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Metamorphosen des Kapitalismus - und seiner Kritik

und seiner Kritik

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl254 Seiten
ISBN9783531910796
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Die Beiträge dieses Bandes diskutieren die aktuellen Diskursverschiebungen der Kapitalismusanalyse und -kritik, die auf die 'neoliberale' Transformation des kapitalistischen Systems antworten. Sie lassen sich dabei von der Frage leiten, wie eine theoretisch schlüssige und praktisch aussichtsreiche Kapitalismuskritik zu konzipieren ist, nachdem die klassischen Instrumente der Gesellschaftskritik in vielfacher Weise diskreditiert sind und sich als stumpf und überholt erwiesen haben.
Der erste Teil des Bandes versammelt Beiträge, in denen wichtige Stränge der aktuellen Kapitalismuskritik vorgestellt und kritisch diskutiert werden. Die Arbeiten des zweiten Teiles wenden sich - zentriert um Begriffe wie 'Exklusion', 'Prekarität' oder 'neue Armut' - den neuen Ungleichheiten und Konfliktlinien im 'postfordistisch' transformierten Kapitalismus zu. Im Mittelpunkt der Beiträge des dritten Teiles steht die Frage nach praktisch-politischen Widerstandspotenzialen und Gegenentwürfen gegen die schrankenlose Durchkapitalisierung der Welt.

Dr. Rolf Eickelpasch ist Professor em. am Institut für Soziologie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Dr. Claudia Rademacher ist Professorin für Soziologie an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin.
Philipp Ramos Lobato hat an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie studiert.

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Leseprobe
Die Begriffe und das Vokabular sozialer Ungleichheit – in Zeiten ihrer Verschärfung (S. 93-94)

Berthold Vogel

Die Sozialstrukturanalyse der bundesdeutschen Nachkriegsjahrzehnte beruhigte lange Jahre mit Zwiebelbildern sozialer Ungleichheit, Individualisierungstheorien und Lebensstilmilieus die Gefühlslagen einer wohlfahrtsstaatlich geordneten Gesellschaft. Der strukturelle und normative Kern dieser Gesellschaft war eine gleichermaßen umfangreiche wie differenzierte Mittelklasse. Doch mit der Verfestigung dauerhafter Arbeitslosigkeit, der Verhärtung materieller Armut, der Polarisierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse und der Verschärfung sozialer Abstiegsrisiken etabliert sich seit den 1990er Jahren eine schärfer konturierte Sichtweise des sozialen Strukturgefüges.

Das Bild einer gespaltenen Gesellschaft tritt uns heute aus zahlreichen soziologischen Publikationen, aber auch im Feuilleton der Tagespublizistik entgegen. Starke Scheidungskategorien wie Exklusion und Inklusion sowie prägnante Dramatisierungsbegriffe wie Überflüssigkeit und Entbehrlichkeit zählen seit einigen Jahren zum Inventar der Debatte um soziale Ungleichheit. Mittlerweile haben sie auch beträchtliche publizistische Resonanz erhalten (zur ‚Debattenhistorie’ aktuell Bude/Willisch 2008). Dieser veränderte, auf Spaltung und Polarität hin orientierte Zuschnitt der soziologischen Ungleichheitsforschung, der vor einiger Zeit von einer großen deutschen Tageszeitung unter dem Titel „Der große Graben" noch einmal mit Nachdruck ins öffentliche Bewusstsein gehoben wurde (Matzig 2005), hat zweifelsohne gute empirische Gründe und liefert ein erweitertes Verständnis gesellschaftlicher Entwicklungen.

Dennoch melden sich aus wissenschaftlicher Perspektive gewisse Zweifel, wie groß tatsächlich der Erkenntniszugewinn dieser soziologischen Verschärfung ist – ja, vielleicht droht auf diese Weise sogar manche wichtige Einsicht in den Wandel und die Neuordnung des sozialen Strukturgefüges verbaut zu werden. So geraten mit der Debatte um Exklusion und Inklusion die Zusammenhänge und Prozesse, die das ‚Innen’ und das ‚Außen’, das ‚Zentrum’ und die ‚Peripherie’ der Gesellschaft aneinander binden, schnell aus dem Blick.

