Fragestellungen der Art, in denen Erfahrungen des Menschen untersucht werden, fordern einen qualitativen Forschungsansatz (vgl. Lobiondo-Wood & Haber 1996, S. 290), der es ermöglicht, Meinungs- und Deutungszusammenhänge der zu beforschten Personengruppe zu erheben. Nach Boyd (1990, zitiert nach Lobiondo-Wood & Haber, S. 286) geht es in der qualitativen Forschung „ (...) um weit gefaßte Fragestellungen, in deren Mittelpunkt die Erfahrungen von Menschen und die Wirklichkeit stehen; diese werden durch ständigen Kontakt mit Menschen in ihrer natürlichen Umgebung erforscht; dabei ergibt sich eine Vielzahl deskriptiver Daten, die uns helfen, ihre Erfahrungen zu verstehen“. Die qualitative Forschung stellt somit den Menschen mit seinen ganz individuellen Sichtweisen in den Mittelpunkt der Forschung.
Die qualitative Forschung ist gekennzeichnet durch das Prinzip der Offenheit auf theoretischer und methodischer Ebene (vgl. Mayring 1996, S. 16). Diese Offenheit als Grundhaltung bezieht sich sowohl auf die Untersuchungspersonen und –situationen, als auch auf die verwendeten Methoden. Bei unerwarteten Ereignissen wird das Instrumentarium dem Gegenstand angepaßt und nicht umgekehrt; der zu untersuchende Gegenstand bleibt Bezugspunkt (vgl. Lamnek 1993a, S. 22). Aus dem Prinzip der Offenheit ergibt sich die explorierende Funktion des qualitativen Ansatzes und der Verzicht auf eine „Hypothesenbildung ex ante“ (Hoffmnn-Riem 1980, zitiert nach Lamnek 1993a, S. 22). Qualitative Forschung versteht sich nicht als hypothesenprüfendes, sondern als hypothesengenerierendes Verfahren (vgl. Lamnek 1993a, S. 23).
Qualitative Forschung ist auch immer Kommunikation zwischen Untersucher und Untersuchungsperson und ist ein grundlegender Bestandteil des Forschungsprozesses und kein „Störfaktor“. Das bedeutet, daß der Forscher Aussagen und Verhaltensweisen als prozeßhafte Ausschnitte einer erlebten subjektiven Wirklichkeit erfaßt. „Diesen Konstitutionsprozeß von Wirklichkeit zu dokumentieren, analytisch zu rekonstruieren und schließlich durch das verstehende Nachvollziehen zu erklären, ist das zentrale Anliegen einer qualitativen Sozialforschung“ (Lamnek 1993a, S. 25). Nach der Tradition des symbolischen Interaktionismus leitet sich die Konsequenz ab, daß „(...) zum zentralen Ansatzpunkt der Forschung die unterschiedlichen Weisen werden, in denen Subjekte Gegenstände, Ereignisse, Erfahrungen etc. mit Bedeutung versehen. Die Rekonstruktion solcher subjektiver Sichtweisen wird zum Instrument der Analyse sozialer Welten“ (Flick 1998, S. 30).
Aus den dargestellten theoretischen Forschungsperspektiven wird deutlich, daß sich ein qualitativer Forschungsansatz zur Erforschung von menschlichen Erfahrungen anbietet. Da es in der vorliegenden Studie um die Sichtweisen, Einstellungen und um das individuelle Verständnis von Mitarbeiterführung durch Stationsleitungen geht, ist dieser Ansatz geeignet.
Die Beurteilung qualitativer Forschungsansätze orientiert sich an mehreren Kriterien, die die Exaktheit der Methodik bewerten. Lobiondo-Wood & Haber (a. a. O., S. 313) nennen Glaubwürdigkeit, Angemessenheit und Folgerichtigkeit als Gütekriterien für qualitative Forschung. Glaubwürdigkeit meint, daß die Ergebnisse von den UntersuchungsteilnehmerInnen als korrekt anerkannt werden. In diesem Sinne werden die Ergebnisse den teilnehmenden Krankenhäusern nach Abschluß der Diplomarbeit vorgestellt. Das Kriterium der Angemessenheit bestimmt die „Genauigkeit bei der Wiedergabe der Wirklichkeit von TeilnehmerInnen“, damit „andere Mitglieder der Disziplin ihre Relevanz beurteilen können“ (a. a. O.). Das weitere Kriterium der Folgerichtigkeit wird von der Verfasserin insofern beachtet, als daß die Schritte des Forschungsprozesses von der Erhebung bis zur Darstellung plausibel dargestellt werden.
Die Auswahl der Untersuchungsmethoden und –instrumente, die in dieser Arbeit zum Einsatz kamen, orientierte sich an den Fragestellungen.
