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Nacktprotest als politisches Kommunikationsinstrument: Zwischen grenzenloser Protestbereitschaft und sexueller Selbstinszenierung

AutorJulia Kirschner
VerlagBachelor + Master Publishing
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl49 Seiten
ISBN9783955495350
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Das vorliegende Buch widmet sich der feministischen Frauenbewegung FEMEN, die in Form von Nacktprotesten öffentliche Aufmerksamkeit erregt und sich dadurch politische Einflussmöglichkeiten erhofft. Es wird kritisch hinterfragt, inwieweit bei solchen Protestaktionen von moderner Frauenbewegung gesprochen werden kann und ob die Präsentation entblößter Frauenkörper eine öffentliche Thematisierung gesellschaftlicher Probleme fördert, oder die Aufmerksamkeit auf sexuelle Reize lenkt und somit die Wahrnehmung der eigentlichen Botschaft überschattet. Durch eine fundierte theoretische Auseinandersetzung sowie einer nach wissenschaftlicher Abfolge festgelegten Bildinterpretation wird die Thematisierung sozialpolitischer Themen auf ihre Wirksamkeit überprüft. Inhaltlich führt zunächst eine geschichtliche Zusammenfassung starker Frauen zum Thema hin. Im Exkurs der Türkei wird auf die spezielle Situation in dem Land eingegangen, da auch die Bildbeispiele aus Protestaktionen in der Türkei gewählt sind. Im anschließenden Kapitel wird die Frauenbewegung, die sich aus jungen Ukrainerinnen zusammensetzt, vorgestellt. Die Bildinterpretation analysiert Bilder zweier Protestaktionen mit dem vierstufigen Interpretationsmodell von Winfried Marotzki, das ursprünglich auf den Kunsthistoriker Erwin Panofsky zurückgeht. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden im Anschluss mit Merkmalen vorangegangener Frauenbewegungen abgeglichen, was eine Gegenüberstellung von Femen mit diesen älteren Frauenbewegungen erlaubt. Ob die ukrainische Protestgruppe als neues Bild der starken Frau gesehen werden kann, wird im Anschluss ermittelt. Der Schlussteil der Arbeit beschäftigt sich mit dem durch Nacktprotest verbundenen Potential und thematisiert die zukünftigen Erfolgschancen solcher Aktionen.

Julia Kirschner wurde 1988 in Mainz geboren. Ihr Studium der Medien und Kommunikation an der Universität Passau schloss die Autorin im Jahre 2012 mit dem akademischen Grad des Bachelors of Arts erfolgreich ab. Bereits während des Studiums sammelte sie umf

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Leseprobe
Textprobe: Kapitel 3., Der Exkurs Türkei: Da sich der methodische Teil dieser Arbeit - die Bildinterpretation - auf einen Protest in Istanbul bezieht, wird kurz auf die Frauenbewegung in der Türkei eingegangen, wobei das Augenmerk speziell auf die Themen der häuslichen Gewalt und Gleichberechtigung von Frauen gelenkt wird. Anschließend erfolgt eine knappe Erläuterung hinsichtlich charakteristischer Merkmale der türkischen Gesellschaft. Dabei steht die Stellung der Frau im Mittelpunkt, um die Bedeutung der Protestaktion besser verstehen zu können und eine spätere Einordnung des Bildes in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu ermöglichen. 3.1, Die türkische Frauenbewegung: Auch in der Türkei lassen sich drei verschiedene Wellen der Frauenbewegung unterscheiden. Ihr historischer Ursprung geht zurück auf das osmanische Reich in der Mitte des 19. Jahrhunderts (vgl. Koç, 2009). Verglichen mit den Frauenbewegungen der westlichen Hemisphäre besteht der einzige nennenswerte Unterschied der ersten Welle darin, dass die Türkei die wichtigsten Schritte mit einigen Jahren Verspätung vollzog. Auch die zweite Welle der türkischen Frauenbewegung trat im Vergleich zu europäisch-westlichen Frauenbewegungen mit etwa fünf bis zehn Jahren Verspätung