Eine Kaiserin? DIE Kaiserin!
»Wer keine üblen Gewohnheiten hat, hat wahrscheinlich keine Persönlichkeit« – William Faulkners Bonmot klingt fast wie eine Entschuldigung für die derzeit florierende Boulevardberichterstattung. Die Lust am Nebensächlichen, Anekdotischen wie eben auch am Tratsch beschert uns täglich aus der ganzen Welt Details über Schönheitsoperationen, Marotten, Partys oder modische Accessoires von wirklich Prominenten und selbsternannten Eliten aus Kunst, Kultur, Wirtschaft und Politik. Radio und Fernsehen bedienen uns damit zumeist zur »Primetime«, als handle es sich um hochbrisante Tagesthemen. Dabei ist es im besten Falle Unterhaltung. Und weil es so ist, scheint das tägliche Angebot an Einblicken in die vorgebliche Privatsphäre des Jetsets noch weiter zu wachsen. Liegt der Grund im offenbaren Desinteresse an der zunehmend inflationären Berichterstattung über (Partei-)Politik, über historische, sozialkritische oder sonstige Bildungsthemen? Ist es nur der berühmte Blick durch das Schlüsselloch, der uns verständlichere, versöhnlichere und oft auch entlarvende Einblicke in das Leben der Prominenten verspricht? In der Öffentlichkeit betreiben diese üblicherweise ja nur Imagepflege – egal, ob es sich um die Politur einer aalglatten Fassade oder um inszenierte Volksnähe handelt.
Das gab es allerdings schon immer und oft genug hatte auch Maria Theresia jenseits allen Hofzeremoniells um den Erhalt des schönen Scheins zu kämpfen. So schreibt sie etwa über die konfliktreiche Beziehung zu ihrem reformwütigen Sohn Joseph (seit 1765 Kaiser und Mitregent), am 10. Januar 1771 an Marquise de Herzelle:
»Lediglich um den Anschein aufrecht zu erhalten, speisen wir noch gemeinsam. Sogar die Amtsgeschäfte werden getrennt erledigt. […] Ich habe mehrmals darüber Beschwerde erhoben, aber nichts erreicht.«1
Den schönsten und zudem dauerhaftesten Schein verbreitet aber auch ihr Titel als Kaiserin, den sie ab 1745 in offiziellen Dekreten verwendete, nachdem ihr Gemahl am 4. Oktober 1745 in der Frankfurter Bartholomäuskirche zum römisch-deutschen Kaiser Franz I. gekrönt wurde. Dabei war sie so wenig Kaiserin des römisch-deutschen Reiches wie Beethoven und Mozart Österreicher waren. Die Puristen unter den Historikern haben daher völlig Recht, denn sie war Königin von Ungarn und Böhmen und mehrfache Erzherzogin, Markgräfin etc., Kaiser war ihr Gemahl Franz Stephan von Lothringen und nach dessen Tod 1765 ihr Sohn Joseph. Aber jeder in Europa wusste um die wahren Verhältnisse am Wiener Hof Bescheid, an dem Franz Stephan eine ähnliche Rolle zukam wie sie derzeit Prinz Philipp in England innehat. Und wohl hätte auch Joseph das Schicksal des ewig im Schatten seiner Mutter stehenden Prinzen Charles geblüht, wäre er nicht zuvor Kaiser geworden. Die vox populi, die Stimme des Volkes, sah sie hingegen stets als Kaiserin – und das blieb sie ungeachtet aller Einwände bis heute.
Als beherzte Politikerin, Erzieherin und Mutter hat sie ein markantes Profil entwickelt und im Bedarfsfall auch ihre Meinungen mit Hartnäckigkeit verteidigt. Sie zeigte sich auf vielen Ebenen als resolute Persönlichkeit. Dabei kam ihr wohl jener Hang zur Gründlichkeit zugute, mit dem sie ihr eigenes Leben und das ihrer Familie managte. Dies zeigt ein eigenhändig geschriebenes Zettelchen, das sich nach ihrem Tod in einem ihrer Gebetbücher fand und auf dem sie ihr Leben an der Seite des geliebten Gemahls kurz, liebevoll und akribisch erfasste:
»Kayser franciscus mein gemahl hat gelebt 56 jahr, 8 Monat, 10 tage, ist den 18 augusti 1765 gestorben halb 10 Uhr Abends. Hat also gelebt monate 680, wochen 2958 ½, täge 20778, stunden 496992. mein glickhlicher ehestand ware 29 jahr, 6 monath, 6 täghe, umb die nembliche stund, als ihme die hand gegeben, auch an einem Sonntag, ist er mir plötzlich entrissen worden, macht also jähr 29, monat 335, wochen 1540, täge 10781, stunden 258744 […] So ville pater noster, ave, requiem, gloria zu betten oder so vill almosen geben.«2
Es sind, um mit Oscar Wilde zu sprechen, »Persönlichkeiten, nicht Prinzipien«, die »die Zeit in Bewegung bringen«. Ins gleiche Horn blies auch der Satiriker Karl Kraus: »Gute Ansichten sind wertlos. Es kommt darauf an, wer sie hat.« Bei vielen Regenten scheint es so, als würde das Amt oder die auferlegte Würde die Persönlichkeit des Menschen dahinter ersticken. Nicht so bei Maria Theresia – die uns durch ihre oft tief gehenden Briefe, ihre heiteren Anekdoten und ihr im Grunde schnörkelloses Naturell wie kaum eine andere historische Persönlichkeit der österreichischen Geschichte präsent geblieben ist. So sah sie etwa die Dichterin Gertrud Fussenegger, deren eigene Wurzeln noch in dieses habsburgische Altösterreich zurückreichen (geb. 1912), als »eine in helles Licht getauchte Gestalt, eine Frau, bald in goldenen Prunkgewändern, bald in fahler, grauer oder schwärzlicher Witwentracht, Maria Theresia, uns immer noch nah, unserer Vorstellung greifbar, beinahe gegenwärtig, ein Mensch wie wir. Wieso kommt es, daß sie sich nicht wie ihre Vorfahren, wie noch ihr Vater und die meisten ihrer Zeitgenossen von uns entfernt hat? Was hält sie noch immer in unserer Vorstellungswelt fest? Ihr Schicksal, ihre Menschlichkeit, ihre Mütterlichkeit? Oder ihre Tapferkeit, ihr unbeugsames mütterliches Herz?«3
