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E-Book

Meine beschissene Angst und ich

AutorSebastian Keck
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783451816871
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Sebastian Keck leidet unter Angst- und Panikattacken. Eigentlich will er nur für drei Wochen in die psychosomatische Klinik - bis sein Psychotherapeut wieder aus dem Urlaub kommt. Daraus werden fünf Monate und ein langer Weg zurück ins Leben. Offen, provokant und mit scharfem Blick schildert der ehemalige Hiphop-Musiker und heutige Werber den Absturz eines 'Laissez-Faire-Kiffers' (Keck über Keck), der Vater wird und durch Burn-out und Depression in einer Angststörung landet. Er beleuchtet die familiären Hintergründe für seine Erkrankung und schildert den ganz normalen Wahnsinn in einer Privatklinik für Psychosomatik. Ein erstaunlich ehrliches Buch über die Mitte des Lebens. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Martin Hautzinger, Leiter des Arbeitsbereichs Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Eberhardt Karls Universität Tübingen.

Sebastian Keck (*1978), ist Mitglied der Hip-Hop-Band 'Freidenker', von der zwischen 2004 und 2014 fünf Alben erschienen. Sie standen u.a. unter Vertrag bei Herbert Grönemeyers Label Grönland Records, Produzenten waren u.a. Deichkind. Seit 2006 ist er Inhaber und Geschäftsführer einer Werbeagentur. Kecks Tochter wurde 2017 geboren. In diesem Jahr bekam er einen Burnout und es begann sein Leidensweg in eine Depression und Angststörung. Therapien und Klinikaufenthalte wurden Teil seines Lebens. Der Autor lebt mit seiner Frau und seiner Tochter in Stuttgart.    

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Leseprobe

Kapitel 1

Ist ein Schneeball in der Hölle überlebensfähig? +++ Es könnte ja jemand Tabletten horten +++ Ich lerne gleich meine Therapeutin kennen +++ Meine Angst, im Suizid zu enden +++ Alle depri

Montag:

Ich wache ohne Panik auf, blicke zur hohen Stuckdecke, seidenweiß, lasse mir Zeit, streife mit dem Zeigefinger über die Staubschicht des Nachttischs. Krame ein verwaschenes Batikshirt aus meinem Kleiderschrank. Meine Frau und Ella sind in der Krabbelgruppe wie jeden Montag. Sie haben ihre Routine, ihr Leben gefunden. Nur mein Planet ist aus der Umlaufbahn geflogen. Mein Schmerz fühlt sich an wie etwas von der Größe des Universums. Mein Planet taumelt irgendwo verquer in schwarzen Löchern. Die NASA hätte die Suche längst aufgegeben. Der Sommer, in dem meine Welt in tausend Stücke zerbrach, die sich nie mehr zu einem Ganzen fügten.

Der Himmel rauchgrau, Herbstlaub platt und nass. Ich gehe noch zum Edel-Barbier und lasse mir Haare und Bart für 85 Euro schneiden, kaufe bei dm verschiedene Pflegeprodukte für den Aufenthalt in den nächsten Wochen, wer weiß, wie lange das alles dauert, geplant sind drei Wochen, so lange ist mein Therapeut auf Kuba. Er meinte, ich könne nichts verlieren, ich solle das machen. Sein Wort in Gottes Ohr, dachte ich mir. Dass ich den Mann nie mehr wiedersehen würde, ahnte ich natürlich nicht. Ich komme mir ein bisschen vor wie Anfang 20, als ich in meine Studentenbude fuhr, meistens mit einem Kater vom Wochenende. Ich telefoniere vorsichtshalber noch mit einer Tagesklinik in Stuttgart, um auch diese Option in der Hinterhand zu behalten, falls ich morgen aus heiterem Himmel alles abblase.

Meine zwei Mädels kommen nachmittags und wir sind entspannt zu Hause. Das Packen verschiebe ich auf abends. Ich sehe es momentan relativ gelassen, meine Frau meint, ich solle es als Wellness für die Seele sehen. Wir schauen noch einen Film. Eat Pray Love mit Julia Roberts. Eine extra Portion Kitsch. Wenn alles so einfach wäre, könnte ich auch in einen Aschram nach Indien und einen Monat lang Schweigemeditation üben. Wenn meine Freiheit sich als ein Herumirren offenbart und ich selbst zu einem Irrtum werde, sind unter Umständen aber alle Umwege, all der Schmerz, die komplette Grausamkeit meines momentanen Daseins notwendig und schlicht nichts anderes als Gottes Art zu sagen, dass es mich wirklich gibt.

