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E-Book

Matthias Erzberger

Ein Leben für die Demokratie

AutorChristopher Dowe
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783170233089
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Matthias Erzberger war einer der wichtigsten deutschen Politiker am Übergang vom obrigkeitsstaatlichen Kaiserreich zur Weimarer Republik. Eine steile politische Karriere führte ihn aus einfachen katholischen Verhältnissen bis hin zur Vizekanzlerschaft. Sein Kampf gegen Missstände in den deutschen Kolonien und sein Einsatz für mehr Rechte des Reichstags führten zu zahllosen Anfeindungen. Seine Unterschrift unter den Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs und sein kompromissloses Eintreten für die Weimarer Republik verstärkten den Hass auf diesen Wegbreiter der deutschen Demokratie, der als 'meistgehasster' Politiker der Weimarer Republik 1921 ermordet wurde.

Dr. Christopher Dowe arbeitet am Haus der Geschichte Baden-Württemberg und ist Kurator der Ausstellung in Erzbergers Geburtshaus in Münsingen-Buttenhausen.

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Leseprobe

Umkämpfte Erinnerung


Wer war Matthias Erzberger? Mit dieser Frage konfrontierte das Haus der Geschichte Baden-Württemberg im Sommer 2004 Passanten in Stuttgart und Münsingen, zu dem Erzbergers Geburtsort Buttenhausen heute gehört. Ziel war es, kurz bevor für Matthias Erzberger (1875–1921) in seinem Elternhaus auf der Schwäbischen Alb eine Erinnerungsstätte eröffnet wurde, Äußerungen über diesen Wegbereiter der Demokratie zu sammeln.

Abb. 1: Matthias Erzberger vor 1918.

Viele konnten mit dem Namen Erzberger überhaupt nichts anfangen. Andere stellten Verbindungen zum Ende des Ersten Weltkrieges und der Unterzeichnung des Waffenstillstandes von Compiègne her und wussten, dass Erzberger zu Beginn der Weimarer Republik von rechten Kreisen bei Bad Griesbach im Schwarzwald ermordet wurde. Dass Erzberger einer der bedeutendsten Finanzreformer der deutschen Geschichte war, nannte keiner der Befragten. Die Interviewer erhielten aber auch ganz ausgefallene Antworten. Ein älterer Herr erklärte, selbstverständlich kenne er Erzberger. Das sei doch „der Jude aus Buttenhausen, der ist 1936 nach Amerika emigriert, der Rest seiner Familie hat’s wohl nicht geschafft, die Nazis haben sie dann umgebracht!“

Auch wenn diese Antwort ebenso falsch war wie die Umfrage nicht repräsentativ, so spiegelten sich doch selbst in dieser Äußerung unterschiedliche Schichten der wechselvollen Erinnerung an diesen 1921 ermordeten Wegbereiter der Demokratie in Deutschland, der einer der umstrittensten Politiker seiner Zeit war.

Abb. 2: Eine schwäbische Nudelfirma warb bis zum Zusammenbruch in der Weltwirtschaftskrise mit dem Porträt Erzbergers.

De mortuis nihil nisi bene – dieses „geflügelte Wort“, nachdem nicht schlecht über Tote zu sprechen ist, galt für die Erinnerung an Matthias Erzberger nicht. Vielmehr schrieben sich die tiefen Verwerfungen der deutschen Gesellschaft nach dem Ersten Weltkrieg und die politische Polarisierung zwischen rechten und linken Gegnern der Demokratie sowie Befürwortern der Weimarer Republik in die Deutungen des ermordeten Zentrumspolitikers ein und prägten die Erinnerung an Erzberger bis ins 21. Jahrhundert. So sollte der erste Erzberger-Biograf, der württembergische Zentrumspolitiker Ernst Bauer, damit recht behalten, wenn er 1925 seinem kleinen Büchlein die Verse „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte“ aus dem Prolog von Schillers Wallenstein voranstellte.

