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IST MEIN KIND EIN SCHREIBABY?
Der Begriff »Schreibaby«, den wir auch im Titel dieses Buches verwenden, hat sich als Begriff für untröstlich weinende Babys etabliert. Doch auch wenn Ihr Baby gerade viel und untröstlich weint, ist es nicht einfach nur ein Schreibaby, sondern Ihr wundervolles Kind, das Sie gerade durch sein vermehrtes Weinen ganz besonders fordert.
Übertragen Sie deshalb diesen Begriff nicht einfach auf Ihr Kind, wodurch es primär auf sein Schreiverhalten reduziert wird. Das Wort Schreibaby soll eigentlich nur eine Situation oder ein Verhalten beschreiben, aber niemals Ihr Baby als Person. Nehmen Sie Ihr Kind also immer als ganzen Menschen wahr, auch wenn das Schreien Ihren Alltag momentan vielleicht sehr beeinflusst. Und machen Sie auch Ihr Umfeld darauf aufmerksam, wenn es unbedacht mit diesem Begriff umgeht. Es wäre zu wünschen, dass sich zukünftig ein passenderes Wort etabliert. Wir sprechen in diesem Buch deshalb auch oft von erhöhten Bedürfnissen oder eben untröstlich weinenden Babys.
Schreie sind schwieriger zu deuten
Es ist viel schwieriger, das Weinen und Schreien des Babys zu interpretieren als die kleinen Anzeichen zuvor. Untersuchungen haben gezeigt, dass selbst erfahrene Säuglingskrankenschwestern das Schreien von Babys nur zu 50 Prozent richtig deuten können. Zudem geraten wir in Stress, wenn das Baby weint, weil wir dies (von der Natur so vorgesehen) unbedingt beenden wollen. Da es so schwierig ist, vom Weinen auf die Ursache zu schließen, kommt es umso mehr darauf an, nach und nach die kleinen Signale des Babys verstehen zu lernen, um vor dem Weinen eingreifen und sein Bedürfnis erfüllen zu können.
Den Grund für das untröstliche Weinen erkennen lernen
Bei Babys, die ein von der Norm abweichendes Schreiverhalten zeigen, ist es zudem besonders wichtig, dass Eltern nicht nur die Signale für Bedürfnisse verstehen lernen. Sie sollten vor allem auch die Gründe für mögliche andere Reaktionen verstehen, um das Baby richtig einzuschätzen und auf dieser Basis handeln zu können. Auf diese Gründe gehen wir in Kapitel 2 (siehe >) noch näher ein. Denn eines ist klar: Alle Eltern wollen das andauernde Weinen des Babys verhindern, aber einige haben einen schwierigeren Weg dorthin, weil das Verhalten des Kindes schwerer verständlich ist und von dem Verhalten der meisten anderen Kinder abweicht.
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WELTWEIT HILFE NUMMER 1: TRAGEN
2017 hat eine vergleichende Studie mit über 684 Frauen aus elf verschiedenen Ländern ergeben, dass es ein kulturübergreifend gleiches Handeln bei Müttern gibt, wenn ihre Babys weinen: Sie nehmen sie auf den Arm, tragen sie und sprechen mit ihnen. Ablenkung oder Kuscheln sind eher nicht die Mittel der Wahl.
Wird ein weinendes Baby auf den Arm genommen, beruhigt es sich meist rasch.
Der schwierige Weg zum Verstehen des Kindes
Um einen guten Weg mit Babys, die viel weinen, zu finden, müssen wir einen dreistufigen Weg gehen: Beobachten – Verstehen – Handeln. Insbesonders der zweite Schritt des Verstehens ist bei viel weinenden Babys von großer Bedeutung. Oft reagieren Eltern nur in zwei Schritten: Sie beobachten – und handeln. Weint das Baby, nehmen sie es auf den Arm oder stillen beziehungsweise füttern es zur Beruhigung. Bei vielen Babys funktioniert das zweistufige Vorgehen auch problemlos, bis sich eine differenziertere Kommunikation eingespielt hat.
Generell ist es dennoch wünschenswert, dass Eltern den zweiten Schritt des Verstehens in ihren Familienalltag einbinden. Bei viel weinenden Babys ist das Verstehen der Gründe allerdings unerlässlich, um langfristig ein passendes Beruhigungsangebot auswählen zu können.
Fehlende Vorbilder und Lernerfahrungen
Wenn uns das Verstehen schwerfällt, so liegt das daran, dass wir als Eltern zwar von Natur aus darauf vorbereitet sind, das Baby beruhigen zu wollen, und dafür mit einigen grundlegenden Verhaltensweisen ausgestattet wurden, dass aber die richtige Interpretation auch eine Frage der Übung ist. Diese Übung ist es, die uns heute fehlt, denn bevor wir selbst Eltern werden, haben wir nur wenige Möglichkeiten, mit Babys und Kleinkindern zusammen zu sein. Uns fehlt es an Vorbildern und auch an Probesituationen, in denen wir lernen, wie wir mit dem Baby umgehen können. Geburtsvorbereitungskurse, YouTube-Videos und Foren bereiten uns nicht darauf vor, wie es wirklich sein wird, das eigene weinende Baby im Arm zu halten.
