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Migration als Ressource - Bildungswege von jungen Menschen mit Migrationshintergrund

Eine qualitative Fallstudie

AutorCathrin Walbergs
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl124 Seiten
ISBN9783638832922
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Pädagogik - Interkulturelle Pädagogik, Note: 1,0, Universität Siegen, 19 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Forschungsarbeit mit dem Forschungsschwerpunkt 'Migration als Bildungsressource' ist der qualitativen erziehungswissenschaftlichen Migrationsforschung zuzuordnen und geht der Frage nach, in welcher Weise junge Menschen mit Migrationshintergrund besondere Ressourcen im Hinblick auf eine erfolgreiche Bildungskarriere im deutschen Bildungssystem entwickeln. Ziel ist es, das unentdeckte (Bildungs-)Potential innerhalb solcher Migrationsbiographien sichtbar zu machen. 'Migration, Integration, Interkulturalität und die Begegnung von Mehrheiten und Minderheiten waren in der Vergangenheit, sind in der Gegenwart und bleiben in der absehbaren Zukunft zentrale Problembereiche und Gestaltungsaufgaben gesellschaftlichen Zusammenlebens'(IMIS 2007). In der Migrationsforschung sind die psychosozialen und gesellschaftlichen Auswirkungen von Migration hinreichend bekannt. Die frühen Untersuchungen aus den 70er Jahren legen den Fokus auf die Belastungen durch Migrationserfahrung und reproduzieren Defizithypothesen, aufgrund deren Migranten als benachteiligt gelten. Neuere Studien jedoch thematisieren Migration auch als Chance und Ressource. Migranten erfahren im Migrationsprozess Veränderungen im sozialen Raum, die ihnen den Erwerb neuer Handlungs- und Orientierungsmuster abverlangen. Genau darin liegen die Risiken aber auch Entwicklungschancen. Das Kernstück dieser Diplomarbeit bilden die beiden Fallstudien. Um einen Überblick über die Biographien zu erlangen, werde ich zunächst in einem kurzen Portrait die Lebensgeschichten in chronologischer Abfolge vorstellen. Danach erfolgt die Analyse der Fallstudie, wobei markante Passagen der Lebensgeschichte zu einer genaueren Analyse herausgegriffen werden. In einem letzten Kapitel greife ich die Forschungsfrage auf, in welcher Weise in den beiden analysierten Biographien besondere Ressourcen hinsichtlich einer erfolgreichen Bildungskarriere im deutschen Bildungssystem offensichtlich werden. Dazu fasse ich, unter besonderer Berücksichtigung der Ressourcenaspekte, die Ergebnisse der Analyse der beiden Fallstudien zusammen. In einem Fazit erfolgen im Hinblick auf den Ressourcenaspekt der Vergleich der Biographien und der Versuch, in der Ablösung vom Einzelfall theoretische Hypothesen hinsichtlich der Forschungsfrage zu erörtern.

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Leseprobe

3.  MigrantInnen im deutschen Bildungssystem


 

Trotz einer abduktiven Forschungslogik (vgl. Jakob 1997, S. 454f) ist ein Kontextwissen erstens für den Prozess der Theoriebildung und zweitens für die Plausibilisierung der Auswahl der Untersuchungsfälle wichtig. Thematisches Vorwissen ist notwendig, um die theoretische Sensibilität zu schärfen. Deshalb möchte ich im Folgenden einen Überblick über die aktuellen Erkenntnisse und Fakten zum Thema „Migranten im deutschen Bildungssystem“ geben. Hierbei stütze ich mich insbesondere auf die Ergebnisse der PISA-Studie (vgl. Stanat et al. 2000).

 

Bildung ist die zentrale Ressource für die Teilnahme am ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben. Besonders in Zeiten eines gesättigten Arbeitsmarktes und Stellenknappheit ist eine erfolgreiche Bildungskarriere der Schlüssel zu einem ökonomisch gesicherten, aber auch persönlich befriedigenden Leben, wobei dies nur als eine Variable betrachtet werden kann. Denn neben bildungsbezogenen Aspekten sind auch Familie, soziale Herkunft und das geerbte kulturelle Kapital wichtige Ressourcen für Lebenschancen (vgl. Geißler 2002, S. 342ff).

