TEIL 2 Staccato
Mit dem Beginn des eisernen Zeitalters wurden die Menschen frevelhaft; es flohen die Scham, die Wahrheit, die Treue. Dafür erwuchsen die Laster: Hinterlist, Gewalt und die frevlerische Begier nach Besitztum. Segel bot man den Winden, und die Kiele, die lang in den hohen Gebirgen gestanden, munter tanzten sie jetzt auf unbekannten Gewässern; und der Boden, der früher Gemeingut war wie die Lüfte und wie das Licht, jetzt war er genau mit Grenzen bezeichnet. Nicht nur Getreide verlangte der Mensch von dem üppigen Boden, Nahrung, die zu gewähren er schuldete, nein, in der Erden Tiefen drang man, die Schätze zu graben, Lockmittel des Bösen, die die Erde im Inneren verwahrte. <Ovid>
TEIL 2 Staccato
Beziehung, Fakten und Moral – Beziehungen – Mensch und Natur – Der Mensch und seine Natur – Die ökologische Krise – Fakten – Faktum Klimawandel – Die Ökologiebewegung – Politische Strukturen – Kapital als Akteur – Wirtschaftliche Zwänge – Moral – Gut und Böse – Faktische Verantwortung – Globalisierte Verantwortung – Mein ökologischer Fußabdruck
Beziehung, Fakten und Moral
Mit dem zweiten Teil des Buchs ändert sich auch das Licht meiner Betrachtungsweise. Auf einer Bühne würden wir von einem „Beleuchtungswechsel“ sprechen. Solche Veränderungen der Wahrnehmung werden beim Theater bewusst eingesetzt. Auch in Gesellschaften und Kulturen kann sich die „Beleuchtung“ als Folge von tiefgreifenden Ereignissen spontan verändern. Kulissen und Gegenstände sowie Themen und politische Agenden wirken in diesem anderen Licht plötzlich fremd und bedrohlich.288 Andere wiederum werden nun als vertrauenserweckend bezeichnet. Die Beleuchtung, die Wahrnehmung, der Geschmack, der Rhythmus – Denken und Fühlen verändern sich.
Der Rhythmus wird rauer. Die Sprache passt sich an, wie uns Ovid schon deutlich gemacht hat. Es werden Nägel mit Köpfen gemacht. Fakten geschaffen und verteidigt. Sie werden gesammelt und sortiert. Wut überwindet die Angst der ersten Schritte. Emotionen bewegen mich und lassen meine Schritte bestimmter und zielgerichteter werden. Wege tauchen auf. Den geraden Linien am Asphalt gilt es nun zu folgen. Auch die Schritte anderer laden ein, ihnen zu folgen. Der Sänger tritt auf und beginnt einen Text zu singen. Der Text ist nicht der seinige. Ideen, Visionen und Lösungen wollen verfolgt und deren Vertreter nachgeahmt werden.
Nach der Weiblichkeit im Flowing wird im Staccato-Rhythmus289 die Männlichkeit290 (als energetisches Prinzip) betont. Die anfänglich so enge Bindung zur Mutter wurde durchtrennt und die Beziehung zum Vater steht im Mittelpunkt. Diese Beziehung zum Vater wird als erste „nach-außen-gerichtete“ Beziehung wahrgenommen. In ihr findet die Zuwendung zu einem sozialen Umfeld eine erste Entsprechung.
Your mother taught you how to be in your body. Your father teaches you how to express your heart as he initiates you into the world of relationships with others. He teaches the art of how best to relate to another person, because he is the first person outside of yourself that you have to relate to, that is, build a relationship with.291
Während die Verbindung zur Mutter in einem energetischen Sinne etwas Gegebenes ist, ist jene zum Vater die erste, die es zum „Außen“ herzustellen gilt. Der Vater ist mein erster „Freund“ und die Verbindung zu ihm ist eine erste Aufgabe.292 Mütterliche Liebe ist bedingungslos. Väterliche Liebe ist an Bedingungen geknüpft. Diese väterliche Liebe entspricht dem Prinzip der Gerechtigkeit. Sie hängt von Leistungen ab und kann verloren und wiedererworben werden.293
Die Figur des Vaters dient dem Kind als Vorbild. Dem entspricht der Bewusstseinszustand des Staccato-Rhythmus – jener der Nachahmung (imitation). Schritte werden nachgemacht, andere Einstellungen und Weltbilder übernommen. Überreden, Wachrütteln und Verführen sind prägende Handlungen, mit denen sich Kinder in dieser Phase konfrontiert sehen.294 Dem Kind wird ein Gewissen anerzogen, entsprechend den Vorstellungen der Eltern und der dahinter liegenden Tiefenkultur der Gesellschaft.
