3. Curriculare Konzeptionen
In diesem Kapitel sollen Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule unter der Frage in den Blick genommen werden, welche curricularen Bezugspunkte sie für die Medienerziehung aufweisen. Es soll analysiert werden, inwieweit die bisher gültigen sowie auch die neuen Bildungspläne in Nordrhein-Westfalen Hinweise auf medienerzieherisch relevante Unterrichtsinhalte enthalten.
In Deutschland werden bildungspolitische Perspektiventwicklungen und Entscheidungen von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der 16 Bundesländer (KMK) beschlossen. Die Vorarbeiten werden von Kommissionen erledigt, zu denen unter anderem auch die Bund-Länder-Kommission (BLK) gehört. Diesen Gremien kommt eine Richtlinienkompetenz zu, welche die einzelnen Bundesländer zur Umsetzung verpflichtet, unter Wahrung ihrer Kulturhoheit.[41]
Die Bezeichnung Curriculum ist überall in der Welt gebräuchlich und wurde in Deutschland seit der Curriculumdiskussion in den 60er Jahren bekannt. Jedoch wird er wenig gebraucht; demgegenüber werden die Begriffe Lehrplan und Lehrplanentwurf verwendet, in denen Ziele, Inhalte, Methoden und Medien für den Unterricht in den unterschiedlichen Schularten für die einzelnen Fächer und Klassenstufen vom Bundesland verbindlich vorgegeben sind.[42]
Die neuen Medien können nur dann in den Bildungsauftrag der Schule integriert werden, wenn entsprechende curriculare Konzeptionen entwickelt werden. Curricula sind offen, d.h. sie müssen von den Lehrenden interpretiert und auf die aktuelle Situation bezogen werden. Wie in der bildungstheoretischen Didaktik setzt die Auswahl der Ziele, Inhalte, Methoden und Medien von Curricula Werteentscheidungen voraus, die in einem qualitativ bestimmten Verständnis von Bildung begründet sind.[43]
3.1. Zur Integration der neuen Medien in Schule und Unterricht
Seit Mitte der 90er Jahre zeichnet sich eine neue Phase des Integrationsprozesses der neuen Medien in Schule und Unterricht ab. Kennzeichnend für diese Phase ist die Verschiebung der Aufmerksamkeit auf die elektronischen Medien, insbesondere auf Computer und Internet. Dabei gibt es unter anderem ein bildungspolitisches Dokument, dass für diese Phase einleitend ist, nämlich die Stellungnahme der Ständigen Konferenz der Kultusminister über „Neue Medien und Telekommunikation im Bildungswesen der Bundesrepublik Deutschland“ von 1997.
Der Beschluss der Kultusministerkonferenz bezieht sich auf die Definition und Rolle der Neuen Medien im Unterricht. Daneben werden den Inhalt betreffende Richtlinien für die Nutzung formuliert; so heißt es dort:[44]
„Zukünftiges Leben in einer von Medien dominierten Welt ist verantwortlich, selbstbestimmt und selbstbewusst nur mit differenzierten Kenntnissen der grundlegenden Sachverhalte möglich. Eine gezielte Aufnahme in den Bildungskanon ist deshalb unerläßlich“.[45]
Erstmals werden auch mediendidaktische Überlegungen formuliert, welche die Organisation des Unterrichts mit elektronischen Medien begründen. So wird beispielsweise erörtert, dass die mediendidaktischen und methodischen Möglichkeiten die Entwicklung neuer Formen des Lehrens und Lernens erforderlich machen, wie beispielsweise die Selbstorganisation des Wissens in multimedialen Lernumgebungen und kooperativem Lernen. Des weiteren wird die Notwendigkeit herausgestellt, dass eine mediendidaktische Integration der Neuen Medien in Lehr- und Lernprozessen nur dann gelingen kann, wenn bestimmte Bedingungen, wie z.B. die Schaffung einer informationstechnischen Infrastruktur in den Schulen oder die Einbeziehung von medienpädagogischen Lernfeldern in die bestehenden Richtlinien und Lehrpläne, geschaffen werden.[46]
Für die Medienerziehung in der Grundschule zeichnen sich vier Aufgabenbereiche ab:
1. Auswählen und Nutzen von Medienangeboten: Im Rahmen dieses Aufgabenbereiches sollen Kinder lernen, Medienangebote im Hinblick auf eigene Bedürfnisse funktionsabhängig auszuwählen und unter Abwägung von Handlungsalternativen sinngerecht zu nutzen. In der Grundschule sollte die Nutzung verschiedener Medienangebote für Unterhaltung, Informationen, Spielen und Lernen thematisiert werden.