 

Spätestens seit PISA ist es amtlich - trotz formaler Gleichstellung der Mehrzahl der MigrantInnen mit Deutschen, besteht beim Zugang zu Bildungseinrichtungen in der Realität jedoch ein beträchtliches Gefälle zwischen Kindern und Jugendlichen deutscher und nichtdeutscher Herkunft. Neben PISA haben auch andere Schulleistungsstudien Unterschiede in den kognitiven Kompetenzen, den Übergangsempfehlungen und der besuchten Sekundarschulart aufgedeckt. Neben Belgien, Ungarn und der Schweiz hat insbesondere Deutschland in punkto Chancengleichheit im Bildungssystem am schlechtesten abgeschnitten (vgl. Bildungsbericht 2006. S. 137f)

 

Bildungssysteme basieren auf dem meritokratischen Prinzip, d.h. wer leistungsfähig ist, setzt sich durch – sollte man meinen. Doch wie oben schon erwähnt, spielen leistungsunabhängige soziale Kriterien bei der schulischen Auslese eine gewichtige Rolle. Zu diesen leistungsunabhängigen Kriterien gehören neben anderen zum einen der schichttypische Bildungswille in den Familien, d.h. Kinder aus bildungsschwachen Familien werden tendenziell unabhängig von ihrer schulischen Leistung eher auf die Haupt- oder Gesamtschule geschickt. Zum anderen spielt die (unbewusste) soziale Auslese in der Schule, sprich die institutionalisierte Diskriminierung eine große Rolle.

 

Trotz dieser Auslese, oder besser gerade aufgrund dieser Auslese liegen die Leistungen der besten deutschen Schüler im internationalen Vergleich nur im Durchschnitt. Denn Chancengleichheit bedeutet nicht Verlust des Leistungsprinzips (vgl. Geißler 2005, S. 72ff).

 

Betrachtet man die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, so muss man feststellen, dass diese überproportional häufig in Vorklassen, Schulkindergärten, Sonderschulen (LB), Haupt- und Gesamtschulen und in den Einrichtungen des zweiten Bildungsweges vertreten sind. Außerdem sind die Bildungslaufbahnen von Schülern mit Migrationshintergrund häufig durch mehrfache Schulwechsel geprägt.

 

Ausländische Schüler sind doppelt so häufig ohne Hauptschulabschluss als deutsche und etwa die Hälfte kann keinen Ausbildungsabschluss nachweisen (vgl. Karakasoglu-Aydin 2001, S. 281ff).

 

Schüler mit Migrationshintergrund sind eine heterogene Gruppe und um sich eine Vorstellung davon machen zu können, um wen es genau geht, möchte ich kurz auf die Zusammensetzung dieser Gruppen eingehen.

 

Man unterscheidet Jugendliche mit einem im Ausland geborenen Elternteil. Sie erreichen in der PISA-Studie etwa das Kompetenzniveau der Gesamtstichprobe. In Ländern mit gesteuerter Einwanderungspolitik (Kanada, Australien, Neuselland, USA und Österreich) sogar leicht höhere Werte.

 

Die Eltern von Kindern und Jugendlichen der zweiten Generation sind beide im Ausland geboren. Außer in Australien und Kanada erreichen diese Schüler deutlich niedrigere Werte, in Deutschland im Besonderen. Der Schüleranteil dieser Gruppe beträgt in Deutschland etwa 7%, davon sind ungefähr 63% türkischer Abstammung.

 

Eine weitere Gruppe bilden zugewanderte Familien. Außer in Kanada, Australien und Neuseeland (gesteuerte Einwanderungspolitik) zeigen Schüler dieser Gruppe in allen anderen Ländern die höchsten signifikanten Unterschiede zur Gesamtstichprobe. Interessanterweise bildet Deutschland hier eine Ausnahme. Die beiden größten Gruppen von Schülern mit Migrationshintergrund in Deutschland sind Jugendliche türkischer Herkunft innerhalb der zweiten Generation und die zugewanderten Jugendlichen aus der ehemaligen Sowjetunion. Jugendliche türkischer Herkunft weisen geringere Kompetenzen auf (eher vertreten auf Hauptschulen und Gesamtschulen) als Jugendliche aus der ehemaligen Sowjetunion (eher vertreten auf Realschulen und Gymnasien). Diese Kompetenzunterschiede lassen sich durch Unterschiede im sozialen und wirtschaftlichen Hintergrund erklären, denn der elterliche Bildungshintergrund variiert stark in Abhängigkeit von ihrer Staatsangehörigkeit. Fast zwei Drittel der Eltern aus Anwerbestaaten (Arbeitsmigranten) haben maximal einen Hauptschulabschluss. Eltern aus „anderen“ Ländern haben zu drei Viertel die Hochschulreife und in mehr als jedem zweiten Elternhaus hat wenigstens ein Elternteil studiert (Quote 10% höher als bei Deutschen) (vgl. Ramm et al. 2004, S. 256ff).

