Erste Kämpfe
Inhaltsverzeichnis
Das Kampfeinsitzerkommando Habsheim besteht aus vier Piloten. Führer ist Leutnant Pfälzer, außer mir fliegen noch Vizefeldwebel Weingärtner und Unteroffizier Glinkermann mit. Wir sind alle junge Leute, und wir wohnen wie die Prinzen in der leerstehenden Villa eines reichen Amerikaners, der bei Kriegsbeginn geflüchtet ist.
Kampfeinsitzerkommando Habsheim.
Von links Pfälzer, Weingärtner, Udet, Glinkermann
Es herrscht ein netter, kameradschaftlicher Ton im Kommando. Mit Weingärtner bin ich bald gut Freund. Das ist eine Eigentümlichkeit von Weingärtner, am dritten Tage der Bekanntschaft ist jeder mit ihm befreundet.
Glinkermann ist schwieriger und verschlossener. Er sitzt abends viel mit den Monteuren zusammen, raucht sein Pfeifchen und starrt in den Nebel, der in weißen Ballen von den Wiesengründen aufsteigt. Ich glaube, er ist sehr arm und trägt schwer daran. Viel, viel später, als man mir seine Brieftasche brachte, habe ich darin ein Bild gesehen von einem Mädchen, das in einer Kavalkade lachender Reiter dahinsprengte. Er hat nie davon gesprochen.
Manche spötteln über ihn, wenn er daherkommt mit seinen immer verrutschten Wickelgamaschen, aus denen ewig ein Stück weißer Unterhose hervorschaut. Aber er ist ein guter Flieger, einer der besten, die ich je gekannt habe.
Der Dienst ist leicht und bequem. Ein-bis zweimal am Tage steigen wir auf und fliegen eine Stunde Sperre. Aber einen Feind bekommen wir selten zu Gesicht. Der Dezemberhimmel ist kalt unklar; die Erde klirrt vor Frost, und wenn man sich gut einpackt und das Gesicht gehörig buttert, ist die Fliegerei ein Vergnügen, fast wie eine Schlittenfahrt auf den Wolken.
Oben, in Flandern und in der Champagne, wo gekämpft wird und wo täglich Piloten fallen hüben und drüben, spricht man vom schlafenden Heer in den Vogesen. Man spricht’s mit ein bißchen Verachtung und ein klein wenig Neid.
Eines Morgens werde ich schon früh alarmiert. Das ist ganz ungewöhnlich. Die B.A.K. meldet von vorn, daß ein Caudron unsere Linien passiert hat, er soll sich in Richtung auf unseren Flugplatz zu bewegen.
Ich klettere in meine Kiste und starte. Verhängter Himmel, die Wolken streichen tief, kaum vierhundert Meter hoch. Ich stoße in den grauen Dunst hinein, schraube mich höher und höher.
In zweitausend Meter wölbt sich ein tiefer, stahlblauer Himmel über mir, von dem seltsam blaß die Dezembersonne herunterstrahlt.
Ich sehe um mich. Ganz hinten im Westen über der Wolkendecke ein Punkt wie ein fahrendes Schiff am Horizont des Meeres: der Caudron. Ich halte geraden Kurs auf ihn zu, er fliegt mir entgegen. Wir nähern uns rasch, schon kann ich die breit gespannten Flügel erkennen, die beiden Motoren und die Gondel, die schmal wie der Leib eines Raubvogels zwischen den Schwingen hängt. Wir liegen in gleicher Höhe, wir fliegen aufeinander zu.
Das ist gegen alle Spielregel, denn der Caudron ist ein Beobachtungsflugzeug, ich aber bin Jagdflieger. Ein Druck auf den Knopf am Knüppel, und mein festeingebautes Maschinengewehr würde eine Schußserie herausjagen, die ihn in der Luft zerreißt. Er muß das wissen, so gut wie ich, aber trotzdem fliegt er weiter, gerade auf mich zu.
Jetzt ist er so nah, daß ich den Kopf des Beobachters erkennen kann. Mit seiner viereckigen Brille sieht er aus wie ein riesiges, bösartiges Insekt, das auf mich zustößt, um mich zu töten.
Der Augenblick ist da, wo ich schießen muß. Aber ich kann nicht schießen. Es ist, als habe das Entsetzen mein Blut in den Adern zu Eis erstarren lassen, meine Arme gelähmt und alles Denken mit einem Tatzenhieb aus dem Hirn gerissen. Ich sitze da, ich fliege weiter geradeaus und starre wie gebannt nach links hinüber zu dem Caudron. Da bellt drüben das Maschinengewehr auf. Metallisches Klacken der Einschläge in meinen Fokker, ein Zittern läuft durch den ganzen Apparat, ein wuchtiger Schlag gegen die Backe, die Brille wird mir heruntergerissen. Mechanisch greife ich nach oben, Splitter, Glassplitter von der Brille, und meine Hand wird naß von Blut.
Ich drücke den Steuerknüppel, nehme die Nase nach unten und tauche in die Wolken ein. Mein Kopf ist benommen. Wie kam das, wie war das nur möglich?
»Laurig gewesen, feige gewesen!« hämmert der Motor. Und dann mein einziger Gedanke: »Gott sei Dank, daß niemand zusah!«
Das flutende Grün der Kiefernwipfel, der Flugplatz.
Ich lande. Die Monteure kommen gelaufen, ich warte ihre Hilfe nicht ab, ich klettere allein heraus aus der Maschine und gehe an ihnen vorbei auf die Revierstube.
Der Sanitäter entfernt mit einer Pinzette die Glassplitter der Brille, sie haben sich rings ums Auge ins Fleisch gebohrt. Es müßte eigentlich weh tun, aber ich spüre nichts.
