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E-Book

Melanchthon

Vermittler der Reformation

AutorHeinz Scheible
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl446 Seiten
ISBN9783406686740
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR

Philipp Melanchthon war der wichtigste Weggefährte Luthers – und viel mehr als das. Der leise und stotternd sprechende kleine Griechisch-Professor war der eigentliche Kommunikator der Reformation: Er führte politische und theologische Verhandlungen, reiste unentwegt, schrieb unzählige Briefe und machte die Reformation zu einer Bildungsbewegung. Heinz Scheible hat seine viel gerühmte Biographie des großen Humanisten für diese Neuausgabe umfassend bearbeitet und erweitert. Als Melanchthon 1518 mit 21 Jahren von Tübingen nach Wittenberg wechselte, war der 14 Jahre ältere Luther von dem "wunderbaren Menschen, an dem fast alles übermenschlich ist" begeistert. Schnell entwickelte sich eine enge Freundschaft zwischen dem feinsinnigen Humanisten und dem polternden Theologen, die in zahlreichen Doppelbildnissen verewigt wurde. Darüber konnte jedoch Melanchthons eigenständiges Wirken als Reformator leicht übersehen werden. Heinz Scheible zeichnet auf der Grundlage einer einzigartigen Quellenkenntnis Melanchthons Leben nach, erklärt seine Bedeutung als Bildungsreformer, Philosoph, Theologe und politischer Unterhändler und geht dem wechselvollen Verhältnis zu Luther nach. Ob sich die Reformation ohne Melanchthon durchgesetzt hätte, ist ungewiss. Heinz Scheibles Standardwerk zeigt eindrucksvoll, was sie ihm verdankt.



Heinz Scheible, Gründer und langjähriger Leiter der Melanchthon-Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, hat die kritisch kommentierte Gesamtausgabe von Melanchthons Korrespondenz herausgegeben. Für seine wissenschaftliche Leistung wurde er u. a. mit dem Melanchthon- Preis der Stadt Bretten ausgezeichnet.

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Leseprobe

Herkunft und Ausbildung


Bretten


Was heute in Bretten Fußgängerzone ist, war am 16. Februar 1497 eine Welthandelsstraße. Von der Reichsstadt Speyer, an deren Rheinhafen die Tuche aus den Niederlanden verladen wurden, oder von der Messestadt Frankfurt, damals schon das Mekka der Büchernarren, zogen die Kaufleute nach Esslingen, Ulm und Augsburg, wo der niederländische Warenstrom mit dem orientalischen aus Italien zusammentraf. Ein Stückchen von dem Wohlstand der Reichsstädte blieb auch in dem kurpfälzischen Amtsstädtchen hängen. Der Landesherr in Heidelberg verdiente am Geleit, und wer morgens in Speyer losgefahren war, aß im bischöflichen Bruchsal zu Mittag, um dann dem Saalbach folgend gegen Abend durchs Gottesackertor in Bretten anzukommen. Das Gasthaus zur Krone gleich links am Marktplatz war imstande, einen Kaiser zu beherbergen. Karl V. war hier dreimal zu Gast, wenige Stunden am 24. Juli 1543 über Mittag, zur Nacht am 27. Juni 1550 auf der Reise von den Niederlanden zum Augsburger Reichstag und am 11. September 1552 auf seinem Heereszug gegen Frankreich. Schräg gegenüber am Südrand des Marktes wohnte damals der Schwager des Kronenwirts, der kurfürstliche Schultheiß und Tuchhändler Georg Schwartzerdt. Es war sein Geburtshaus und auch das seines älteren Bruders Philipp, den wir als Melanchthon kennen. Am 13. August 1689 fiel es dem Stadtbrand zum Opfer, den die Truppen des roi soleil gelegt hatten. Die unglückliche Liselotte von der Pfalz diente als Vorwand. Seit 1903 steht an dieser Stelle ein prächtiges Museum, historisierend in der Architektur, handwerklich solide in der Ausstattung, kostbar durch die Bücherschätze. Nikolaus Müller, Professor in Berlin, hat es zum 400. Geburtsjubiläum Melanchthons zustande gebracht.

