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E-Book

Märchen, die den Kindern helfen

Geschichten gegen Angst und Aggression, und was man beim Vorlesen wissen sollte

AutorGerlinde Ortner
VerlagVerlag Orac im Kremayr & Scheriau Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783701505760
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Märchen und Geschichten zur Therapie kindlicher Verhaltensstörungen heranzuziehen, entspricht den Neigungen und Bedürfnissen des Kindes. Denn Kinder lieben Märchen, und sie können aus ihnen lernen. Wie die Helden der Geschichten lernt das Kind, Schwierigkeiten zu überwinden, Ängste abzubauen, Probleme zu lösen. Da ist zum Beispiel Martin, der auf seiner Traumreise zu den Zwerghunden seine Angst vor Hunden ablegt. Oder Vera, die im Durcheinanderland der Schlamper Ordnung halten lernt. Das Katzenkind Liesi entdeckt, wie schädlich das Nägelbeißen für gesunde Katzen ist, der Prinzessin Hosenass verhilft eine Wunderblume zu einem trockenen Bett. Völlig ohne Zwang wird das Kind durch die Märchen zu einer Änderung seines Verhaltens motiviert. Dabei ist jedem der über zwanzig behandelten Probleme eine Geschichte gewidmet. Um die Anregungen in die Praxis umsetzen zu können, benötigt das Kind die Hilfe und Anleitung von Erwachsenen. Was Eltern dazu wissen müssen, erfahren sie in der Einleitung und den Kommentaren im Anschluss an die Geschichten.

Gerlinde Ortner ist Kinder- und Jugendpsychologin, erst in Beratungsstellen der Stadt Wien, nach zweijähriger Tätigkeit als Psychologin an einer Universitätsklinik leitete sie eine Schule in Spanien. Derzeit führt sie in Wien eine Privatpraxis. Zahlreiche Buchpublikationen.

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Leseprobe

Voraussetzungen für Verhaltensveränderung


Es gibt gewisse Erziehungsnormen, die während der gesamten Entwicklung des Kindes Gültigkeit haben. Die folgenden Tipps und Richtlinien sollen Ihnen helfen, Erziehungsfehler zu vermeiden und damit Verhaltens­problemen Ihres Kindes vorzubeugen.

Sie wissen zumeist, was Sie dem Kind erlauben, was Sie ihm untersagen müssen, Sie haben bestimmte Vorstellungen und Ziele, die Sie in der Erziehung Ihres Kindes verwirklichen wollen. Sie kennen Ihr Kind in all seinen Stärken und in all seinen Schwächen. Sie bemühen sich, dem Kind die günstigsten Voraussetzungen zu bieten, Sie meinen es bei all Ihren Interventionen sicher gut und wollen das Beste für Ihr Kind. Dennoch sind Konflikte, Verhaltens- und Kontaktprobleme nicht immer zu verhindern. Kinder werden oft gefühlsmäßig überfordert und in ihrem Empfinden allein gelassen – sei es nun aufgrund einer schwierigen familiären oder einer veränderten sozialen Situation, sei es aufgrund von ungewollt mangelndem Verständnis seitens der Eltern oder anderer Bezugspersonen.

Die Erziehung sollte nur in zweiter Linie aus Geboten, Verboten, Richtlinien und Leistungsforderungen bestehen. Das Hauptaugenmerk einer guten Erziehung muss auf die seelische Stabilität des Kindes, auf den Aufbau des Selbstwertgefühls, der sozialen Kompetenz gerichtet werden. Erst auf dieser Basis ist es dem Kind möglich, den Erziehungsrichtlinien Folge zu leisten.

Wie bewirken Sie beim Kind eine gute seelische Sta­bilität? Es gilt, den seelischen Grundbedürfnissen, die jeder Mensch (also auch SIE!) hat, zu entsprechen: ernst genommen, verstanden und geschätzt zu werden! Das bedeutet, dass Sie bei Ihrem Kind zuerst einmal zwischen „Verhalten“ und „Sein“ unterscheiden müssen. Viele ­Eltern begehen den Fehler, ihre liebevolle Zuwendung vom erwünschten Verhalten ihres Kindes abhängig zu machen. „Ich kann das Kind doch nicht loben, wenn es sich falsch verhält!“, ist oft das zynisch gebrachte Gegenargument. Kein vernünftiger Mensch erwartet von Ihnen, dass Sie das Kind für unangepasstes Verhalten belohnen. Aber Sie dürfen dem Kind auch keine bösen Absichten unterstellen. Kein normales Kind verhält sich negativ, ohne dass dieses Verhalten durch eine ­Ursache (seelische Konflikte, Gefühlslasten, Unsicherheit …) bedingt oder durch Modelllernen sowie Elternreaktionen verstärkt und somit aufrechterhalten worden ist.