Das mag unter anderem an den vielen überlieferten Briefen Maria Theresias liegen, in denen nicht nur die große Weltpolitik des Hauses Habsburg anklingt, die sich über weite Strecken u. a. als fein gesponnene Heiratspolitik liest, sondern in denen sich auch die kleinen Humoresken und Dramolette des Alltags abbilden – wenn Maria Theresia z. B. angesichts größeren Familienbesuchs bereits etwas in Panik gerät:
»Ich finde es überaus nett und amüsant, wenn alle zwei Paare gemeinsam hier eintreffen, muss aber zugeben, dass dies für mein Herz fast zuviel auf einmal ist, die Mimerl und ihr Liebster werden eben den Kürzeren ziehen. Ich habe alle Hände voll damit zu tun, Euch alle einzuquartieren, und es wird Euch in meinen Zimmern besser gefallen als letztes Jahr, zudem gleich daneben, da ich für mich die Zimmer unten beibehalten habe. Ich freue mich schon jetzt sehr, Euch beim Reiten zuzusehen.« (Aus einem Brief an ihre Lieblingstochter Marie Christine vom 13. Juni 1776)
So stehen uns denn viele Facetten Maria Theresias vor Augen: als behäbige, leutselige Landesherrin im Zuckerguss, als unerbittliche Erzieherin und Regentin, die mit ihren konservativen Ansichten bereits bei ihren eigenen Kindern scheitern musste, oder als empfindsame Gattin und Mutter, die sich abseits von Protokoll und Etikett als feinfühlende, verletzliche und zuweilen larmoyante Frau präsentiert – mit Einwänden, Rücksichten, Bedenken und Zweifeln, wie sie auch uns bisweilen zu schaffen machen. Vielleicht liegt gerade darin das Geheimnis ihrer ungebrochenen Popularität, vor allem auch, weil sie dabei mit Selbstkritik und Selbstironie nicht hinterm Berg hält und uns so menschlich nahe kommt. Sie selbst hat es einmal in einem Brief in deftig-österreichischer Manier auf den Punkt gebracht, als sie über sich selbst meinte:
»Unkraut verdirbt nicht.« (Brief an Feldmarschall Lacy vom 27. 1. 1771)
Maria Theresias Profil ist bis heute kaum verblasst, wie ihr ungebrochener Nachruhm über mehr als 230 Jahre eindrucksvoll bestätigt, wenn sich auch die Gewichtungen ein wenig verlagert haben. Die vorwiegend männliche Geschichtsschreibung hat sie über Jahrhunderte als Ausnahmetalent gefeiert, aber eben auch an der Männerwelt gemessen, wie dies u. a. aus Anton Zieglers Eloge in seiner 1838 erschienenen »Gallerie aus der Österreichischen Vaterlandsgeschichte« hervorgeht: »Maria Theresia, von ihrer tugendhaften Mutter unterrichtet, zeigte schon in ihrer frühesten Jugend solch’ erhabene Eigenschaften, wodurch sich nur große Männer auszeichnen. […] So war Maria Theresia eine der größten Frauen, deren Häupter Kronen geschmückt hatten. Unter Stürmen und Drangsalen hatte sie ihre Regierung begonnen; die folgende lange Reihe der Jahre verfloss – den siebenjährigen Krieg mit Preußen ausgenommen – unter den wohlthätigen segnenden Beschäftigungen des Friedens […]«4
Trotz all der zeitbezogenen Widersprüche und Brüche, an denen auch wir heute – wenngleich unter anderen gesellschaftlichen Vorzeichen – laborieren, schimmert gerade in den Briefen ihr bodenständiges Naturell durch, das auch noch in Zeiten politischer und menschlicher Bedrängnisse Würde ausstrahlt und so exemplarische Züge erhält. »Man muss Opfer bringen«, ließ daher Michaela Ronzoni die Darstellerin der Maria Theresia im 2007 in Wien uraufgeführten Musical »Die Habsburgischen« lamentieren. Dazu war sie tatsächlich als Landesherrin, aber auch als Gattin, Mutter und Erzieherin oft genug gezwungen. Als größtes Opfer müssen wir wohl ihre Bereitschaft sehen, das schwere Erbe nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters Karl VI. anzutreten, der am 20. Oktober 1740 viel zu früh mit 55 Jahren gestorben ist, ohne für männlichen Nachwuchs zu sorgen. Maria Theresias einziger Bruder, der am 13. April 1716 geborene Leopold Johann, war nach wenigen Monaten, am 4. November 1716, gestorben.
»Man hat’s nicht leicht mit dem Zeugungsdruck«, stöhnt daher auch der derart in Bedrängnis geratene Kaiser Karl VI. im erwähnten Musical, um dann diesem Problem ein eigenes Lied mit der schrillen Intro zu widmen: »Oh...