Der zu untersuchende Bereich sollte dazu idealerweise aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Laut Lamnek (1993b, S. 2) ermöglichen die unterschiedlichen eingesetzten Instrumente eine facettenhafte Darstellung der möglichen Sichtweisen und Wissensbestände und tragen somit zu einer vertieften Auseinandersetzung mit der Forschungsthematik bei.
Abbildung 5: Darstellung der eingesetzten Datenerhebungsmethoden
Wie Abbildung 5 zeigt, nehmen im Forschungsdesign die problemzentrierten Interviews mit der Zielgruppe der Stationsleitungen die zentrale Position ein.
Die Experteninterviews mit den Pflegedienstleitungen nehmen in dieser Studie nur bedingt eine zentrale Stellung im Forschungsdesign ein. Die Experten bilden eine zur Zielgruppe der Stationsleitungen komplementäre Handlungseinheit, d. h. die Experteninterviews werden durchgeführt, um zusätzliche Informationen und Erkenntnisse über die Kontextbedingungen des Handelns der Stationsleitungen zu erfahren.
Das ExperInneninterview steht als Datenquelle neben anderen, z. B. neben Interviews mit der Zielgruppe, Beobachtungen oder der Dokumentenanalyse.
Auf die Besonderheit des Experteninterviews wird noch einmal in Kapitel 5.2.3 eingegangen.
Die Funktion der Dokumenteneinsicht ist in dieser Studie als felderschließend zu bezeichnen. Sie dient dazu, zusätzliche Informationen zu erwerben, die mit in die Auswertung der gewonnenen verbalen Daten einfließen, was für eine vertiefte Auseinandersetzung förderlich ist (s. auch Kap. 5.2.4).
Unter den verschieden Formen des qualitativen Interviews wurde im Rahmen dieser Diplomarbeit das problemzentrierte Interview nach Witzel ausgewählt.
Diese Interviewform wird zu den halbstrukturierten Leitfaden-Interviews gezählt und kann als Kompromißbildung zwischen leitfadenorientierten und narrativen Gesprächsformen angesehen werden (vgl. Hopf 1991, S. 177). Als charakteristisch gilt auch hier das Erzählprinzip. „Die Bedeutungsstrukturierung der sozialen Wirklichkeit bleibt den Befragten allein überlassen“ (Lamnek 1993b, S. 75). Fragen aus dem Interviewleitfaden grenzen den interessierenden Problembereich ein und bieten einen erzählgenerierenden Stimulus (vgl. a. a. O. 1993b, S. 75). Der Leitfaden ist nötig, um alle wichtig erscheinenden Themenbereiche abzudecken und fehlende nachzufragen. Den Interviewteilnehmern werden aber so weit wie möglich Artikulationschancen eingeräumt, um ihre „originäre Problemsicht“ (Witzel 1982, S. 71) zu entlocken. Das Adjektiv „problemzentriert“ soll verdeutlichen, daß es nicht um das Erforschen von Persönlichkeitsmerkmalen geht, sondern um „individuelle und kollektive Handlungsstrukturen und Verarbeitungsmuster gesellschaftlicher Realität“ (a. a. O. , S. 67). Durch die Problemzentrierung soll erreicht werden, daß eine Orientierung an den Problemen aus der Sicht der Interviewten erfolgt und eine Zentrierung der Gesprächsführung auf eben diese Bereiche (a. a. O., S.116).
Die Form des halbstrukturierten Interviews mit offenen Fragen nach Witzel wurde deshalb gewählt, weil die Stationsleitungen die Bedeutung, die sie dem Komplex Mitarbeiterführung zumessen, in erzählender Form und doch themenbezogen äußern konnten. Zudem bot das breite Spektrum des Datenerhebungsinstrumentariums (s. Kap. 5.2.2.2) dieser Methode die Möglichkeit, Angaben der Interviewteilnehmer in verschiedener Form aufzuzeichnen.
Im Unterschied zum narrativen Interview geht der Forscher beim problemzentrierten Interview nicht ohne jedes theoretische Vorverständnis in die Interviewphase. Der Forscher ist durch Literaturstudium, Erkundungen im Untersuchungsfeld, Erarbeitung von themenbezogenem Wissen schon vorgeprägt (vgl. Lamnek 1993b, S. 75). Durch eine im Rahmen des Studiums durchgeführten Forschungsübung (Coners, E. et al., FH Osnabrück, 1997), an der die Verfasserin beteiligt war, wurde bereits ein gewisses theoretisches Vorverständnis und eine ausreichende Sensibilisierung für das Forschungsfeld erworben. In Anbetracht dieses Vorverständnisses und einer ersten Literatursicht im Vorfeld der Durchführung der Interviews bot sich ein gewisser Strukturierungsgrad des Interviews an. Auch aus diesem Grund wurde das problemzentrierte Interview nach Witzel gewählt.