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E-Book

Maria Theresia

Die Kaiserin in ihrer Zeit

AutorBarbara Stollberg-Rilinger
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl1144 Seiten
ISBN9783406723520
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Eine 'Weiberherrschaft' war im 18. Jahrhundert an sich nicht ungewöhnlich - ungewöhnlich aber war, dass Kaiserin Maria Theresia das Geschäft des Regierens als ihre persönliche Aufgabe derart ernst nahm und mit äußerster Akribie betrieb. Damit unterschied sie sich von vielen europäischen Monarchen, die lieber ihren Neigungen nachgingen und die Amtsgeschäfte gern anderen überließen. Dass Maria Theresia nicht nur in dieser Hinsicht eine außergewöhnliche Frau war, zeigt diese eindrucksvolle Biographie. Barbara Stollberg-Rilinger lässt in ihrer meisterhaften Darstellung die Verhältnisse am Habsburger Hof, in der Stadt Wien, im Heiligen Römischen Reich und in den vielen Ländern lebendig werden, aus denen sich die Monarchie zusammensetzte. Ihre Haupt- und Staatsaktionen wie der Erbfolgekrieg (1740 - 1748) oder der Siebenjährige Krieg (1756 - 1763) gegen ihren Erzfeind Friedrich den Großen von Preußen werden ebenso anschaulich beschrieben wie das Verhältnis zu Ehe, Sexualität und Schwangerschaft, die Erziehung ihrer vielen Kinder, die Divertissements bei Hofe, die erbitterten Konflikte mit dem Sohn und Mitregenten Joseph II. und nicht zuletzt die unbarmherzige Religionspolitik der kompromisslos katholischen Kaiserin, die am Ende wie aus der Zeit gefallen schien. Gestützt auf zahllose, mitunter kaum bekannte Quellen, entsteht ein ganz einzigartiges Portrait Maria Theresias. Es ist frei von hagiographischen Zügen und zeigt eine Matriarchin von äußerstem Pflichtbewusstsein, die sich selbst ebenso wie ihre Familie und ihre Untertanen einem strengen Regiment unterwarf.

Barbara Stollberg-Rilinger lehrt als Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster. Sie wurde für ihre Forschungen mit zahlreichen Preisen und Ehrungen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis und dem Preis des Historischen Kollegs. Sie zählt zu den bedeutendsten Historikerinnen unserer Zeit.

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Leseprobe

II

DIE ERBTOCHTER


~

Abb. 2: Maria Theresia im Alter von etwa zehn Jahren als Erbprinzessin des Hauses Österreich. Der Erzherzogshut auf dem (roten) Samtpolster links, der (rote) Mantel mit Hermelinbesatz über dem rechten Arm und die geraffte Samtportiere entsprechen der Gattung des Staatsporträts. Gemälde von Andreas Möller, ca. 1727

Rituale und Reliquien


Am 13. Mai 1717 gegen halb acht Uhr morgens wurde dem Kaiser Karl VI. und seiner Frau Elisabeth Christine in der Hofburg zu Wien eine Tochter geboren und noch am Abend desselben Tages auf den Namen Maria Theresia Walburga Amalia Christine getauft.[1] Nach Auskunft des Hofkalenders ereignete sich dies im sechsten Jahr der kaiserlichen Regierung Karls VI. und im vierzehnten Jahr seiner Herrschaft in Spanien; mehr als 3000 Jahre waren vergangen seit Anfang und erster Erbauung der Stadt Wienn; es war das 505. Jahr seit erster Erbauung der Kayserlichen Burg und das 34. Jahr nach glücklichen Entsatz und Wegschlagung der Türckischen Armee von hiesiger starcken Belagerung.[2] Alles war seit langem sorgfältig für den Empfang des Kindes vorbereitet worden. Schon im Januar hatten die Untertanen in den habsburgischen Ländern von Mailand bis nach Schlesien in den Pfarrkirchen um eine glückliche Geburt und einen gesunden Thronfolger zu beten begonnen und Bittprozessionen zur Mutter Gottes unternommen.[3] Im April hatte man den Kinderhofstaat für das Neugeborene bestimmt und die Ammen ausgewählt, die es nähren sollten. Die Verantwortung für das Kind, das Amt der Aya, war einer hochrangigen alten Hofdame übertragen worden.[4]

