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Mein Großvater, der Fälscher

Eine Spurensuche in der NS-Zeit

AutorCharlotte Krüger
VerlagDeutsche Verlags-Anstalt
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl352 Seiten
ISBN9783641124748
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,99 EUR
'Es ist leichter, Adolf Hitler zu hassen als den eigenen Großvater'
Als Kind hat sie ihren Großvater als freundlichen alten Herrn erlebt, der in den achtziger Jahren mit ihr Briefmarken sammelte. Erst später erfährt Charlotte Krüger, dass sein Leben auch eine dunkle Seite hatte.

Im Auftrag der NS-Führung leitete der SS-Sturmbannführer Bernhard Krüger im KZ Sachsenhausen eine Fälscherwerkstatt, in der Häftlinge britische Pfundnoten herstellten mit dem Ziel, dem Kriegsgegner Großbritannien wirtschaftlich zu schaden. Das »Unternehmen Bernhard« wurde zur größten Geldfälschungsaktion der Geschichte. Wer war der Mann, den Charlotte Krüger so nie kennengelernt hat, der Nazi Bernhard Krüger? Bemühte er sich, »seine« Häftlinge zu schützen oder schickte er einige von ihnen in den Tod? In einer spannenden Spurensuche, die sie zu Zeitzeugen und in Archive führt, nähert sich Charlotte Krüger dem geteilten Leben ihres Großvaters und versucht so, eine Haltung zu ihm zu finden.

Charlotte Krüger, Jahrgang 1979, studierte Philosophie und Politik in Hamburg. Sie arbeitet im Redaktionsteam von Stefan Aust bei WeltN24.

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Leseprobe

KAPITEL 1

An die Kandare genommen

Im Frühjahr 1989 fuhr mein Vater ins Krankenhaus, um meinen Großvater zu besuchen. Die Metastasen hatten bereits alle Organe angegriffen. Er hatte keine Chance mehr. Als mein Vater die Krebsstation verließ, ahnte er, dass dies das letzte Mal war, dass er seinen Vater gesehen hatte. Er notierte die Worte, die mein Großvater zum Abschied gesagt hatte, auf einen kleinen quadratischen Zettel und heftete ihn über den Lichtschalter in seiner Küche. Dort hing er, bis er selbst an Krebs erkrankte. Auf dem Zettel stand: »Die haben mich ganz schön an die Kandare genommen.«

Seit der Trennung meiner Eltern wohnte mein Vater in einer kleinen Zweizimmerwohnung in Hamburg-Curslack, ich bei meiner Mutter im Nachbarort Neuengamme. Nach der Schule kam ich häufig bei ihm zum Lernen vorbei, denn er besaß einen Computer mit Internetzugang. Der Rechner befand sich zusammen mit seiner Funkanlage in der Küche: Logbuch, Morsetasten, Transceiver. Er war Amateurfunker. Oft blieb ich am Türrahmen stehen und sah mir den Zettel mit den letzten Worten meines Naziopas an. Mein Vater erzählte dann von seinem letzten Besuch im Krankenhaus. Und sagte zum Schluss: »Die haben mich ganz schön an die Kandare genommen, das waren Vaters letzte Worte! So war er!« Er lachte kurz – und wurde still.

Ich weiß nicht, wen mein Großvater mit die meinte. Die Franzosen? Die Engländer? Die Nazis? Die Presse? Die Stasi? Gegner hatte er genug, selbst in seiner eigenen Familie.

Eine Kandare ist ein Gebissstück, das Pferden angelegt wird und das mit den Zügeln verbunden ist. Der Reiter kann über die Kandare starken Druck aufbauen, im Extremfall sogar den Kiefer des Pferdes brechen. Das Tier spürt, dass es gehorchen muss.

Die haben mich ganz schön an die Kandare genommen.

Ich frage mich, ob mein Großvater sich selbst bedauert hat, weil seine Geheimoperation und seine Karriere durch die »Niederlage« so abrupt und endgültig beendet wurden. Und dass er als Verbrecher galt, obwohl fast alle Juden, die in Block 18 und 19 für ihn arbeiten mussten, überlebt hatten. Mein Großvater sprach von »seinen« Häftlingen, »seinen« Juden.3 Ist es möglich, dass er sich für sie eingesetzt, für sie gekämpft, seine Existenz für sie aufs Spiel gesetzt hat?

