Einleitung
Fragestellung
Am 04. Mai 1945 um 01:05 Uhr verkündeten die Sirenen das Ende jenes Luftalarms, der die Bürger der Stadt Kiel zum letzten Male in die Bunker und Luftschutzkeller getrieben hatte. Nun endlich endeten nach fast 5 Jahren die Luftangriffe englischer und amerikanischer Bomber, die in ständig steigendem Maße der Stadt und ihren Bewohnern Tod und Zerstörung gebracht hatten. In Kiel, das aufgrund seiner militärischen und wirtschaftlichen Bedeutung seit Kriegsbeginn im Zielkreuz der Angriffe gelegen hatte, waren über 2.000 Bombenopfer zu beklagen, Gebäude und Infrastruktur der Stadt waren weitgehend zerstört.
Die Gefährdung Deutschlands durch feindliche Luftangriffe im Falle eines Krieges war allen Verantwortlichen bereits lange vor dem Krieg bewußt gewesen. Aus diesem Bewußtsein heraus erhielt der Luftschutz im Rahmen der Aufrüstung des Dritten Reiches eine besondere Bedeutung. Neben den Einrichtungen des Militärs und den Industrieanlagen mußten insbesondere die Städte mit ihrer Bevölkerung und ihren Kultureinrichtungen gegen feindliche Luftangriffe geschützt werden. Welche Maßnahmen trafen nun die Behörden, um diese Aufgaben zu bewältigen?
Dazu soll in dieser Arbeit versucht werden, am Beispiel der Stadt Kiel darzustellen, in welchem Umfang in den Jahren 1933 bis 1945 organisatorische und bauliche Maßnahmen ergriffen wurden, um die Bewohner einer Stadt vor den Folgen feindlicher Luftangriffe zu schützen.
Die Luftschutzmaßnahmen für die Zivilbevölkerung lassen sich am Beispiel der Stadt Kiel besonders beispielhaft darstellen. Denn diese Stadt verkörperte ein Ziel ersten Ranges für feindliche Luftangriffe, weil
- sie Kriegshafen und, neben Wilhelmshaven, größter Marinestützpunkt des Reiches war,
- sie keine „offene Stadt“, sondern eine Festung war,
- auf ihren Werften vorwiegend Kriegsschiffe, vom U-Boot bis zum Schlachtschiff, gebaut wurden, und
- viele Industriebetriebe im Stadtbereich, als Zulieferer für die Werften, Rüstungsgüter herstellten.
Zunächst werden dazu in der Arbeit die organisatorischen Luftschutzmaßnahmen dargestellt. Daran anschließend soll untersucht werden, in welchem Umfang bauliche Luftschutzanlagen für die Zivilbevölkerung errichtet wurden. Es werden jedoch nur diejenigen Luftschutzbauten berücksichtigt, die innerhalb des Stadtgebietes von Kiel errichtet wurden bzw. errichtet werden sollten. Als Stadtgebiet gilt dabei der Gebietsstand des Jahres 1945. Alle baulichen Luftschutzeinrichtungen in Nachbarorten, die erst nach 1945 eingemeindet wurden (z.B. Russee, Wellsee, Schilksee) bleiben unbeachtet. Aufgrund der Quellenlage werden in dieser Arbeit der Bunkerbau der Wehrmacht, der Werften und der Industrie nur sehr kursorisch behandelt.
Zur Wahrung einer einheitlichen Terminologie werden in dieser Arbeit die Begriffe Luftschutzbauten, Luftschutzbunker (LS- Bunker) und Luftschutzstollen (LS- Stollen) durchgehend für all diejenigen Bauwerke angewandt, die dem Schutz vor feindlichen Luftangriffen dienten. Der Ausdruck „Luftschutzbauten“ bezeichnet als übergreifender Terminus sowohl Öffentliche Luftschutzräume und Luftschutzräume („Luftschutzkeller“) als auch LS- Bunker und LS- Stollen. „LS- Bunker“ bedeutet dabei ein oberirdisch, unterirdisch oder teilweise in die Erde eingelassenes splitter- und/oder bombensicheres Bauwerk in Form eines Hauses aus Beton, und als „LS- Stollen“ werden diejenigen Einrichtungen bezeichnet, die als fest ausgekleidete, splitter- und/oder bombensichere tunnelartige Systeme unter der Erde angelegt sind. Die Klarstellung ist notwendig, da in der Literatur eine durchgehend einheitliche Terminologie fehlt. So galten bis 1945 nur diejenigen Bauten als „Luftschutzbunker“, die bombensicher erbaut und mit Gasschleusen versehen waren. In Akten, in Büchern und Zeitschriftenartikeln aus der Zeit vor 1945 findet man jedoch neben dem Terminus „Bunker“ auch noch die Bezeichnungen „Luftschutzunterkunft“ (L.U. bzw. Lu) und/oder „Luftschutzhaus“. Die volkstümlich als „Luftschutzkeller“ bezeichneten Luftschutzeinrichtungen sind in dieser Arbeit durchweg als „Luftschutzräume“ bezeichnet. Dabei wird, wenn notwendig, zwischen „Öffentlichen Luftschutzräumen“ und denjenigen „Luftschutzräumen“ unterschieden, die, im Haus eingerichtet, normalerweise nur den Bewohnern des Hauses zur Nutzung vorbehalten waren.
Im letzten Abschnitt wird noch auf die Maßnahmen eingegangen, die zum Schutz hochwertiger Kulturgüter in Museen und Kirchen, in Bibliotheken und sonstigen Einrichtungen getroffen wurden. Denn der Luftschutz sollte ja nicht allein die Menschen schützen, sondern auch Kulturgut vor Schaden bewahren.