Es war ein altes, strenges und ehrfurchtgebietendes Ordnungsgefüge, in das das Kind hineingeboren wurde: das glanzvolle Erzhaus Österreich, das Römisch-deutsche Kaisertum und nicht zuletzt die allein seligmachende katholische Kirche, die der protestantischen Ketzerei erfolgreich die Stirn geboten hatte. Alle diese Institutionen beanspruchten für sich – mit mehr oder weniger Plausibilität – einen uralt-ehrwürdigen Ursprung. Das Haus Habsburg, unter allen Ständen des Reiches das mächtigste, wie es hieß, führte seine Ahnenreihe zwar mittlerweile nicht mehr auf den biblischen Stammvater Noah oder auf Hektor, den Helden des antiken Troja, zurück, aber immerhin noch bis auf Eticho, einen elsässischen Getreuen des fränkischen Königs Childebert aus dem 7. Jahrhundert.[5] Die römisch-deutsche Kaiserwürde, die dieses Haus seit dem 15. Jahrhundert kontinuierlich innehatte, wurde über Karl den Großen bis auf Kaiser Augustus zurückgeführt. Die katholische Kirche schließlich, begründet von Christus selbst, setzte sich vom Apostel Petrus in lückenloser Sukzession bis zum gegenwärtigen Papst Clemens XI., dem Taufpaten, fort. In allen drei Fällen leitete sich die Autorität der Institution von ihrem Alter ab, vom Prinzip der jahrhundertelangen, scheinbar lückenlosen Weitergabe von einem Inhaber zum anderen. Diese eindrucksvollen Kontinuitätslinien hielten zwar den Augen kritischer Geschichtsschreiber schon damals nicht mehr in jeder Hinsicht stand. Aber darauf kam es nicht an, solange die unvordenkliche Dauer und Heiligkeit der Dynastie, des Kaisertums und der römischen Kirche in ritueller Form stets aufs Neue vergegenwärtigt und erfahren wurden. Das geschah durch das Ritual der Taufe, die alles in einem war: Familienfeier, Staatsaktion und Sakrament, eine Inszenierung sozialer Hierarchie, politischer Macht und sakraler Würde. Durch heilige Gegenstände, alte Formeln und rituelle Gesten, durch das ganze komplexe zeremonielle Arrangement und nicht zuletzt durch seine Namen wurde das Neugeborene in die bestehende Ordnung hineingestellt und symbolisch mit ihren ältesten Traditionen verbunden.

Damit alles seine Richtigkeit hatte, war über Ort und Zeremoniell der Taufe zuvor in einer Hofkonferenz von den höchsten Amtsträgern beraten und entschieden worden.[6] Die Taufe fand nicht in einer öffentlichen Kirche oder in der Hofkapelle statt, sondern im kaiserlichen Staatsappartement der Hofburg, in der Ritterstube, die man als Bühne für diesen Akt sorgfältig vorbereitet hatte: Sie war mit gold- und silberdurchwirkten Seidentapisserien ausgekleidet, mit zahlreichen kristallenen Kandelabern illuminiert und mit Baldachin, Altar und Taufbecken ausgestattet worden. Die Ritterstube lag im ersten Stock der Hofburg, im sogenannten Leopoldinischen Trakt, einem langgestreckten, streng geometrischen Baukörper, der in den 1660er Jahren an die alte Burg angebaut worden war, um den gestiegenen zeremoniellen Erfordernissen entsprechen zu können. Die Burg war im Kern ein verwinkeltes altes Gebäude aus dem 16. Jahrhundert inmitten des in seinen Befestigungsanlagen eingeschlossenen, engen und ebenso verwinkelten Wien.[7] Sie war tatsächlich eher eine Burg als ein Schloss. Schon zu Kaiser Leopolds I. Zeiten erschien sie Besuchern nicht sonders prächtig erbaut und für einen solchen mächtigen und höchsten Potentaten ziemlich eng.[8] Obwohl sie auch im 18. Jahrhundert immer wieder erweitert und modernisiert wurde – 1717 baute man gerade einen neuen Trakt für die Reichskanzlei –, konnte sie dem Zeitgeschmack nicht genügen, der streng symmetrische Bauformen, großzügige Sichtachsen, eine prunkvolle zentrale Ehrentreppe und vor allem weitläufige geometrische Gartenanlagen forderte.

