Über die deutsche Ausgabe dieses Buches
Im Englischen wird transgender als Adjektiv gebraucht, in der deutschen Sprache hingegen als Substantiv. Zur besseren Lesbarkeit und um dem amerikanischen Originaltext bestmöglich zu entsprechen, haben wir uns dafür entschieden, den Begriff in der deutschen Übersetzung ebenfalls als Adjektiv zu verwenden. Da sich das englischsprachige Original auf die Situation von Transgender-Personen in den Vereinigten Staaten bezog, mussten für die Übersetzung des Buches ins Deutsche an vielen Stellen Anpassungen für den deutschsprachigen Raum vorgenommen werden. Dies war vor allem bei Informationen zu wichtigen Anlaufstellen, Vereinen, aber auch bei Informationen zur rechtlichen Situation (unter anderem was die Vornamensänderung und die Änderung des Geschlechtseintrags betrifft) sowie zur Kostendeckung durch Versicherungen der Fall.
Wer wir sind
Dr. Michele Angello praktiziert in Wayne, Pennsylvania, in der Nähe von Philadelphia. Um die Jahrtausendwende war sie die einzige Therapeutin in dieser Region, die sich auf die Beratung von Transgender-Kindern und -Erwachsenen, sowie geschlechtsvarianten Personen und ihren Familien spezialisiert hatte. Zu dieser Zeit machten geschlechtsvariante Menschen nur einen kleinen Teil ihrer Arbeit aus. Als sie jedoch zunehmende Bekanntheit erlangte, begannen Eltern sie anzurufen: »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mein Sohn trägt unheimlich gerne Kleider.« Heute, rund achtzehn Jahre später, besteht ihre Arbeit zu 95 Prozent aus der Unterstützung geschlechtsvarianter Menschen, die aus mehr als dreißig US-amerikanischen Bundesstaaten und zehn Ländern kommen. Neben ihrer beratenden Tätigkeit setzt sie sich auch auf andere Arten für geschlechtsvariante Menschen ein: Sie sagt vor Gericht als Sachverständige aus, schult Lehrkräfte und Verwaltungspersonal, hält Reden bei Konferenzen, berät Unternehmen bei der Schaffung eines positiven Arbeitsumfelds und gibt Interviews.
Alisa Bowman ist Autorin und war bis vor einem Jahrzehnt nicht mit dem Thema Transgender vertraut. Vor Jahren erzählte ihr eine befreundete Person von einem Neffen, der zu einer Nichte wurde. Sie kannte den Namen Chaz Bono. Mehr wusste sie jedoch nicht. Im Jahr 2006 begann dann ein Familienmitglied, geschlechtsvariantes Verhalten aufzuweisen. Eine Zeit lang hinterfragte dies niemand. Sie dachten, das Mädchen sei einfach nur jungenhaft. Irgendwann wollte dieses Kind, von dem alle dachten, es sei ein Mädchen, einen Maschinenhaarschnitt, die Herrentoilette in Restaurants benutzen und sich Jungenunterwäsche und Badehosen kaufen. Alisa fragte Michele: »Könnte sie…ich weiß nicht einmal, wie das heißt … transgender sein?« Danach folgte eine jahrelange Reise, die Alisas Horizont erweiterte und ihr Herz öffnete. Um ihr Familienmitglied zu unterstützen, besuchte Alisa Selbsthilfegruppen und Konferenzen zum Thema Transgender. Sie war überrascht von der Größe, der Unsichtbarkeit und der Stigmatisierung der geschlechtsvarianten Gemeinschaft. Bald erkannte sie, dass sich die Menschen, die versuchten, diese Jugendlichen zu unterstützen, zu fördern und zu beschützen, wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlten. Alisa sah es als ihre Aufgabe zu helfen und bietet deshalb Eltern ihre Unterstützung an.
Was wir Ihnen wünschen
Wir hoffen, dass dieser Ratgeber all Ihre Fragen beantwortet, insbesondere jene, die Sie sich nicht trauen zu stellen. Im besten Fall kommen Sie von Zeit zu Zeit auf dieses Buch zurück, damit es Ihnen hilft, Ihrem Kind ein sorgloses und würdevolles Leben zu ermöglichen. Vielleicht geben Sie es auch anderen zu lesen, damit sie Transgender-Kinder und -Erwachsene sowie geschlechtsvariante Personen besser verstehen. Wir hoffen, dass Ihnen durch dieses Buch Folgendes bewusst wird:
Wie Nebel am Morgen wird sich die Verwirrung lichten. Vielleicht fühlen Sie sich im ersten Moment überfordert. Ja, Sie lieben dieses Kind. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber … kann das Geschlecht überhaupt geändert werden? Ist Geschlecht nicht von Geburt an festgelegt? Ist das nur eine Phase? Wie funktioniert das alles? Wie bereits erwähnt, ist es ganz normal, sich überfordert zu fühlen, insbesondere wenn es das erste Mal ist, dass Sie das Wort »Transgender« hören oder Sie sich nicht sicher sind, was wir mit dem Wort »geschlechtsvariant« meinen. Darüber müssen Sie sich keine Sorgen machen – diese Begriffe werden im ▶ Kapitel »Die Sprache des Geschlechts« erklärt. Wir hoffen, dass Sie in diesem Buch Antworten auf Ihre zahlreichen Fragen finden werden und Sie dadurch verstehen, wie wunderbar Ihr Kind ist.