Auf die Darstellung der Bunkerbautechnik wird verzichtet, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde. Gleiches gilt für die städtebaulichen Maßnahmen und die Vorbereitungen zur Stadtsanierung im Sinne des Luftschutzes. Auch auf die umfangreichen Evakuierungen und Bevölkerungsverschiebungen 1 innerhalb der Stadt, die ja auch in gewissem Umfang dem Schutz der Zivilbevölkerung vor Luftangriffen dienten, wird insgesamt nicht eingegangen. Denn diese Thematik ist ebenfalls so komplex und umfangreich, daß sie einer gesonderten Untersuchung vorbehalten bleiben muß.
Unberücksichtigt bleibt gleichfalls der aktive Luftschutz (LS), 2 d.h. die gesamte militärische Organisation zum Schutz der Festung Kiel mit ihren Flakbatterien, Sperrballonen und Nebelanlagen. Nur als Ergänzung/Randnote ist dazu im Anhang eine Übersicht über die Gliederung und Dislozierung des Marine- Flak- Regiments beigefügt. 3
Quellen und Darstellungen
Der Forschungsstand zum Thema ist wenig umfangreich. Der Bunkerbau in Kiel während des Zweiten Weltkrieges wurde bisher kaum untersucht. Allein Foedrowitz und Neitzel haben sich im Rahmen anderer Arbeiten mit dem Bunkerbau in Kiel befaßt. Umfangreichere Dokumentationen und Darstellungen liegen nur über den Luftkrieg bzw. über die Auswirkungen des Bombenkrieges in Kiel vor, in denen jedoch über den Bau von Luftschutzanlagen nicht berichtet wird.
Das offensichtlich geringe Interesse an einer Aufarbeitung der Thematik „Bunkerbau in Kiel“ hat dazu geführt, daß mögliche Aussagen von Zeitzeugen kaum mehr verfügbar sind. Das Geschehen ist folglich fast ausschließlich aus Aktenbeständen rekonstruierbar. Dieses Quellenmaterial ist bedauerlicherweise wenig umfangreich und zudem lückenhaft. In den Archiven sind nur Restbestände zu finden. Die Masse der Akten ist verloren. Da die Bauleitung für den Bunkerbau während des Krieges beim Reichsministerium der Luftfahrt in Berlin lag, hatte man die Bauunterlagen in sog. „Pendelakten“ zusammengefaßt. Die Akten „pendelten“ (im Wortsinne!) zwischen der Kieler Außenstelle der Bauleitung des Luftfahrtministeriums, den beteiligten städtischen Behörden, der schleswig- holsteinischen Provinzialregierung und den Fachabteilungen des Ministeriums in Berlin. So wurden sie entweder bei Bombenangriffen zerstört, gingen verloren oder wurden kurz vor Kriegsende im Luftfahrtministerium vernichtet. 4
Die Aktenbestände im Stadtarchiv Kiel zum Bunkerbau ermöglichen es immerhin, den Planungsprozeß der Jahre 1939 bis Anfang 1943 einigermaßen befriedigend zu erschließen. Die Baugeschichte einzelner Bunker läßt sich nicht mehr nachvollziehen. Für die Zeit nach 1943 sind so gut wie keine Dokumente vorhanden. Der geringe Bestand an Unterlagen aus den Jahren 1943 – 1945 besteht fast ausschließlich aus Korrespondenz zwischen den städtischen Ämtern und den Behörden der Provinz bzw. des Reiches, die keinen erschöpfenden Einblick in die Bautätigkeit dieser Jahre ermöglicht. Bauunterlagen, die im Tiefbauamt vorhanden gewesen sein mögen, sind mit Sicherheit bei dem Luftangriff vom Mai 1945 vernichtet worden, bei dem das Rathaus schwere Schäden erlitt. Über die Luftschutzorganisation in Kiel lassen die Akten des Stadtarchivs gleichfalls nur einen oberflächlichen Überblick zu, weil dazu die Bestände genauso gering sind.
Im Landesarchiv Schleswig ist die Quellenlage zum Bunkerbau nicht wesentlich günstiger. Das Archiv besitzt aber immerhin einen umfangreichen Bestand an Unterlagen zur Baustoffversorgung und Baustoffzuteilung. Sehr interessant ist außerdem eine umfangreiche Akte mit den Unterlagen zu einem Enteignungsfall.
Der Aktenbestand der Oberfinanzdirektion beschränkt sich auf Unterlagen über diejenigen Kieler Luftschutzbauten, die nach dem Kriege entweder wieder für den Zivilschutz hergerichtet wurden oder aufgrund rechtlicher Verpflichtungen ständig überprüft werden müssen. Das bedeutet, daß keinerlei Vorgänge zu denjenigen LS- Bauten vorhanden sind, die kurz nach Kriegsende völlig beseitigt wurden. Das vorhandene Material besteht zudem überwiegend aus Vorgängen, die 1945 oder später zu den Akten verfügt wurden. Aus der Zeit des 2. Weltkrieges ist nur eine geringe Zahl an Schriftstücken vorhanden.
Von den an der Planung und am Bunkerbau beteiligten Firmen existieren die meisten nicht mehr oder haben, wie z.B. die Firma Frank Heimbau, 5 ihr gesamtes Material bereits vor Jahren vernichtet. Einzig die Kieler Baufirma Max Giese verfügt noch über einige wenige Vorgänge aus der Zeit von vor 1945. 6
Eine wichtige Quellengruppe mit allgemeine Informationen zur LS-Organisation und zum Bunkerbau vor und während des 2. Weltkrieges sind Zeitschriften und Gesetzestexte. Sie sind noch reichlich in verschiedenen Bibliotheken verfügbar. Erwähnenswert sind die Zeitschrift des Reichsluftschutzbundes und Fachzeitschriften des Bauwesens,...