07 Noch mehr Theorie
Am Sonntagmorgen, den 31.07.2016, war ich pünktlicher. Ich hatte die Nacht in Tettnang verbracht und deshalb eine wesentlich kürzere Anfahrt als am Tag zuvor, außerdem war mir jetzt bekannt, wo ich das Auto zu parken hatte, um nicht durch den ganzen Ort laufen zu müssen.
An diesem Tag begaben wir uns zunächst einmal auf die Mole des Wasserburger Hafens, um uns die Lichterführung an den Schiffen anzusehen, die dort lagen.
Klar war uns inzwischen, dass die rechte Seite eines Bootes Steuerbord hieß. Wir konnten sehen, dass ein grünes Seitenlicht Steuerbord anzeigte und ein rotes Seitenlicht Backbord. Dazu gab es ein weißes Rundumlicht, oben am Mast eines Segelschiffes.
Die Hafeneinfahrt war so gekennzeichnet, dass von See kommend ein grünes Licht die rechte Seite der Hafeneinfahrt markierte und ein rotes Licht, die linke Seite. Also deckten sich die Farben, wenn ein Schiff in den Hafen einfuhr, grünes Licht passierte grünes Licht, rotes Licht passierte rotes Licht.
Bei der Ausfahrt aus dem Hafen war es genau entgegengesetzt: Rotes Licht am Schiff passiert grünes Licht an der Hafenmauer und grünes Licht am Schiff passiert rotes Licht an der Hafeneinfahrt.
Außerdem konnte man in der Dunkelheit an den farbigen Lichtern erkennen, ob ein Schiff auf dich zu kam oder von dir wegfuhr. War das grüne Licht von dir aus gesehen rechts, so fuhr es von dir weg, war es rot, so kam es auf dich zu.
Da der Wasserburger Hafen nur eine Mole besitzt und nicht so wie der Lindauer Hafen eine „echte“ Hafeneinfahrt, gibt es in Wasserburg nur ein rotes Licht an der Mole als Kennzeichnung der linken Hafeneinfahrtseite, von See herkommend.
Bei der Gelegenheit lernten wir noch, dass die Pfosten oder Pfähle, die die Anlegeboxen im Hafen markierten nicht Pfosten oder Pfähle, sondern Dalben hießen.
Genauso verhielt es sich mit dem Pegelstand im Hafen. Der an der Mole angebrachte Pegel zeigte stets die Wassertiefe des Pegels in Konstanz an. Der Normalpegel in Konstanz liegt bei 2,50 Meter. Um die tatsächliche Wassertiefe in einem Hafen am Bodensee zu berechnen, musste man das Hafenhandbuch des jeweiligen Hafens hinzuziehen. Dann galt es die jeweilige Differenz zum Normalpegel von den im Hafenbuch eingetragenen Werten entweder abzuziehen oder dazuzuzählen. Also auch das war, auf den ersten Blick, nicht so einfach zu verstehen.
Jörg, der Besitzer der Segelschule war zugleich Hafenmeister und hatte dementsprechend viel zu tun.
Er sorgte dafür, dass es ordentlich im Hafen zuging und kontrollierte, ob die in seinem Gebiet verkehrenden Sportboote sich an die Regeln der Bodenseeschifffahrtsordnung hielten.
Er kassierte die Hafengebühr und wies den einlaufenden Schiffen ihre Liegeplätze zu, wenn es noch freie gab. Am Gästesteg herrschte reger Verkehr, wenn die Boote zu einem kurzen Stopp einliefen, damit die Besatzung eine kleine Kaffeepause machen konnte.
Wir machten keine Kaffeepause, denn es galt in unserem Lehrbuch die nächsten Seiten durchzuarbeiten.
Also versammelten wir uns wieder in dem etwa 20 qm großen Schulungsraum, wo wir das Erlernte vom Vortag ein wenig vertieften.
Uns wurde beigebracht, dass die Vorfahrtsregeln für Motorboote untereinander andere waren, als die bei Segelbooten untereinander.
Außerdem sprachen wir hier nicht von Vorfahrtsregeln, sondern vom Wegerecht. Unter den verschiedenen Wasserfahrzeugen gab es auf dem Bodensee ganz klar definierte Wegerechte, an die sich jeder halten musste. In Bezug auf das Wegerecht gab es manchmal Probleme, weil die zahlreichen Hobbysportler sich nicht die entsprechenden Kenntnisse angeeignet hatten.
Wir hingegen lernten heute, dass Jollen formstabil- und Kielyachten gewichtsstabil waren. Unbewusst fiel mein Blick auf Daniel, der durch sein Gewicht möglicherweise auch eine formstabile Jolle gewichtsstabil machen konnte.
Des Weiteren wurde uns erklärt, dass die Luv- oder Leegierigkeit nichts damit zu tun hatte, auf welcher Seite des Schiffes eine hübsche Frau saß. Sie hatte viel mehr mit dem Segeldruck- oder Lateraldruckpunkt am Boot zu tun, was immer dies auch heißen mochte.
Außerdem sprach man bei Schiffen von Verdrängern oder Gleitern. Und so kam es, dass je mehr wir uns durch den Lehrstoff gleiten ließen, es mir nicht gelingen wollte den Zweifel zu verdrängen, jemals die theoretische Prüfung zu schaffen.
Der Stoff wurde immer mehr und umso mehr er wurde, umso schwerer schien es mir, mir überhaupt etwas merken zu können.
