Jung, wild und hitzig
Erdgeschichtlich steckt Neuseeland noch in den Kinderschuhen
Geologische Entstehung
Was sind schon 230 Millionen Jahre? Nicht allzu viel, wenn man bedenkt, dass die Erde vor ca. 4,7 Milliarden Jahren entstanden ist. Aber auch vor 230 Millionen Jahren gab es Neuseeland noch nicht. Damals machten sich zwei gewaltige Urkontinente auf der Erde breit. Der eine, Gondwanaland, umfasste in etwa die Landmassen der heutigen Antarktis, Afrikas, Indiens, Südamerikas, Australiens und Neuseelands im Süden der Erdkugel. Als später die Urkontinente in einzelne Kontinentalmassen auseinanderbrachen und Australien Form angenommen hatte, befand sich das heutige Neuseeland noch als Senke unter der Meeresoberfläche. Da waren andere Teile der Erde bereits von Dinosauriern belebt.
Erst vor etwa 100 Millionen Jahren soll sich die Landmasse Neuseelands über den Meeresspiegel gewagt haben. Und als in Europa erste menschliche Wesen Spuren hinterließen, war die Erdkrustenbewegung und Oberflächengestaltung des jungen Festlands noch richtig aktiv. Fjorde, Seen, Hügel und Ebenen, die heute die neuseeländische Landschaft prägen, sind nicht zuletzt auch das Resultat eiszeitlicher Gletscherformung. Die stellenweise sehr ausgeprägte Reliefenergie, Resultat der vorherrschenden Tiefenerosion, weist darauf hin, dass das erdgeschichtlich junge Land, das von der Nordspitze bis Bluff im Süden knapp 1700 Kilometer misst, seine Sturm-und-Drang-Zeit noch nicht hinter sich hat.
In Neuseeland sind die Flüsse wild. Das relativ große Gefälle von der Quelle bis zur Mündung liegt nicht zuletzt daran, dass das Meer immer nah ist. Selbst die großen Flüsse haben kaum Zeit, so gemächlich dahinzufließen, wie es beispielsweise der Rhein in seinem Unterlauf kann.
Richtig rege ist Neuseeland auch im Erdinnern. Mit seiner seismischen Aktivität gehört das Land zur Erdbebenzone rund um den Pazifik, die sich nordwestlich über Japan hinwegzieht. Tausende Erdstöße pro Jahr werden gezählt, doch nur wenige sind auch für Menschen wahrnehmbar – oder haben gar katastrophale Ausmaße, wie etwa 1855 in der Cook Strait, insbesondere für den Raum Wellington. 1914 erbebte fast das ganze Land, Murchison auf der Südinsel wurde dem Erdboden gleichgemacht. 1931 hatte in Napier und Hastings niemand mehr festen Boden unter den Füßen, über 250 Menschen kamen ums Leben. Anfang September 2010 erlebte Christchurch ein Beben der Stärke 7,1, doch katastrophale Folgen hatte ein zweites Beben am 22. Februar 2011, bei dem 85 Menschen den Tod fanden und weite Teile der Stadt zerstört wurden. Zwar wurde »nur« eine Stärke von 6,3 gemessen, doch die Nähe (10 km südöstlich) und geringe Tiefe (ca. 5 km) des Epizentrums wirkten sich verheerend aus.
Der Vulkan Mount Taranaki im Egmont-Nationalpark (Nordinsel)
Ein sehenswerter blubbernder Schlammtümpel: der Champagne Pool im Waiotapu Thermal Wonderland
Das geologisch junge Land erleichtert seinen Bewohnern die Energiegewinnung: Mit geothermischen oder Wasserkraftwerken und durch die Ausnutzung der Bodenschätze wie Kohle und Erdgas soll Neuseeland weitgehend autark von importierten und somit teuren Rohstoffen bleiben.
Fauna und Flora
Knapp fünf Prozent der Lebewesen, die Neuseeland bevölkern, sind Menschen, der Rest Tiere. Und die können dem Menschen kaum gefährlich werden – allenfalls umgekehrt. Große Raubtiere gibt es nicht und lediglich zwei Spinnentiere sind giftig: die mit einem roten Fleck geschmückte Katipo-Spinne und die aus Australien eingeschleppte White Tailed Spider. Doch beide Arten kommen ausgesprochen selten vor und sind sehr scheu.
