Vor Marco Polo:
Europa und die Mongolen im 13. Jahrhundert
Während des 13. Jahrhunderts waren die Kontakte Europas mit Asien entscheidend durch den Aufstieg der Mongolen zur beherrschenden Macht Asiens geprägt. Die Mongolen waren ein clanföderatives, nomadisches Reitervolk, das erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts aus einem teils freiwilligen, teils erzwungenen Zusammenschluss kleinerer nomadisierender Völker der zentralasiatischen Steppe hervorgegangen war, nachdem es die im 12. Jahrhundert unter den reiternomadischen Völkern immer wieder geführten Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft in der Steppe für sich hatte entscheiden können. Diese Aufstiegsphase der Mongolen zur expandierenden Großmacht verbindet sich mit ihrem Anführer Temüdschin, der 1206 zum Herrscher über alle Völker der mongolischen Steppe ausgerufen wurde und den Namen Dschingis Khan annahm. Unter seinem Khanat begannen die Eroberungszüge, die das mongolische Großreich begründeten, das zu den Zeiten seiner größten Ausdehnung vom Chinesischen bis zum Schwarzen Meer reichte. Dem Prinzip der Clanföderation entsprechend, das auf der Gefolgschaft einzelner Clans gegenüber dem gewählten Anführer beruhte, der seine Fähigkeit zur Führung in erster Linie mittels militärischer Erfolge unter Beweis stellen musste, unternahm Dschingis Khan mit seinen Truppen sogleich nach seiner Wahl die ersten Feldzüge gegen die westlich der Mongolen siedelnden Turkvölker sowie gegen das nordchinesische Reich der Chin, denen die Mongolen vordem tributpflichtig gewesen waren. Während sich die Eroberung Nordchinas hinzog und erst unter Dschingis Khans Nachfolger Ögödei vollendet werden konnte, war die Westexpansion sehr erfolgreich. In den Jahren 1218 bis 1220 eroberten mongolische Heere das Reich der Chwarezm in Transoxanien mit den reichen und entwickelten Städten Buchara und Samarkand, besiegten 1223 an der Kalka ein vereinigtes Heer von Komanen und Russen und drangen bis zum Dnjepr vor. Zwischen 1225 und 1227 konzentrierten sie ihre Kräfte dann auf den Osten, unterwarfen die mit den Chin verbündeten Tanguten und dehnten die mongolische Herrschaft über große Teile Nordchinas aus, dessen weitere Eroberung mit Dschingis Khans Tod im Jahre 1227 jedoch zunächst unterbrochen wurde.
Von diesen mongolischen Eroberungskriegen drangen vorerst nur vage Nachrichten nach Europa bzw. ins Heilige Land, wo die europäischen Kreuzfahrer nach den ersten Erfolgen unter erheblichen Druck der Araber geraten waren und sich nur mühsam halten konnten. Die ersten Gerüchte über ein aus dem Osten herandrängendes kriegerisches Volk, die sich nach 1220 im Kreuzfahrerheer vor dem ägyptischen Damiette verbreitet hatten, waren von der Hoffnung getragen, ein christlicher Priesterkönig eile den in Bedrängnis geratenen Kreuzfahrern zu Hilfe, um das Heilige Land von den Sarazenen zu befreien. Hintergrund dieser Gerüchte waren die mongolischen Eroberungen in Transoxanien, die das Reich des Chwarezm-Schahs, Mohammeds II., zerschlagen hatten. Die widersprüchlichen Nachrichten über eine gewaltige Heermacht, die im Rücken der Sarazenen bereits ein islamisches Reich zerstört hatte, verbanden sich mit der seit dem 12. Jahrhundert in Europa kursierenden Legende vom christlichen Priesterkönig Johannes, von dem es hieß, er herrsche in Indien über ein mächtiges Reich. Der erhoffte Beistand durch den Priesterkönig und sein siegreiches Heer blieb jedoch aus, ohne dass man sich recht erklären konnte, warum er nach seinem großen Sieg über ein sarazenisches Heer nicht weiterzog, um Jerusalem zu befreien. Tatsächlich hatten sich die Mongolen 1223 wieder nach Ostasien zurückgezogen, um die Herrschaft über die dort eroberten Gebiete zu konsolidieren, und nachdem Dschingis Khan im Jahre 1227 verstorben war, hatten sie die Westexpansion vorläufig eingestellt.