Akut stellt sich eher die Frage, ob ein Schneeball in der Hölle überlebensfähig ist. Ich schmelze Tag für Tag. Zumindest müssen meine Mutter und Schwiegermutter nicht mehr traurig von den Enkelkindern anderer Leute erzählen. Das habe ich noch kurz vor dem Kollaps hinbekommen. Ella lässt sich nachts nicht zur Ruhe bringen, es ist, als ob sie wüsste, dass Papa auf eine lange Reise geht, um sich von der Welt zu erholen. Sie brüllt ihren Protest immer wieder brutal hinaus, sodass meine Frau mit ihr zum Schlafen ins andere Zimmer flüchtet, aus Rücksicht auf mich.

Dienstag: 

Ich wache punktgenau auf. Immer vor einschneidenden Ereignissen und Terminen wache ich auf die Minute genau kurz vor dem Klingeln des Weckers auf. Wir machen den Abschied kurz und undramatisch. Weinen wenig. Die Fahrt bei dem trüben Winterwetter hat etwas Geträumtes an sich. Es nieselt leicht. Alles grau in grau. Kaugummigrau. Ich bin relativ gelassen. Es ist noch zu früh für Angst und Panik. Ich verlasse die Autobahn nach genau einer Stunde, fahre über Bundesstraßen zu Landstraßen immer tiefer in den Schwarzwald hinein. Eine Notiz an mich von meinem Navi: 19 Minuten bis zum Ziel. Diese Stelle werde ich für immer im Gedächtnis behalten, und jedes Mal, wenn ich künftig an ihr vorbeifahre, denke ich an die Zahl 19. Ich halte an und pisse in einen Graben. Hier ist hinter dem Ende der Welt, ich bräuchte eigentlich einen Schlummertrunk und müsste mich wieder schlafen legen. Hier ist der Hund begraben, ich komme an in einem 700-Seelen-Dorf im Hochschwarzwald.

Ich biege links ab, dann 200 Meter geradeaus, vorbei an einem Altenheim, dann rechts und eine kleine Anhöhe hinauf. Mein Mini kommt kurz vor einem Grand Hotel aus dem 18. Jahrhundert zum Stehen. Etwas Unheimliches geht von dem Gebäude aus. Das wird alles langsam hollywoodreif. Eigentlich eine pittoreske Szenerie für Instagram. Ein paar Gestalten tummeln sich zum Rauchen auf der weißen Holzveranda, die aussieht wie bei Bonanza, und erspähen mich. Ich sehe, wie sich Köpfe kurz recken und in meine Richtung blicken.

Nur eine Handvoll Parkplätze direkt am Haupteingang. Ich parke am Rand und nehme brav meine Antidepressiva mit einem Schluck Wasser ein, wir wollen ja keine Depression auf Entzug. Die Koffer lasse ich bewusst im Auto, denn ich weiß nicht, wie lange ich an diesem Ort bleiben werde. Das hier, spüre ich, ist eine Welt für sich. An der Rezeption frage ich gleich als Erstes, ob das mit dem Einzelzimmer geklappt hat, und bin erst mal erleichtert, als die Empfangsdame nickt. Das war meine größte Befürchtung, dass ich hier meinen Seelenstriptease mit irgendeinem stinkenden Arschloch in einem Doppelzimmer abziehen müsste.

Ich werde in ein Nebenzimmer geführt und untersucht, dann oberflächlich und raubeinig von einer mit einem sehr harten osteuropäischen Akzent sprechenden Psychiaterin befragt; die Dame sollte mir später noch einige heitere Momente bescheren. Ich merke schnell, dass ich hier nicht mein Herz ausschütten muss, es ist offensichtlich, dass sie gerne alles andere als nur die Aufnahmeärztin wäre. Wieder raus und warten auf das Zimmer. Augen glänzen fiebrig, ein zerstörtes Wesen mit Kopfhörern läuft wie ein Tiger im Käfig auf und ab, immer exakt an der gleichen Stelle, Tropfen kullern unaufhörlich aus seinen Augenwinkeln.

