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Männer und Masken

AutorFranz Blei
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl388 Seiten
ISBN9783849623111
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
In 'Männer und Masken' zeichnet der bekannte österreichische Essayist und Literaturkritiker Blei gekonnt Porträts von bekannten Personen hauptsächlich seiner Zeit. Inhalt: Ernst Theodor Amadeus Hoffmann Drei romantische Liebhaber - Friedrich Schlegel: Julius - Chateaubriand: René - Benjamin Constant: Adolphe Stendhal Beau Brummell Baudelaire Alexander von Villers Aubrey Beardsley Die Magier Oscar Wilde Charles Péguy Bildnis eines Boxers Prinz Hippolyt Walter Rathenau Heliogabal Der bestrafte Lüstling

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Leseprobe

 


»Malen ist eine Kunst, Dichten auch, und gar Musik! Die größte Kunst aber ist leben. Am eigenen Leben ein Künstler werden ist allein wert, Zahnschmerzen zu dulden, und Geld zu entbehren. Wenn die Finger erstarren, soll ein Kunstwerk aus der Hand fallen; der eine bekam Gold zu einem Geschmeide, der Elfenbein zu einem Götterbilde; aber war's auch nur eine Handvoll Dreck, ein Modell ließe sich daraus kneten. Wenig oder viel, groß oder klein ist gleichgültig, etwas ist alles.«

 

Das schrieb im letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts ein Mann Mitte der Fünfzig an einen Freund. Aber er war nicht das, was man weise und abgeklärt nennt, weil ihn die Leidenschaften samt ihren Voraussetzungen verließen. Er fand sich nicht mit den Resten seines Lebens ab, so gut es eben ging. Er schlug nicht mit sich selber eine Volte. Er ließ sich nicht vom armseligen Floß einer aus letzten Balken gezimmerten sogenannten Weltanschauung den Strom abwärts treiben mit der Behauptung, er rudere aufwärts, den Sternen zu. Er war nie ein Schauspieler gewesen, der den Abschied nimmt, bevor man ihn auspfeift. Und nie ein Ehrgeiziger, der sich eine Krone hat entschlüpfen lassen. Nie einer, der das Leben nur betrunken erträglich fand. Hatte nie zu Giften destilliert, was die andern Menschen erfreut und ernährt. Und hat nie zu jenen Reichen gehört, die sich wie Seneca einmal in der Woche aus ihrem Palaste in eine Hütte begeben, um hier schwarzes Brot und weißen Käse zu essen und sich so das Salz ihres Lebens holen, indem sie den Armen spielen, um ihren Reichtum besser zu genießen. Die Götter waren zu glücklich und wurden neurasthenisch. Zur Kur nahmen sie Menschengestalt an und klopften als Wanderer an die Türen der Irdischen. Sie fanden ein bißchen Glück darin, Hunger zu spüren und Durst und die Qualen der Liebe. Aber dachten sie an ihre Macht, dann wußten sie, das alles sei nur ein Spiel. Aber das Glück braucht eine Messerspitze Salz, um genießbar zu bleiben. Das entzückende Hindernis! Wer spielt, will den Verlust riskieren. Mit sich selber veranstaltet niemand ein Wettrennen.

 

Als Alexander von Villers als ein Sechzigjähriger im Jahre 1880 starb, konnte keiner seiner erlesenen Freunde, die er, ein Genie der Freundschaft, mit eben diesem Gefühle auszeichnete, von ihm sagen, daß er etwas geleistet habe in jenem objektiven Sinne dieses Wortes Leistung, den wir Europäer ihm geben. Und hätte sie das bißchen Kammermusik, das er, ohne recht Noten zu können, verfertigte, dazu bestimmt, er selber hätte solche Anerkennung durchaus desavouiert und von seinem Dilettantismus gesprochen oder geschwiegen. Wie von den paar Aufsätzen, die er an einem Eckchen seines Schreibtisches zuweilen anfing, selten beendete. Er erlag nicht der selbstgefälligen Täuschung, originelle Lösungen der Welträtsel zu besitzen. Und es konnte ihn nicht gelüsten, Schlüssel zu komplizierten Schlössern zu liefern, denn es waren ihm keine solchen gezeigt worden. Der Mensch, den wir den »Schaffenden« nennen, verliert ja immer mehr sich selber, um Effekt seines Effektes auf Zahllose zu werden, die ihn sich eigensinnig nach einem Bilde fingieren, das der davon Betroffene auch schließlich selber wird.

