, das in ununterbrochener männlicher Linie von einem regierenden Fürsten abstammte. Seit Ende des 12. Jahrhunderts herrschten sie über Bayern, seit 1214 waren sie Pfalzgrafen bei Rhein, und seit 1356 (dem Jahr der Goldenen Bulle) waren sie Kurfürsten. Vor ihnen rangierten lediglich das Haus Mecklenburg und das Geschlecht der Bourbonen. Friedrichs Großmutter mütterlicherseits war übrigens eine Bourbonin.

Seit dem 10. Jahrhundert war der Erste Pfalzgraf bei Rhein (comes palatinus = Pfalzgraf) einer der bedeutendsten Würdenträger des Kaiserhauses. »Früher«, so erklärt Furetière, »entsandten die Kaiser Richter ihrer Pfalz, die man auch Phaltzgraven nannte, um den Willkürlichkeiten der anderen Richter aus den Provinzen Sachsen, Bayern, Franken und Rheingau entgegenzuwirken; sie alle hießen Pfalzgrafschaften. Diese Bezeichnung ist in dem Kurfürsten Pfalzgrafen bei Rhein erhalten geblieben. Auf lateinisch nennt man sie Comites palatini, weil sie zum Hofstaat oder dem Gefolge des Kaisers gehörten.«[1] Die Nachfahren der ersten Pfalzgrafen bei Rhein sorgten dafür, daß ihnen der Titel »Erster Kurfürst« verliehen wurde, und zogen geschickt ihren Nutzen aus dem Auseinanderbrechen des Reiches, um sich wichtige Lehen anzueignen. Die Unterpfalz oder rheinische Pfalz erstreckte sich entlang der beiden Ufer des Rheins und grenzte an das Elsaß und an Württemberg; die bedeutendsten Städte waren Heidelberg, Mannheim, Worms und Frankenthal. Die Oberpfalz um Regensburg und Amberg befand sich nördlich der Donau, zwischen Franken und dem Königreich Böhmen.

Mit typisch mittelalterlicher Unverfrorenheit hatten die Pfalzgrafen bestimmte Lehen zugunsten ihrer nachgeborenen Sohne einbehalten (Simmern, Neuburg oder Sulzbach beispielsweise). Die ältere, lutheranische Linie, die Alte Kurlinie, war 1559 mit dem Kurfürsten Ottheinrich ausgestorben; ihr war der calvinistische Zweig Pfalz-Simmern nachgefolgt, so daß nun die Lehen der eigentlichen Pfalzgrafschaft wieder vereint waren. Das Ergebnis war ein kompliziertes Gebilde aus verstreuten Lehen, dessen Karte an ein Leopardenfell erinnerte. Die relativ kleine Rheinpfalz umfaßte Landstriche von sprichwörtlicher Fruchtbarkeit und kassierte den Wegezoll für die Schiffahrt auf dem Rhein und seinen Nebenflüssen. Friedrich gehörte zudem das Herzogtum Nußbach in Bayern, und er unterzeichnete mit »Herzog von Bayern« – sehr zum Ärger der katholischen Wittelsbacher, die die eigentlichen Herzöge von Bayern waren.

Drei Wochen nach der Ankunft Friedrichs in London raffte der Tod den Prinzen von Wales, Henry Frederick, der der Lieblingsbruder Elisabeths war, hinweg. Sein Tod sollte unabsehbare Folgen haben. Der Nachfolger des ersten Stuart nannte sich nicht Heinrich IX., sondern Karl I., und das Drama des Bürgerkriegs, der Enthauptung eines Königs und der Diktatur Cromwells nahm unaufhaltsam seinen Lauf. Aber im Trubel der Vorbereitungen für die Verlobungs- und Hochzeitsfeierlichkeiten verdrängte man dieses Unglück schnell. Die Gelassenheit König Jakobs unter solch traurigen Umständen rief allseits große Bewunderung hervor. Friedrich Spanheim, der Vater Ezechiels, bezeugt: »Dieser Fürst bewies angesichts eines so großen Schmerzes gleichwohl eine bewundernswerte Kraft des Geistes. Er pflegte zu sagen, wenn Gott ihm einen Sohn genommen habe, so habe er ihm doch an dessen Statt einen anderen geschenkt; damit meinte er den Kurfürsten.«[2] Am 18. Dezember erhielt Friedrich in einer privaten Zeremonie aus den Händen seines zukünftigen Schwiegervaters die Insignien des Hosenbandordens.