Dann gehe ich hinauf in mein Zimmer. Oben werfe ich mich auf mein Bett. Ich will schlafen, aber die Gedanken kommen immer wieder und geben keine Ruhe.
»Ist man feige, wenn man einmal im ersten Schreck versagt? Ich möchte mich trösten, ich sage mir: eine Nervensache – das kann jedem passieren! Das nächste Mal machst du’s besser!
Aber mein Gewissen gibt sich mit einer so billigen Erklärung nicht zufrieden. Es stellt die harte Tatsache vor mich hin: du hast versagt, weil du im Moment des Kampfes an dich gedacht und für dein Leben gezittert hast. In diesem Augenblick geht mir der Sinn des Soldatentums auf.
Soldat sein heißt an den Feind denken und an den Sieg und sich selbst darüber vergessen! Möglich, daß die Grenzscheide zwischen dem Mann und dem Feigling schmal ist wie die Schärfe eines Schwertes. Wer aber ein Mann unter Männern bleiben will, der muß im Augenblick der Entscheidung die Kraft haben, die Angst des Tieres in sich abzuwürgen. Denn das Tier in uns will leben um jeden Preis. Und wer ihm nachgibt, ist verloren für die Gemeinschaft der Männer, wo Ehre, Pflicht und der Glaube an das Vaterland gelten.
Ich trete ans Fenster und sehe hinunter. Unten vor dem Hause geht Weingärtner mit Glinkermann auf und ab. Vielleicht haben sie’s nie so empfinden müssen wie ich jetzt. Und ich gelobe mir: von dieser Stunde ab will ich nichts sein als Soldat, ich will besser schießen und besser fliegen als meine Kameraden, bis ich den Flecken wieder getilgt habe.
Die »Scheibe«, das Nieuportmodell für meine Schießübungen aus der Luft
Zusammen mit Behrend, der mir nach Habsheim gefolgt ist, mache ich mich an die Arbeit. Wir fertigen die Silhouette eines Nieuport an, von hinten gesehen, so wie man ihn beim Angriff erblickt. Abends, wenn der Flugbetrieb zu Ende ist, stelle ich die Scheibe mitten auf dem Platz auf. Aus dreihundert Meter Höhe stoße ich im steilen Sturzflug herunter, auf hundert Meter eröffne ich das Feuer. Erst kurz vor der Erde fange ich den Apparat ab, steige wieder, und das Spiel beginnt von neuem. Behrend muß die Treffer zählen und mir signalisieren. Schüsse im Motor zählen doppelt, und zehn Treffer ergeben ein Glas Bier für ihn. Es treten oft Ladehemmungen ein, allzu oft. Behrend und ich arbeiten an der Beseitigung der Störungen manchmal bis spät in die Nacht.
Dann bessern sich die Ergebnisse, sie bessern sich sogar überraschend schnell. Ich bin sehr froh, bis ich entdecke, daß Behrend mit dem Bleistift nachhilft. Aus Kameradschaft für mich, sagt er, aber ich glaube, es ist die Liebe zum Bier.
Albatros D III
Monteure Behrend und Gunkelmann
Eine Verfügung kommt, es soll mit Munition gespart werden. Ich muß meine Übungsflüge einschränken. Dafür machen wir jetzt öfters Angriffe auf französische Gräben aus der Luft heraus.
Eines Abends habe ich mich auf einem solchen Grabenflug verspätet. Es war im Norden, dicht bei Thann, und die Maschinengewehrnester, in Kiefernschonungen eingebettet, boten ein lockendes Ziel.
Als ich zum Flugplatz zurückkomme, ist Nacht. Man hat Pechfackeln angezündet, um mir heimzuleuchten. Ihr rötlicher Schein flackert über den Platz, ein diffuses, unruhiges Licht.
Ich setze zur Landung an. Das Gelände ist schwer zu übersehen. Ich mache Bruch. Nur leichten Bruch zwar, am Fahrgestell, aber er wird meine Maschine für mindestens einen Tag außer Gefecht setzen.
Ich bestelle Behrend und den anderen Mechaniker am nächsten Morgen um einhalb fünf auf den Flugplatz. Behrend zieht ein Gesicht. Der nächste Tag ist ein Sonntag, und wenn er Sonntags arbeiten soll, wird Behrend immer fromm.
Bleigrau liegt das Morgenlicht über dem Flugplatz, als wir mit der Arbeit anfangen. Der Wald steht wie eine schwarze, geschlossene Masse dunkel und drohend um uns herum, die nackten Holzwände der kleinen Flugzeugschuppen schimmern bleich. Eine seltsame Stimmung, man hat das Gefühl, daß etwas Ungewöhnliches in der Luft liegt. Ich weiß nicht, wird’s Glück oder Unglück sein – –
Um sechs beginnen die Kirchenglocken in den umliegenden Dörfern zu läuten, über die Wipfel weg schwebt der Klang zu uns her. Wir arbeiten schweigend. Die Sonne ist heraufgekommen. Es ist warm in der Halle, und wir schwitzen selbst in unseren dünnen, blauen Monteurjacken. Mittags um zwölf sind wir fertig. Behrend und sein Kamerad verabschieden sich schnell, sie wollen den Zug nach Mülhausen noch erreichen.
Es ist jetzt ganz still, alle sind auf Urlaub drüben in der Stadt.
Ich fahre in unser Quartier, esse Mittag, ich bin allein am Tisch. Den Kaffee lasse ich mir in den Garten bringen. Dort sitze ich in einem Feldstuhl, rauche und starre in den...