 

Da sich dieser Alexander von Villers mit keinerlei Leistung in die Öffentlichkeit begab und ihr durchaus ein Unbekannter blieb, konnte ihn die Menge auch nicht annehmen, und es blieb ihm erspart, sich so zu sehen, wie ihn die immer klischierende Menge sah. Er wurde nicht der Effekt eines, seines Effektes und konnte sich aufführen, wie er wollte. Ja, er brauchte sich überhaupt nicht aufzuführen. Und das bedeutete für einen so originalen Mann wie ihn das Glück schlechthin, denn es war die Freiheit.

 

Die Familie ist lothringisch. Der Großvater war als königlicher Rat in einer kleinen Stadt zwischen Metz und Saarbrücken ansässig gewesen. Er hatte eine Frau aus dem Languedoc geehelicht, die Tochter eines adeligen Offiziers. Unter den neun Kindern war jener Charles der älteste, der als Vermittler zwischen französischer und deutscher Kultur und Bildung als erster jene große Rolle spielte, die ihm von Goethe den Namen eines literarischen Janus Bifrons eintrug zusamt des Dichters hoher Schätzung. Royalistischer Offizier, wie sein anderer Bruder Friedrich, unseres Alexanders Vater, ging er mit diesem zur Armee Condés nach Koblenz. Nach deren Niederlage ließ sich dieser Friedrich mit seiner Frau, einer Bassenge aus Dresden, in Moskau nieder, begründete ein Pensionat für adelige Söhne und unterrichtete sie in den Sprachen. Hier in Moskau wurde Alexander im Jahre 1812 geboren. Napoleons russische Niederlage bedeutete für die Familie Villers, daß sie alles verlor und gänzlich verarmt nach Leipzig kam. Hier starb die Mutter. Erst durch eine zweite Heirat und die Berufung als Professor des Französischen nach Dresden kam die Familie wieder zu Wohlstand.

 