1497 wohnte dort Philipps Großvater, der Kaufmann und zeitweilige Schultheiß Johann Reuter. Er war anscheinend kein eingesessener Brettener, doch wissen wir nicht, von wo er zugezogen ist. Verwandte hatte die Familie in Speyer. Das stattliche Haus in bester Lage dürfte seine Frau in die Ehe eingebracht haben. Nachdem erkannt wurde, dass Melanchthons Großmutter nicht die Pforzheimerin Elisabeth Reuchlin sein kann, wie man lange annahm, steht der Vermutung nichts im Wege, dass sie einer wohlhabenden Brettener Familie entstammte. Wir kennen nur zwei Kinder aus dieser Ehe: die Tochter Barbara und ihren erheblich jüngeren Bruder Johann Philipp, der 1551 als Prior des Klosters zum Heiligen Grab in Speyer starb. 1493 wurde die sechzehnjährige Barbara Reuter dem achtzehn Jahre älteren kurfürstlichen Rüstmeister Georg Schwartzerdt angetraut. Er war der Sohn eines Heidelberger Schmieds und hatte in zwei metallverarbeitenden Berufen eine vorzügliche Ausbildung genossen. In der Reichsstadt Nürnberg lernte er das Plattnerhandwerk. Seine leichten und dennoch festen Rüstungen waren von Fürsten begehrt; Kaiser Maximilian bestand auf dem Wormser Reichstag 1495 seinen spektakulären Zweikampf mit dem burgundischen Ritter Claude de Vauldrey in einer Rüstung des Heidelbergers. Dieser verstand aber auch die Kunst, Geschütze zu gießen und sie abzufeuern. Er hatte sie im oberpfälzischen Amberg gelernt. Sein Dienstherr war der angestammte Landesfürst, Philipp der Aufrichtige von der Pfalz. Als die nunmehr zwanzigjährige Barbara am 16. Februar 1497 im elterlichen Haus in Bretten ihr erstes Kind, einen Sohn, gebar, erhielt es den Namen dieses Kurfürsten.

Die früheste Kindheit verlief ohne Störung. Dem Erstgeborenen einer jugendlichen Mutter in behaglichen Verhältnissen wurde alles zuteil, was für seine seelische und körperliche Gesundheit erforderlich war. Mochte der Beruf des Vaters auch dessen häufige Abwesenheit erfordern, so war doch der Großvater als Oberhaupt der Familie im Hause. Die Geburt der Schwester Anna und des Bruders Georg im Abstand von jeweils zwei Jahren, später noch der Schwestern Margarete und Barbara, ließ dem kleinen Philipp deutlich werden, dass er nicht allein auf der Welt war. Der Sinn für menschliche Gemeinschaft wurde bei ihm gut ausgebildet. Er besaß die Fähigkeit, sich in eine Gemeinschaft einzufügen, sich den Gegebenheiten anzupassen.

Seine sprachliche Begabung wurde erkannt und gefördert, zuerst in der städtischen Lateinschule, danach durch einen Hauslehrer, Johannes Unger aus Pforzheim. Durch dessen Drill lernte Philipp die virtuose Beherrschung der lateinischen Sprache. Täglich mussten zwei Dutzend Verse des zeitgenössischen Dichters Baptista Mantuanus analysiert werden. Fehler wurden mit Schlägen bestraft, doch Unger strafte maßvoll, wie noch der alte Melanchthon versicherte. Das Gelernte wurde in Rede und Gegenrede vertieft. Philipp wurde ein unermüdlicher Disputator. Dabei musste er einen leichten Sprachfehler überwinden. Zuweilen schämte er sich deswegen auch später noch. Aber wirklich gehemmt war er dadurch nicht. Vielmehr ist als frühes Erfolgserlebnis gut bezeugt, dass die Lateinkenntnisse des kleinen Jungen bei durchreisenden Scholaren höchstes Erstaunen hervorriefen.

Bretten: Stadtansicht von Süden, 1645    Melanchthons Geburtsstadt lag mauerbewehrt am Hochufer über dem Saalbach, einem Nebenfluss des Rheins. Der südlichste Vorort der Kurpfalz im Kraichgau, umgeben von badischen, bischöflich-speyrischen, württembergischen und reichsritterschaftlichen Gebieten, konnte 1504 einer zweiwöchigen Belagerung durch Herzog Ulrich von Württemberg widerstehen.

Sehr bald nahm ihn der Vater mit, wenn er in der Residenzstadt Heidelberg zu tun hatte. Überliefert ist der 27. Juli 1503, der Tag, an dem der Wormser Bischof und Heidelberger Kanzler Johann von Dalberg durch einen Treppensturz zu Tode kam. Der sechsjährige Philipp war zufällig in der Stadt und hat dieses Ereignis nie vergessen.

