1767–1770.
»Liebe, Liebe, die Amme der Schönheit!«
»Nach dem lieben Gott kommt gleich der Papa«, das war der Wahlspruch des Knaben Wolfgang. Wenn er abends zu Bett ging, mußte ihn der Vater erst auf einen Stuhl stellen und mit ihm zweistimmig eine Melodie singen, die von ihm selbst auf einen sinnlosen Text, der wie italienisch klang, Oragnia fiaga ta fa ersonnen worden war, worauf er dem Vater »das Nasenspitzel küßte und ihm versprach, wenn er alt wäre, ihn in einer Kapsel, wo ein Glas vor, vor aller Luft bewahren zu wollen und ihn immer bei sich und in Ehren zu halten«. Dann legte er sich zufrieden ins Bett.
Wie so ganz anders erging es dem edlen Ritter Gluck, dem Sohne des Volkes, dem rauhen Försterkinde, der dem strengen Vater bei harter Kälte barfuß in den Wald folgte, ihm das Jagdgerät zu tragen. Wie hat seine Musik sich mit der Kräftigkeit der Natur auch das Rauhe und Ungefüge bewahrt, von dem eine mildere Gesittung den jungen Mozart schon in der Kinderzeit befreite. Wie wenig erfuhr der heitere Haydn, das Kind des Handwerkers, der bei seinem Lehrer mehr Prügel als zu essen bekam und noch als Jüngling sein täglich Brot mit Singen mühsam erwerben mußte, von diesem Sonnenschein der zärtlichen Liebe, die in das Gemüt die Harmonie bringt und den Geist schon früh zum Frieden des Schönen verklärt! Wie noch weniger der große Beethoven, dessen Vater, ein kleiner Musikus, jener im vorigen Jahrhundert häufigen unordentlichen Lebensweise seines Standes gänzlich verfallen war und so seiner Familie mit den Nahrungsquellen den Frieden raubte, in dem allein der Kinder Wesen zum rechten gedeiht! Störrig von Natur, ward Beethoven durch den Mangel an Liebe, den er in der Kinderzeit zu tragen gehabt, nur noch abweisender gegen die Menschen, und erst spät erfuhr er in herbsten beiden, welche Quelle des Lebens und des Glücks gerade der Liebe entströmt.
Gluck und Beethoven wurden vom Geschick zur mühevollen und kampfreichen Umgestaltung der Kunst ihrer Zeit erzogen, indes Mozart, der Genius der Schönheit, in stiller Harmonie und Liebenswürdigkeit den ewigen Sternen gleich eine ruhige Bahn wandelte. Von ihm, der in der Jugend die Fülle der Liebe in sich aufgesogen hatte, entflossen auch Ströme der Liebenswürdigkeit, der Harmonie und der Schönheit. Wie ein jugendlicher Held siegte er über seine Zeit, nicht heftig anstreitend, sondern durch den Zauber seiner Erscheinung, die mit leichtgeflügeltem Götterschritt auf den Höhen der Menschheit wandelte und strahlenaugig, mit herzgewinnendem Lächeln, in unsagbarer Anmut Hoch und Niedrig, Groß und Gering, Gut und Böse mit den duftenden Blüten seines Schaffens beglückte. –
Wolfgang war jetzt, zehn Jahr alt, ein ausgewachsener Knabe. Aber er war auch bereits ein vollkommener Kompositeur: schon jener »Londoner« Bach hatte gesagt, es sterbe mancher Kapellmeister, ohne das zu wissen, was der Knabe wisse. Als sie nun aufs neue nach Wien kamen, – den Vater hielt es wiederum nicht lange in Salzburg, zumal im Herbst 1767 in Wien die Vermählung der Erzherzogin Maria Josepha mit dem Könige von Neapel stattfinden sollte – da waren bereits der Neid und die Eifersucht der Zunftgenossen rege, und man bereitete von allen Seiten Hindernisse, damit Wolfgang sich nicht öffentlich produzieren könne. In der Tat, er leistete bereits damals schon mehr, als weitaus die meisten der lebenden Komponisten vermochten, und fand auch bald Gelegenheit, dies öffentlich zu zeigen. Kaiser Joseph II., der leider bald zu einem Sparsystem übergegangen war, das besonders die Künstler drückte, weil sie darauf angewiesen waren, von der Gunst der Großen zu leben, gewährte zwar dem jungen Künstler, dessen Fortschritte er abermals höchlich bewunderte, und seiner Schwester Nannerl, die unterdes zur lieblichsten Jungfrau herangeblüht war und der die kaiserlichen Leutseligkeiten »gar oft die Röte ins Gesicht trieben«, nicht die früheren reichlichen Geschenke, wohl aber gab er Wolfgang den erfreulichen Auftrag, eine Oper zu schreiben. Es war »La finta semplice« (»Die verstellte Einfalt«), eine komische Oper in drei Akten.
