Neuengland erleben und genießen
Übernachten
Willkommen im 19. Jahrhundert
Schlafen in Neuengland verspricht jeden Abend eine neue Überraschung. Zumindest, wenn man in einer landestypischen Bleibe, im historischen Bed & Breakfast übernachtet. Denn dann können das Haus und die Gastgeber viel über die Geschichte der Region erzählen.
Überall in den USA säumen sie die Highways, die kahlen Motels mit schriller »Vacancy«-Neonschrift, schnelle, unpersönliche Nachtlager mit röhrender Klimaanlage und ewig laufendem TV. Und oft mit einer kaugummikauenden Lady hinter der Reception, die – »Goodnight Honey« – gelangweilt den Zimmerschlüssel rüberschiebt. Überall in den USA sind solche Herbergen der Standard – nur nicht in Neuengland.
Hier bettet man sein Haupt in herrschaftliche Betten, die so majestätisch hoch sind, dass man nicht selten eine kleine Treppe braucht, um hineinzukommen. Und bereits zum Frühstück wird geschlemmt – immer vorausgesetzt, man nächtigt in einem der historischen B & Bs. Denn etliche der schönsten Villen Neuenglands wurden zu dekorverliebten Privatpensionen umgebaut und bieten romantische Zimmer mit Baldachin und Blumentapeten.
Teuer und heiß begehrt: Cottages auf Martha’s Vineyard
Während B & B in Großbritannien als Synonym gilt für ein preiswertes Bett mit Familienanschluss, garantiert Bed & Breakfast in Neuengland die beste Variante der Übernachtungskultur. Die heutigen Besitzer der historischen Preziosen sind nicht selten Aussteiger aus der Karrierehatz, die es sich leisten können, Geld und Begeisterung in ihr zweites Leben als Gastgeber zu investieren, und gerne mit Tipps für Konzerte, Museen, Strände und Restaurants bei der Hand sind.
Wer in solch einer noblen Bleibe das gebuchte Zimmer betritt, muß erst mal tief durchatmen, weil der neuenglische Flower-Power-Stil mit seiner überbordenden Fülle aus Spitzen und geblümten Stofftapeten, aus Decken, Kissen, Bettüberwürfen, Troddeln, Vorhängen und Lampenschirmen für leichten Schwindel sorgt – doch an das feine Leben als Weichei kann man sich schnell gewöhnen. So zelebrieren etliche B & Bs am späten Nachmittag in britischer Tradition einen High Tea für die Gäste, der mit einer sündhaft köstlichen Kuchenauswahl daherkommt. Dieser Exzess ist genauso im Übernachtungspreis eingeschlossen wie das Frühstück am nächsten Morgen, das oft als dreigängiges Menü serviert wird – vom Blaubeerpfannkuchen mit Ahornsirup bis zu pochierten Eiern mit Kräutern aus dem eigenen Garten.
Der Adele Turner Inn in Newport ist so ein Fall, mit Rooftop-Hot-Tub in der Dachgarten-Suite und mit täglicher Teatime samt Scones und Schokotörtchen (www.adeleturner.com). Auch der Stonecroft Country Inn aus dem Jahr 1807 gehört dazu, in Ledyard bei Mystic, Connecticut, das komplett unter Denkmalschutz steht und in der ehemaligen Scheune Sterneküche serviert (www.stonecroft.com). Und natürlich Captain Lord Mansion in Kennebunkport, Maine, die klassische Kapitänsvilla von 1812 mit Ausguck auf dem Dach (www.captainlord.com), deren überbordend ausstaffierte Zimmer bereits in ziemlich allen amerikanischen Freizeitmagazinen abgebildet waren.
Wenn das ausgewählte B & B nur eine Handvoll Zimmer hat, sorgen sich die Gastgeber nicht selten um jeden Besucher ganz persönlich. So wie Eva Amuso im Harbour House Inn in Cheshire, Massachusetts, die für ihre Gäste, die zum Freiluftkonzert ins nahe Tanglewood fahren, einen kompletten Picknickkorb packt mit allem, was das Herz begehrt, einschließlich der Kerzen für den stimmungsvollen Ausklang auf der Konzertwiese (www.harbourhouseinn.com).
Wer dabei irgendwann an seine Grenzen stößt und eine Auszeit braucht von so viel Hätschelei und Völlerei, findet natürlich immer auch ein ganz normales Motel am Straßenrand. Dort gibt es garantiert keinen geklöppelten Spitzenbaldachin überm Bett und als Frühstück im besten Fall einen Kaffee im Styroporbecher. Neben den üblichen Motels sind auch empfehlenswerte Ketten wie Marriott, Hilton, Holiday Express oder Hampton Inn überall in Neuengland vertreten, die jeweils mit identischer Ausstattung und Leistung aufwarten, was ab und an auch ein Vorteil ist: Man kennt sich bereits aus, freut sich nach all dem Dekorations-Overkill auf schlichte weiße Wände und auf ein Bett, in das man sich fallen lassen kann, ohne vorher gefühlte drei Millionen Kuschelkissen zu entfernen.
Harbour House Inn in Cheshire: mit feinem Picknickkorb zum Konzert
Und man bekommt einen kostenlosen Parkplatz zum Zimmer, was gerade in den Städten eine Menge Geld spart, denn das übliche Valet-Parking, bei dem man dem Doorman den Autoschlüssel überlässt, der das Gefährt an einem unbekannten Ort parkt, ist manchmal pro Nacht so teuer ist wie ein Motelzimmer. Deshalb der dringende Rat: Wer irgend kann, bucht den Mietwagen erst am Ende des Aufenthalts in Boston und spart sich so Parkärger und Valet-Gebühren.
