3 Modelle zur Engpassanalyse
Bei Leistungsuntersuchungen können die Eisenbahninfrastruktur und der Betrieb je nach Aufgabenstellung und erforderlichem Detaillierungsgrad in unterschiedlichen Modellen beschrieben werden. Für die Engpassanalyse spielt die sinnvolle Modellauswahl für aussagekräftige Ergebnisse eine wichtige Rolle. Nur mit einem geeigneten Modell können ausgewählte Kenngrößen zielführend berechnet und bewertet werden. Im Folgenden werden deshalb verschiedene Modelle und ihre Anwendungen diskutiert und daraus ein geeignetes Modell für weitere Untersuchungen ausgewählt.
3.1 Makroskopische Modelle
Bei makroskopischen Modellen wird das Eisenbahnnetz oder -teilnetz als eine Menge von Knoten, die durch Kanten miteinander verknüpft werden, modelliert. Im Allgemeinen werden Betriebsstellen und Bahnhöfe als Knoten, sowie Strecken oder Streckenabschnitte als Kanten modelliert. In Abbildung 3-1 wird ein Beispielteilnetz als makroskopisches Knoten-Kanten-Modell modelliert, wobei jeder Knoten einen Eisenbahnknoten (Bahnhof) und jede gerichtete Kante eine Relation zwischen zwei Knoten darstellt.
Abbildung 3-1: Beispielteilnetz im makroskopischen Knoten-Kanten-Modell
Für eine globale Betrachtung wird in der Engpassanalyse ein makroskopischer Modellansatz verwendet. Durch die Ermittlung von Belastungen und Wartezeiten werden überlastete Streckenabschnitte und Eisenbahnknoten mit schlechter Betriebsqualität als Engpässe identifiziert. In [Frank 2013] und [Kettner 2005] werden verschiedene aufgabenorientierte Methoden zur makroskopischen Engpassanalyse beschrieben. Die Engpassanalyse mit makroskopischen Modellen ermöglicht einen Überblick über die Verteilung und Wirkung von Engpässen im zu untersuchenden Netz oder Teilnetz. Daher eignet sich die makroskopische Engpassanalyse insbesondere für die langfristige Netzplanung mit dem Ziel, eine gleichmäßige Belastungsverteilung im Netz unter einzuhaltenden Rahmenbedingungen anzustreben.
3.2 Mesoskopische Modelle
Im Vergleich zu makroskopischen Modellen, werden Knoten bei der analytischen Methode in mesoskopischen Modellen aufgrund der unterschiedlichen Funktionalität in Fahrstraßenknoten und Gleisgruppen aufgeteilt (siehe Abbildung 3-2), wodurch die Belegung und Nutzung von Knoten detaillierter als bei der makroskopischen Betrachtung widergespiegelt werden kann.
Abbildung 3-2: Aufteilung eines Beispielbahnhofs in Fahrstraßenknoten und Gleisgruppen
In [Pachl 2011] wird ein Fahrstraßenknoten definiert als ein durch Hauptsignale begrenzter Gleisbereich, in dem mehrere Fahrwege von Zügen durch Weichen und/oder Kreuzungen miteinander verbunden sind. Die Funktion von Fahrstraßenknoten besteht darin, das Einfädeln von Zügen aus verschiedenen Strecken bzw. Richtungen oder das Ausfädeln von Zügen in verschiedene Strecken bzw. Richtungen zu ermöglichen, wobei sich im Fahrstraßenknoten selbst keine Wartepositionen im Sinne der Bedienungstheorie befinden. Eine Gleisgruppe ist eine Bündelung mehrerer Gleise zwischen zwei Fahrstraßenknoten, in denen betriebliche und verkehrliche Prozesse wie Halten, Abfahren, Wenden, usw. stattfinden. Die Bewertung von Gesamtfahrstraßenknoten ist aufgrund der Verkettungsfälle verschiedener Zugfahrten im gesamten Weichenbereich kompliziert. Mit dem Verfahren in [Nießen 2008] werden Leistungs- und Qualitätskenngrößen für Gesamtfahrstraßenknoten mithilfe der Warteschlangentheorie unter Berücksichtigung der Verkettung von Zugfahrten ermittelt. Allerdings ist die Wirkung der Teilfahrstraßenauflösung und Wartezeiten in Gesamtfahrstraßenknoten aufgrund der behinderungsbedingten Geschwindigkeitsänderung schwierig zu ermitteln, sodass demzufolge die daraus abgeleitete Leistungsfähigkeit und Wartezeiten von der Realität abweichen können.
3.3 Vorhandene mikroskopische Modelle
Die in den Abschnitten 3.1 und 3.2 beschriebenen Modelle werden für eine grobe Evaluation eines Eisenbahnnetzes verwendet. Für das Ziel einer detaillierten Lokalisierung von Engpässen in der Infrastruktur sind makro- und mesoskopische Modelle nur sehr eingeschränkt nutzbar. Für eine detaillierte Engpassanalyse in der vorliegenden Arbeit werden daher mikroskopische Modelle eingesetzt. Im Folgenden werden zwei vorhandene mikroskopische Modelle vorgestellt. Ausgehend davon wird in Abschnitt 3.4 erläutert, weshalb die vorhandenen Modelle für die Untersuchung in dieser Arbeit nicht zielorientiert sind und deshalb ein neues Modell benötigt wird.