Abb. 3:  Die Hofburg in Wien. Detail aus dem Vogelschauplan von Josef Daniel Huber, Scenographie oder Geometrisch Perspect. Abbildung der Kayl. Königl. Haubt- u. Residenz Stadt Wien in Oesterreich, 1773

Doch am Kaiserhof, der immer noch beanspruchte, der höchstrangige weltliche Hof der Christenheit zu sein, wurde der Wahrung der Tradition mehr Wert beigemessen als dem höfischen Modediktat aus dem feindlichen Frankreich. Das galt auch für das Zeremoniell, mit dem das Neugeborene in der Welt empfangen wurde. Es war im Wesentlichen noch immer das gleiche, das Ferdinand I. 1527 nach burgundisch-spanischem Muster am österreichischen Hof eingeführt hatte. Diese zeremonielle Ordnung schrieb vor, dass man sich dem Herrscherpaar stets nur unter dreimaliger Kniebeuge nähern durfte, sie bestimmte, wer Zugang zu welchen Räumen hatte und wer den Kaiser an seiner einsamen Tafel bedienen durfte. Das Zeremoniell war durch sein Alter geheiligt, es war unflexibel, gravitätisch und exklusiv und distanzierte die Herrscherfamilie von aller Welt – anders, als es zur selben Zeit am französischen Hof der Fall war, wo fast jeder Zugang hatte, wenn er nur saubere und manierliche Kleidung trug.[9]

Dieser strengen zeremoniellen Ordnung gehorchte auch die Taufe Maria Theresias. Der Akt spielte sich ausschließlich in den Mauern der Hofburg ab. Eine feierliche Prozession bewegte sich noch am Abend nach der Entbindung mit Pauken und Trompeten vom Schlafzimmer der Kaiserin zum Taufzimmer: Voran gingen Kavaliere und Mitglieder der niederösterreichischen Landstände, die kaiserlichen Kämmerer und Geheimen Räte, alle in kostbaren Campagne-Kleidern, dann der päpstliche Nuntius und der venezianische Botschafter nebeneinander – denn sie achteten sorgfältig darauf, dass nicht einer dem anderen vorgezogen wurde –, sodann der Kaiser im spanischen Mantelkleid aus Gold- und Silberbrokat und mit roten Federn am Hut, die beiden schwarzgekleideten Witwen der früheren Kaiser Leopold I. und Joseph I. und schließlich die Aya mit der neugeborenen durchleuchtigsten Ertz-Herzogin, die juwelengeschmückt auf einem Polster aus weißem Atlas lag. Dahinter folgten die Töchter der verstorbenen Kaiser, die Spitzen des weiblichen Hofstaats und zahllose Hofdamen, Ministerfrauen und adelige Damen aus der Stadt. An der Tür zur Ritterstube übernahm der Obersthofmeister Liechtenstein das Neugeborene, und unter Trompeten- und Paukenschall trug er es in die Ritterstube, wo der Bischof von Wien, assistiert von einer ganzen Reihe anderer geistlicher Würdenträger, ihm das Taufsakrament spendete. Nach dem Ambrosianischen Lobgesang, einem Schlussgebet und dem Segen des Bischofs zog sich die ganze Gesellschaft wieder in geordneter Prozession in ihre Appartements zurück.