auf und durchlief auch hier ähnliche Phasen (vgl. Tekeli, 1997, S. 79f.). Die Gründerinnen waren intellektuelle Frauen aus urbanen Gebieten, die sich in privaten Wohnungen trafen, um ein neues feministischen Bewusstsein zu entwickeln und vorherrschende Ansichten kritisch zu hinterfragen (vgl. Koç, 2009). Dass häusliche Gewalt bereits früh als immenses gesellschaftliches Problem erkannt wurde, beweist die erste legale feministische Straßendemonstration gegen häusliche Gewalt vom 17.05.1987, aus der sich eine ausgedehnte Kampagne entwickelte (vgl. Tekeli, 1997, S. 78). Da der Ursprung der zweiten Welle auf urbane Gebiete zurückzuführen ist, lässt sich ein Gefälle hinsichtlich ländlicher und städtischer Bevölkerung erkennen, welches bis heute Auswirkungen hat und im weiteren Verlauf Beachtung findet. Feministinnen der ersten und zweiten Welle standen mit Akteuren der westlichen Frauenbewegungen in Verbindung und wurden von deren Ideologie beeinflusst. Allerdings differenzierten sie sich in ihrer Vorgehensweise bewusst durch einen reservierten und damenhaften Kampfstil (vgl. ebd., S. 85). Seit 1990 versucht die dritte Welle der türkischen Frauenbewegung verstärkt auf die patriarchalhegemonialen Herrschaftsverhältnisse in ihrem Land aufmerksam zu machen und sieht die Familie noch immer als primären Ort des Zwangs und der Unterdrückung für die Frau (vgl. Somersan, 2011, S. 86f.). Ein charakteristisches Merkmal der Türkei ist die Heterogenität der Gesellschaft, die unterschiedlichen ethnischen und religiösen Gruppierungen und Sichtweisen, welche sich maßgeblich auch auf die Frauenbewegungen auswirken. 'Gruppen wie Radikalfeministinnen, Anarchafeministinnen, sozialistische Feministinnen, muslimische, kemalistische, kurdische oder armenische Feministinnen oder Frauenbewegungen beziehen sich auf unterschiedliche Identitäten und Differenzen, die aus den Polarisierungen um ethnische Fragestellungen sowie um religiöse und sozioökonomische Fragestellungen entstanden sind' (Bora & Günal, 2002 zit. in Koç, 2009). Zwei wichtige Polari-sierungen zeigen die Diskrepanzen unter den Feministinnen auf. Die kemalistischen Frauen, zusammengesetzt aus Frauen der oberen Mittelschicht mit meist westlicher Ausbildung, fordern unter anderem eine rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung unter kemalistischer Reform nach westlichem Vorbild. Dem stehen die autonomen Feministinnen gegenüber, die sich gegen staatliche Sphären richten und sich aus sozialistischen, radikalen und kurdischen Feministinnen zusammensetzen (vgl. Somersan, 2011, S. 100). Nicht selten verhindern dabei unterschiedliche Ansichten ein angepasstes Leben an westliche Standards, sowohl im politischen als auch im gesellschaftlichen Bereich. Der traditionelle Islam sieht die Frau primär als Ablenkungsgefahr für die Männerwelt. Verursacht durch ihre sexuellen Reize lenkt sie den Mann von seinen Pflichten gegenüber Gott und der Gemeinschaft ab, was gesellschaftliche Konflikte fördert. Demnach müssen die weiblichen Reize durch Separierung und Verhüllung kontrolliert werden, was unter anderem durch die Zuordnung der Frau in die private Sphäre geschieht. Die Staatsideologie des Kemalismus hingegen hat einen Großteil zur Beseitigung rechtlicher Ungleichheiten beigetragen, indem die Bildung von Frauen vorangetrieben und Wege aus der häuslichen Sphäre geschaffen wurden. Separierung und Verschleierung werden als partizipatorische Hindernisse definiert und zurückgedrängt (vgl. Braun, 2000, S. 84ff.). Wichtig ist, dass eine Zer-splitterung innerhalb der Frauenbewegung zunächst ein gemeinsames Vorgehen stark einschränkt, vor allem wenn es um religiöse und die damit verbundene weibliche Identitätsfrage geht (vgl. Koç, 2009). Seit 2000 ist eine vermehrte