 

„Mit dem Mikrozensus 2005 liegen erstmals für die gesamte Bevölkerung Deutschlands repräsentative Daten zu folgenden Merkmalen vor:

 

Staatsangehörigkeit,

 

Geburtsort in Deutschland oder außerhalb,

 

Zuzugsjahr,

 

Einbürgerung,

 

Staatsangehörigkeit, Einbürgerung und Geburtsort beider Eltern sowie

 

für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die mit ihren Eltern in einem gemeinsamen Haushalt leben, analoge Angaben zu den Großeltern.

 

Mit dem Mikrozensus 2005 kann damit zum ersten Mal sowohl die Differenzierung der Zuwanderungskonstellationen nach der individuellen und familialen Migrationserfahrung (1. oder 2. bzw. 3. Generation) sowie dem rechtlichen Status (deutsch vs. nichtdeutsch) vorgenommen werden (Tab. H2-1)“ (Bildungsbericht 2006, S. 139).

 

 

Abbildung 1 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 140)

 

Die obere Tabelle zeigt eine genaue Aufstellung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund und ihre kulturelle Zugehörigkeit. „Für das Bildungssystem ist insbesondere die Altersgruppe der unter 25-Jährigen von Bedeutung. Mehr als ein Viertel (27,2%) – dies entspricht ca. 6 Mio. Personen – haben einen Migrationshintergrund“ (Bildungsbericht 2006, S. 142).

 

Die nächste Tabelle zeigt diese für das Bildungssystem relevante Altergruppe in ihrer genauen Zusammensetzung.

 

 

Abbildung 2 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 142)

 

„Von der jungen Bevölkerung mit Migrationshintergrund gehören knapp 1,9 Mio. Personen der so genannten 1. Zuwanderergeneration an, d. h. sie sind selbst zugewandert. Das entspricht einem Drittel der jungen Migrationsbevölkerung. (…) Nur jede bzw. jeder Siebente mit türkischem Migrationshintergrund wurde im Ausland, der Großteil der jungen Bevölkerung mit türkischem Migrationshintergrund jedoch in Deutschland geboren (87%). Der Anteil der 2. Generation ist bei anderen Migrantengruppen deutlich niedriger. Bei den jungen (Spät-)Aussiedlern wurden erst knapp zwei Fünftel in Deutschland geboren“

 

(Bildungsbericht 2006, S. 144).

 

Die folgende Tabelle zeigt den Bildungsstand der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund.

 

„Insbesondere die Migranten der 2. und 3. Generation, haben deutsche Bildungseinrichtungen besucht und hier allgemeine und berufliche Bildungsabschlüsse erworben. Wie zu erwarten, haben jüngere Personen (25 bis 45 Jahre) sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund einen deutlich besseren Bildungsstand als ältere (45 bis 65 Jahre), und in beiden Altersgruppen ist das Bildungsniveau in der einheimischen Bevölkerung höher als bei denjenigen mit Migrationshintergrund (Abb. H2-6)“ (Bildungsbericht 2006, S. 145f).

 

 

Abbildung 3 (Quelle: http://www.bildungsbericht.de/daten/h_web.pdf, S. 146)

 

In den nächsten Tabellen finden wir eine Aufschlüsselung der Bevölkerung im Alter von 25 bis 35 Jahren nach Migrationshintergrund, Herkunftsregionen und ausgewählten Bildungsabschlüssen und Schulform.

 

„(…) Migranten aus den ehemaligen Anwerbestaaten, insbesondere aus der Türkei, (verfügen) über das niedrigste Qualifikationsniveau (…) (Abb. H2-9). Diese Migranten wurden früher angeworben, um in Deutschland gering qualifizierte Arbeiten auszuführen. Es fällt auf, dass Personen aus sonstigen Staaten bei der Hochschulreife und den Hochschulabschlüssen sogar besser abschneiden als Deutsche...

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