Als Paten fungierten die beiden Kaiserinnenwitwen und kein Geringerer als Papst Clemens XI., repräsentiert durch seinen Nuntius. Diese Patenwahl hatte einen doppelten Sinn: Mit dem Oberhaupt der Christenheit gewann man nicht nur den höchstrangigen Paten, den ...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Zum Buch1144
Über die Autorin1144
Impressum4
Inhalt5
I. Prolog9
Monumentale Geschichte10
Männerphantasien14
Ein außergewöhnlicher Normalfall24
II. Die Erbtochter29
Rituale und Reliquien30
Theatrum Europaeum41
Hinterbühne und Vorderbühne46
Höfisches Curriculum50
Dynastische Schachzüge54
Die Hochzeit62
Der höfische Kosmos71
Die Logik der Gunst75
Maklerin kaiserlicher Gnade81
Der glücklose Ehemann89
III. Der Erbfolgekrieg93
Herrscherwechsel94
Treue und untreue Ungarn108
Die Königin ist nackt124
Krieg führen aus der Ferne143
Krieg führen vor Ort153
Pandurentheresl157
IV. Kaiserin, Kaiser und Reich173
Kaiserkrönung174
Franz I. Stephan178
Reichspolitik185
Treue Klienten195
V. Reformen205
Der Staat als Maschine206
Alte Gewohnheiten212
Ein neues System221
Ich bin nicht mehr dieselbe240
Favoritenwechsel250
Noch ein neues System266
Reformbilanz271
VI. Körperpolitik275
Schönheit276
Liebe und Libertinage281
Keuschheitsfeldzug296
Gerüchte301
Disziplinierung der Untertanen311
Geburten319
VII. Distinktionen und Finessen345
Audienzen346
Untertanen am Hof360
Distinktionen und Finessen377
Der Herr der Zeichen381
Höfischer Stundenplan388
Arbeit am Charisma393
Solennitäten und Divertissements404
Ritter der Tafelrunde417
VIII. Sieben Jahre Krieg429
Revanche430
Sieben Jahre Krieg445
Reichskrieg – Religionskrieg466
Medienkrieg – Informationskrieg473
Desaströse Bilanz485
IX. Das Kapital der Dynastie489
Kleine Herrschaften490
Erziehungsregeln497
Opfer der Politik512
Isabella von Parma517
Noch ein Opfer526
Gott und van Swieten532
X. Mutter und Sohn545
Der Tod in Innsbruck546
Ein Kaiser ohne Land557
Wie die Aufklärung an den Hof kam562
Machtproben569
Das Regentschafts-Dilemma583
Die Aufteilung des «polnischen Kuchens»592
XI. Die Religion der Herrschaft603
Verehren und verehrt werden604
Vernünftige Religion611
Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen617
Staatskirchenpolitik627
Vampire, Wunderheiler und Kalendermacher638
Freigeister und Modephilosophen649
XII. Das Fremde im Eigenen657
Einheit und Vielfalt658
«Angst und Abscheu» – die Juden662
«Unheilbar räudige Schafe» – die Geheimprotestanten672
Unsere guten Türken694
XIII. Die Untertanen709
Informationsflut718
Fleiß und Disziplin727
Neue Schulen734
Iustitia et clementia743
Widersetzlichkeit in Böhmen754
Der letzte Krieg770
XIV. Der Herbst der Matriarchin781
Lebensüberdruss782
Alter Ego Marie Christine789
Mustersöhne, Musterstaaten796
Widerspenstige Töchter805
Carolina von Neapel808
Amalia von Parma816
Marie Antoinette826
Maximilian841
Daheimgebliebene845
Schlechtes Wetter für eine weite Reise853
XV. Epilog863
Herrschertugenden864
Kontrollphantasien875
Aus der Zeit gefallen879
Anhang885
Anmerkungen887
Dank1021
Abkürzungen1023
Quellen und Literatur1025
Glossar1082
Genealogische Tabellen1085
Karte der habsburgischen Länder1093
Bildnachweis1096
Personenregister1098
Tafelteil1112

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