Sie sind nicht allein. Die geschlechtsvariante Gemeinde, der auch Transgender-Personen angehören, mag zwar zum Großteil unsichtbar sein, ist aber definitiv vorhanden. Vorsichtigen Schätzungen zufolge leben in den USA ungefähr 984 000 Transgender-Personen, was in etwa 0,3 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. In Deutschland sind es grob geschätzt etwa 20 000 Transgender-Personen, was 0,02 Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Man geht davon aus, dass weltweit eine von 30 000 Personen eine Transfrau und eine von 100 000 Personen ein Transmann ist. Die tatsächliche Zahl der Transgender-Personen ist jedoch viel höher. Studien zeigen, dass 71 Prozent der Transgender-Personen ihre wahre Identität verbergen, um sich vor Diskriminierung zu schützen. Diese Zahl wird noch höher, wenn geschlechtsvariante Personen, die zum Beispiel beide Geschlechter haben, geschlechtslos sind oder sich frei zwischen den Geschlechtern bewegen, miteinbezogen werden. Dieses Buch soll auch jene Menschen unterstützen, die sich für alle geschlechtsvarianten Jugendlichen einsetzen möchten, ungeachtet ihrer Geschlechtsidentität.
Weltweit gibt es immer mehr Kinder, die das Gefühl haben, im falschen Körper geboren worden zu sein. Das veranlasste viele unterschiedliche Organisationen dazu, Grundsatzerklärungen und Richtlinien zur Betreuung dieser Kinder zu veröffentlichen. Im Jahr 2007 startete das Gender Management Service des Kinderkrankenhauses in Boston das erste Programm mit Fokus auf Geschlechtsdysphorie (ein Unwohlsein, das entsteht, wenn der Körper nicht mit dem wahren Geschlecht übereinstimmt) bei Kindern und Jugendlichen. Heute, ein Jahrzehnt später, gibt es überall in den Vereinigten Staaten ähnliche Zentren: in Seattle, San Francisco, San Diego, Los Angeles, Boulder, Chicago, Kansas City, Cincinnati, Madison, Baltimore, Philadelphia, Washington D.C. und Buffalo.
Es mag Ihnen vielleicht erscheinen, als wäre Ihr Kind das einzige geschlechtsvariante Kind in Ihrer Nachbarschaft, Ihrem Bezirk oder Ihrem Land, aber das ist eine Illusion. Abhängig von der Größe Ihrer Region könnte es einige, wenn nicht sogar dutzende Familien wie die Ihre geben. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich zwei Familien auf einer Konferenz oder in einem Sommercamp für Transgender-Kinder treffen und merken, dass sie praktisch Nachbarn sind und wundervolle geschlechtsvariante Kinder nur zwei Straßen voneinander entfernt großziehen.
All Ihre Gefühle sind normal. Sie sind kein schlechter Mensch, wenn Sie in einer solchen Situation Angst haben, beschämt oder wütend sind. Fast alle – vom engen Freundeskreis bis hin zu Verwandten – sind erschüttert, wenn sie erfahren, dass ein Mensch, dessen Geschlecht sie zu kennen glaubten, sich nicht mit diesem Geschlecht identifiziert. Vielleicht trauern sie um den sorgfältig ausgewählten Namen oder um die Zukunft, die sie sich für dieses Kind ausmalten. Diese Gefühle sind so verbreitet und gewöhnlich, dass wir ihnen ein ganzes ▶ Kapitel widmeten.
Ja, Diskriminierung existiert und ihr Kind kann trotzdem erfolgreich sein. Die Liste prominenter geschlechtsvarianter Persönlichkeiten ist lang. Zu den vielen, vielen erfolgreichen Transgender-Personen gehören unter anderem:
Raffi Freedman-Gurspan, die erste Transgender-Person, die dem Weißen Haus als primäre Verbindungsstelle zur LGBT-Gemeinschaft diente.
Margaret Stumpp, Senior Vice President des US-amerikanischen Unternehmens Prudential Financial.
Lana und Lilly Wachowski, Regisseurinnen von Matrix und vielen anderen Filmen.
Jennifer Pritzker, ehemalige Oberstleutnantin der U.S. Army, Milliardeninvestorin und Philanthropin.
Lynn Conway, ehemalige Angestellte von Xerox, IBM und Memorex und Professorin für Elektrotechnik und Computerwissenschaften an der University of Michigan.
Rebecca Allison, ehemalige leitende Kardiologin des US-amerikanischen Versicherungsunternehmens Cigna.
Rachael Padman, Physikdozentin an der University of Cambridge in England.
Ben Barres, Professor für Neurobiologie in Stanford.
Malcolm Himschoot, Pfarrer der United Church of Christ.
Ines Rau und Andreja Pejic, Models.
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