Kooperationsbereitschaft und Solidarität der verschiedenen Gruppierungen zu erkennen mit dem Wunsch nach einer neuen gesamtfeministischen Solidaritätsbewegung (vgl. Somersan, 2011, S. 118f.). Auch die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU sowie die Ernennung zum Beitrittskan-didat haben in den letzten Jahren eine nicht zu vernachlässigende Demokratisierungswelle veranlasst (vgl. ebd., S. 91). Allerdings dominiert in manchen Gebieten noch immer eine antifeministische Überzeugung, die von traditionalistisch orientierten Männern wie Frauen vertreten wird (vgl. Tekeli, 1997, S. 90). Problematisch bleibt zudem der Rückstand ländlicher Gebiete, die bis heute kaum von modernen Erneuerungen profitieren konnten. Der feministische Aktivismus und die feministische Politik haben bis heute viele Änderungen zur Gleichberechtigung in der türkischen Gesellschaft erkämpft. Noch bis vor einigen Jahren herrschte die weit verbreitete gesellschaftliche Überzeugung, dass der Körper der Frau Besitz des Mannes sei. Bedauerlicherweise hat das Fortbestehen solcher Normen bis ins 21. Jahrhundert hinein dazu beigetragen, dass manche Werte in der Gesellschaft auch heute noch tief verwurzelt sind. Bis zum Jahr 2007 wurden insgesamt 35 Artikel geändert, die die sexuelle Autonomie türkischer Bürgerinnen betreffen und das patriarchale Konstrukt wie Keuschheit, Moral, Schande, öffentliche Sitten und Würde aufrecht erhalten hatten, was nicht zuletzt als große Errungenschaft der Frauenbewegung gesehen werden kann (vgl. ESI, 2007). Aktuelle Schlagzeilen wie 'Aus dem Kreis der 47 Europaländer sitzt wie im Vorjahr die Türkei an erster Stelle auf der Anklagebank des Europäischen Ge-richtshofes für Menschenrechte (EGMR)' (vgl. dpa, 2011) unterstreichen allerdings die noch immer als problematisch einzustufende Stellung der Türkei. 3.2, Die türkische Gesellschaft und das Bild der Frau: Charakteristisch für die Türkei ist und bleibt eine hegemoniale Männlichkeit, welche sowohl auf ein kulturelles Ideal als auch auf institutionelle Macht zurückzuführen ist. Weite Teile der Gesellschaft sind noch immer geprägt durch ein geschlechterhierarchisches Gewaltverhältnis in der Familie und im Privaten, wodurch Frauen Demütigung und Unterdrückung erleiden. Institutionen wie beispielsweise das Parlament, mit einem männlichen Anteil von über 90 Prozent, sowie der militärische Apparat und auch die Medien tragen ihren Teil dazu bei (vgl. Somersan, 2011, 124f.). Besonders der Militarismus gilt als einer der Hauptgründe für türkische Männergewalt, das Patriarchat und die hegemoniale Männlichkeit. Bereits in der Grundschulausbildung werden Jungen zu einem Pflichtbewusstsein gegenüber ihrer Nation und auch Familie erzogen, die es um jeden Preis zu beschützen gilt. Durch die stetige Fortführung dieser Tradition fühlen sich Frauen nicht selten sicher und beschützt in den ihnen bekannten patriarchalen Gesellschaftsstrukturen (vgl. ebd., 140ff.). Eventuell lässt sich hier auch ein Grund für die immer noch existierende Befürwortung mancher Frauen finden, die sich offen als Verfechterinnen hegemonialer Männlichkeit aussprechen, diese beibehalten möchten und dem feministischen Aktivismus keinen Sinn aberkennen können. Bezüglich der Geschlechtergleichheit in Schul- und Ausbildung zeichnet sich noch immer eine enorme Kluft ab, die zusammen mit dem wirtschaftlichen Status von Frauen einen mangelnden Entwicklungsstand unterstreichen. 