Wolfgang machte sich sofort an die Arbeit. Da aber der Theaterdirektor Affligio mit Hergabe des Textbuches bis in das Frühjahr hinein zögerte, so wurde die Oper erst nach Ostern fertig. Man dachte nun an das Einstudieren. Allein jetzt zeigte sich der Brotneid der übrigen Musiker, die auf alle mögliche Weise versuchten die Aufführung zu verhindern. Bald hieß es, es sei eine Schmach, einen zehnjährigen Knaben an derselben Stelle zu sehen, wo bewährte Meister wie Hasse und Gluck zu stehen gewohnt seien, – denn der Kaiser hatte ausdrücklich gewünscht, daß Wolfgang die Direktion der Oper selbst übernehme, – dann wieder, die Musik sei nicht von ihm, sondern vom Vater, welcher Verleumdung dieser die Spitze dadurch abbrach, daß er seinen Sohn in Gegenwart von Künstlern sofort eine Arie oder eine Sonate aus dem Stegreif komponieren ließ, – und zuletzt steckte man sich hinter die Sänger, sie würden mit solcher Knabenarbeit keine Ehre einlegen, und diese ließen sich denn auch zum Widerstande verführen, obgleich Wolfgang ihnen allen die Musik so recht »auf den Leib zugeschnitten« hatte. Ob nun gleich der mildgesinnte Komponist Hasse, der jedes aufstrebende Talent willig anerkannte und jedes redliche Bemühen gern unterstützte, geradezu erklärte, Wolfgangs Oper sei besser als die von zwanzig lebenden Komponisten, so kam es doch durch das Widerstreben des Theaterdirektors, der auf den wiederholten Befehl des Kaisers und das stete Drängen des Vaters endlich erklärte, er werde die Oper zwar geben, aber auch dafür sorgen, daß sie gehörig ausgepfiffen werde, am Ende dahin, daß der Vater dieselbe ganz zurückzog, und es mit einer Beschwerdeschrift beim Kaiser versuchte, die aber keinen Erfolg hatte. Denn das Theater war damals nicht kaiserlich, sondern gehörte dem Direktor Affligio, und dieser war ein Abenteurer und schlechter Mensch, der später wegen Fälschung ins Zuchthaus kam.
So war der ganze Sommer ohne irgend welchen Erfolg geblieben, und Wolfgang lernte damals zuerst die widrigen Mächte kennen, mit denen er fortan oft genug zu ringen haben sollte. Jetzt freilich empfand er noch das Widrige der Intrigen und des Neides weniger als der Vater, und dieser, von Natur und durch den Gang seines Lebens darauf eingerichtet, mit solchen Dingen umzugehen, ließ sich nicht irre machen, sondern verfolgte trotz Aerger und Unmut, die ihn allerdings zuweilen befielen, mit männlicher Konsequenz die Bahnen, auf denen er seines Sohnes Glück zu finden gewiß war. »So muß man sich in der Welt durchraufen«, schreibt er; »hat der Mensch kein Talent, so ist er unglücklich genug; hat er Talent, so verfolgt ihn der Neid nach dem Maße seiner Geschicklichkeit. Allein mit Geduld und Standhaftigkeit muß man die Leute überzeugen, daß die Widersacher boshafte Lügner, Verläumder und neidische Creaturen sind, die über ihren Sieg in die Faust lachen würden, wenn man sich erschrecken oder ermüden ließe.«
Sein nächstes Ziel war Italien, denn dieses Land war damals das Eldorado der Musiker. Wer dort an einer größeren Bühne einmal mit einer Oper einen durchschlagenden Erfolg errungen hatte, dem standen die sämtlichen Theater Europas offen, und Ruhm wie glänzender Erwerb waren ihm gewiß. Damals kannte man kaum andere Opern und wenig andere Sänger als italienische, und virtuosen wie Komponisten aus allen Ländern mußten nach Italien gehen und womöglich bis auf ihren Namen hinab italianisiert werden, ehe ein Opernpublikum sie günstig aufnahm. So hatte es schon Händel gemacht, so machten es jetzt Hasse, Naumann und andere. Und wer sich der welschen Weise bequemte und den eigenen Sinn nur innerhalb dieser bestimmten Manier walten ließ, dem stand selbst das hesperische Publikum gern zur Anerkennung bereit. Ja, es pries Händel in seinem Rinaldo, vergötterte den caro Sassone Hasse mit seinen hundert Opern nach italienischem Zuschnitt und hatte Gefallen an Glucks früheren Werken, die ihm in Rom sogar den Orden vom goldenen Sporn eintrugen. Und keiner der Maestri, die in Neapel, Rom oder Mailand Lorbeeren geerntet hatten, blieb ohne eine erfolgreiche Laufbahn. Glucks Reform der Oper hatte damals erst leise begonnen.
So war auch »La finta semplice« eine opera buffa ganz nach italienischem Zuschnitt; der damals berühmte Dichter Coltellini hatte das Textbuch verfaßt, und Italiener waren die Sänger, welche die Oper ausführen sollten. Man kann also denken, wie sehr der Vater darauf sinnen mußte, Wolfgangs Oper wirklich zur Aufführung zu bringen. Des Erfolges war er gewiß; er kannte die Schreibart seines Sohnes, der zu der vollkommenen Sicherheit in der Beherrschung der gewohnten Formen noch die ganze Lebhaftigkeit seines jugendlichen Empfindens hinzubrachte und so schon Hasses Beifall erweckt hatte. Um so empfindlicher mußte ihm die Täuschung sein, als er endlich von der Unmöglichkeit der Aufführung sich überzeugt hatte. Zudem entzog man ihm für die Zeit der Abwesenheit von Salzburg dort sein ganzes Dienstgehalt, und da nun die Familie so lange ohne Einkommen leben mußte, und Wolfgang und Nannerl obendrein noch einmal schwer erkrankt waren, – sie hatten im Winter die Blattern gehabt, Wolfgang war vierzehn Tage blind dagelegen, – so wird man begreifen, daß der Vater nicht gerne länger an einem Orte verweilen mochte, wo für seine Zwecke zunächst nichts weiter zu gewinnen war. Gleichwohl schrieb Wolfgang in Wien erst noch eine kleine deutsche Operette, »Bastien und Bastienne«, deren Text der Hoftrompeter Schachtner nach Rousseaus...