Wenn sich das Kind also negativ verhält, so ist es deshalb nicht negativ – eine Aussage, die jedem klar ist. Dennoch erziehen viele Eltern ihr Kind entgegen dieser simplen Tatsache, sie setzen „Verhalten“ mit „Sein“ gleich.

Durch diesen Fehlschluss scheint es auch vielen Eltern so schwer zu fallen, ihrem Kind Vertrauen zu schenken. Wem sonst im Leben sollten Sie vertrauen dürfen als Ihrem eigenen Kind?! Bevor Sie Zweifel anmelden, möch­te ich daran erinnern, dass ich nicht vom Verhalten spreche. Bei keinem Menschen, nicht einmal bei mir selbst, würde ich dem Verhalten Vorschuss-Vertrau­en schenken. Zu viele bewusste und unbewusste seelische Vorgänge, Gefühlsregungen, äußere Bedingungen, soziales Geschehen usw. beeinflussen das Verhalten.

So ist zum Beispiel die Aggression ein durchaus negatives Verhalten; ihr Seelenhintergrund, die emotionalen Vorgänge hingegen, sind für mich zum Teil sogar schätzenswert! Keine Sorge, ich breche damit nicht eine Lanze für die Aggression. Ich möchte nur aufzeigen, wie wichtig es ist, hinter die Kulisse eines Verhaltens zu schauen. Es gilt, sich zuerst mit den inneren Vorgängen auseinander zu setzen und dann erst das Verhalten zu beurteilen.

Was steckt also sehr häufig hinter der Aggression? Empfindsamkeit, Unsicherheit, das Unvermögen, mit Konflikten umzugehen, geringe Frustrationstoleranz, Verletzt-, Gekränkt-, Enttäuscht-Sein, sich einer Situation gegenüber ohnmächtig, sich angegriffen, abgelehnt, einsam zu fühlen. Ein Gefühlsstau, ein innerer Überdruck, der sich entladen muss.

Welche Bedürfnisse liegen diesem Empfinden zugrun­de? Das Bedürfnis nach Wertschätzung, danach, ernst genommen zu werden, nach verständnis- und liebevoller Zuwendung. Also die Grundbedürfnisse aller Menschen, ohne deren Erfüllung keine innere Stabilität zu erreichen ist.

Das heißt natürlich nicht, dass jeder, dessen Grund­bedürfnisse nicht erfüllt werden, aggressiv reagiert oder gar den Freibrief für Aggression erhalten soll. Soziale Unsicherheit, ängstliches oder verschlossenes Verhalten sind die logischer erscheinenden Konsequenzen feh­lender innerer Stabilität und mangelnden Selbstwertgefühls. Ob gehemmtes oder aggressives Verhalten zu einer typischen Reaktionsweise auf äußere und innere Konflikte wird, hängt sehr wohl von der Erziehung (Verstärkung und somit „Belohnung“ des Verhaltens durch Beachtung und Zuwendung, keine erlernten Verhaltensalternativen) und von sozialen Mustern (Modell-Lernen) ab. Weiters wirkt sich aggressives Reagieren oft als unmittelbares Erfolgserlebnis aus, weil man damit das erwünschte Ziel erreicht (man steht im Mittelpunkt, andere geben nach, man flößt „Respekt“ ein, man kann sich entladen …). Das verstärkt dieses Verhalten. Beim Ängstlichen hingegen wirkt das Vermeiden belastender Situationen verstärkend auf die Inkompetenz.

Sie können nur zielführend gegen ein Verhalten vorgehen, wenn Sie zuerst seine psychischen Hintergründe erfasst haben und dadurch das „Sein“ des Betreffenden verstehen lernen.