Meine Neugier ist riesengroß und zieht mich zum Rauchereck für eine kurze Ankunftszigarette. Hier stehen ein paar jung gebliebene Endzwanziger und Mittdreißiger herum. Ich frage natürlich sofort, wer sie sind, wo sie herkommen und vor allem warum sie hier sind. Bastian, Alkoholprobleme, Spielsucht, verstärkter Cannabiskonsum – er sollte Monate später einer meiner dicksten Homies hier werden. Lässig schlottriger Assi-Look, schwarze Jogginghose, grüner Fleecepulli, Sneakers mit Plateausohle, perfektes Proleten-Image, fehlt nur noch das Goldkettchen. Babyhaut ohne jeglichen Ansatz von Bartwuchs, kurz geschnittenes Haar, verwegener Gesichtsausdruck, die listigen Augen sprechen von einem bewegten Leben und einer hohen Sensibilität, die hier im Übrigen fast alle haben, sonst hätte wohl auch keiner eine psychische Krankheit. Er drückt hastig, angespannt und resolut die Zigarette aus und sagt: „Ich hab jetzt Einzel, bis später.“

An der Balustrade lehnend Tatjana, schweres, schwarzes, langes Haar, blickt mit der Traurigkeit ihrer dunklen Mandelaugen hoch zu mir und inhaliert tief – Traumaopfer, wie ich später erfahre –, jongliert die Glut der Zigarette und ascht dann gekonnt und blitzschnell ab. Später erfahre ich, dass ein Freund ihr K.o.-Tropfen verabreicht hat, dann wurde sie von vier Bekannten vergewaltigt, Alkoholprobleme, Angststörung, Panikattacken, Schlafprobleme, das ganze Programm. Sie ist seit drei Wochen hier und bei der Trauma-Koryphäe Frau Dr. Rebmann in Behandlung.

Ein älterer Herr im Mantel, der aussieht wie ein Professor, redet gebildet und besitzt einen beeindruckenden Wortschatz, formuliert Sätze wie aus einem Roman-Bestseller, Psychose, Depression, seine Frau lässt sich scheiden – Karl. Sein spärliches Haar ist ungepflegt, seine wässrig blauen Augen im bleichen Gesicht liegen in versunkenen tiefen Höhlen, und die dicken Brillengläser in einem geschmacklosen, viel zu kleinen Gestell akzentuieren das Grausen nur noch mehr. Er raucht Kette, die Beine übereinandergeschlagen, blauer Mantel, darunter schwarze Jogginghose. Er freut sich sichtlich über meine Anwesenheit, ein Werbefuzzi habe noch gefehlt, lacht er.

Daneben lümmelt Lukas, lichtes, lockiges, strohblondes Haar, die friedlichen braunen Augen drücken eine befremdliche Nettigkeit aus, was bei genauerem Hinsehen an dem leicht wirren Blick seiner Cannabis-induzierten Psychose liegen mag. Student aus Maastricht, International Business, van-Gogh-gelbe Regenjacke, riesige Bommelwollmütze und schwarze Kopfhörer darauf. Er hört das neue Album von Cro, Unendlichkeit flasht ihn. Später erfahre ich, dass er von seiner Mutter hergefahren wurde, die sofort sein Handy wegschließen ließ. Bei seiner Ankunft hielt er erst mal jeden und jede für den reinkarnierten Teufel. Seine schmollend roten Lippen wirken wie geschminkt.

Alle sind extrem gut gelaunt. Lukas fragt, ob ich was zu kiffen dabeihätte, und lacht schelmisch. Ich grinse und drehe mir noch stümperhaft eine Zigarette zusammen, ich habe 20 Jahre lang gekifft, aber nie gelernt, einen Joint zu drehen, was Lukas sofort auffällt: „Und du hast mal gekifft?“ – „Ja, ich weiß, ich konnte tatsächlich noch nie Tüten zusammendrehen.“ Eine wilde Diskussion über die perfekt gerollte Tüte entfacht sich.

Die stämmige, an den dicken Oberarmen tätowierte Dame von der Rezeption kommt hektisch herangewackelt wie eine zu fette Ente, Oberschenkel wie Schweinskeulen, und führt mich durch die langen Flure die Treppe hoch durch das Haupthaus, in dem die akut gefährdeten Patienten untergebracht sind, den Verbindungsflur entlang zum Nebengebäude hoch in den 3. Stock, aufs Zimmer mit Blick auf die Kirchturmuhr, das einer Suite im „Steigenberger“ gleichkommt. Ich versuche mich zu ordnen, so gut es geht, lasse den Koffer offen auf dem Boden liegen, falls ich schnell abreisen muss, und düse wieder zurück ins Rauchereck, um weiter zu bohren, was hier abgeht.

Mittagessen. Ich sitze...

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