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E-Book

Mädchen und Gewalt. Erscheinungsformen, Gegner und Anlässe

AutorLydia Oesterwinter
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl133 Seiten
ISBN9783640869770
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2010 im Fachbereich Pädagogik - Familienerziehung, Note: 1,0, Universität Bielefeld, Sprache: Deutsch, Abstract: Es gibt eine Vielzahl verschiedener Theorien, die sich der Erklärung aggressiven Verhaltens bei Jugendlichen widmen. Problematisch im Zusammenhang mit der Forschungsfrage dieser Arbeit ist jedoch, dass der Geschlechteraspekt in nahezu allen Theorien unbeachtet bleibt. Aus diesem Grund werden innerhalb dieses Kapitels einzelne ausgewählte Theorien, die das Phänomen ursprünglich geschlechtsneutral behandeln, dahingehend untersucht, inwieweit diese einen Beitrag im Zusammenhang mit der zunehmenden weiblichen Gewalt leisten können. Zunächst wird auf eine Auswahl pädagogisch-psychologischer Erklärungsansätze eingegangen. Dazu gehören zwei lerntheoretische Konzepte (Lernen am Modell und Lernen am Effekt), die auf Bandura (1979) zurückgehen sowie die Frustrations-Aggressions-Hypothese von Dolard et al (1939). Im Anschluss daran wird der Fokus auf soziologische Theorien gerichtet. Der Individualisierungsansatz (Heitmeyer et al. 1995) sowie die 'Power-Control'-Theorie (Hagan et al. 1979) werden herangezogen, um die zunehmende weibliche Gewalt zu erklären. Im Zusammenhang mit dem Individualisierungsansatz wird zudem auf die gesellschaftlichen Veränderungen ('Risikogesellschaft') und die Auswirkungen dieser Entwicklungen für insbesondere weibliche Jugendliche eingegangen.

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Leseprobe

4 Ausmaß und Entwicklung von Mädchengewalt in der Bundesrepublik Deutschland


 

Wie eingangs erwähnt, hat die Gewaltkriminalität bei weiblichen Jugendlichen in Deutschland innerhalb der letzten Jahre zugenommen.

 

Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass immer wieder von einer Welle „weiblicher Gewalt“, von einem „Aufholen“ der Mädchen sowie einer Angleichung der Geschlechter in Bezug auf ihr Gewaltverhalten gesprochen wird (Silkenbeumer 2007, S. 23).

 

Inwieweit diese vorangegangenen Thesen der Wirklichkeit entsprechen, soll innerhalb dieses Kapitels untersucht werden.

 

Um das Ausmaß weiblicher Gewalt innerhalb unserer Gesellschaft deutlich zu machen, werden im Folgenden einerseits die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes (BKA) bezüglich des Hellfeldes (4.1) und anderseits die Dunkelfeldstudie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens (KFN) sowie des Bundesministeriums des Inneren (BMI) von Baier et al. (2009) (4.2) herangezogen.

 

4.1 Das Ausmaß von Mädchengewalt im Spiegel der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS)


 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) nimmt im Bereich der Hellfeldstatistiken eine zentrale Rolle ein. Aus diesem Grund wird im Folgenden näher auf die PKS und ihre Daten eingegangen, um das Ausmaß des Hellfeldes von Mädchengewalt zu erfassen.

 

In der PKS sind alle „der Polizei bekannt gewordenen strafrechtlichen Sachverhalte unter Beschränkung auf ihre erfassbaren wesentlichen Inhalte“ enthalten (BKA 2008, S. 7).

 

Da die PKS lediglich das Hellfeld bekannt gewordener Straftaten erfasst, ist ihre Aussagekraft begrenzt. Es muss davon ausgegangen werden, dass eine Diskrepanz zwischen den Daten der PKS und den tatsächlich begangenen Straftaten besteht, da nicht jede Straftat zu einer Anzeige gebracht wird. Die PKS stellt somit vielmehr eine Annäherung an die Realität als ein Abbild der Kriminalitätswirklichkeit dar (ebd.).

 

Im Zusammenhang mit Jugendgewalt und Tatverdächtigenbelastungszahlen muss zudem berücksichtigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, registriert zu werden, bei jugendlichen Straftätern größer ist als bei Erwachsenen. Dies hängt damit zusammen, dass Jugendliche häufiger leicht sichtbare Delikte begehen und somit leichter zu überführen sind (Dölling 2008, S. 155).

 

Außerdem kann die Entwicklung der PKS neben einem tatsächlichen Anstieg der Gewaltdelikte immer auch von weiteren Einflussfaktoren abhängen, wie bspw. dem Anzeigeverhalten durch das Opfer, der polizeilichen Kontrolle, der statistischen Erfassung sowie einer Änderung des Strafrechts (BKA 2009, S.3).

 

Im konkreten Fall, der Gewalt durch weibliche Jugendliche, könnte neben einem tatsächlichen Anstieg der Gewalthandlungen auch eine erhöhte Sensibilität für bestimmte Handlungsweisen von Mädchen und jungen Frauen dazu beigetragen haben, dass sich die Anzeigebereitschaft möglicher Weise erhöht und die Statistik sich dadurch geändert hat (Silkenbeumer 2007, S. 25).

 

Aus diesen angeführten Gründen muss den Daten der PKS mit Vorsicht begegnet werden. Es scheint unzulässig, die PKS alleine als Beleg für eine Zunahme (weiblicher) Jugendgewalt zu verwenden.

