Bereits Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts sahen Vertreter behavioristischer Theorien wie Watson, Skinner und andere, den Menschen wie eine universelle Wachstafel als „Tabula-rasa“ (vgl. Horster 2007, 17), auf der man mit Konditionierung und Reiz-Reaktion Verknüpfung, also mit Strafe und Belohnung (vgl. Petermann et al. 2004, 13) in einer Umwelt, ein bestimmtes Verhalten mit entsprechenden Reizen und den von ihnen erzeugten Effekten, erschaffen konnte. Die moralische Entwicklung eines Individuums, erfolgte mit der Anpassung an die Werte und Regeln einer Gesellschaft (vgl. Horster, 2007, 17 f), also auf Prozessen des Lernens als Fundament für Entwicklungsveränderungen.
Eine andere Position hatte die psychoanalytische Theorie, das (psychosexuelle) Entwick-lungsmodell von Sigmund Freud (vgl. Freud 1925), wonach jeder Mensch zu Beginn seines Lebens von der Erfüllung eigener Bedürfnisse, sogenannter Triebe bestimmt wird und erst im Laufe seiner Entwicklung in der Lage ist, diese eigenen Bedürfnisse/Triebe zu kontrollieren. In Freuds aufbauendem Phasenmodell bestrafen Affekte wie Schuld und Scham unbeherrschte Bedürfnisse/Triebe des Kindes. Anforderungen, Normen und moralische Werte von Erwachsenen beispielsweise der Eltern oder Bezugspersonen, werden nach Freud mit 6 -7 Jahren in der sogenannten Latenzphase verinnerlicht und später in das von ihm als „Über-Ich“ bezeichnete moralische Gewissen übernommen.
Schuld, Scham und Minderwertigkeitsgefühl, als regulierende Emotionen zur Verinnerlichung vorgegebener moralischer Wertvorstellungen Erwachsener, finden sich auch in dem auf die Theorie Freuds aufbauendem Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung von Eric H. Erikson (vgl. Erikson 1966). Der Mensch entwickelt sich nach Erikson allseitig aufgrund seiner Anlagen und durchläuft in seiner Entwicklung (Reifung) acht Phasen, in denen Krisen und Konflikte durch unterschiedliche Bedürfnisse und gestellte Anforderungen entstehen, die als Entwicklungsaufgaben bewältigt werden müssen. Erikson bewertet Krisen als entwicklungsfördernd davon ausgehend, dass Autonomie, Initiative und Werksinn eines 4-11 jährigen Kindes versus seiner Zweifel, Scham- und Minderwertigkeitsgefühle stehen und erst heranwachsend, im Alter von 11-15 Jahren von ihm bezwungen werden können. Frühstens als Jugendliche/r diesen Alters, hat der Mensch nach Erikson eine annähernde Identität gefunden und versteht, welche moralischen Werte von der Gesellschaft gefordert werden.
Im Gegensatz zu den Theorien von Freud und Erikson steht die lerntheoretische Annahme, die sozial-kognitive Entwicklungstheorie des sozialen Lernens von Albert Bandura (vgl. Bandura o.J.). Er ging nicht von der Entwicklung eines Menschen in einzelnen Entwicklungsstufen aus, sondern betrachtete die Entwicklung eines Individuums über seine gesamte Lebensspanne hinweg, als einen selbstwirksamen, aktiven Lernprozess, in dem das Individuum sich durch Beobachtung und soziale Interaktion mit anderen auch moralisch entwickelt, also wechselwirkende kognitive und soziale Lernprozesse eines Individuums in Abhängigkeit von seiner Umwelt, in dem „psychische Abläufe (Wahrnehmung, Kognition, Bewertung) Erwartungen der persönlichen Wirksamkeit schaffen und verstärken“ (Petermann et al. 2004, 223).
Im Zusammenhang der Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit werden heutzutage aber vor allem noch die Theorien von Jean Piaget und Lawrence Kohlberg diskutiert. Piaget unterscheidet (1932) in einem konstruktivistischen Konzept ein Stufenmodell (vgl. Petermann et al 2004, 225) zur kognitiven Entwicklung (Reifung) des Menschen sowie zur moralischen Urteilsfähigkeit [Das moralische Urteil beim Kinde von Piaget], die für Piaget zwar durch eine aktive Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt, aber in Abhängigkeit zu seiner kognitiven Entwicklung/Reifung steht. Bei der Entwicklung moralischem Denkens geht Piaget von zwei Stadien der Moralentwicklung aus, in denen ein Mensch durch kognitive Fähigkeiten bzw. durch Reifung in der Lage ist, Perspektiven anderer miteinzubeziehen, die Heteronomie und die Autonomie (vgl. Horster, 2007, 19, Freud 1925). Die kindliche Entwicklung moralischer Urteilsfähigkeit ist für Piaget subjektiv, egozentrisch und heteronom, in den Machtverhältnissen von Eltern und ihren Kindern verankert. Das Kind befolgt primär die aufgestellten Regeln der Eltern aus Furcht und aus Zuneigung, also Regelsetzung durch Autorität der Eltern und Bindung des Kindes an seine Eltern. Die moralische Urteilsfähigkeit von Jugendlichen sieht Piaget hingegen als autonom an, da sie für ihn durch die gegenseitigen, gleichberechtigten und kooperativen Beziehungen von Gleichaltrigen erworben wird und gekennzeichnet ist. Regeln sind verhandelbar und beruhen auf gemeinsam verabredeten Entscheidungen, also wird das Gelten von Regeln unabhängig von Autoritäten erfahren und beruht auf der Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven anderer zu berücksichtigen und zu übernehmen (vgl. Piaget 1932). Nach Piaget steht diese Gegenseitigkeit und die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme, im Kontrast zum kindlichen Egozentrismus und ist demnach wie bereits beschrieben auch ein Konzept, dass auf universelle Reifung des Menschen beruht.