Schon für die ersten Reaktionen auf die Ermordung Erzbergers gilt diese Einschätzung Bauers. Denn das Attentat löste auf der Rechten bis in die Mitte der Gesellschaft hinein Jubel aus, während bei der demokratischen Mitte und auf der Linken Empörung und Entsetzen vorherrschten. Diese Polarisierung hielt sich auch in den folgenden Jahren.

Bei den positiven Deutungen Erzbergers lassen sich für die Zeit der Weimarer Republik eine stark kirchlich-religiöse und eine politisch-republikanische Ausformung unterscheiden. Im Zentrum der Erinnerungskultur, die sich spezifisch katholischer Formen bediente, standen Erzbergers Sterbestelle bei Bad Griesbach und sein Grab in Biberach. Noch am offenen Grab Erzbergers hatten die badische und die württembergische Zentrumspartei gemeinsam dazu aufgerufen, „der Väter frommer Sitte folgend“, „an der Opferstelle, an welcher unser Erzberger als politischer Märthyrer [sic] sein Blut für unsere Ideale vergossen hat“, eine schlichte Sühnekapelle zu erbauen. Ander Tanne, „unter deren Aesten er sein Leben aushauchte“, sollte ein Marterl, ein Bildstock, errichtet und jedes Jahr am Todestag Erzbergers ein Seelenamt in Griesbach gefeiert werden. Das Marterl konnte innerhalb weniger Wochen fertiggestellt werden. An ihm versammelten sich jedes Jahr an Erzbergers Todestag Mitglieder der badischen Zentrumspartei und gedachten seiner. Ein Requiem rundete die jeweiligen Veranstaltungen kirchlich ab.

Der ebenfalls geplante Bau einer Kapelle zog sich hingegen hin, hatte doch die Hyperinflation 1923 die gesammelten Spendengelder entwertet. Im Jahr 1929 wurde ein neuer Anlauf unternommen, um den Plan in die Tat umzusetzen. Führende Zentrumspolitiker wie die ehemaligen Reichskanzler Wilhelm Marx und Joseph Wirth unterzeichneten einen neuerlichen Spendenaufruf. Am 20. September 1931, dem Geburtstag Erzbergers, konnte der Neubau feierlich geweiht werden, der „der Sühne für [die] furchtbare Tat, dem Gebet für die Seelenruhe des Ermordeten und dem Frieden der Menschen mit Gott und unter sich“ dienen sollte. Nach Maria als Königin des Friedens Regina Pacis-Kapelle genannt, erinnerte sie daran, dass sich Erzberger im Ersten Weltkrieg für einen Verständigungsfrieden eingesetzt, mit dem Waffenstillstand von Compiègne den Krieg beendet, sich während der Revolution 1918/19 für ein Ende des Bürgerkriegs eingesetzt und die Idee eines Völkerbundes verbreitet hatte.

Auch wenn die Erinnerung an Erzberger in Bad Griesbach politische Botschaften enthielt, so blieb sie doch religiös-transzendental eingebettet. Dies stellte für gläubige Katholiken eine Selbstverständlichkeit dar und bot manchem katholischen Gegner Erzbergers die Möglichkeit, sich trotz vergangener Konflikte am Totengedenken zu beteiligen. Für Protestanten wie für nicht kirchlich Gebundene bedeuteten diese Erinnerungsformen jedoch etwas Fremdes und hatten ausgrenzende Wirkung.

Ähnliches galt für Biberach. Hier war Erzberger in einem Ehrengrab beigesetzt worden, das seit 1922 ein großes Grabmal zierte. Jährlich kamen Zentrumsvertreter aus der Reichstagsfraktion und dem württembergischen Landtag zu Erzbergers Todestag bei einem Requiem zusammen, legten Kränze am Grab nieder und erinnerten in Reden an den Ermordeten. Während Bad Griesbach der badische Erzberger-Erinnerungsort der 1920er Jahre war, besaß Biberach diese Funktion für Württemberg.

