2 Die zentrale Notfallaufnahme
Management an der Schnittstelle Medizin und Ökonomie
Wilfried von Eiff
2.1 Zweck der ZNA
Wenn zwischen 30 % und 50 % aller vollstationären Patienten zunächst als Notfall aufgenommen worden sind, erhält die Frage nach der strategischen, medizinischen und ökonomischen Funktion einer Notfallorganisation eine besondere Bedeutung.
Die interdisziplinäre Notfallaufnahme ist Gatekeeper und Organisationsdrehscheibe zwischen dem ambulanten Bereich und der vollstationären Versorgung. Sie ist darüber hinaus der erste Anlaufpunkt für Patienten mit unterschiedlichsten Beschwerdesymptomen und Krankheitsbildern: ungefährliche Schnittverletzungen gehören ebenso dazu wie polytraumatisierte Patienten, Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen (Schlaganfall, akuter Myokardinfarkt, Embolien usw.) und Abususpatienten (Alkohol, Medikamente, Drogen usw.). Die Zentrale Notaufnahme (ZNA)
• sorgt in kürzester Zeit für eine qualifizierte, mit den betroffenen Fachdisziplinen abgestimmte Diagnose,
• leitet die Ersttherapie ein und
• entscheidet über den weiteren Behandlungsweg des Patienten (Entlassung/Rücküberweisung zum Hausarzt, Beobachtung in der Aufnahmestation, Überweisung in die zuständige Fachabteilung).
2.2 Marketingfunktion der ZNA
Wer sich in einer Notfallaufnahme medizinisch qualifiziert behandelt und menschlich gut versorgt fühlt, empfiehlt das Krankenhaus begeistert weiter und sucht auch als elektiver Patient dieses Krankenhauses in Zukunft aus.
Die ZNA ist einerseits gefordert, Hochleistungsmedizin in kürzester Zeit erfolgreich anzuwenden; andererseits ist die ZNA ein unter Marketing-Gesichtspunkten wichtiges Aushängeschild: Die hier ankommenden Patienten befinden sich in einer psychologisch belastenden, häufig auch existenziellen Grenzsituation; sie haben Angst, die Ungewissheit bedrückt sie und sie fühlen Schmerzen. Patienten und Angehörige, die in einem ansprechend gestalteten Raum-Milieu warten, deren Wartezeit als kurz beziehungsweise angemessen empfunden wird, die sich informiert fühlen über »den nächsten Schritt der Behandlung« und die ein wirksames Schmerzmanagement erfahren, werden über diese Erfahrung positiv in ihrem sozialen Umfeld berichten. Patienten in Notfallsituationen kommunizieren nach Entlassung tendenziell intensiver und mit einer größeren Zahl von Menschen als Patienten mit eher unspektakulären Elektiv-Eingriffen. Eine angenehme Atmosphäre in der ZNA prägt das Erscheinungsbild eines Krankenhauses massiv. Die Notfallversorgungsqualität eines Krankenhauses trägt damit erheblich zur Markenbildung bei und zwar im Wesentlichen durch fünf Dimensionen:
• Hohe interdisziplinär vernetzte medizinische Kompetenz im breiten Spektrum der Notfallmedizin (chirurgisch, internistisch, neurologisch), strukturell demonstriert durch organisatorische Elemente wie ZNA, Stroke Units, Akutversorgungs-Teams, Hubschrauberlandeplatz, dezentral-vernetzte IT-Struktur inklusive POCT-Vernetzung, das Vorhalten medizinisch-komplementärer Leistungsbereiche wie Nephrologie, Diabetologie, Plastische Chirurgie/Wiederherstellungs-Chirurgie, Handchirurgie etc. sowie die Einbindung in Akutversorgungsnetzwerke (Netzwerk Akuter Myokardinfarkt, Netzwerk Schlaganfall etc.) ( Abb. I-1).
• Milieugestaltung nach dem Konzept der »Heilungsfördernden Umgebung«, um eine angstfreie beziehungsweise Angst reduzierende, von Schmerzen und Krankheit ablenkende Atmosphäre für Patienten und Angehörige zu bieten.
• Baulich-funktionale Ausstattung der ZNA, die durch kurze Wege, räumliche/optische Trennung von gehfähigen und liegend antransportierten Patienten sowie direkte räumliche Anbindung an Hubschrauberlandeplatz, Radiologie, Funktionsbereiche, Unfall-OP, Intensiveinheit, Herzkatheterlabor gekennzeichnet ist. Neben einer dezentral-vernetzten IT-/POCT-Struktur (insbesondere für Akutes Koronarsyndrom → Troponin I/T, CK-MB; D-Dimere → TVT; Glukose Monitoring; Schwangerschaft → ßhCG; sonstige Entzündungen → CRP) sollte die Möglichkeit der Telemedizin mit Rettungsdiensten, niedergelassenen Vertragsärzten und MVZ sowie kooperierenden Krankenhäusern (auch Portalkliniken) geschaffen werden ( Abb. I-2).