Freies Parken ist auch bei den Resorts und Inns die Regel, die neben den B & Bs die zweite große Gruppe der traditionellen Urlaubsquartiere in Neuengland ausmachen und sich mit eigenen Freizeiteinrichtungen, mit Pools und Restaurants für einen längeren Aufenthalt anbieten. Natürlich kann man im Emerson Inn by the Sea in Rockport auf Cape Ann auch nur eine Nacht bleiben, aber allein um alle kleinen Köstlichkeiten des Frühstücksbuffets auszuprobieren, bucht man besser gleich eine Woche (www.EmersonlnnByTheSea.com).
Auch im Basin Harbor Club in Vermont am weiten, einsamen Lake Champlain beneidet man die amerikanischen Familien, die ihre kompletten Sommerferien hier verbringen, während man selbst schon am nächsten Tag dieses klassische Resort verlassen muss, in dem die Zeit seit den 1950er Jahren stehengeblieben zu sein scheint.
Essen und Trinken
Neuenglands Küche
Gibt es lukullische Spezialitäten, die typisch sind für Neuengland? Hummer natürlich, der berühmte Lobster aus dem kalten Atlantik vor der Küste von Maine. Ahornsirup aus Vermont, der auf keinem Pancake fehlen darf, genauso wenig wie die köstlichen Blaubeer-Muffins auf dem Frühstücksbuffet. Und schließlich die clam chowder, die so typisch ist für Neuengland wie das Baguette für Frankreich. Die sämige Suppe mit Kartoffeln, Zwiebeln, Muscheln und Kabeljau steht auf jeder Menükarte und ist überall ein beliebter Snack – aus dem Plastikschälchen oder dem Styroporbecher gelöffelt, mit ein paar Crackern dazu.
Aber das war’s auch schon an Geschmackssensationen, die über Neuenglands Grenzen hinaus bekannt geworden sind. Generell darf man nicht vergessen, dass die Puritaner einst nicht nur die Namen ihrer heimatlichen Städte und Dörfer mit in die Neue Welt brachten, sondern eben auch die englische Küche. Und gemäß der asketischen Denkungsart der Puritaner war das Essen nicht zum Vergnügen da, sondern sollte sättigen und die Energie für das Tagwerk liefern – kein idealer Nährboden für eine verfeinerte oder gar opulente Esskultur.
Die haben denn auch die Einwanderer mitgebracht, vorneweg die Italiener, die das North End in Boston zu jenem lukullischen Dorado machten, das es heute ist. Ohnehin bietet Boston mit Chinatown, mit den Feinkostständen im Quincy Market, den Italienern im Nordend und dem Kneipenmix rund um Harvard eine multikulturelle Auswahl an Restaurants, allen voran das historische Schwergewicht Union Oyster House, »Amerika’s Oldest Restaurant«, wie auf der Speisekarte zu lesen ist. Mit diesem Titel hat man auch ganz selbstbewusst ein eigenes Kochbuch verlegt mit Klassikern der amerikanischen Küche, von Crab Cakes bis zur Apple Pie.
Aber auch unterwegs trifft man immer wieder auf Restaurants, in denen man einen unvergesslichen Abend verbringt und die man beschwingt und bestens gelaunt verlässt. Local 121 in Providence ist so ein Fall (www.Local121.com), wo man mit Biozutaten aus der Umgebung erstklassige Gerichte zaubert. Generell sollte man in allen guten Restaurants (das sind jene mit Tischdecke, in denen auf Porzellan serviert wird und nicht wie sonst üblich auf Plastikgeschirr) einen Tisch reservieren. Meist gilt dort auch eine in unseren Augen eher antiquiert wirkende Kleiderordnung: Krawatte und Jackett sind für Männer obligatorisch, Frauen haben da mehr Spielraum, aber Jeans und Turnschuhe sind nicht gerne gesehen. Wer unsicher ist, fragt bei der Reservierung nach dem dress code.
Beim Betreten des Restaurants wartet man darauf, dass man einen Tisch zugewiesen bekommt, dadurch wird die Zahl der Gäste möglichst gleich unter den Kellnern aufgeteilt, die von diesen Jobs leben. Deshalb ist das Trinkgeld hier keine nette Geste, die man auch mal ausfallen lassen kann, sondern ein Muss. Also bitte nicht knausrig sein, nur bei wirklich schlechtem Service lässt man weniger als 15 Prozent vom Endpreis als tip auf dem Tisch liegen, im Normalfall verdoppelt man den Betrag, der auf der Rechnung als Steuer ausgewiesen ist.
All diese Regeln kann man getrost vergessen wenn man sich ein lukullisches Vergnügen ganz anderer Art gönnt, wie es nur an Neuenglands Küste möglich ist. Kleine Fischerboote am Holzpier und dampfende Kessel vor windschiefen Imbissbuden zeigen schon von Weitem, was hier auf den Teller kommt: Hummer und sonst nichts. Lobster in the rough heißt der Spaß, dem wir uns am 8. und 12. Tag der Kern- und am 1. Tag der Nordroute ausführlich widmen und den man zumindest einmal auf dieser Reise...