Zudem suggeriert das markante Strukturbild einer ‚Innen-Außen’-Spaltung der Gesellschaft das Vorhandensein eines stabilen und homogenen gesellschaftlichen Zentrums, das diesseits exkludierter Randlagen angesiedelt ist. Auf diese Weise erscheinen alle, die irgendeiner Form der Erwerbstätigkeit nachgehen, als privilegierte Besitzer eines Arbeitsplatzes, die an den Segnungen moderner Wohlfahrtsstaatlichkeit und an der Fülle der Konsumgesellschaft teilhaben. Die strukturellen Brüche, Verwerfungen und Spaltungen innerhalb der Industriearbeiterschaft oder zwischen den verschiedenen Beschäftigungsverhältnissen im Dienstleistungssektor haben in dieser Diskussion keinen Raum mehr.

In der großen Zone der Inklusion verschwinden die kleinen Nöte und großen Sorgen derjenigen, die eine rechtlich und materiell veränderte Arbeitswelt zu ertragen haben. Somit lenkt die Dichotomie von ‚Innen’ und ‚Außen’ die Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Fluchtpunkte sozialer Ausgliederungsprozesse – auf die wachsende Armut und die dauerhafte Arbeitslosigkeit. Doch die Frage nach der Entwicklung sozialer Ungleichheit kann keineswegs alleine mit dem Verweis auf die Expansion und die Abspaltung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Randlagen beantwortet werden. Vieles spricht dafür, dass sich veränderte Formen der Ungleichheit nicht nur in der sozialen, mentalen oder räumlichen Peripherie der Gesellschaft kristallisieren – als ‚Ghettoproblem’, ‚Armutsfalle’ oder ‚Überzähligkeitserfahrung’.