 

Kritisch anzumerken ist zudem, dass innerhalb der PKS lediglich die physische Gewalt erfasst wird und somit keine Angaben über das Ausmaß der psychischen Gewalt gemacht werden.

 

Unter Berücksichtigung dieser Vorbemerkungen zur Aussagekraft der Polizeilichen Kriminalstatistik, die erforderlich sind, um Informationen der PKS und somit das Phänomen Mädchengewalt angemessen einordnen zu können, werden im Folgenden das Ausmaß und die Entwicklung weiblicher physischer Jugendgewalt verdeutlicht.

 

Die genannten Daten der PKS beziehen sich dabei alle auf die für die vorliegende Arbeit bedeutende Altersgruppe der Jugendlichen (14 bis 18 Jährige) sowie auf die (vorsätzliche leichte) Körperverletzung (§ 223 Strafgesetzbuch (StGB)) und gefährliche und schwere Körperverletzung (§§ 224, 226 StGB), da diese Straftaten innerhalb dieser Arbeit von Bedeutung sind.

 

§ 223 (Vorsätzlich leichte) Körperverletzung (StGB)

 

(1) Wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

 

 

Tabelle 1: Entwicklung und Ausmaß der Jugendkriminalität in Deutschland von 2000 bis 2008, Straftat: § 223 StGB: (vorsätzliche leichte) Körperverletzung (BKA 2009a, S.26 & BKA 2009b, S. 25)

 

Aus Tabelle 1 wird deutlich, dass sich bezüglich der (vorsätzlichen leichten) Körperverletzung (§223 StGB) die Tatverdächtigenbelastungszahlen für weibliche und männliche Jugendliche innerhalb des Zeitraums von 2000 bis 2007 von 27.977 auf 38.155 erhöht haben. Dies ist ein Anstieg von 36%.

 

Betrachtet man die Tabelle unter Berücksichtigung der Geschlechterverteilung, so wird deutlich, dass in dem Zeitraum von 2000 bis 2007 sowohl die Anzahl weiblicher als auch die Anzahl männlicher Tatverdächtiger zugenommen hat. Während die Anzahl männlicher Tatverdächtiger von 22.747 auf 29.662 ansteigt, nimmt die Anzahl weiblicher Tatverdächtiger von 5.230 auf 8.493 zu. Bei den männlichen Tatverdächtigen ist dies ein Anstieg um 36%, bei den weiblichen um 62%, so dass sich die Anteile beider Geschlechter in den Jahren stetig verändert haben: während im Jahr 2000 noch 81% der jugendlichen Tatverdächtigen männlich und nur 19% weiblich sind, sind 2007 inzwischen 78% männlich und 22% weiblich.

 

Unterschiede machen sich besonders im Jahr 2008 bemerkbar: Obwohl im Jahr 2008 die Zahlen jugendlicher Tatverdächtiger insgesamt (von 38.155 auf 36.853) und die der männlichen Tatverdächtigen (von 29.662 auf 28.296) rückläufig sind, steigt die Anzahl weiblicher Tatverdächtiger von 8.493 auf 8.557 weiterhin an. Dadurch kommt es noch einmal zu einer Veränderung im Geschlechterverhältnis: 77% aller Tatverdächtigen sind laut neuesten Statistiken männlich und 23% weiblich.

 

§ 224 Gefährliche Körperverletzung (StGB)

 

(1) Wer die Körperverletzung

 

1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,

2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,

3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,

4. mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder

5. mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung

 

begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

 

(2) Der Versuch ist strafbar.

 

§ 226 Schwere Körperverletzung (StGB)

 

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, dass die verletzte Person

 

1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,

2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder

3. in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,

 

so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

 

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

 

 

Tabelle 2: Entwicklung und Ausmaß der Jugendkriminalität in Deutschland von 2000 bis 2008, Straftat: §§ 224, 226: gefährliche und schwere Körperverletzung (BKA 2009b, S. 24 & BKA 2009c, S. 24)

 

Ebenso wie bei der (vorsätzlichen leichten) Körperverletzung (§223 StGB) lässt sich auch für die gefährliche und schwere Körperverletzung (§§224, 226 StGB) ein Anstieg der Zahlen jugendlicher Tatverdächtiger insgesamt erkennen.

 

Waren es im Jahr 2000 noch 28.077 Tatverdächtige, so ist die Anzahl bis im Jahr 2007 um 33% auf 37.495 jugendliche Tatverdächtige gestiegen.

 

Die Anzahl männlicher Tatverdächtiger hat sich von 23.962 auf 30.898 Jugendliche, und somit um 28%, erhöht, die Anzahl weiblicher Jugendlicher ist von 4.115 auf 6.597 angestiegen. Dies entspricht einem Anstieg um 60%.

 

Durch die unterschiedliche Zunahme von 28% einerseits und 60% anderseits ändern sich auch die Anteile beider Geschlechter an der Gesamtanzahl der Tatverdächtigen: waren im Jahr 2000 noch 85% der Tatverdächtigen männlich und 15% weiblich, so sind im Jahr 2007 82% männlich und 18% weiblich.

 

Im Jahr 2008 lässt sich für die gefährliche und schwere Körperverletzung ein Rückgang der jugendlichen Tatverdächtigen...

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