MIT AYURVEDA BERGE VERSETZEN
(Foto: Miguel Dieterich)
EINIGE GEDANKEN VORWEG
Wenn Sie dieses Buch in Händen halten und begonnen haben darin zu lesen, dann sind sie bereits auf einem Weg. Ich gehe davon aus, dass Sie sich kritisch mit Ernährungsfragen auseinandersetzen, dass Sie sich bewusst ernähren, aber auch den lustvollen Aspekt des Essens nicht verschmähen. Sie möchten mehr über sich erfahren, mehr darüber, welche Bedeutung unsere Ernährung hat. Sie möchten Ihr Gewicht halten oder zum Wohlfühlgewicht dauerhaft zurückfinden. Sie wollen vital und gesund leben. Sie wissen bereits sehr viel, aber sie haben das Gefühl: „Irgendetwas fehlt mir noch“.
Nun, dann heiße ich Sie herzlich Willkommen und lade Sie ein, zu einem kleinen Ausflug in die Welt des Ayurveda. Dies soll nichts anderes sein, als ein Vorschlag und ein Modell für eine bewährte ganzheitliche Ernährungsund Lebensweise, die Ihnen hilft, ein Leben in körperlicher und geistiger Gesundheit und Vitalität zu führen.
Doch bevor Sie weiterlesen, nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit und besorgen Sie sich ein Blatt Papier. Notieren Sie in drei Spalten jeweils, was Sie besonders gerne essen, worauf Sie manchmal Heißhunger verspüren und was Sie so gar nicht essen mögen. Anschließend falten Sie den Zettel zusammen und legen ihn hinten ins Buch. Nachdem Sie diesen Einleitungsteil gelesen haben, ihren Stoffwechseltyp kennen und über die Wirkung verschiedener Nahrungsmittel Bescheid wissen, nehmen sie ihn wieder zur Hand und vergleichen ihn mit dem, was Sie über sich gelernt haben. Dieser kleine Test wird Ihnen hoffentlich zeigen, dass wir in puncto Ernährung Gott sei Dank noch nicht alle unsere Instinkte verloren haben. Doch manchmal klappt es eben doch und wir tun unbewusst Dinge, die tatsächlich richtig und gut für uns sind.
VOM REIZ DES GANZHEITLICHEN
Doch wo genau im Ayurveda liegt nun die Faszination für die Menschen des Westens. Ist es Indien, „my incredible India“, das Land der Farben, Räucherstäbchen, Elefanten und Gurus? Oder ist es die immer wieder gern beschworene Jahrtausende alte Tradition des Ayurveda? Aber rühmt sich der Westen nicht gerade seiner fortschrittlichen Medizin und Wissenschaft? Während der 300 Jahre andauernden Kolonialzeit hatten die Briten das Praktizieren des Ayurveda sogar verboten und als Entschädigung die Eisenbahn, Whiskey, die englische Sprache und die westliche Medizin eingeführt. Zum Glück hat Ayurveda in den Köpfen der Menschen überlebt!
Nun, nüchtern betrachtet und aller Exotik entkleidet, spielt wohl auch die Suche nach der Sinnhaftigkeit des Lebens eine Rolle, die die Menschen des „wohlhabenden“ Teils der Welt aus den unterschiedlichsten Gründen so sehr umtreibt. Und der Verlust an Vertrauen – Vertrauen in die Medizin, in die Nahrungsmittelindustrie, in die Politik. Vielleicht ist es aber auch nur das unbestimmte Gefühl ganz tief in unserem Inneren, das uns sagt: Hier stimmt etwas nicht, besser: Es fehlt etwas. Ja, es gibt diese Menschen, die es nicht verlernt haben, auf ihre innere Stimme zu hören. Und die eine Ahnung davon haben, dass nichts, was unsere Existenz betrifft, isoliert betrachten werden kann, da alles miteinander auf geheimnisvolle Art verbunden ist. Ayurveda ist ein ganzheitliches System, das alle Bereiche des Lebens betrifft und das alle Bereiche des Lebens miteinander verbindet. Auch das Verständnis von Krankheit unterscheidet sich in Folge dessen von dem der westlichen Auffassung.
OUT OF INDIA
Doch zurück nach Indien: Ich stamme aus Südindien und bin aufgewachsen in der ayurvedischen Tradition, ohne mir dessen bewusst zu sein. Ayurveda ist in meiner Familie Alltag. Täglich erlebbar, seit Generationen. Und niemand gerät darüber ins Staunen oder schüttelt den Kopf, wenn ich die Balance von Körper und Geist anspreche. Bevor ich also das erste Mal nach Europa gereist bin, hatte ich nie darüber nachgedacht, dass irgendetwas besonders an dem war, wie ich aufgewachsen bin. Zwölf Jahre ist das nun her und ich hatte mich bis dahin ausschließlich vegetarisch ernährt. Wie die meisten Inder, die sich das erste Mal nach Europa wagen, suchte ich damals verzweifelt nach einem Restaurant mit für mich verdaulichen und bekömmlichen vegetarischen Gerichten. Ein abenteuerliches Unterfangen. Am Anfang war das Essen für mich schlicht fade und geschmacklos. Und wenn man Chilisoße zu Rahmchampignons mit Semmelknödeln bestellt, riskiert man, im Restaurant Aufsehen zu erregen oder den Unmut des Kochs auf sich zu ziehen.
