I. Teil. Definition und Ursachen
Einführung
Dieses Buch handelt von den vielfältigen zwischenmenschlichen Problemen, die Menschen mit einer „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ haben, und richtet sich insbesondere an die Opfer narzisstischen Missbrauchs, also an Partner, Kinder und andere nahestehende Personen von narzisstisch gestörten Menschen.
Ich habe den Text bewusst in viele kleine Kapitel unterteilt, damit man die verschiedenen Themenbereiche leichter nachschlagen kann. Die Betroffenen werde ich als Menschen mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung, in ihrer Selbstliebe bzw. ihrem Narzissmus gestörte Personen oder auch verkürzt als Narzissten bezeichnen, wenngleich letzterer Begriff, wie wir noch sehen werden, nicht ganz zutreffend ist.
Gleich zu Beginn möchte ich Ihnen empfehlen, keine laienhafte Heilungsversuche an narzisstisch gestörten Personen zu starten. Eine Verbesserung ihrer Beziehungsfähigkeit können diese nur selbst anstreben, und eine therapeutische Begleitung ist dabei ratsam (und meist auch unvermeidlich).
Vielmehr soll das Buch zum Nachdenken anregen und helfen,
- verfahrene familiäre Strukturen besser zu verstehen,
- ein (eventuell über Generationen) vererbtes Trauma zu erkennen,
- in der Erkenntnis der Ursachen problematischen Verhaltens Trost zu finden,
- Schuldgefühle zu mindern,
- Mut zur Veränderung des eigenen Verhaltens zu finden.
Denn der erste Schritt zur Veränderung ist die Erkenntnis. Natürlich werden am Ende einige Fragen offenbleiben. So wie jeder Mensch seine eigene Vergangenheit hat, hat auch jede Beziehung ihre individuellen Probleme, und es hängt nicht nur von einem, sondern von vielen Faktoren ab, ob sie glückt oder scheitert.
Die Beschäftigung mit dem Thema „Narzisstische Persönlichkeitsstörung“ kann daher nur den ersten Schritt auf einer Reise bedeuten, die Ihnen und den Menschen in Ihrem Umfeld schließlich zu einem erfüllteren Miteinander verhilft. Erst wenn Sie erkannt haben, wo Ihre Probleme liegen und was die Ursachen für diese Probleme sind, macht es Sinn, Veränderungen anzustreben. Ich wünsche Ihnen alles Gute!
Narzissmus – Definition und Diagnosekriterien
Der Begriff Narzissmus ist dem Griechischen entlehnt: Aus der griechischen Mythologie ist die Sage des hübschen Jünglings Narkissos (lat. Narcissus) überliefert, dem Sohns des Flussgottes Kephissos und der Nymphe Leiriope, der die Liebe anderer zurückwies und sich in sein eigenes Spiegelbild verliebte.
Wegen seiner großen Schönheit wurde er von Jünglingen und Mädchen gleichermaßen umworben, wehrte aber aus hochmütigem Stolz über seine eigene Schönheit alle Avancen ab. Einem besonders hartnäckigen Bewerber ließ er zusammen mit seiner Abfuhr einen Dolch zukommen, mit welchem dieser sich dann umbrachte. Für seinen Hochmut wurde Narkissos mit unstillbarer Selbstliebe bestraft – er verliebte sich in sich selbst, als er sein eigenes Abbild im Wasser erblickte. Es gibt verschiedene Versionen seines Todes: Nach Ovid verschmachtet Narkissos, weil er sich nicht von seinem geliebten Spiegelbild im Wasser losreißen kann; nach Pausanias stirbt er im Glauben, dass er hässlich sei (als Wasserwellen sein Spiegelbild verzerren), nach Konon stürzt er ins Wasser, um seinem Spiegelbild nahe zu sein und ertrinkt. Sein Leichnam verwandelt sich in eine Narzisse.
Was die Geschichte Narkissos‘ mit denen heutiger „Narzissten“ eint, ist die Tragik. Ebenso wie Narkissos erkennen auch Narzissten ihre eigentlichen Probleme nicht, sie quälen sich regelrecht durch ihr Beziehungsleben und fügen sich und den Menschen, die sie lieben, dabei immer wieder seelische Schmerzen zu.
Im Grunde bedeutet Narzissmus lediglich die Zuwendung zu sich selbst im Gegensatz zu der Zuwendung zu anderen Menschen. An dieser positiven Selbstliebe gibt es nichts zu beanstanden, denn sie ist gesund und eine Grundlage zur Beziehungsfähigkeit. Menschen mit einer sogenannten „Narzisstischen Persönlichkeitsstörung“ jedoch sind in ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Selbstliebe aufgrund erlittener Traumata in der frühen Kindheit stark beeinträchtigt. Ihr Narzissmus, ihre Selbstliebe, ist gestört – in ständiger Angst vor Ablehnung suchen und fürchten sie die Liebe gleichermaßen. Menschen mit einer Narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden unter einem grundlegenden Mangel, der ihr Leben einschränkt und liebevolle ehrliche Beziehungen verhindert. Meist wird die Störung erst im frühen Erwachsenenalter auffällig, wenn sie sich als unfähig zum Aufbau intimer Liebesbeziehungen und inniger Freundschaften erweisen.
