I. Die Vermessung der Welt
Zeit, Raum, Ort und Bewegung definiere ich nicht,
weil alle damit vertraut sind.
Isaac Newton
Will man die Natur vermessen, benötigt man Bezugseinheiten zur Wiedergabe von Länge, Zeit, Masse, Energie und vielen weiteren Größen. Wir messen üblicherweise in Meter, Minuten, Gramm usw. und leben in einer Meter-Minuten-Welt. Die Vorgänge in der Natur werden in anderen Dimensionen erfasst: in Mikro- und Nanosekunden, in Lichtjahren und Parsec. Wir benötigen andere Schreibweisen, um diese Ausmaße erfassen zu können. Dazu bietet uns die Mathematik Formalismen an, die uns helfen, diese Größenordnungen bequem darzustellen.
Im Folgenden geht es um die Exponentialdarstellung von Zahlen, um Einheiten zur Vermessung des Universums, um Masse, Energie und um den Begriff «unendlich» sowie um die Geometrie der Natur.
1. Zahlen und Zahlendarstellungen
In diesem Buch werden uns Zahlen begegnen, die ungeheuer groß oder auch sehr klein sind; Zahlen, die jede gewohnte Größenordnung sprengen, aber in der Beschreibung des Mikro- und Makrokosmos unverzichtbar sind. Man schreibt sie in einer Darstellung, die in der Mathematik Exponentialdarstellung genannt wird. Ihre nähere Beschreibung wird Gegenstand des folgenden Abschnitts sein.
Die Staatsverschuldung Deutschlands beläuft sich zurzeit auf ca.
2.000.000.000.000 Euro,
das sind zweitausend Milliarden Euro. Die Kurzschreibweise substituiert die 12 Nullen wie folgt: 2 · 1012 Euro. Eine Million ist demnach 106 = 1.000.000, tausend = 1000 = 103 usw. Die Eins hat keine Nullen, also: 1 = 100. Wie wir in Kapitel II, 6 sehen werden, hat ein Kubikzentimeter Luft
27.000.000.000.000.000.000
oder 27 Trillionen Moleküle, das sind 27 · 1018 Moleküle.
Ein letztes Beispiel: Dieses Büchlein wiegt etwa 200 Gramm. Da Materie im Wesentlichen aus Neutronen und Protonen besteht, die man als Nukleonen bezeichnet, besteht das Buch aus ungefähr 1026 Nukleonen.
Wie viel wiegt ein Wasserstoffatom? Es wiegt
0,00000000000000000000000017 Kilogramm.
Auch diese Zahl können wir eleganter schreiben: Sie lautet: 17 · 10–26 Kilogramm.
Zum Beispiel ist:
0,1 = 1/10 = 10–1
0,01 = 1/100 = 10–2
0,005 = 5/1000 = 5 · 10–3
usw.
Negative Hochzahlen (Exponenten) stellen also Brüche dar, man kann so winzig kleine Zahlen sehr elegant und kurz darstellen.
2. «Unendlich» mal «unendlich»?
2.1 Das Unendliche in der Natur
Kommt in der Natur der Begriff «unendlich» vor? Wir wissen es nicht. Zumindest wäre es in der Kosmologie möglich. Es besteht die Vermutung, dass das Universum glatt ist, das bedeutet, dass es wie eine Ebene unendlich ausgedehnt ist. Und für ein solches ebenes Universum gilt die Schulgeometrie, genauer: die nach dem griechischen Mathematiker Euklid benannte «euklidische Geometrie». Der Raum könnte dann wie die Ebene unendlich ausgedehnt sein. (Die Geometrie, die eine gekrümmte Oberfläche wie die einer Kugel beschreibt, ist die «nichteuklidische Geometrie».) Die Oberfläche eines Zylinders und auch eines Autoschlauchs ist wiederum euklidisch. Die Mathematiker sprechen im letzteren Fall von einem «Torus». Das Universum könnte durchaus auch wie ein Torus aufgebaut sein (hier ein vierdimensionaler Torus mit einer dreidimensionalen «Oberfläche», also ein «Hypertorus»). In diesem Fall wäre das Weltall also nicht unendlich ausgedehnt, aber immer noch euklidisch.
Im Folgenden betrachten wir den Begriff «unendlich» genauer. Die heutige Mathematik, die die Natur elegant beschreibt, ist ohne den Unendlichkeitsbegriff nicht denkbar.
Im Jahr 1900 hielt der bekannte Göttinger Mathematiker David Hilbert eine Rede in Paris, in der er Georg F. L. P. Cantor als einen der größten Mathematiker des 19. Jahrhunderts pries. Cantor hatte den Begriff «unendlich» in die abstrakte Mengenlehre eingeführt, und Hilbert bezeichnete seine Leistung als «die bewundernswerteste Blüte mathematischen Geistes».Gleichzeitig forderte er die Mathematiker seiner Zeit auf, im neuen beginnenden 20. Jahrhundert die Mathematik von allen noch bestehenden Unsicherheiten zu befreien. Er konnte nicht ahnen, dass 30 Jahre später einer der größten Mathematiker des 20. Jahrhunderts, Kurt Gödel, nachweisen sollte, dass es Aussagen in der Mathematik gibt, die prinzipiell nicht beweisbar und auch nicht widerlegbar sind.