Lawrence Kohlberg folgte Piaget in der Arbeitsform (vgl. Petermann et al. 2004, 227 f.), ein moralisches Niveau durch Befragung von Probanden und unter Einbezug eines standardisierten qualitativen Verfahrens der Konditionierung, zu klassifizieren. Er entwickelte ein aufeinander aufbauendes Stufenmodell in sechs Teilen, in dem er drei Abschnitte der moralischen Entwicklung eines Individuums unterscheidet, die präkonventionelle, konventionelle und postkonventionelle Moral (vgl. Kohlberg 1976) Die moralische Urteilsfähigkeit wächst nach Kohlberg, ähnlich der Theorie Piagets, mit der kognitiven Entwicklung eines Menschen und mündet schließlich in ein „reifes“ moralisches Denken (vgl. Horster 2007, 20). Dieses moralische Denken versucht Kohlberg mit Hilfe einer Dilemma-Diskussionsmethode (vgl. Horster, 2007, 20 f.) zu erfassen, bekannt vor allem durch das „Heinz Dilemma“ (vgl. Kohlberg 1958), in dem befragte Personen eine Entscheidung zu einem Problem/Konflikt (Dilemma) nicht mit Hilfe von inhaltlichen Möglichkeiten finden, sondern unter Einbezug moralischer Perspektiven treffen sollten. Die dabei von ihm definierten sechs aufeinander aufbauenden Stufen zur moralischen Urteilsfähigkeit (vgl. Horster, 2007, 21 f.), entwickeln sich anhand von Sichtweisen des Individuums auf das eigene „Ich“, auf andere sowie auf moralische Regeln und deren Aushandlung im Sinne einer „sozio-moralischen Perspektive“ (Horster, 2007, 21) ferner lassen sie sich so auch bestimmen. In der fünften und sechsten Stufe, werden die rationalen Perspektiven aller Personen vom Individuum miteinbezogen (vgl. Horster, 2007, 21, f), nach Kohlberg eine universelle Moral, die dahingehend das moralische Bewusstsein eines Individuums abbildet.
An dieser Stelle ist zu bemerken, dass hier dargestellte Theorien mit dem Leitgedanken einer universellen Reifung des Menschen und einer Moralentwicklung in Abhängigkeit kognitiver Fähigkeiten, nicht von einer möglichen moralischen Entwicklung des Individuums in einem soziokulturellen Kontext ausgehen. Somit wird der Frage weshalb Menschen moralisch handeln, welche Motivation sie dafür haben und wie sie Perspektiven anderer Menschen in ihr Handeln miteinbeziehen, nicht wirklich nachgegangen. Im Spannungsfeld zwischen der Beziehung von Kultur und Moral, sehen wir moralische Wertvorstellungen heute sehr wohl als kulturspezifisch an und Forschungen der heutigen Zeit belegen, dass eine Erziehung durch Strafe und Macht eher kontraproduktiv für eine moralische Sozialisation und die Verinnerlichung gesellschaftlicher Werte, Normen und sozialer Rollen von Menschen ist (vgl. Oerter & Montada 2002, 625 f).
Konzepte der Gegenwart gehen davon aus, dass Kinder beginnende moralische Überzeugungen durch das Übernehmen von sozialen Standards, Verhaltensstandards erwachsener Vorbilder sowie einer Identifikation mit ihnen (vgl. Kochanska, Casey & Fukomoto 1995) entwickeln, die zu einer Verinnerlichung führt. Durch spezifische Rollen, soziale Regeln, Aktivitäten und Überzeugungen trägt also die Kultur bzw. das Lebensumfeld eines Individuums entscheidend zur Bewusstseinsbildung bei und schafft im Austausch die Voraussetzung für Inhalte, die das Bewusstsein bilden.
Auch Selman identifizierte die Fähigkeit zur sozialen Perspektivenübernahme und Empathie in Anlehnung an Piagets Stufenmodell der kognitiven Entwicklung, als primäre Faktoren zur Bildung eines moralischen Selbst (vgl. Selman 1984). Mit der Erkenntnis des Kindes, dass eigene Handlungen auch negative Auswirkungen haben können, beginnt das Kind soziale Rollen zu verinnerlichen, um später die Perspektiven anderer in seine Handlungen miteinzubeziehen. Zentrale Merkmale eines prosozialen Verhaltens im Sinne von Entwicklung, Empathie und Fürsorge neben der kognitiven Entwicklung eines Individuums, benennt auch Martin L. Hoffmann (vgl. Hoffmann 1984, 23). Hoffmann unterscheidet zwischen einer kognitiven Fähigkeit für Empathie, die eine Übernahme anderer Perspektiven ermöglicht, beispielsweise Mitgefühl und den affektiven empathischen Gefühlen, in der Funktion eine Handlung zu motivieren, als auch mit moralischen Prinzipien verbunden zu sein (vgl....