2 Das strategische Management in Mehrkanalsystemen des Einzelhandels (S. 11-12)
2.1 Die Herausforderungen an das Handelsmanagement
Zunächst einmal weist das Management im Handel einige grundsätzliche Rahmenbedingungen auf, die sich von anderen Wirtschaftsstufen und Wirtschaftsbereichen unterscheiden. Es sind die Bedingungen, unter denen in einer Handelsunternehmung geplant, geführt und kontrolliert, also „gemanagt" wird (vgl. Ahlert/Schröder 1990b, S. 59 ff.). Erstens sind die standortspezifischen Einflüsse zu berücksichtigen. Jeder Standort zeichnet sich durch eigene Strukturen und Verhaltensweisen der Marktpartner aus. Die Vielfalt der Einflüsse steigt, wenn Handelsunternehmungen über mehrere Betriebe verfügen, wie dies auf Filialsysteme und kooperierende Gruppen zutrifft.
Zweitens muss jede Handelsunternehmung einen hohen sortimentsspezifischen Informationsbedarf decken, und zwar sowohl im Beschaffungs- als auch im Absatzbereich. Die Anforderungen an das Handelsmanagement wachsen mit der Breite und Tiefe des Sortiments, mit der Anzahl der vertretenen Branchen und der Anzahl der Vertriebslinien. Die Bandbreite reicht von Unternehmungen mit einer Branche und einem Betriebstyp, wie z.B. Aldi (Lebensmittel/Discounter), über Unternehmungen mit einer Branche und mehreren Betriebstypen, beispielsweise Görtz (Schuhe/zielgruppenspezifische Betriebstypen), bis hin zu Unternehmungen mit mehreren Branchen und mehreren Betriebstypen, wie etwa Rewe, Tengelmann, Karstadt oder Douglas.
Drittens hat das Handelsmanagement eine Vielfalt von Abstimmungsproblemen zu bewältigen, die zwischen den Artikeln, den einzelnen Warengruppen, den verschiedenen Abteilungen innerhalb einer Betriebsstätte, der Handelszentrale und den Betriebsstätten, zwischen den Betriebsstätten sowie den Vertriebslinien auftreten. Ein Kernproblem ist dabei die Koordination zwischen Einkauf und Verkauf. Viertens bleibt den „Produkten" des Handels, d.h. den Einkaufsstätten und ihren Angebotskonzepten, die Absicherung durch gewerbliche Schutzrechte weitgehend versagt. Während Hersteller mit Patenten, Gebrauchsmustern und Geschmacksmustern technische und ästhetische Eigenschaften ihrer Produkte vor unzulässiger Nachahmung schützen können, kann sich eine Handelsunternehmung mit rechtlichen Mitteln nicht wehren, wenn ihr erfolgreiches Vermarktungskonzept „abgekupfert" wird. Dagegen werden die Hersteller ihre rechtlichen Schutzpositionen aktivieren, um sich gegen „Produktpiraterie" zu verteidigen. Dem Händler bleibt nur die rechtliche Absicherung von Handelsmarken und Storebrands (Retailbrands, Händlermarken, Betriebsmarken).
Fünftens ist die Umstellungsflexibilität in kaum einem Wirtschaftssektor so groß wie im Einzelhandel. Wer allein das äußere Erscheinungsbild der Handels landschaft einer Stadt betrachtet, wird feststellen, wie schnell Handelsunternehmungen in der Lage sind, bisherige Standorte aufzugeben, mit der Konkurrenz zu tauschen, zu verlagern oder an einem vorhandenen Standort das Betreibungskonzept, in der Regel verbunden mit einem Umbau, radikal zu verändern. Die Umstellungsflexibilität der Konkurrenz wird nicht zuletzt auch durch die fehlenden Schutzrechte begünstigt, was ihnen die unverzügliche und legale Nachahmung erfolgreicher Praktiken erlaubt.
Sechstens ist im Bereich der Personalführung auf die schwer steuerbare Verkaufsfunktion hinzuweisen. Die für den Erfolg der Handelsunternehmung relevante Interaktion zwischen dem einzelnen Verkäufer und dem Kunden ist schwierig zu kontrollieren, und die damit zusammenhängenden Motivations- und Koordinationsprobleme stellen höchste Anforderungen an die Führungskräfte. Die genannten Einflüsse multiplizieren sich bei international tätigen Handelsunternehmungen. Kulturelle, politisch-rechtliche, ökonomische, natürliche und sonstige Umweltbedingungen treten in facettenreicher Vielfalt auf. Selbst Bestrebungen, heterogene Wirtschaftsräume anzugleichen, wie beispielsweise innerhalb der Europäischen Union, werden an der Vielfalt der Einflüsse wenig ändern. So werden beispielsweise trotz aller Bemühungen, das Recht in den Mitgliedstaaten der EU zu harmonisieren und unterschiedliches Recht anzuerkennen, weiter – teilweise erhebliche – Unterschiede in den Rechtsordnungen bestehen bleiben. Für das Management von Mehrkanalsystemen kommt nun eine Besonderheit hinzu, die – so trivial es klingt – aus dem Nebeneinander mehrerer Kanäle besteht. Dies führt zu Anforderungen an die Koordination von Güter-, Geld- und Informationsströmen zwischen und in den einzelnen Kanälen (Abb. 2-1). Jede Handelsunternehmung hat zu entscheiden, inwieweit sie die einzelnen Kanäle integrieren will. Eine sehr umfassende Integration der Güter-, Geld- und Informationsströme bedeutet z.B., dass ein Kunde für jede Phase seines Kaufprozesses jeden Kanal nutzen kann und dass der Anbieter in jedem Kanal Informationen über diesen Kunden besitzt.