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Abb. 2: Maria Theresia im Alter von etwa zehn Jahren als Erbprinzessin des Hauses Österreich. Der Erzherzogshut auf dem (roten) Samtpolster links, der (rote) Mantel mit Hermelinbesatz über dem rechten Arm und die geraffte Samtportiere entsprechen der Gattung des Staatsporträts. Gemälde von Andreas Möller, ca. 1727
Rituale und Reliquien
Am 13. Mai 1717 gegen halb acht Uhr morgens wurde dem Kaiser Karl VI. und seiner Frau Elisabeth Christine in der Hofburg zu Wien eine Tochter geboren und noch am Abend desselben Tages auf den Namen Maria Theresia Walburga Amalia Christine getauft.[1] Nach Auskunft des Hofkalenders ereignete sich dies im sechsten Jahr der kaiserlichen Regierung Karls VI. und im vierzehnten Jahr seiner Herrschaft in Spanien; mehr als 3000 Jahre waren vergangen seit Anfang und erster Erbauung der Stadt Wienn; es war das 505. Jahr seit erster Erbauung der Kayserlichen Burg und das 34. Jahr nach glücklichen Entsatz und Wegschlagung der Türckischen Armee von hiesiger starcken Belagerung.[2] Alles war seit langem sorgfältig für den Empfang des Kindes vorbereitet worden. Schon im Januar hatten die Untertanen in den habsburgischen Ländern von Mailand bis nach Schlesien in den Pfarrkirchen um eine glückliche Geburt und einen gesunden Thronfolger zu beten begonnen und Bittprozessionen zur Mutter Gottes unternommen.[3] Im April hatte man den Kinderhofstaat für das Neugeborene bestimmt und die Ammen ausgewählt, die es nähren sollten. Die Verantwortung für das Kind, das Amt der Aya, war einer hochrangigen alten Hofdame übertragen worden.[4]
Es war ein altes, strenges und ehrfurchtgebietendes Ordnungsgefüge, in das das Kind hineingeboren wurde: das glanzvolle Erzhaus Österreich, das Römisch-deutsche Kaisertum und nicht zuletzt die allein seligmachende katholische Kirche, die der protestantischen Ketzerei erfolgreich die Stirn geboten hatte. Alle diese Institutionen beanspruchten für sich – mit mehr oder weniger Plausibilität – einen uralt-ehrwürdigen Ursprung. Das Haus Habsburg, unter allen Ständen des Reiches das mächtigste, wie es hieß, führte seine Ahnenreihe zwar mittlerweile nicht mehr auf den biblischen Stammvater Noah oder auf Hektor, den Helden des antiken Troja, zurück, aber immerhin noch bis auf Eticho, einen elsässischen Getreuen des fränkischen Königs Childebert aus dem 7. Jahrhundert.[5] Die römisch-deutsche Kaiserwürde, die dieses Haus seit dem 15. Jahrhundert kontinuierlich innehatte, wurde über Karl den Großen bis auf Kaiser Augustus zurückgeführt. Die katholische Kirche schließlich, begründet von Christus selbst, setzte sich vom Apostel Petrus in lückenloser Sukzession bis zum gegenwärtigen Papst Clemens XI., dem Taufpaten, fort. In allen drei Fällen leitete sich die Autorität der Institution von ihrem Alter ab, vom Prinzip der jahrhundertelangen, scheinbar lückenlosen Weitergabe von einem Inhaber zum anderen. Diese eindrucksvollen Kontinuitätslinien hielten zwar den Augen kritischer Geschichtsschreiber schon damals nicht mehr in jeder Hinsicht stand. Aber darauf kam es nicht an, solange die unvordenkliche Dauer und Heiligkeit der Dynastie, des Kaisertums und der römischen Kirche in ritueller Form stets aufs Neue vergegenwärtigt und erfahren wurden. Das geschah durch das Ritual der Taufe, die alles in einem war: Familienfeier, Staatsaktion und Sakrament, eine Inszenierung sozialer Hierarchie, politischer Macht und sakraler Würde. Durch heilige Gegenstände, alte Formeln und rituelle Gesten, durch das ganze komplexe zeremonielle Arrangement und nicht zuletzt durch seine Namen wurde das Neugeborene in die bestehende Ordnung hineingestellt und symbolisch mit ihren ältesten Traditionen verbunden.