Folglich lernt das Kind „gut“ von „schlecht“ zu unterscheiden. Das Gewissen im Kind, an das die Eltern zu appellieren beginnen, passt sich den zugrunde liegenden Moralvorstellungen an. Erziehung hängt immer an spezifischen Moralvorstellungen und damit einhergehenden Werten und Idealen. Das Kind lernt diesen zu entsprechen, um die Beziehungen zu seiner Umgebung zu pflegen. In diesen Jahren entsteht jene Landkarte in uns, die wir „schrittweise und ohne kritische Analyse“295 erstellen und die unser Leben prägt.
Mein Vater war in meinem Staccato-Rhythmus nicht präsent. Erst später hat mein Stiefvater diese Rolle übernommen. Und noch später, am Beginn meines erwachsenen Lebens, hat auch mein Vater zu meinem Tanz der persona zurückgefunden. Diese Erfahrungen prägen meine Beziehungen.
In diesem Buchteil werden jene Beziehungen beleuchtet, die unsere Verhältnis zur Natur definieren. Das Verhältnis von Mensch und Natur wird in einem Spannungsfeld – der Beziehung zu uns selbst und der Beziehung zu einer uns umgebenden Natur – aufgerollt.
Daran anknüpfend widme ich mich den Fakten des Diskurses rund um den Klimawandel, auf den der Fokus der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit gerichtet ist. Fakten werden dabei als das behandelt werden, was sie ihrem linguistischen Ursprung296 nach auch sind: Fakten werden gemacht. Keiner bewahrt uns vor falsch gemachten Fakten. Jedenfalls sind sie immer in unserem Denken verhaftet.297 Emotionale Fakten stehen in meiner Gesellschaft auf wackeligen Beinen.
Moral wird ebenfalls eine entscheidende Rolle für diesen Teil spielen. Moral ist, ähnlich den Fakten, etwas sozial Konstruiertes und muss als solches auch verstanden werden. Die Moralvorstellung meiner Gesellschaft prägt den Diskurs um die ökologische Krise maßgeblich. Auch die Ökologiebewegung lässt sich erst vor diesem Hintergrund verstehen.
Das Zusammenspiel aus Beziehung, Fakten und Moral wird durch dieses Kapitel führen. Die Emotion der Wut tritt dabei an den Platz der Angst und begleitet meine Reise durch die kommenden Seiten. Im Ausdruck der Wut liegt die Artikulation des „Nein!“, das Ziehen von Grenzen und das Aufbauen von Barrikaden. „Proper anger cuts like a knife through water. It is quick, clear, needs no explanation.“298 Der Vater als „Lehrer“, der für Gabrielle Roth das Kind in dem zweiten Rhythmus des Staccato begleitet, möchte den Ausdruck von Emotionen vermitteln, den das Kind für einen Verbindungsaufbau zu anderen benötigt. Angst, Wut, Traurigkeit, Freude und Mitgefühl – alle diese Emotionen haben ihren Platz und ihre Zeit. Die volle Palette an Emotionen wird auf kurz oder lang jede Beziehung durchziehen. „We’re all artists, creating our lives and the world we live in, and the optimum choice is for the full palette of the emotional range.“299 Emotionen werden in meiner Gesellschaft gerne von unserer Ratio verdrängt und klein gehalten. Ihr freier Ausdruck entspricht nicht dem „vernünftigen“ Verhalten und gehört unter Kontrolle gebracht. Dieser Teil des Buchs wird den Menschen hingegen noch als „emotionalstes aller Lebewesen“300 ausweisen.
Unterdrückte Wut kann individuell wie auch gesellschaftlich verheerende Auswirkungen haben. Irgendwann bricht sie als gewaltige Aggression hervor und lässt keinen Stein auf dem anderen. Wut (wie auch Aggression) ist ein elementarer Bestandteil von uns und unserer Gesellschaft. Der Umgang mit ihr prägt unser Zusammenleben. Virginia Satir macht auf unseren problematischen Umgang mit Emotionen aufmerksam, wenn sie uns als „Haufen emotionaler Gauner“ bezeichnet, „die ihr wahres Wesen verbergen, gefährliche Spiele miteinander spielen und das Ganze Gesellschaft nennen“.301 Für Roth liegt die Gefahr einer Gesellschaft, deren kollektiver Vater-Instinkt nicht funktioniert, in einer Entfremdung von uns selbst. Die Beziehung zu unserer Mitwelt wäre dadurch behindert, dass wir ihre Bedürfnisse und Potentiale nicht erkennen können und uns nur oberflächlich an sie binden. Zurück bliebe eine Gesellschaft des kollektiven Schreis nach einem individuellen „Ich zuerst!“302.
But because mothering and fathering tend to be so diffuse and erratic in our culture, we often arrive at puberty without the strong nurturing and relational instincts that allow us to step out boldly and assuredly on the path of individual self-discovery.303
Wenn die ersten Jahre der Kindheit – jene Phase des selbstsüchtigen Egos, das ausschließlich die Erfüllung der eigenen biologischen Bedürfnisse im Sinn hat – nicht durch eine Sozialisierung und somit einer Ausweitung des Selbst einhergeht, wird auch die Beziehung zur Mitwelt Schaden...