Wenn Sie Unarten, unangepasstes Verhalten des Kindes ändern wollen, dann richten Sie sich nach den Lehr­sätzen: Das Kind will um jeden Preis beachtet werden – lieber in negativer Weise als gar nicht! Jede Art von Zuwendung (egal, ob positiv oder negativ!), die sofort auf ein bestimmtes Verhalten des Kindes erfolgt, bewirkt, dass dieses Verhalten häufiger auftritt! Zuwendung (ermahnen, loben, kritisieren, gut zureden) und somit beachtet werden wirkt belohnend. Über die Zuwendung erhält das Kind auch seinen sozialen Stellenwert, der für die Orientierung der Persönlichkeit, für das Selbstwertgefühl – wie jeder Erwachsene aus eigener Erfahrung weiß – vonnöten ist. Deshalb holt sich auch ein Kind, das seitens der Eltern ausreichend gelobt wird, oft durch unangepasstes Verhalten die Bestätigung seines Stellenwertes, im Sinne von: „Ich kann etwas bewirken, ich kann mich, wann immer ich möchte, ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken.“

Die richtige Erziehungs-Alternative: Beziehen Sie sich anerkennend auf ein bereits gezeigtes erwünschtes Verhalten des Kindes, auf positive Erfahrungswerte. Äußern Sie sich wertschätzend über das Kind, geben Sie dadurch Vertrauensvorschuss („…weil du so und so tüchtig, stark, liebevoll …bist, weiß ich, dass du mich sicher nicht enttäuschen, nicht traurig machen, etwas zerstören, unterlassen…hast wollen. Du schaffst es ganz gewiss, dich so und so zu verhalten, denn du bist doch tüchtig, stark, liebevoll …“) Erst dann, falls erforderlich, instruieren Sie das Kind, warum das Fehlverhalten abzulehnen ist, und demonstrieren Sie ihm – falls erforderlich –, welche Konsequenzen daraus entstehen (z. B. Entzug von Vergünstigungen, von Zuwendung – nicht aber von Liebe!).

Bedenken Sie: Kaum jemand, vermutlich auch nicht Sie, ist durch abwertende Kritik, durch Ablehnung und Aburteilen zu motivieren, sein Verhalten zu ändern! Stärken und stabilisieren Sie Ihr Kind durch Anerkennung. Anerkennung hat nichts mit Verzärteln und Lobhudelei zu tun. Anerkennung, im Sinne eines positiven Feedbacks (einer positiven Rückmeldung) sollte dem Kind nach folgenden Punkten (so oft wie möglich!) vermittelt werden:

• Beziehen Sie sich auf eine konkrete Situation, beschreiben Sie diese kurz.

• Sagen Sie, was Sie bei Ihrem Kind beobachtet haben, was Ihnen positiv aufgefallen ist und was das Ihres Erachtens über das Kind, über seine Qualitäten, Fähigkeiten, guten Eigenschaften aussagt.

• Betonen Sie Ihr Empfinden und was diese Erkenntnis für Sie persönlich bedeutet. Heben Sie damit Ihre innige Beziehung zum Kind hervor.

Allein durch die Anerkennung erfüllen Sie die bereits ­genannten wesentlichen Grundbedürfnisse jedes Menschen: ernst genommen und geschätzt werden! Jetzt gilt es noch, sich im Verstehen des Kindes zu üben. Die Vo­raussetzung dafür kennen Sie bereits: die Fähigkeit, zwischen „Verhalten“ und „Sein“ zu unterscheiden, die seelischen Vorgänge, die Gefühle des Kindes zu erkennen und diese verständnisvoll anzusprechen. Damit ist nicht einer der üblichen Sätze gemeint wie „Ich versteh’ ja, dass du dich … fühlst, aber du musst doch einsehen, dass …“ Dem Kind etwas aus- oder einzureden, es in ­seinem Empfinden nicht ernst zu nehmen, ist weit vom wirklichen Verstehen des Kindes entfernt.

Gerade Gefühle betreffend ist es äußerst wichtig, offen miteinander zu reden. Sie stechen damit weder in ein Wespennest, noch reißen Sie damit eine Wunde auf. Der beste Trost ist, verstanden zu werden! Und das gelingt nur, wenn die Gefühle des anderen erkannt und ernst genommen werden.

Wenn Sie selbst sehr traurig sind: Wollen Sie, dass man Ihnen Ihr Empfinden ausredet, es Ihnen untersagt, es bagatellisiert, Sie in Frage stellt? Sicher nicht! Die ­üblichen Reaktionen („So schlimm ist das ja gar nicht“, „Reiß dich zusammen“, „Lenk dich ab, steigere dich nicht so hinein“, „Es wird schon wieder“, „Es gibt Tragischeres“ usw.) machen Sie wahrscheinlich noch trauriger, im besten Fall wütend.

Nur das Annehmen, das Bejahen des Gefühls (ohne es zu dramatisieren) durch die simpelste,...

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