Damit alles seine Richtigkeit hatte, war über Ort und Zeremoniell der Taufe zuvor in einer Hofkonferenz von den höchsten Amtsträgern beraten und entschieden worden.[6] Die Taufe fand nicht in einer öffentlichen Kirche oder in der Hofkapelle statt, sondern im kaiserlichen Staatsappartement der Hofburg, in der Ritterstube, die man als Bühne für diesen Akt sorgfältig vorbereitet hatte: Sie war mit gold- und silberdurchwirkten Seidentapisserien ausgekleidet, mit zahlreichen kristallenen Kandelabern illuminiert und mit Baldachin, Altar und Taufbecken ausgestattet worden. Die Ritterstube lag im ersten Stock der Hofburg, im sogenannten Leopoldinischen Trakt, einem langgestreckten, streng geometrischen Baukörper, der in den 1660er Jahren an die alte Burg angebaut worden war, um den gestiegenen zeremoniellen Erfordernissen entsprechen zu können. Die Burg war im Kern ein verwinkeltes altes Gebäude aus dem 16. Jahrhundert inmitten des in seinen Befestigungsanlagen eingeschlossenen, engen und ebenso verwinkelten Wien.[7] Sie war tatsächlich eher eine Burg als ein Schloss. Schon zu Kaiser Leopolds I. Zeiten erschien sie Besuchern nicht sonders prächtig erbaut und für einen solchen mächtigen und höchsten Potentaten ziemlich eng.[8] Obwohl sie auch im 18. Jahrhundert immer wieder erweitert und modernisiert wurde – 1717 baute man gerade einen neuen Trakt für die Reichskanzlei –, konnte sie dem Zeitgeschmack nicht genügen, der streng symmetrische Bauformen, großzügige Sichtachsen, eine prunkvolle zentrale Ehrentreppe und vor allem weitläufige geometrische Gartenanlagen forderte.
Abb. 3: Die Hofburg in Wien. Detail aus dem Vogelschauplan von Josef Daniel Huber, Scenographie oder Geometrisch Perspect. Abbildung der Kayl. Königl. Haubt- u. Residenz Stadt Wien in Oesterreich, 1773
Doch am Kaiserhof, der immer noch beanspruchte, der höchstrangige weltliche Hof der Christenheit zu sein, wurde der Wahrung der Tradition mehr Wert beigemessen als dem höfischen Modediktat aus dem feindlichen Frankreich. Das galt auch für das Zeremoniell, mit dem das Neugeborene in der Welt empfangen wurde. Es war im Wesentlichen noch immer das gleiche, das Ferdinand I. 1527 nach burgundisch-spanischem Muster am österreichischen Hof eingeführt hatte. Diese zeremonielle Ordnung schrieb vor, dass man sich dem Herrscherpaar stets nur unter dreimaliger Kniebeuge nähern durfte, sie bestimmte, wer Zugang zu welchen Räumen hatte und wer den Kaiser an seiner einsamen Tafel bedienen durfte. Das Zeremoniell war durch sein Alter geheiligt, es war unflexibel, gravitätisch und exklusiv und distanzierte die Herrscherfamilie von aller Welt – anders, als es zur selben Zeit am französischen Hof der Fall war, wo fast jeder Zugang hatte, wenn er nur saubere und manierliche Kleidung trug.[9]
Dieser strengen zeremoniellen Ordnung gehorchte auch die Taufe Maria Theresias. Der Akt spielte sich ausschließlich in den Mauern der Hofburg ab. Eine feierliche Prozession bewegte sich noch am Abend nach der Entbindung mit Pauken und Trompeten vom Schlafzimmer der Kaiserin zum Taufzimmer: Voran gingen Kavaliere und Mitglieder der niederösterreichischen Landstände, die kaiserlichen Kämmerer und Geheimen Räte, alle in kostbaren Campagne-Kleidern, dann der päpstliche Nuntius und der venezianische Botschafter nebeneinander – denn sie achteten sorgfältig darauf, dass nicht einer dem anderen vorgezogen wurde –, sodann der Kaiser im spanischen Mantelkleid aus Gold- und Silberbrokat und mit roten Federn am Hut, die beiden schwarzgekleideten Witwen der früheren Kaiser Leopold I. und Joseph I. und schließlich die Aya mit der neugeborenen durchleuchtigsten Ertz-Herzogin, die juwelengeschmückt auf einem Polster aus weißem Atlas lag. Dahinter folgten die Töchter der verstorbenen Kaiser, die Spitzen des weiblichen Hofstaats und zahllose Hofdamen, Ministerfrauen und adelige Damen aus der Stadt. An der Tür zur Ritterstube übernahm der Obersthofmeister Liechtenstein das Neugeborene, und unter Trompeten- und Paukenschall trug er es in die Ritterstube, wo der Bischof von Wien, assistiert von einer ganzen Reihe anderer geistlicher Würdenträger, ihm das Taufsakrament spendete. Nach dem Ambrosianischen Lobgesang, einem Schlussgebet und dem Segen des Bischofs zog sich die ganze Gesellschaft wieder in geordneter Prozession in ihre Appartements zurück.
Als Paten fungierten die beiden Kaiserinnenwitwen und kein Geringerer als Papst Clemens XI., repräsentiert durch seinen Nuntius. Diese Patenwahl hatte einen doppelten Sinn: Mit dem Oberhaupt der Christenheit gewann man nicht nur den höchstrangigen Paten, den ...