2.2 «Unendlich» in Zahlen
Die einfachste Form von «unendlich», symbolisiert durch «∞», finden wir in den Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, … Dies sind die natürlichen Zahlen, gegeben in unendlicher Vielheit: Wir können ewig weiterzählen.
Wenn die Menge der ganzen Zahlen unendlich groß ist, dann erst recht die Menge aller möglichen Zahlen, also die der ganzen Zahlen, Dezimalzahlen, Brüche, positiven und negativen Zahlen. Diese «reellen Zahlen» umfassen wesentlich mehr als die ganzen Zahlen; daher müssen wir vermuten, dass das «Unendlich» der reellen Zahlen größer ist als das der ganzen Zahlen. Und dass dies tatsächlich so ist, kann man beweisen.
Allerdings haben die reellen Zahlen teils merkwürdige Eigenschaften. Wenn wir mit M alle Zahlen zwischen 0 und 1 bezeichnen und wenn R die Menge aller reellen Zahlen ist von minus unendlich bis plus unendlich, dann enthält R offenbar die Menge M. Die Menge M ist eine Teilmenge von R (veranschaulicht durch Abb. 1, nach der die dunklere Punktmenge Teilmenge der helleren Menge ist). Natürlich enthält M unendlich viele Zahlen, genauso wie R.
Die Mathematik liefert nun die Aussage, dass sowohl R als auch M gleichmächtig sind, dass beide Mengen also gleich unendlich viele Zahlen besitzen. Erstaunlicherweise haben also M und R unendlich viele Zahlen mit gleichem Unendlich.
Abbildung 1: Die dunklere Menge ist Teilmenge der helleren. Beide Mengen enthalten unendlich und gleich viele Punkte.
Dieses Ergebnis lässt sich auch auf Punkte in einer Ebene übertragen. In Abbildung 1 ist die dunklere Menge von Punkten eine Teilmenge der helleren Menge. Beide Mengen enthalten unendlich viele Punkte, beide Unendlich sind gleich, sie enthalten also gleich viele Punkte. Dies widerspricht jeder Anschauung, ist aber mathematisch beweisbar. Die Mathematiker nennen das Unendlich der ganzen Zahlen «unendlich abzählbar», das aller reellen Zahlen das «Unendlich des Kontinuums».
2.3 Wie viele «Unendlich» gibt es?
Wir kennen bisher zwei Größen «Unendlich», das der natürlichen Zahlen 1, 2, 3, … usw. und das aller reellen Zahlen. Eines ist kleiner als das andere. Es entsteht die Frage, ob es weitere «Unendlich» gibt, die eventuell noch größer sind.
Um das herauszufinden, betrachten wir die Menge der Zahlen 1, 2 und 3, wiedergegeben durch:
M = {1,2,3}.
Nehmen wir nur die Zahl 1 heraus, haben wir eine Teilmenge T und können schreiben: T = {2,3}. Wie viele solcher Teilmengen besitzt M? Es sind offenbar die Teilmengen
{1} {2} {3} {1,2} {1,3} {2,3} {1,2,3}.
Es ist üblich, die Menge, die gar keine Elemente enthält, mit dem Symbol { } als Leermenge zu bezeichnen und sie auch ebenfalls als Teilmenge zu betrachten. Bei Bildung der Menge P(M) aller Teilmengen von M erhalten wir die neue Menge
P(M) = {{ }, {1}, {2}, {3}, {1,2}, {1,3}, {2,3}, {1,2,3}}.
Daraus ergeben sich genau 8 Teilmengen (8 = 2 · 2 · 2 = 23).
Allgemein gilt: Eine Menge mit n Elementen hat genau 2n Teilmengen. Die Menge dieser Teilmengen heißt Potenzmenge. Eine Potenzmenge der 26 Buchstaben des Alphabets hat also 226 = 67.108.864 Teilmengen. Jedes Wort der deutschen Sprache, das nicht zwei gleiche Buchstaben enthält, wäre zum Beispiel Element einer solchen Teilmenge.
Natürlich können wir auch die Potenzmenge einer unendlichen Menge bilden, zum Beispiel die der natürlichen Zahlen. Und auch diese Potenzmenge hat dann unendlich viele Elemente. Mathematisch beweisbar ist, dass die Mächtigkeit einer Potenzmenge größer ist als die Mächtigkeit der Originalmenge. Das heißt: Die Zahl der Elemente hat bei der Potenzmenge ein größeres Unendlich als bei der Originalmenge. Genauer formuliert: Bilden wir von der Menge aller natürlichen Zahlen 1, 2, 3, 4, 5, … alle möglichen Teilmengen, so sind es natürlich unendlich viele. Dieses Unendlich ist größer als das Unendlich der natürlichen Zahlen.
Daraus ergibt sich eine interessante Folgerung: Sei N die Menge der natürlichen Zahlen. Dann hat die Potenzmenge P(N) in ihrer Mächtigkeit ein größeres Unendlich als N. Bilden wir jetzt die Potenzmenge von P(N), also P(P(N)), so erhalten wir ein noch größeres Unendlich. Dies können wir so ewig fortsetzen und immer wieder neue Potenzmengen bilden. Wir erhalten immer neue Mengen mit noch größerem Unendlich. Darum gilt:
Es gibt unendlich viele Unendlich.
3. Räumliche und zeitliche Distanzen
3.1 Längenmaße im Mikro- und Makrokosmos
Nach diesem Ausflug in die Welt der großen und kleinen Zahlen und zum Begriff «unendlich» wenden...