• Patientenindividueller Kommunikationsstil (von Eiff 2009, S. 129).
• Dienstleistungen zur Reduzierung/Verhinderung von Problemen bezogen auf das soziale Umfeld (z. B. Notfall-Case Manager zur Betreuung von Angehörigen etc.)
Die enge fachliche Verbindung mit präklinischen Notärzten, Einrichtung von speziellen Kompetenzteams in Zusammenarbeit mit den Fachbereichen, SOPs für bestimmte Krankheitsbilder bzw. Symptome sind die Erfolgshebel eines Kompetenz-Zentrums Notfallmedizin ( Abb. I-1).
Die ZNA, richtig organisiert und geführt, trägt zur Kostensenkung beziehungsweise zur wirtschaftlichen Auslastung von teuren Geräten und Personen mit Spezialwissen bei: Die baulich-funktionale Struktur bestimmt den Kapazitätsbedarf, die Prozesseffizienz, die Patientenrisiken und die (Vorhalte-)Kosten ( Abb. I-2).
• Die Aufnahme-/Kurzliegerstation sorgt dafür, dass folgende Probleme im Behandlungsprozess vermieden werden:
– Fehlzuweisungen zu Fachdisziplinen aufgrund ungenauer Diagnosestellung als Konsequenz von Zeitdruck (z. B. ca. 25 % der Angina Pectoris-Patienten mit Verdacht auf akutes Koronarsyndrom haben extrakardiale Diagnose)
– Unnötige innerklinische Sekundärtransporte
– Zeitliche Verzögerungen bei Diagnostik und Therapie durch Nichtverfügbarkeit von Technik (MRT, CT usw.) beziehungsweise Konsilärzten
– Fehlender Kapazitätspuffer zur Kurzzeitüberwachung, dadurch Blockaden von U-B-Plätzen oder zu frühe Verlegung auf Station
Abb. I-1: Struktur eines Kompetenzzentrums »Notfallmedizin«
Abb. I-2: Generische Zuordnung von Funktionsbereichen als Gestaltungselemente einer interdisziplinären ZNA
– Stationäre Aufnahmen in den Nachtstunden mit erheblichen Störungen der Mitpatienten
– Inanspruchnahme von stationären Intensivbetten statt frühe minimalinvasive Beatmung.
• Eine Praxisbehandlungszone versorgt diejenigen Patienten, die (häufig als Selbsteinweiser) die ZNA aufsuchen, um schnelle Hilfe ohne Wartezeiten zu erhalten, aber keinen Notfallstatus haben. Auf mindestens 30 % der Fälle trifft dieser Status zu. Um die Untersuchungs- und Behandlungsplätze nicht mit Bagatellfällen zu blockieren, werden diese Patienten medizinisch versorgt und sofort entlassen. Hier bietet sich eine enge Zusammenarbeit mit Vertragsärzten an (auch als strategische Maßnahme in Rahmen des Einweiser-Managements z. B. durch die Einrichtung einer KV-Notfallpraxis, Kap. III.3).
• In der Triagezone findet die Ersteinschätzung statt. Diese kann teilweise durch besonders ausgebildete und berufserfahrene Pflegekräfte erfolgen. In den Emergency Rooms exzellent organisierter amerikanischer Krankenhäuser sind zum Teil »Triage Nurses« anzutreffen, die auf bestimmte Krankheitsbilder beziehungsweise bestimmte Symptome spezialisiert sind. So z. B. die sogenannte Stroke Nurse. Diese spezialisierte Pflegekraft steuert den gesamten Notfallprozess von Schlaganfallpatienten. Für jeden Notfallpatienten steht eine Stroke Box zur Verfügung, die alle erforderlichen Medikalprodukte, Medikamente und TPA-Applikationen enthält.
Die Schlaganfallpatienten werden auf Basis von Pathways und Diagnose-Checklisten diagnostiziert und innerhalb von 15–25 Minuten steht fest, wie der Patient weiterzubehandeln ist ( Abb. I-3).
2.3 Organisationsdrehscheibe ZNA: zwischen präklinischer Notfallversorgung und stationärer Behandlung
Die interdisziplinäre Notfallaufnahme sorgt für schnelle, medizinisch qualifizierte Erstversorgung, senkt Patientenrisiken und trägt zur Effizienzsteigerung und Kostensenkung im Krankenhaus bei.
Die ZNA ist eine wichtige Koordinationsdrehscheibe zwischen Notfall erstversorgenden Rettungsdiensten und vollstationärer Weiterbehandlung. Insofern gilt es, die Leistungserbringer in der Notfallversorgungskette zeitlich und inhaltlich so...