(Foto: Miguel Dieterich)
Also: Salate satt, Sandwich, Süßspeisen, Pommes Frites, Kuchen, Pasta und Pizza, Schokolade und Sahne. Langsam dämmerte mir, dass es in der traditionellen europäischen Küche kein rechtes Konzept einer ganzheitlichen oder gar vegetarischen Ernährung gab. Wäre da nicht die italienische Küche, hätte ich vermutlich schnell die Flinte ins Korn geworfen und zu indischen Fertiggerichten gegriffen. Dies hat sich zum Glück mittlerweile dank der Erlebnisgastronomie und unzähliger Fernreisender drastisch geändert.
Das Resultat der europäisch-vegetarischen Ernährung in Form von Kuchen, Frittiertem, Gebackenem, Schokolade, Mehlschwitzen und Unmengen Spaghetti war, dass ich zunächst einmal kräftig an Gewicht zulegte. Um nicht zu sagen: Keine Hose passte mehr. Meine Mutter schlug damals die Hände über dem Kopf zusammen, als ich sie nach einem Jahr Europa besuchte. Und ich musste ihr versprechen, wieder zu meiner alten Form zurückzufinden.
Nun muss ich zugeben, dass ich mich bis dahin nie ernsthaft mit Ernährungsfragen beschäftigt hatte. Wozu auch? Solange die Zähne nicht schmerzen, macht man auch keinen Termin beim Zahnarzt, oder?
Viel entscheidender für mein erwachendes Interesse an diesem Thema war aber, dass ich mittlerweile in Zürich meine eigene ayurvedische Praxis eröffnet hatte. Viele meiner Klienten litten an Verdauungsproblemen, mit zum Teil gravierenden Folgen. Zu meiner großen Verwunderung klangen viele Symptome ab, nachdem ich ihnen einfache Tipps gab, welche die Ernährung betrafen. Beispielsweise den Tag mit einem Glas heißem Wasser und Ingwertee zu beginnen statt mit Kaffee. Alleine die Empfehlung, zum Frühstück gewürzten, frisch gekochten Dinkelbrei zu essen, hat bei mehreren Klienten dazu geführt, dass sich die Darmfunktion wieder regulierte und bestimmte Probleme von alleine abklangen. Nun ist dies kein geheimnisvoller Zauberbrei, im Gegenteil. Aber alleine die Änderung einiger Gewohnheiten mit dem Willen etwas zu bewirken hat bereits dieses kleine Wunder bewirkt. Und natürlich eine allgemeine Entlastung des Organismus durch das Vermeiden von Dingen, die die Verdauung zu stark in Anspruch nehmen. Selbst Magenschmerzen und stressbedingte Symptome klangen nach einiger Zeit ab.
Auch ständig wiederkehrende Müdigkeit, Lymphstauungen und Wassereinlagerungen mit Hautentzündungen lassen sich in den Griff bekommen mit Lebensmitteln, die die Leber unterstützen. Im Fall einer Klientin waren das Artischocken, Karotten, Sellerie, Rote Bete und Äpfel, dazu Ingwer und Pfeffer, die mehr in die Ernährung integriert wurden. Überhaupt hat sich in meiner Praxis die entzündungshemmende Eigenschaft von Pfeffer, Curcuma, Senfsamen und Kreuzkümmel vielfach bewährt.
DER SCHLÜSSEL ZU GESUNDHEIT UND WOHLBEFINDEN
Mehr und mehr wurde mir klar, wie wichtig die Ernährung und der Lifestyle für jeden Einzelnen sind. Und nicht umsonst ist die richtige Ernährung zur Gesundheitsvorsorge eines der großen Standbeine des Ayurveda. Ein ayurvedisches Sprichwort besagt: „Ohne richtige Essensweise ist Medizin nutzlos, mit richtiger Essensweise ist Medizin unnötig.“
Also begann ich nachzuforschen und in die Tiefe zu gehen, auch mit vielen Selbstversuchen. In diesem Buch möchte ich meine in der Praxis gesammelten Erfahrungen zusammenfassen. Ich würde mich freuen, wenn so viele Menschen wie möglich davon profitieren können. Mir tut es immer leid mit ansehen zu müssen, wie jemand wissentlich oder unwissentlich seine Gesundheit ruiniert, weil er oder sie die grundlegenden Dinge schlichtweg ignoriert oder simpel aus Unkenntnis. Nun ist gegen Ignoranz kein Kraut gewachsen und des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Den Klugen erkennt man bekanntlich daran, dass er geduldig zuhört, schnell begreift und nicht nach dem Lustprinzip, sondern gemäß einer tieferen Erkenntnis handelt. Ich möchte niemanden missionieren, nur wer offen ist und zuhören mag, bei dem fällt der Samen auf fruchtbaren Boden. Und Ayurveda ist wie eine Schatztruhe voller Samen. Jeder kann den für sich passenden finden, ihn wachsen und gedeihen lassen, mit dem Ziel, die Gesundheit zu erhalten und zu stabilisieren. Und wenn es bereits erste Anzeichen einer Krankheit gibt, ist Ayurveda eine Methode der Wahl.
Doch sage ich es gleich: Nichts fällt vom Himmel, auch in Indien nicht. Und es gibt keine Maßstäbe, um zu messen oder zu beurteilen, was gewesen wäre, wenn. Wäre ich nicht auch gesund geblieben, wenn ich weiterhin meinen alten Lebensstil beibehalten hätte? War es wirklich das homöopathische Mittel, das mich wieder gesund werden ließ? Was wäre passiert, wenn ich es...