Die politisch-republikanische Erzberger-Erinnerungskultur war weniger stark ortsgebunden und wurde vor allem vom linken, d. h. republikanischen Flügel des politischen Katholizismus und der Sozialdemokratie getragen. Erzberger war dieser Deutung zufolge Vorkämpfer eines neuen demokratischen Deutschland und Märtyrer der angefeindeten Weimarer Republik.

Wenn Erzberger als Opfer der politischen Rechten, „der Reaktion“, gedeutet wurde, schlossen sich manchmal sogar Kommunisten diesem Erinnern an, auch wenn die KPD das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche System der Weimarer Republik bekämpfte.

Die politisch-republikanische Erinnerung an Erzberger fand ihren Ausdruck in unzähligen Reden und Publikationen im Umfeld von Erzbergers Todestag. Auch die erste Erzberger-Biografie ist hier einzuordnen, war sie doch 1925 auf Anregung des württembergischen Landesverbands der Windthorstbünde, der Jugendorganisation der Zentrumspartei, entstanden.

Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold

Sozialdemokraten, Linksliberale und Mitglieder der Zentrumspartei gründeten 1924 diese Schutzorganisation zur Verteidigung der Weimarer Republik, der 1932 mehr als drei Millionen Mitglieder angehörten und die die Demokratie gegen Angriffe von rechts und links verteidigen sollte.

Das 1924 gegründete Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold entwickelte sich in kurzer Zeit zu einem der wichtigen Träger einer republikanischen Erinnerungskultur, die Matthias Erzberger, Friedrich Ebert und Walther Rathenau als „Märtyrern der Republik“ gewidmet war.

Die drei Politiker standen für die politischen Kräfte, die das Reichsbanner trugen. Der Sozialdemokrat und erste Reichspräsident Friedrich Ebert hatte sich in seinem Einsatz für die junge Demokratie aufgeopfert und über die Abwehr rechter Hetze eine Operation so lange verschoben, bis er überraschend starb. Der liberale Politiker und Reichsaußenminister Walther Rathenau und der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger waren als Repräsentanten der neuen politischen Ordnung von nationalen Kreisen ermordet worden, die mit diesen Attentaten, aber auch mit Putschversuchen die junge Demokratie zu zerstören suchten. Erinnerung und politischer Auftrag waren für die Reichsbanner-Mitglieder aufs engste verbunden, wie 1926 der Festredner bei einer Veranstaltung an Erzbergers Grab in Biberach betonte, wenn er mit Blick auf den Zentrumspolitiker ausführte: „Wir Republikaner ehren sein Andenken am besten, wenn wir, wie er, unerschrocken für eine freie, soziale, demokratische Republik weiterkämpfen.“ An zehn eigens für diese „republikanische Trias“ errichteten Denkmälern fanden regelmäßig Veranstaltungen statt und gaben der republikanischen Erinnerungskultur im öffentlichen Raum Ausdruck. Auch am Geburtshaus Erzbergers brachte das Reichsbanner 1927 eine Erinnerungstafel an.

Diesen Bemühungen um eine positive Erinnerung an Erzberger stand eine weit einflussreichere Geschichtspolitik der rechten Feinde der Weimarer Republik gegenüber, die bis weit in die Mitte der Gesellschaft auf Akzeptanz stieß und in mehrfacher Hinsicht Bezug auf Erzberger nahm.

Der Wegbereiter der deutschen Demokratie hatte seinen festen Platz in den Erzählungen der „Dolchstoßlegende“, mit denen Vertreter der alten Eliten und andere Mitglieder der völkisch-nationalen Szene die militärische Niederlage Deutschlands leugneten und die Schuld für den Kriegsausgang denen in die Schuhe schoben, die sich gegen deutsche Weltmachtsphantasien ausgesprochen hatten und für die Demokratie eintraten. Zu denjenigen, die die angeblich im Felde unbesiegten deutschen Soldaten verraten (von hinten „erdolcht“) haben sollten, zählten die nationalen Kreise neben sozialdemokratischen und kommunistischen...

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