Seine letzten Worte waren jedenfalls Worte des Selbstmitleids. Es waren die Worte eines Mannes, für den der Eintritt in die SS eine Karrierechance war.

Mein Großvater selbst war auch Zwängen ausgesetzt. Jedenfalls empfand er es so. Hätte er versagt, so erzählte mir mein Vater einmal, wäre er an die Ostfront geschickt worden. Dieser Gedanke musste für ihn der Horror schlechthin gewesen sein. Die Ostfront, das wäre auf jeden Fall die Kandare. Dorthin geschickt zu werden wäre einem Todesurteil gleichgekommen. Also war für ihn der Erfolg die beste Überlebenschance. So zumindest glaubten wir das in unserer Familie.

Mein Vater war sich sicher: Opa hatte damals keine andere Wahl. Ich hatte immer das Gefühl, er rechtfertigte meinen Großvater in diesem Punkt. Als brauchte er die Vorstellung, dass sein Vater nicht anders hätte handeln können. Vielleicht hätte er sonst die Tatsache nicht ertragen, dessen Sohn zu sein. Oder er wollte nicht, dass ich meinen Großvater allzu leichtfertig verurteile. Sprachen wir über die Nazivergangenheit seines Vaters, ging er in Deckung. Es war ein Thema, bei dem ich mich stets hütete, laute Töne anzuschlagen, weil es ihm wehgetan hätte.

Wann immer wir meinen Großvater in seiner kleinen Wohnung in Hamburg-Harburg besuchten, war er erstklassig gekleidet und frisch rasiert. Überall roch es nach Zigarren, und an den Wänden hingen afrikanische Holzmasken: lang gezogene Gesichter mit düsteren Augenschlitzen und dicken Lippen. Als wir die Masken nach Opas Tod von den Wänden nahmen, entdeckten wir, was er mit Filzstift auf die Innenseite geschrieben hatte: »Rhodesia, Victoria Falls, 1974. Rand 5. Von einem Neger gekauft«.

In seinem Bad standen Rasierpinsel und Seife, womit meine beiden Geschwister und ich uns zum Spaß gegenseitig einschäumten. Dort bewahrte mein Großvater auch seinen Expander auf, mit dem er sich in Form hielt.

Er hat uns nie ausgeschimpft oder die Geduld verloren. Wir Kinder wären allerdings auch nicht auf die Idee gekommen, ihn ernsthaft zu piesacken – er war ja schon so alt. Unsere Besuche liefen immer gleich ab. Erst flitzten wir die Treppe hoch in die Stube, am Käfig mit den Kanarienvögeln vorbei zum Wohnzimmertisch, und plünderten seine Bonbondose. Dann nahm mein Großvater drei bunte Plastikelefanten aus dem Regal, das waren unsere Sparbüchsen. Für jeden von uns steckte er ein Fünfmarkstück hinein. Oft wärmte er uns Bockwürste in einem kleinen, verkalkten Blechtopf auf. Dabei trompetete er durch die Lippen. Irgendwann holte er einen Stapel gebrauchtes Millimeterpapier hervor, dessen Rückseiten wir bemalen durften. Auf dem Wohnzimmertisch lagen verschiedene Zirkel, mit denen wir Ornamente zeichneten und mit farbigen Filzstiften ausmalten. Opa brachte uns bei, wie man kleine Bilder oder Buchstaben exakt mit Blaupapier durchpauste. Dabei tranken wir knallgrünen Waldmeistersirup aus bunt bedruckten Senfgläsern. Die Erwachsenen saßen währenddessen am Küchentisch und redeten.

Meine Mutter war selten dabei, sie mied meinen Großvater. Mit ihrer ungebändigten Frisur und ihrem frechen Mundwerk entsprach sie so gar nicht seinem Frauenideal, und sie ließ auch keine Gelegenheit aus, den Konflikt zwischen ihnen beiden eskalieren zu lassen. Sie hielt ihn für einen reaktionären Nazi, und er sie für eine Linksextreme, die gefälligst den Mund halten sollte, wenn die Männer sich über Politik unterhielten. Was die beiden voneinander dachten, war kein Geheimnis in unserer Familie.