Alexander war ein schwieriges Kind. Oder es hatte einen schwierigen Vater; es kommt auf den Standpunkt an. Aber weder das Gymnasium noch private Lehrer kamen mit dem Jungen zurecht, der wohl also schwieriger als der Vater gewesen sein dürfte, der den Sohn zum Drucker Tauchnitz in die Lehre gab. Bei Tag am Setzerkasten, des Nachts ein junger Weltmann etwas schiefer Position durch seine Tagesarbeit, das verführte zu Streichen, von denen die Stadt klatschte, zu Auseinandersetzungen mit dem nur Geldes wegen aufgesuchten Vater, und zur Entwicklung eines scharfen Witzes als abwehrender Waffe. Den achtzehnjährigen Teufel, wie ihn der Vater nennt, loszuwerden, schickt er ihn mit hundert Frank Monatswechsel nach Paris in Didots Druckerei, die er selten und bald gar nicht mehr besucht. Dafür zuweilen die Sorbonne. Öfter die Salons. In einer Gesellschaft lernt er Liszt kennen, und sie begleiten einander eine ganze Nacht lang nach Hause. Das endet vor Liszts Haus, denn nun rückt der junge Mann damit heraus, daß er eigentlich gar kein Zuhause augenblicklich habe und in einem der noch offenen Cafés hätte übernachten wollen. Er blieb für Wochen Gast in Liszts Haus. Er wird Erzieher der beiden Kinder einer klugen rheinländischen Frau, die in Paris verheiratet ist, und der tolle Herumtreiber kommt etwas zur Ruhe. Nicht so sehr, als daß er nicht mit einer hübschen Person für eine Weile nach London durchbrennt. Dann geht er nach Offenbach, beim alten André ein bißchen Kontrapunkt zu lernen und beim Grammatiker Becker Sprache, bei Seebach aber die Meisterschaft im Whist. Dieser Seebach, später Koburgischer Minister, oder eine Dame dieses Kreises leiht ihm die 2000 Taler, damit er seine Gymnasialstudien vollende. In Leipzig macht der Dreißigjährige sein Abitur, zu Ostern; und Weihnachten desselben Jahres sein juristisches Staatsexamen, bekommt eine Beschäftigung im Ministerium für Auswärtiges in Dresden, wird also eine amtliche Person, was ihn nicht hindert, die Dresdner Bürger mit ungewöhnlichen Liebesaffären zu skandalisieren. Auch seinen späteren Chef, den Grafen Beust, und den besonders damit, daß Villers jede Protektion ablehnt, 1853 kam er als Legationsrat der sächsischen Gesandtschaft nach Wien, und in dieser Stadt hat dieser Mann europäischen Blutes seine Wahlheimat gefunden, die er liebte: aus dem deutschen Franzosen wurde ein Wiener. Mit seinem ganz und gar nur sächsischen Chef verkrachte er sich und nahm – auch der Krieg gefiel ihm gar nicht – 1870 seinen Abschied. Er bezog sein Landhaus in der Nähe von Neulengbach: da war man rasch in Wien, ein Theater zu besuchen, ein Konzert, mit den Freunden zu plaudern.

 

Villers trieb vieles und nichts. Er war zu lebendig, um sich zu konsolidieren. Seine Freunde hatte er in jenem kleinen Kreis österreichischen Adels, der sich durch geistige Interessen mehr auszeichnete als durch Rennställe und Spielschulden. Da war der Graf Rudolf Hoyos, der gebildete Gedichte machte, wie man das in den siebziger Jahren eben trieb. Da war Alexander von Warsberg, der Mittelmeerfahrer, der die »Odysseischen Landschaften« schrieb, eines unserer schönsten Prosabücher. Da war die ungarisch-rumänische Gräfin Nako, die mit nicht geringem Talent ihre Freunde porträtierte. Da waren noch zwei oder drei, deren Gespräch er liebte, lieber aber noch ihnen zu schreiben, weil wir Deutsche nicht so gute Talker sind wie die Engländer. Zwei umfangreiche Bände solcher Briefe an seine Freunde hat man nach seinem Tode in Druck gegeben: sie geben das innere Bild dieses Mannes, der nun im Alter dem Bilde des Machiavell von Bronzino gleichsieht mit seiner höchst spirituellen Nase und den sich anpürschenden Augen; der bei der Mode der siebziger Jahre auch in den achtziger Jahren bleibt und im Winter statt eines Paletots zwei oder drei Paar Hosen trägt, die er, kommt er zu Besuch, sich von einem Diener in der Antichambre bis auf eine ausziehen läßt.

 

Er schreibt einmal: »Ich habe Livingstones Tagebuch seiner letzten siebenjährigen Afrikareise gelesen. Sie besteht wesentlich aus Kamelgeschwüren, Schlamm, Zehrfieber, gestohlenem Kattun, verlorenen Briefen, undurchdringlichem Gebüsch mit Stacheln und mangelt ebenso an Komfort wie Fortkommen. Wenn Sie mich je auf dem Wege treffen sollten, Afrika zu entdecken, ermächtige ich Sie, sich auf meine Kosten einen Revolver zu kaufen, und mich niederzuschießen.« Der von deutschem Humor temperierte gallische Esprit dieses nunmehr und aus solcher Mischung wienerischen Mannes verrät keine pathetische Natur, und auch die vielen Frauengeschichten...

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