Nach dem Tod Dschingis Khans ging die Herrschaft auf seine vier Söhne und ihre Clans über, unter denen die eroberten Gebiete aufgeteilt wurden. Entsprechend dem mongolischen Erbgesetz erhielt der Clan des ältesten Sohnes Dschötschi, der wie sein Vater im Jahre 1227 starb, die am weitesten entfernten Gebiete im Westen, dem zweiten Sohn Tschaghatai und dem dritten Sohn Ögödei fielen die eroberten Territorien in Transoxanien und Turkestan zu, während der jüngste Sohn Tolui im mongolischen Stammland herrschte. Nach mongolischem Erbrecht hätte ihm eigentlich auch die Würde des Großkhans zuteilwerden müssen, aber Dschingis Khan hatte entgegen der üblichen Erbfolge seinen dritten Sohn Ögödei zu seinem Nachfolger bestimmt, und dieser wurde 1229 auf einem Reichstag zum Großkhan gewählt. Ögödei bestimmte in erster Linie die Leitlinien der mongolischen Eroberungspolitik und setzte die mongolische Expansion fort, im Westen gegen Persien, die Kumanen sowie die Wolgabulgaren und im Osten gegen das nordchinesische Reich der Chin, das 1234 endgültig unterworfen wurde. Er ließ aber auch das mongolische Post- und Eilverkehrssystem ausbauen, das es ermöglichte, sehr schnell große Entfernungen zu überwinden. In kurzen Abständen wurden Stationen für den Pferdewechsel bzw. die Weitergabe von Briefen eingerichtet, wodurch es möglich war, die Nachrichtenverbindung zwischen dem Sitz des Großkhans in der Mongolei und den neu eroberten Gebieten ständig aufrechtzuerhalten und Gesandte aus verschiedenen Ländern rasch an den Hof des Großkhans zu befördern.
Auf dem zweiten Reichstag 1235 wurde unter Ögödei erneut ein großer Westfeldzug beschlossen. 1237 eroberten die Mongolen große Gebiete an der Wolga und drangen bis nach Moskau und Rostow vor. Seither gelangten immer mehr Briefe von dominikanischen und franziskanischen Missionaren ins Abendland, in denen von einem Volk die Rede war, das sich Tartaren nenne und dessen Grausamkeit und Rohheit schrecklich seien. Man mutmaßte nun, dass der Priesterkönig Johannes nach dem Verlust von Damiette durch die Kreuzfahrer in den Osten zurückgekehrt, danach aber von den Tartaren in seinem Heer ermordet worden sei, die nun nicht mehr nur die Feinde der Christenheit bekämpften, sondern sich auch anschickten, Russland und andere christliche Länder anzugreifen und zu verheeren. In Westeuropa war man ob der aus Osteuropa übermittelten Nachrichten zwar besorgt, aber man war doch noch nicht besonders beunruhigt und überdies zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um dem kriegerischen Volk aus dem Osten größere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst steuerten zu diesem Zeitpunkt ihrem Höhepunkt zu: Papst Gregor IX. hatte Kaiser Friedrich II. 1239 exkommuniziert und wollte ihn zu Ostern 1241 auf einem nach Rom einberufenen Konzil als Kaiser absetzen lassen, woraufhin Friedrich zahlreiche der anreisenden Prälaten gefangennehmen ließ und auf diese Weise den Zusammentritt des Konzils verhinderte. Die Abwehr der nach dem Fall von Kiew 1240 in zwei Flügeln weiter nach Westen drängenden mongolischen Heere überließ man unterdessen dem Herzog von Schlesien und dem König von Ungarn, von denen man annahm, sie hätten genügend Erfahrung im Umgang mit kriegerischen Völkern aus dem Osten. Die Niederlagen des deutsch-polnischen und des ungarischen Ritterheeres von 1241 verliehen der Situation jedoch eine ungeahnte Dramatik. Am 9. April 1241 brachte ein mongolisches Heer bei Liegnitz einem polnisch-deutschen Ritterheer eine vernichtende Niederlage bei, und nur zwei Tage später schlug das zweite mongolische Heer bei Mohi am Sajò die Truppen des ungarischen Königs Béla, der mit den Resten seines aufgeriebenen Heeres an die Adria floh, wohin ihm ein kleinerer mongolischer Trupp folgte. Keines der osteuropäischen Heere war der hochmobilen Taktik der mongolischen leichten Reiterei gewachsen, die mit dem Bogen über eine äußerst effektive Distanzwaffe verfügte und deutlich beweglicher war als die schwerfälligen, gepanzerten Ritter. Die mongolische Art der Kriegsführung war den europäischen Ritterheeren sowohl strategisch durch die Aufteilung des Heeres in zwei weiträumig operierende Flügel als auch taktisch durch die hohe Mobilität der Mongolen in der Schlacht überlegen, und sie spottete überdies jeder Vorstellung von ehrenhaftem Kampf und Ritterlichkeit. Dem bedrängten ungarischen Heer etwa hatten die Tartaren, wie berichtet wurde, einen scheinbaren Fluchtweg eröffnet, um es in eine taktisch günstige Position zu locken, in der sie es umso leichter niedermachen konnten, und Herzog Heinrich von Schlesien, der in der Schlacht von Liegnitz gefallen war, hatten sie den Kopf abgeschlagen und ihn auf eine Lanze gespießt, mit der sie vor den Toren von Liegnitz erschienen. Solche crudelitas (Grausamkeit), astutia (Verschlagenheit) und malitia (Bosheit) kannte man nicht einmal aus den Kämpfen mit den Sarazenen, und gleichzeitig gab es offenkundig nichts, was man ihr entgegenzusetzen hatte. Erstmals zeichnete sich damit eine Katastrophe der christlich-ritterlichen Kultur des Abendlandes ab, die in den Kreuzzügen zwar bereits eine Reihe von Niederlagen, aber keine vergleichbaren Demütigungen hatte hinnehmen müssen. Die durch die mongolischen Siege in Ost- und Mitteleuropa ausgelöste Panik drückt sich...