Die Verlobung wurde am 27. Dezember im Banqueting House, inmitten der herrlichsten Tapisserien des ganzen Königreichs, gefeiert. Friedrich war in purpurroten Samt und Goldspitzen gekleidet, ein Gewand, das ein zeitgenössischer Chronist als verie fair and suitable beschrieb. Elisabeth trug eine Robe aus schwarzem Satin, mit silbernen Blumen bestickt; so brachte sie die Trauer um ihren Bruder und gleichzeitig die Freude über die Verlobung zum Ausdruck. Die weißen Federn in ihren aufgesteckten Haaren machten Furore: vom nächsten Tag an schmückten sich alle Kavaliere am Hof mit solchen Accessoires. Sir Thomas Lake, der Erste Sekretär Ihrer Majestät, mußte zu Ehren Friedrichs die Verlobungsformel übersetzen, aber sein Französisch klang derart komisch, daß die beiden Verlobten herzlich lachten. Der Erzbischof von Canterbury sprach seinen Segen über das Paar, der Bischof von Bath-and-Wells hielt eine Predigt, bei der kein Mensch zuhörte, und das Bankett war großartig und die Stimmung ausgelassen.

Die Hochzeit sollte am Sankt-Valentins-Tag gefeiert werden. Die sieben Wochen, die zwischen den beiden Festtagen lagen, waren eine nicht endende Aufeinanderfolge von Festen, Jagdpartien, Anproben und Geschenkpräsentationen. Elisabeth, die in Tiere vernarrt war, bekam vier »Inselhunde« und einen brasilianischen Papagei. Ihr Vater überreichte ihr ein besonders kostbares Hochzeitsgeschenk: das berühmte sechsreihige Perlenkollier, das Clemens VII. Katharina von Medici anläßlich ihrer Hochzeit mit Heinrich II. geschenkt hatte und das sowohl Maria Stuart als auch Königin Elisabeth getragen hatten. Friedrich erhielt von seinem zukünftigen Schwiegervater eine eben erschienene griechische Ausgabe der Werke des heiligen Johannes Chrysostomos in sechs Foliobänden; die Einbände waren luxuriös mit dem Wappen König Jakobs geschmückt – ein für den Nachkommen der Dynastie, die die berühmte Bibliotheca palatina gegründet hatte[3], angemessenes Geschenk. Friedrich und Elisabeth besuchten vierzehn Theateraufführungen in Whitehall. Sechs der Stücke stammten aus der Feder Shakespeares; der Brand des Globe Theatre sechs Monate später sollte seiner Laufbahn als Dramatiker ein Ende setzen. Im Verlauf dieser Wochen veröffentlichte außerdem John Bull den ersten Band von Musikstücken für das Virginal in England, Parthenia or the Maydenhead, der den königlichen Verlobten gewidmet war. John Donne komponierte ein an den heiligen Valentin gerichtetes Epithalamium (Hochzeitslied):

Haile Bishop Valentine, whose day this is,
[…] Thou this day couplest two Phoenixes …

Die Hochzeitsfeierlichkeiten, die mehr kosteten als die Mitgift, wurden am 11. Februar 1613 mit einem überwältigenden Feuerwerk eröffnet. Hauptattraktion war ein heiliger Georg, der den Drachen niederzwingt – eine ganze Viertelstunde war diese Kunstfigur zu bewundern. Am übernächsten Tag – das Wetter war herrlich – wurde auf der Themse in Anwesenheit der königlichen Familie, die auf den Stufen von Whitehall Platz genommen...

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