Also waren es meistens nur Papa und Opa, die am Esstisch saßen. Sie unterhielten sich in gedämpftem Ton, und beide stützten dabei den Kopf in die Hand. Später kamen wir Kinder zu ihnen, dann wurde geknobelt. Wenn mein Großvater schlecht gewürfelt hatte, rief er: »Alles kalter Kaffee!« und gab sein lautes, rauchiges Lachen von sich. Er roch nach Zigarre und Rasierwasser, und beim Atmen drang ein leises Pfeifen aus ihm heraus, das nur hörte, wer direkt neben ihm saß.

Ich war gern bei meinem Opa, der zeit seines Lebens zur Untermiete wohnte. Vor dem Krieg hatte er nur ein Zimmer gehabt, weil er Junggeselle war. Nach dem Krieg fand er bei Bauern Unterschlupf. Da war er auf der Flucht. Und nach der Gefangenschaft wohnte er diskret wieder als Untermieter, weil er Angst hatte, die Stasi oder der Mossad könnten ihn aufspüren und ein Mordkommando vorbeischicken.

Charlotte Krüger mit ihrem Großvater

© Familienarchiv Krüger

Und selbst während des Krieges lebte er nur kurz mit meiner Großmutter zusammen. Als sie sich kennenlernten, wohnte sie in einer geschmackvoll eingerichteten Wohnung in Berlin-Kreuzberg. Er hatte etwa einen Kilometer entfernt ein Hinterhauszimmer in der Stresemannstraße, die damals Saarlandstraße hieß. Im Vorderhaus befindet sich heute ein Theater, gegenüber hat die SPD-Parteizentrale ihren Sitz. Fast jeden Morgen fahre ich mit dem Fahrrad daran vorbei. Dann habe ich oft das Bild vor Augen, wie meine Großeltern am Landwehrkanal spazieren gehen.

Meine Oma, Margaretha Krüger, geborene Seelbach, trägt auf den alten Familienfotos stets ein modisches Kostüm mit passender Kopfbedeckung, Handtäschchen und eleganten Schuhen, mein Opa immer einen Anzug, oft mit Hut. Ein fesches Nazipärchen mit doppeltem Einkommen. Auf späteren Aufnahmen schiebt Margaretha Krüger einen Kinderwagen vor sich her, darin liegt »Klein Bernd«, mein Vater, der 1941 geboren wurde. Kurz vor Kriegsende kam ein zweites Kind zur Welt, meine Tante Birgit. Im Rückblick betrachtet, steuerten sie durch das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Aber für sie war es wohl ein Spaziergang durch das bessere Leben.

Ich frage mich, ob mein Großvater diesen Perspektivwechsel selbst vollzogen hat. Wann ist ihm klar geworden, dass vieles, vielleicht alles, was er damals für richtig gehalten hatte, falsch war? Und wie ist es überhaupt möglich, dass jemand sich für »gut« hält, der eine Naziuniform trägt? Bestimmt hat mein Großvater sich nicht als Verbrecher gesehen. Aber wie hat er sein Handeln vor sich selbst gerechtfertigt?

Jedes Mal wenn ich jemandem erzähle, mein Großvater sei ein Geldfälscher gewesen, reagieren die Leute erstaunt und neugierig. Geld fälschen, das klingt für viele nach Abenteuer, das hat Ganovencharme. Ob er es auch so gesehen hatte? Es würde jedenfalls gut zu ihm passen. Sein derber Humor, die Zigarren, die Frauen, die guten Anzüge! Ein »ausgebuffter Typ«, wie mein Vater zu sagen pflegte.

Bis zu seinem Tod wohnte Bernhard Krüger bei einem befreundeten Ehepaar am Grotelerweg in Hamburg. In dem kleinen Einfamilienhaus gab es einen Seiteneingang, durch den man über eine schmale, mit Teppich belegte Treppe hinauf in seine Einliegerwohnung gelangte. Manchmal waren wir bei seinen Vermietern, Tante Käthe und Onkel Hans, im Erdgeschoss zum Kaffee eingeladen. Mein Großvater hielt sich bei solchen Anlässen streng an seine eigene Choreografie: Er zog sich einen Anzug an, rasierte sich, kaufte einen Strauß Blumen, durchquerte den Vorgarten und klingelte an der Haustür. Tante Käthe ging zu diesem Anlass extra zum Friseur, und mein Opa rückte den Stuhl zurück, damit sie sich setzen konnte – in ihrem eigenen Wohnzimmer. Alles hatte seine...

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