Ein Jahr später erfuhr die behagliche Geborgenheit seiner Familie eine ernste Gefährdung mit nachhaltigen Folgen. Im Krieg um das Landshuter Erbe – die Kurpfalz wurde von mehreren Seiten angegriffen – widerstand Bretten einer zweiwöchigen Belagerung durch den jungen, stürmischen Herzog Ulrich von Württemberg. Philipp erlebte Beschießung und Ausfall, und vielleicht musste er mit ansehen, wie sein Großvater von wütenden Söldnern am Leben bedroht wurde. Jedenfalls wusste er hinfort sehr genau, was Krieg bedeutet. Wir erkennen darin eine Wurzel seines lebenslangen Wirkens für Frieden durch Überbrückung der Gegensätze. Die Kurpfalz musste damals Gebietsverluste hinnehmen, gerade auch in der Nachbarschaft Brettens, wo Württemberg das Städtchen Knittlingen (den Geburtsort des historischen Dr. Faust) und das Kloster Maulbronn gewann, was noch heute in der Kreisgrenze berücksichtigt wird.

Der Vater hatte mit seiner Artillerie an der hessischen Front bei Mannheim gekämpft. Er kam als kranker Mann nach Hause. Die Familie war überzeugt, dass von hessischen Feinden vergiftetes Brunnenwasser die Ursache war, und noch nach vielen Jahren konnte bei Melanchthon darüber Groll aufbrechen. Vielleicht aber hatte der ständige Umgang mit Chemikalien und giftigen Metallen die Gesundheit des Geschützmeisters untergraben. Jedenfalls lebte Philipp von seinem achten Lebensjahr an mit einem chronisch kranken, nach damaligen Begriffen alten Vater, der sein Schicksal mit ernster Frömmigkeit bewältigte. Gleichzeitig brachte ihm der Hauslehrer Unger die humanistische Bildung nahe. Sie sollte sein Lebensberuf werden. Dass Melanchthon kein einseitiger Rationalist wurde, sondern ein frommer Beter blieb, ist die Folge dieser Prägung seiner Kindheit.

Pforzheim


Im Oktober 1508 starben der Großvater und der Vater. Dieser hatte seinem Ältesten düstere Zukunftsprognosen und eindrückliche Mahnungen mit auf den Weg gegeben und ihn dann nach Speyer zu...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Cover1
Titel3
Impressum4
Inhalt5
Einleitung9
Herkunft und Ausbildung12
Bretten12
Pforzheim15
Heidelberg18
Tübingen24
Griechischprofessor und Bildungsreformer34
Wittenberg34
Melanchthons Antrittsrede39
Die ersten Vorlesungen40
Studienreform und Rektorat42
Erweiterte Lehrfreiheit49
Schulreform52
Die Nürnberger Schulgründung54
Studienpläne61
Fortsetzung der Universitätsreform64
Reformator70
Anhänger Luthers70
Die Wittenberger Bewegung73
Die erste Urlaubsreise89
Gefährlicher Aufruhr95
Visitationen98
Gegen Täufer und Separatisten101
Philosoph105
Sprache und Denken105
Ethik und Politik109
Mensch, Natur und Sterne114
In der hohen Politik121
Glauben und Handeln121
Bekenntnis und Bündnis124
Der Augsburger Reichstag128
Unterwegs für den Schmalkaldischen Bund141
Religionsgespräche und Reformationsversuche155
Melanchthons biblische Theologie168
Heilige Schrift und kirchliche Tradition168
Gesetz und Evangelium170
Loci communes172
Luther176
Verliebtheit177
Die Bibelübersetzung178
Luthers Heirat181
Erasmus und die Willensfreiheit183
Die Coburg-Briefe189
Quertreiber195
Postume Würdigung204
Flucht und Rückkehr208
Der Ausbruch des Schmalkaldischen Krieges208
Zuflucht in Zerbst und Nordhausen211
Melanchthons Entscheidung für Wittenberg215
Die Ablehnung des Interims224
Ständiger Ärger235
Der sächsische Irrweg236
Flacius und die Adiaphora240
Osiander und die Rechtfertigungslehre245
Maior und die guten Werke249
Eine Reise ohne Ankunft252
Das Trienter Konzil253
Die Confessio Saxonica254
Der Fürstenkrieg261
Gescheiterte Gespräche264
Der Naumburger Konvent265
Die Coswiger Handlung268
Das zweite Wormser Religionsgespräch278
Antwort an die Inquisition294
Die Kirche297
Das Abendmahl299
Buße und Willensfreiheit300
Abgötterei302
Mensch in der Geschichte305
Das Tübinger Erbe305
Melanchthons Gegenwart311
Die zukünftige Welt318
Nachwort323
Anhang325
Zeittafel327
Abkürzungen347
Literatur350
Nachweise355
Bildnachweis387
Personen389
Orte und Themen416
Zum Buch446
Über den Autor446

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