2. Gestalten und Verbreiten eigener Medienbeiträge: Hierbei sollen Kinder lernen, eigene Aussagen medial zu vermitteln und dabei kommunikative Fähigkeiten weiterzuentwickeln. In diesem Zusammenhang kommen für die Grundschule Bilder / Fotos, Hörbeiträge und Druckerzeugnisse in Betracht. Außerdem können Gestaltungsversuche mit der Videokamera unternommen werden. Auf diesem Wege können sie die bloße Rezipientenrolle verlassen und selbst Öffentlichkeit herstellen.
3. Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen: Der Aufgabenbereich sieht vor, dass die Kinder lernen sollen, Mediengestaltungen angemessen zu verstehen und zu bewerten. In Bezug auf die Grundschule sollten sie befähigt werden, unterschiedliche Darstellungsformen, Gestaltungstechniken sowie Gestaltungsabsichten zu erkennen und erste Bewertungen vorzunehmen. Es geht also um das Unterscheiden von Nachricht und Kommentar, von Unterhaltung und Werbung und um das Kennenlernen verschiedener Gestaltungstechniken. Schließlich ist Ziel dieses Aufgabenbereiches die Unterscheidung und Einschätzung unterschiedlicher Gestaltungsarten und ihren spezifischen Möglichkeiten und Grenzen.
4. Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinflüssen: Die Kinder sollen sich bewusst machen, dass von Medien Einflüsse auf sie selbst und andere ausgehen. Das bedeutet für die Grundschule, dass sie die Gelegenheit bieten muss, Medieneinflüsse auf Gefühle, Vorstellungen und Verhaltensorientierungen zu thematisieren und aufzuarbeiten. Schließlich geht es in der Grundschule um erste Vorstellungen zu ökonomischen, institutionellen und gesellschaftlichen Bedingungen der Medienproduktion, Medienverbreitung und Medienrezeption.[47]
3.2. Analyse der Richtlinien und Lehrpläne
Kinder leben heutzutage in einer mediengeprägten Welt. Dabei dominieren medial vermittelte Anschauungen oftmals über die unmittelbaren, gegenständlichen Erfahrungen der Wirklichkeit. Daraus erwachsen speziell für die Grundschule veränderte Aufgaben und Möglichkeiten.[48]
Da die Lehrpläne der Grundschule aus dem Jahr mit einem gemeinsamen fachunabhängigen Einleitungsteil beginnen, sind die folgenden zwei medienpädagogischen Fundstellen aus den Richtlinien von 1985 für alle Fächer gleich:[49]
1.„In Familie, Schule und Freizeit und auch durch Medien werden oft unterschiedliche zum Teil konkurrierende Verhaltenserwartungen an Kinder gestellt, auch im Hinblick auf ihre Besonderheit als Mädchen oder Jungen. Die Schule muß deshalb in sinnvoll aufeinander bezogenem Zusammenwirken mit dem Elternhaus dafür Sorge tragen, daß die Kinder verläßliche Orientierungen aufbauen können.
Kinder erschließen sich ihre Wirklichkeit heute weniger als früher durch Eigentätigkeit und im zwischenmenschlichen Umgang. Ein großer Teil der Wirklichkeit wird ihnen durch Medien vermittelt, besonders durch das Fernsehen. Diese Veränderung bedeutet für die Kinder aber oft auch, daß sie weniger unmittelbare Erfahrungen machen. Der Grundschule stellt sich die Aufgabe, dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Sie muß sich verstärkt darum bemühen, vielfältige Möglichkeiten zu Eigentätigkeit und zwischenmenschlichem Umgang zu schaffen. Zugleich muß sie Orientierungshilfe zur kritischen Einschätzung der Medien und der durch sie vermittelten Gehalte geben und so dazu beitragen, daß die Kinder die Medienangebote sinnvoll nutzen lernen.“[50]
2.„Erziehender Unterricht fördert die Kinder so, daß sie in den vielfältig ineinandergreifenden Bereichen der Lebenswirklichkeit den Bereichen der Lebenswirklichkeit handlungsfähig werden: […] Sinnliche Wahrnehmung, Kunst, Ästhetik: Wirklichkeit differenziert wahrnehmen, deuten und gestalten; Medien und die durch sie vermittelten Gehalte einschätzen; […]“[51]
Aus den beiden Textstellen ergibt sich für alle Fächer der gleiche Bezugsrahmen: Konkurrierende Verhaltenserwartungen, die u.a. durch die Medien vermittelt werden, erfordern den Aufbau verlässlicher Orientierungen. Auf der einen Seite wird die Erweiterung des Erfahrungsbereiches durch Massenmedien, insbesondere das Fernsehen, angenommen, doch andererseits wird von der Abnahme der Eigentätigkeit und des zwischenmenschlichen Umgangs durch Medienkonsum ausgegangen. Demzufolge soll die Grundschule verstärkt Eigentätigkeit und zwischenmenschlichen Umgang ermöglichen sowie Orientierungshilfe zu Kritik und sinnvoller Nutzung der Medien geben....