Selbst die Mittagspause konnte nicht wirklich zur Entspannung beitragen. Ich nahm einen kleinen Imbiss am Kiosk neben der Segelschule und war überrascht, was für einen guten Kaffee sie kochten. Bald hatten die Betreiber des Kiosks mitbekommen, dass wir zur Segelschule gehörten und so war es kein Problem, den Kaffee mit in den Schulungsraum oder auf die kleine Terrasse davor mitzunehmen.
Es herrschte eine wirklich tolle Atmosphäre hier in dem kleinen Hafen von Wasserburg, wenngleich der Lehrstoff wie ein Damoklesschwert über mir schwebte.
Ab Seite → im Lehrbuch wurde die Praxis des Segelns beschrieben, sodass wir dieses Kapitel ausließen, da es nicht Bestandteil der theoretischen Prüfung war.
Dafür erfuhren wir eine Menge über Motorboote, deren Motoren, Propeller, Gas- und Tankanlagen und so weiter und so weiter. Auch beim Vermitteln des Brandschutzes ließ Jörg nichts anbrennen.
Das nächste Kapitel befasste sich mit dem Fahren mit dem Motorboot und war ebenfalls nicht Bestandteil der theoretischen Prüfung.
Das gehörte zur Praxis und mit dem Praxisunterricht sollte am Montag begonnen werden.
Am Schluss des zweiten Theorietages überflogen wir noch den Teil mit den Prüfungsfragen und den Antworten. Es fiel auf, dass den Prüfungsfragen jeweils nur die richtige Antwort angehängt war.
Wir wurden darüber aufgeklärt, dass der Verlag des Lehrbuches nicht die Lizenz zum Abdruck der originalen Prüfungsfragen hatte. Deshalb war es nötig entweder im Internet eine kostenpflichtige Lernapp herunterzuladen oder das „Übungsbuch zum Schifferpatent mit dem Frage- und Antwortkatalog nach dem Multiple-choice-Verfahren“ zu kaufen. Also nochmal 18,00 € obendrauf.
Dann wurden noch kurz die Gruppen eingeteilt, wie sie am Montagmorgen an den praktischen Ausbildungen fürs Motor- bzw. Segelboot antreten durften.
Ich wurde zunächst der Gruppe für die Motorbootausbildung zugewiesen.
Noch einmal legte man uns nahe, Sonnencreme und Sonnenbrille nicht zu vergessen, denn das war unbedingt auf dem See nötig, um sich vor einem Sonnenbrand und dem Blenden durch das Wasser zu schützen. Empfohlen wurde auch noch entsprechende Kleidung zu tragen und einen Kopfschutz zu benutzen.
Ausgestattet mit so viel Wissen wurden wir damit in den Sonntagabend verabschiedet.
Bereits am Donnerstagmorgen, also in 4 Tagen, war die theoretische Prüfung angesetzt. Um uns noch etwas zu beruhigen, hieß es, dass wir dort nur einen Fehler machen durften, um nicht durchzufallen.
Das hörte sich mal richtig klasse an!
In dem Fragen- und Antwortkatalog reduzierte sich die Anzahl der Fragen von ursprünglich 521 auf 471, was die Sache natürlich wesentlich vereinfachte.
Folgende Fachbereiche sollten demnach abgefragt werden:
Rechtsverhältnisse am Bodensee, Beschreibung des Bodensees, Patentbestimmungen, Zulassungsbestimmungen, Besatzung und Kennzeichen, Allgemeine Verhaltensvorschriften, Schallzeichen, Lichter- und Flaggenführung, Schifffahrtszeichen, Ausweich- und Fahrregeln bei Motorbooten, Fragen zu gewissen Rheinstrecken, Praktische Seemannschaft, Motorenkunde, Gebrauch der Seekarte, Bezeichnung von Fahrwasser und Untiefen, Fragen zur Navigation, Wetterkunde, Sturmwarn- und Seenotrettungsdienst, Segelboote und deren Bedienung und Ausweichregeln mit Segelbooten.
An diesem Abend fuhr ich noch einmal nachhause, um mich mit den notwendigen Sachen zu versorgen.
Dann nahm ich den Fragen- und Antwortkatalog zur Hand, um mich mit den Prüfungsfragen zu beschäftigen. Bald musste ich jedoch feststellen, dass es mit dem bloßen Auswendiglernen der richtigen Antworten nicht getan war.
Es gab Fragen, speziell bei den Ausweichmanövern, die einen gewissen Sachverstand voraussetzten. Also nahm ich das Buch „Bodensee-Schiffer-Patent“ dazu und versuchte mich parallel mit beiden Büchern durch den Stoff zu arbeiten.
Für die Bearbeitung der ersten 80 Fragen benötigte ich eine gute halbe Stunde, hochgerechnet auf alle 471 Fragen, wäre ich dann gute drei Stunden unterwegs.
Das erschien mir an diesem Abend zu lange und so ließ ich es gut sein und fiel um Mitternacht todmüde ins Bett.
Auf was hatte ich mich da bloß eingelassen?
In dieser Nacht sah ich mich als verwegener Kapitän am Bug eines Piratenschiffes stehen, der eine große Seeschlacht gewann. Er selbst warf sich in die Seile, um das gegnerische Schiff zu entern! Was für ein Kerl!
Irgendwie schien mir mein Unterbewusstsein sagen zu wollen: „Du schwingst dich jetzt genauso tollkühn, wie sich dieser Pirat durch die Lüfte schwang, durch den Prüfungsstoff, du verwegener...