3.3.1 Teilfahrstraßenknoten
Für eine detaillierte Untersuchung wird ein Fahrstraßenknoten bei analytischen Methoden in Teilfahrstraßenknoten (TFK) (vgl. [Schwanhäußer 1978]) aufgeteilt (graue Hinterlegungen in Abbildung 3-3).
Abbildung 3-3: Infrastrukturmodellierung eines Beispielbahnhofs in Teilfahrstraßenknoten (TFK)
Ein TFK wird nach der Bedienungstheorie als einkanalige Bedienungsstelle betrachtet, in der maximal eine Fahrmöglichkeit zu einem Zeitpunkt stattfinden kann. Ein TFK umfasst benachbarte Weichen nach vordefinierten Kriterien. Nach der Bedienungstheorie sind TFK Bedienungsstellen und Gleise Warteräume. Um einen Verlust der Züge im System zu vermeiden, werden bei analytischen Verfahren die Warteräume als unendlich betrachtet, d.h. es können unendlich viele Züge auf den Gleisen warten. Um diese Annahme der unendlichen Warteräume zu ermöglichen, sollen im analytischen Modell keine Abhängigkeiten zwischen den TFK bestehen, sodass jeder TFK als eigenständiges Bedienungssystem untersucht werden kann. Die verketteten Belegungen und Behinderungen können deswegen nicht direkt ermittelt werden. Nach dem am häufigsten verwendeten Verfahren zur infrastrukturbezogenen Abgrenzung von TFK, gemäß den Regeln in [Vakhtel 2002] und [DB Netz AG 2008], werden TFK in einem Beispielbahnhof, wie in Abbildung 3-3 veranschaulicht, abgegrenzt. Für die Abgrenzung von TFK liegt der Spurplan der Infrastruktur vor. Die Standorte von Signalen und Zugschlussstellen sind dabei nicht berücksichtigt.
3.3.2 Knoten-Kanten-Modell
In [Radtke 2005] (s.a. [Radtke 2008]) wird eine Infrastruktur in einem gerichteten Knoten-Kanten-Graph modelliert (Abbildung 3-4). Dabei sind Knoten nicht zerlegbare Infrastrukturelemente (Signale, Weichenanfang- und ende, Zugschlussstellen, usw.) und Trennungspunkte mit unterschiedlichen infrastrukturellen Eigenschaften (z.B. Änderung der Geschwindigkeit), die durch Kanten verknüpft werden. Bei diesem Modell können infrastrukturelle Informationen als Eigenschaften sowohl für Knoten als auch für Kanten detailliert angegeben werden. Dieses mikroskopische Infrastrukturmodell wird im synchronen Simulationswerkzeug RailSys [RMCon 2010] zur realitätsnahen Abbildung der Infrastruktur eingesetzt. Bei der Simulation wird für jede Kante die Belegungszeit bei der Betriebsabwicklung detailliert protokolliert, wodurch eine detaillierte Datenanalyse der umfassenden Leistungsuntersuchung ermöglicht wird.
Abbildung 3-4: Mikroskopischer Knoten-Kanten-Graph
3.4 Neues mikroskopisches Modell
Mit dem im vorangegangenen Abschnitt erläuterten mikroskopischen Knoten-Kanten-Modell werden infrastrukturelle Informationen der Knoten und Kanten hinreichend detailliert beschrieben und auch betriebliche Informationen detailliert erfasst. Für die Engpassanalyse müssen solche diskreten Informationen zielorientiert zugeordnet werden, um die Kenngrößen zur Identifizierung von Engpässen zu ermitteln. Aus diesem Grund liegt das Ziel der Infrastrukturmodellierung für die mikroskopische Engpassanalyse mit der simulativen Methode darin, eine Infrastruktur so zu unterteilen, dass einerseits die gewünschten Kenngrößen aus den zugrunde gelegten Simulationsdaten berechenbar sind und andererseits Engpässe anhand der Kenngrößen hinreichend lokalisiert werden können. Für dieses Ziel wurde ein neues mikroskopisches „Zwei-Ebenen-Infrastrukturmodell“ (nachfolgend als „Zwei-Ebenen-Modell“ bezeichnet) im Rahmen des DFG-Forschungsprojekts am Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen ([Martin & Li 2014]) entwickelt, das die wesentlichen Anforderungen für mikroskopische Leistungsuntersuchungen erfüllt. Die zugehörigen Vorteile werden in Praxisanwendungen in [Martin et al. 2014], [Martin & Li 2013] und [Martin et al. 2012] veranschaulicht. In der vorliegenden Arbeit basieren alle methodischen Ansätze zur Engpassanalyse auf diesem „Zwei-Ebenen-Modell“, das aus Fahrwegkomponenten und Basisstrukturen besteht.
Mit diesem neuen Modell wird eine Eisenbahninfrastruktur auf zwei sich überlappenden Ebenen modelliert:
- Ebene 1 – Modellierung der Infrastruktur in einem gerichteten Graph, dessen Kanten gerichtete Belegungselemente sind. Die gerichteten Belegungselemente sind als Fahrwegkomponenten definiert.
- Ebene 2 - Aufteilung der Infrastruktur in ungerichtete Belegungselemente, die...