2007 betrug der Anteil berufstätiger Frauen lediglich zwölf Prozent, was der Türkei trotz ansteigender Urbanisierung den niedrigsten Anteil erwerbstätiger Frauen europaweit einräumt. Migrantinnen, die aus den ländlichen Gebieten in die Stadt ziehen, haben aufgrund fehlender oder schlechter Ausbildung kaum Aussichten auf Erwerbstätigkeit. Studien aus dem Jahr 2007 belegen zudem, dass die Türkei noch immer den niedrigsten Frauenanteil unter Parlamentariern in Europa hat (vgl. ESI, 2007). Die Ursachen der geringen politischen Partizipation liegen in der gesellschaftlich zugewiesenen Rolle der Frau als Mutter und Hausfrau, dem Bildungsmangel und der geringen Erwerbstätigkeit, was das Vertrauen der männlichen Mitbürger gegenüber weiblicher Politikfähigkeiten enorm begrenzt. Zurzeit können Frauen häufig nur politisch aktiv werden, wenn sie die männlichen Überzeugungen und deren Vorstellungen von hegemonialer Politik unterstützen (vgl. Somersan, 2011, S. 153ff.). Seit Jahren erfährt die sexuelle Selbstbestimmung der Frau eine starke Einschränkung durch die türkische Gesellschaft. Sexuelle Reinheit von Frauen in der türkischen Kultur ist sowohl nach traditionell islamischer Auffassung als auch im kemalistischen Paradigma von äußerster Wichtigkeit (vgl. Braun, 2000, S. 107f.). Auch Nacktheit an sich ist in weiten Teilen der Türkei ein Tabuthema und steht in starkem Kontrast zur zunehmenden Verschleierung. 'Schon 'westliche' Kleidung stößt bei vielen gläubigen Muslimen auf Ablehnung, Nacktheit wird als unmoralisch und als Affront gegen den, die Denkweisen der Menschen prägenden, Islam gewertet und immer aggressiver abgelehnt' (vgl. Kaya, 2011). Häusliche Gewalt ist auch heute noch Teil der türkischen Realität. 'Jeder vierte Mann in der Türkei schlägt entweder seine Mutter, Ehefrau, Tochter, Schwester oder andere weibliche Verwandte' (Somersan, 2011, S. 126). Schlechte Transportwege und Kommunikati-onsmittel in ländlichen Gebieten verhindern teilweise, dass Einzelfälle in die Öffentlichkeit dringen. Juristisch und staatlich werden oftmals gerade modernisierte Reformen nicht umgesetzt. Auch steht häufig noch immer die Familie als fundamental wertvollste Kategorie der Gesellschaft im Mittelpunkt und nicht das Individuum (vgl. ebd., S. 128f.). Eine Vereinheitlichung des türkischen Frauenbildes ist aufgrund der facettenreichen kulturellen, ethnischen, und sozialen Vielfalt, aus der sich die Gesellschaft zusammensetzt, nicht möglich, da je nachdem welche Bereiche betrachtet werden, verschiedene Entwicklungsebenen aufzufinden sind. In der Oberschicht treffen wir die moderne gebildete Frau in angesehenen Positionen, die in ihrem Kleidungsstil europäische Moderne verkörpert. Gleichzeitig treffen wir auf dem Land und in der Unterschicht in den Metropolen die traditionelle, eher islamisch ausgerichtete Türkin an. Wieder anders präsentiert sich die Kurdin. (Çakir-Ceylan, 2011, S. 55) Die auffälligen Diskrepanzen innerhalb des Landes hinsichtlich Alphabetisierung und Erwerbstätigkeit unter Frauen, Haushaltsgröße sowie häusliche Gewalt finden ihre Ursachen in einem großen Stadt-Land-Gefälle. Demnach weisen wohlhabendere Gebiete wie Kadi-köy im Jahr 2007 beispielsweise eine Analphabetenrate von lediglich fünf Prozent auf. In anderen Gegenden wie Van, was geographisch, kulturell und ökonomisch von Kadiköy weit entfernt ist, herrschen konträre Zustände. Dort gaben 82 Prozent der Frauen 2005 an, oft oder sehr oft Gewalt ausgesetzt zu sein, was die Unterentwicklung in einer der ärmsten Provinzen unterstreicht. Zwar zeichnet sich bereits seit dem Jahr 2000 ein positiver Trend in vielen Bereichen ab, jedoch lässt ein Urbanisierungsanteil von 65 Prozent auch aktuell eine große Kluft zwischen Stadt- und Landgebieten vermuten (vgl. ESI, 2007). Inwieweit der- verglichen mit anderen EU-Ländern - eher zurückhaltende damenhafte und reservierte Kampfstil vorangegangener Frauenbewegungen einen revolutionären Wandel zugunsten der Frau verlangsamt oder ganz verhindert hat, bleibt offen.
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