Vielmehr zeigt ein aufmerksamer Blick auf die Entwicklung des sozialen Strukturgefüges, dass die Eckpfeiler der Mittelschichten, die Welt der Familie, der Schule oder der Haushaltsführung, vor allen Dingen aber die Sphäre der Erwerbsarbeit und die vielfältigen Einrichtungen des Wohlfahrtsstaates mehr und mehr unter Spannung stehen. Zum Beispiel droht die Tragfähigkeit der Familie in Zeiten niedriger ‚Reproduktionsraten’ und steigender ‚Trennungsquoten’ an Substanz zu verlieren. Zugleich tragen Familien die größten Abstiegsrisiken, da sie von steuerlicher Seite, aber auch durch die Last der zunehmenden Privatisierung sozialer Risiken unter Druck geraten.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt5
Vorwort7
Diskursverschiebungen der Kapitalismuskritik – eine Einführung8
Die Beiträge des Bandes13
Teil I Diskursverschiebungen der Kapitalismuskritik17
What’s left? Von der Desorientierung zur selbstreflexiven Standortbestimmung linker Gesellschaftskritik18
Gesellschaftskritik im Namen von?18
Nivellierte Mittelstandsgesellschaft?19
Reflexiver Kapitalismus21
Sozialkritik unter widrigen Umständen23
That’s left: Ungleichheit der Lebenschancen und Erneuerung der Sozialkritik24
Produktivkraft Kritik. Die Subsumtion der Subversion im neuen Kapitalismus26
1. Lähmung der Kritik: Boltanski/Chiapello27
2. Produktivkraft Subversion: Gouvernementalitätsstudien29
3. Der ‚Projektarbeiter’ als Leitfigur: Boltanski/Chiapello30
4. Das ‚unternehmerische Selbst’: Gouvernementalitätsstudien31
5. Zwischenresümee33
6. ‚Anders anders sein’: Gouvernementalitätsstudien35
7. Erneuerung von Sozial- und Künstlerkritik: Boltanski/Chiapello36
8. Resümee40
Messianischer Populismus von links? Anmerkungen zu dem Werk Empire von Michael Hardt und Antonio Negri45
Der Prozess der Sorelisierung45
Die Renaissance der Lebensphilosophie46
Die Sorelisierung im Werk47
Die Renaissance des ‚populistischen’ Anarchismus48
Macht als Vernetzungszusammenhang50
Populismus von links?51
Apologie der Gewalt52
Alles fließt – Ende offen54
Affirmativer Protest – Ambivalenzen und Affinitäten der kommunitaristischen Kapitalismuskritik56
1. „Die Stimme der Gemeinschaft hörbar machen“ – Herkunft und Aufbau der kommunitaristischen Kulturkritik60
2. „Verborgene Koalitionen“ – Der Kommunitarismus im Spannungsfeld von Liberalkonservatismus und geisteswissenschaftlicher Romantik65
3. Mit dem Kommunitarismus gegen den Kommunitarismus denken – zum sozialkritischen Potential der Utopie eines alternativen Gemeinwesens71
„Schaffen wir einen neuen Menschentyp“ – Von Ford zu Hartz77
Teil II Von den Rändern ins Zentrum?88
Die Begriffe und das Vokabular sozialer Ungleichheit – in Zeiten ihrer Verschärfung189
1. Soziale Verwundbarkeit und prekärer Wohlstand90
2. Wohlstandssicherung und Wohlfahrtspolitik92
3. Dimensionen sozialer Ungleichheit95
4. Die politische Ordnung sozialer Ungleichheit96
5. Ungleichheitsszenarien97
Alles prekär? Die Prekarisierungsdebatte auf dem soziologischen Prüfstand100
1. Prekäre Erwerbsarbeit101
2. Beschäftigung vs. Arbeitstätigkeit101
3. Prekäre Erwerbslage103
4. Prekäre Lebenslage105
5. ‚Gefühlte Prekarisierung’ oder zum Verhältnis von Position und Sichtweise107
6. Ausblick110
„Teufelskreis oder Glücksspirale?“ Ungleiche Bewältigung unsicherer Beschäftigung114
1. Prekarisierung der Erwerbsarbeit?117
2. Subjektive Wahrnehmung und Bewältigung unsicherer Beschäftigung123
3. Weder Teufelskreis noch Glücksspirale: Milieuspezifische Bewältigung unsicherer Beschäftigung129
Armut, soziale Ungleichheit und die Perspektiven einer „ Erneuerung der Sozialkritik“144
1. Armut, Ausgrenzung, Ausbeutung146
2. Die Illusion der Leistungsgerechtigkeit – Relative Chancen- ungleichheiten der sozialen Mobilität und des Statuserwerbs156
3. Schluss: Ungleichheitssoziologische Perspektiven der Sozialkritik163
Weniger ist mehr – Plädoyer für einen ‚exklusiven’ Exklusionsbegriff167
1. Exklusion: Wandlungen und Einwände169
2. Zum französischen Verständnis von Exklusion172
3. Für ein ‚exklusives’ Exklusionskonzept174
4. Exkludierende Akteure: Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt und Zentralität wohlfahrtsstaatlicher Institutionen179
5. Schlussfolgerung: Zum gesellschaftskritischen Potenzial des Exklusionsbegriffes183
Teil III Auswege – Perspektiven kritischer Praxis187
Widerständiges Prekariat? Probleme der Interessenvertretung in fragmentierten Arbeitsmärkten188
1. Die Diskurse der Prekarisierung189
2. Der Arbeitsmarkt der Prekarisierung192
3. Die Sozialstruktur der Prekarisierung197
4. Politik der Entprekarisierung203
Frauen an die Spitze? Zur Repolitisierung der Arbeits- und Geschlechterdebatte211
1. Finanzmarktkapitalismus, Umbau der Unternehmensstruktur und Subjekt213
2. Die Krise des fordistischen Genderregimes218
3. Neukonfiguration geschlechtlicher Ungleichheit220
4. Marktradikalisierung, unternehmerische Personalführung und neue Interessenkonstellationen227
5. Fazit230
Umarmter Protest. Soziale Bewegungen in Mexiko zwischen diskursiver Vereinnahmung und eigensinniger Widerständigkeit234
Frauen und Widerstand – Frauen im Widerstand235
Inkorporierung der Frauenbewegungen236
Widerständige Erneuerungskraft238
Frauen bewegen sich – Feministische Bewegungen in Mexiko239
Hoffnung durch/auf Autonomie – die zapatistische Bewegung242
Schluss244
Die Autorinnen und Autoren248

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