Natürliche Verhaltensweisen
Die Natur hat uns einige Verhaltensweisen mitgegeben, die wir unseren Kindern gegenüber zeigen: Beispielsweise sprechen Erwachsene und schon Kleinkinder auf der ganzen Welt ein Baby mit einer anderen Sprache an, einem Singsang in einer höheren Stimmlage. Diese sogenannte Ammensprache erleichtert die Kommunikation mit dem Baby und ermöglicht einen besseren Zugang zu ihm. Auch der Wunsch, das Weinen und Schreien des Babys zu beenden, ist in uns angelegt: Schreit ein Baby, reagieren wir instinktiv und wenden uns ihm zu, selbst wenn es nicht einmal unser eigenes Baby ist. Der Schrei eines Babys ist ein Notsignal, auf das wir unwillkürlich reagieren.
TIPP
URSACHENFORSCHUNG IST DAS A UND O
Wenn wir ein Baby, das häufig untröstlich weint, verstehen wollen, sollten wir während des Weinens nicht nach dem Grund suchen, sondern nach den Ursachen und Rahmenbedingungen zuvor. Der erste wichtige Eckpfeiler zur Babyberuhigung ist deswegen die Beobachtung. Ein Tagesprotokoll kann dabei helfen (siehe >).
Durch Zuwendung und Aufmerksamkeit lernen Eltern, die Signale ihres Kindes zu verstehen.
Mein Baby spricht eine andere Verhaltenssprache
Wird das Baby mit einem besonders sensiblen oder starken Temperament geboren oder gibt es medizinische Einflussfaktoren, erschwert das die Interpretationsmöglichkeit der Eltern, denn dieses Baby zeigt noch einmal andere Verhaltensweisen als die vielleicht wenigen anderen der Umgebung. Die Eltern fragen sich dann schnell: Was mache ich nur falsch? Warum reagiert mein Kind auf meine Handlungen nicht wie die anderen Babys? Doch der Grund liegt nicht unbedingt in den Handlungen der Eltern, sondern darin, dass dieses eine Baby eben eine »andere Sprache« spricht als die Babys der Umgebung oder andere Bedürfnisse hat. Die Eltern müssen lernen, diese speziellen Signale mit speziellen Handlungen zu beantworten, die manchmal ganz anders sind als bei den Nachbarskindern. Die große Aufgabe für uns Eltern besteht darin, die jeweils passende Reaktion auf die Signale des Babys zu finden und seine individuellen Bedürfnisse anzuerkennen. Diese Aufgabe begleitet uns das gesamte Elternleben und stellt uns je nach kindlicher Persönlichkeit vor größere oder kleinere Herausforderungen.
Auch wenn Eltern schon Kinder haben, kann ein neues Geschwisterkind mit einem sensiblen Temperament oder anderen Besonderheiten geboren werden, die von den Eltern ganz andere Handlungsmuster verlangen. Die Gründe für häufiges Weinen sind wesentlich komplexer als der oft geäußerte Vorwurf: Dein Baby schreit viel, dann machst du etwas falsch.
SIE WERDEN ES NIE VERSTEHEN
Menschen, die superentspannte Babys oder auch nur »mittelmäßig« entspannte Babys haben, werden nie verstehen können, was wir durchmachen, wir, die wir leider nicht solche Kinder bekommen. Sie kennen die Panik nicht, wenn das Kind zu früh aufwacht. Die Eine-Minute-Dusche und immer wieder die Dusche ausmachen, um zu lauschen, ob da nicht doch wieder Geschrei ist. Überhaupt das Phantom-Geschrei, das ich ständig höre! Sie fragen sich, warum das Kind schon so früh einen Schnuller antrainiert bekommt, weil sie keine Ahnung haben, wie es ist, wenn man stundenlang ein brüllendes Baby zu beruhigen versucht. Sie sagen: Tragen, Stillen – ist doch ganz einfach, das Geheimnis zufriedener Babys – und sie haben keine Ahnung. Die Allerschlimmsten sagen: Vielleicht seid ihr nicht entspannt? Da muss ich mich richtig zusammenreißen.
littleyears.de
Eltern sollten sich nicht isolieren
Es ist eine sehr schwierige Zeit für Eltern, bis sie verstehen und annehmen, dass ihr Kind anders ist als andere und andere Handlungsmuster braucht. Es ist eine Zeit, in der viel infrage gestellt wird, eine Zeit der Erschöpfung, des Missmuts, der Sorgen, Zweifel und Ängste. Und oft ist es auch eine Zeit der Isolation, wenn sich das Gefühl einschleicht, anders zu sein als andere.
Gerade beim ersten Baby denken viele Eltern, dass sie etwas falsch machen, wenn ihr Kind viel weint. Oder die Umgebung lässt sie mit verunsichernden Aussagen zurück und vermittelt ihnen das Gefühl, sie seien selbst schuld an der Situation. Ein Kreislauf der Verunsicherung kann so entstehen, der mitunter zur Folge hat, dass sich Eltern aus Scham immer seltener an Außenstehende wenden und über ihre Probleme sprechen. Sie ziehen sich immer weiter zurück, was die Probleme verstärken und zu Vereinsamung und Depression führen kann.
Deswegen ist es so wichtig, von Anfang an zu wissen: Wenn Ihr Baby viel weint und schreit, sollten Sie Hilfe in Anspruch nehmen. Nicht, weil Sie eine schlechte Mutter oder ein schlechter Vater sind, sondern weil Ihr Baby ein besonderes Baby ist und Sie Unterstützung brauchen, um es in seinen individuellen Bedürfnissen zu begleiten. Wie wir in einem späteren Kapitel (siehe >) noch sehen werden, kann das Schreien des Babys viele Ursachen haben.
»Keine Mutter ist eine schlechte Mutter, kein Vater ein schlechter Vater, weil das Baby besonders...