Auf andere wirken Narzissten äußerst ich-bezogen. Sie benutzen Personen aus ihrem Umfeld für ihre eigene Bedürfnisbefriedigung, missachten deren Gefühle und Wünsche und neigen in allen Lebensbereichen zur Übertreibung. Ihr Selbstwertgefühl ist abhängig von der Anerkennung durch andere, und sie erwerben und verteidigen diese auf kindlich-trotzige Weise.
Zwar sind sie meist im beruflichen Bereich erfolgreich, im zwischenmenschlichen Bereich sieht es allerdings mit häufig wechselnden Partnern und Freunden, sowie Scheidungen und Kontaktabbrüchen, anders aus. Aufgrund ihres geringen Selbstwertgefühls sind sie sehr empfindlich gegenüber Kritik und (vermeintlicher) Zurückweisung. Da sie nur sehr eingeschränkt zur Selbstreflexion fähig sind, haben sie große Schwierigkeiten, Verantwortung für sich und ihr Handeln zu übernehmen. Unter den Symptomen der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet eher das Umfeld des Narzissten und scheinbar weniger der Narzisst selbst, der sein eigenes Fehlverhalten nicht sieht, sich für seine immer wiederkehrenden zwischenmenschlichen Konflikte nicht mitverantwortlich fühlt und seine Probleme durch Ablenkung verdrängt.
Als langfristige Folge droht Vereinsamung, wenn die zwischenmenschlichen Probleme irgendwann aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr mit Ablenkung, Konsum usw. kompensiert werden können.
Typische Merkmale für eine narzisstisch gestörte Persönlichkeit können sein:
- Arroganz/Überheblichkeit, spürbar insbesondere im engeren Umfeld,
- Ein kindlich anmutender Wunsch nach Aufmerksamkeit und Bewunderung,
- Das Bedürfnis, stets im Mittelpunkt stehen zu wollen,
- Selbstüberschätzung; das Stecken hoher Ziele, für die schon im Voraus, vor dem Erreichen dieser Ziele, Anerkennung verlangt wird,
- Pathologisches Lügen, Ausschmücken oder Übertreibungen von Erlebnissen,
- Ein geringes Einfühlungsvermögen (mangelnde Empathie),
- Abwechselnde Idealisierung und Abwertung von Personen im engeren Umfeld,
- Rücksichtsloses, egoistisches Verhalten, Missachtung der Gefühle anderer, somit eine
- Generell spürbare Ignoranz und Gleichgültigkeit (mitunter auch Freude) über die Sorgen und Nöte anderer Menschen
- Neidgefühle/Missgunst oder die Vermutung, dass andere Personen auf sie neidisch/missgünstig sind,
- Oberflächlichkeit und Sprunghaftigkeit,
- Materialistisches Denken,
- Eingeschränkte Fähigkeit zur Lebensfreude, abgeflachte, geschauspielerte positive Gefühle,
- Berechnendes Verhalten, kühl kalkulierend stets auf den eigenen Vorteil bedacht sein,
- Promiskuitives Verhalten, häufige Partnerwechsel und/oder Untreue,
- Eifersucht, der Wunsch mit dem Partner eine symbiotische Beziehung einzugehen,
- Scheinbar gänzliches Fehlen von Gefühlen wie Sehnsucht, Bedauern und Traurigkeit,
- Eine Überempfindlichkeit gegenüber Kritik, verbunden mit
- Großen Schwierigkeiten, Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen, und
- Auffallenden Kommunikationsschwierigkeiten bei Konflikten,
- Genereller Unwille und Unvermögen, zwischenmenschliche Probleme im Dialog zu lösen, daraus resultierend
- Vermehrt Kontaktabbrüche bei Beziehungsproblemen,
- Bisweilen im beruflichen, zumeist aber im privaten Bereich ein von Wechseln und Kursänderungen immer wieder durchbrochener Lebenslauf (eine Lebensgeschichte wie ein „Flickenteppich“ anstelle einer geradlinigen Entwicklung).
Gleich vorweg: Persönlichkeitsstörungen sind keine Krankheiten, sondern vielmehr dauerhaft vorhandene starke Normabweichungen in der Persönlichkeitsstruktur. Die Persönlichkeit gilt als gestört, wenn die betroffene Person Verhaltensweisen, Gefühls- oder Denkmuster zeigt, unter denen sie oder ihr Umfeld fortwährend und regelmäßig leiden. Allen Persönlichkeitsstörungen gemeinsam sind von der gesellschaftlichen Norm stark abweichende, unflexible Reaktionen in Alltagssituationen, eine Einschränkung der Arbeits- und/oder Liebesfähigkeit sowie ein durchgehendes Verhalten, das für den Betroffenen und/oder für andere Menschen belastend ist.
Narzisstische Züge sind...