Ansonsten dominieren in Neuseeland freundlichere tierische Naturen – von den blutrünstigen Sandflies abgesehen. Die Vogelwelt ist nicht nur für Ornithologen interessant. Dank der isolierten Lage haben Arten überlebt, die es sonst nirgends oder nur noch selten auf der Welt gibt. Zum Beispiel sind drei Kiwi-Arten verbreitet: Brown Kiwi, Great Spotted Kiwi und Little Spotted Kiwi. Das Tier wird gehegt und gepflegt als Wahrzeichen des Landes und ist ganz und gar nicht verwandt mit der gleichnamigen Frucht.
Die Brutkolonien der Gelbaugen-Pinguine finden sich ausschließlich an der Ostküste der neuseeländischen Südinsel (Region Otago)
Farbenprächtige Lupinenblüte am Lake Tekapo auf Neuseelands Südinsel
Dass die Neuseeländer sich selbst als Kiwis bezeichnen, zeugt von wenig Narzissmus: Der Vogel ist so gut wie blind, hat ein unscheinbares, leicht struppiges Gefieder, ist etwa 30 Zentimeter groß bei wenig harmonischen Proportionen. Außerdem kann er nicht fliegen, wie andere neuseeländische Vogelarten auch. Geschützt ist er, aber nicht mehr vom Aussterben bedroht, ganz im Gegensatz zu einigen anderen Spezies, beispielsweise dem Kakapo-Papagei oder dem blaugrünen Takahe.
Um den Erhalt unter anderem der Kiwi-Vögel kümmern sich heute spezielle Aufzuchtstationen. Einen Kiwi in freier Wildbahn zu beobachten ist möglich, aber in der Regel ein Glücksfall, der viel Ausdauer voraussetzt (siehe S. 203, Bravo Adventures, Stewart Island).
Für einen Bissen aus menschlicher Hand ist der Kea immer zu haben. Der grüne Bergpapagei treibt in den Südalpen sein Unwesen. Er knabbert dort gerne an abgestellten Wanderschuhen herum und soll schon so manchen Schnürsenkel stibitzt haben. Die Neuseeländer finden das wahnsinnig komisch, der betroffene Wandersmann weniger. Was bei uns die Nachtigall, ist in Neuseeland der Bellbird, der nicht zwitschert, sondern singt, glockenhell und laut.
Die neuseeländischen Vögel haben viele natürliche Feinde wie Ratten, Frettchen oder Katzen – und unnatürliche wie heranbrausende Autos. An derlei neuzeitliche Gefahren mussten sich die Moas erst gar nicht gewöhnen. Der große urzeitliche Laufvogel ist seit etwa 500 Jahren ausgestorben. Nicht zuletzt auch durch die Jagdlust der Maori, die zum Beispiel die voluminösen Eier der Moas raubten, um diese als Gefäße, u. a. für Wasser, zu nutzen.
Über 400 Vogelarten gibt es heute. Der größte Teil wurde mit der Besiedlung des Landes eingeführt. Darunter auch der Kotuku, ein weißer Reiher, der sich gerne in Feuchtgebieten, vor allem an Lagunen aufhält. Der Vogel ist, wie die Menschen, eingewandert. Ebenso wie 40 Fisch- und 50 Säugetierarten, darunter eine Känguru-Miniausgabe, Wallaby genannt.
Tuataras können bis zu 24 Zentimeter lang werden
Alle Haustiere wie Schafe, Rinder, Hunde und Katzen sind Immigranten. Leider auch die Ratten, die, schon von den Maori mitgebracht, sich als Plagegeister rasch im Land vermehrten. Genau wie das Opossum, das ursprünglich aus Australien eingeführt wurde, um dem Menschen nützlich zu sein. Eine lukrative Pelzzucht wollten die weißen Neuseeländer mit den großäugigen Beuteltieren aufbauen. Als sich zeigte, dass mit Opossum-Fellen das große Geld nicht zu verdienen war, entließ man die Tiere in die Freiheit. Ein Fehler, den man bis heute tief bereut. Denn ohne größeren Raubtieren ausgesetzt zu sein, konnten sich die nachtaktiven Vielfraße in Windeseile ungehemmt vermehren.
Toetoe-Gras an der Tapu Bay bei Kaiteriteri
Auch Rotwild, 1851 mitgebracht, gibt es inzwischen mehr, als den Neuseeländern lieb ist. Schonzeiten sind ein Fremdwort und somit dürfen Trophäenjäger aus aller Welt ganzjährig den Abzug ihrer Flinten betätigen. Fast schon paradox, dass in dem jungen Land eine der ältesten Tierarten der Welt heimisch ist: Die Brückenechse, Tuatara genannt, fristet seit immerhin 200 Millionen Jahren ihr Reptiliendasein. Das bis zu 60 Zentimeter lange lebende Fossil ist heute in Freiheit allerdings nur noch in Schutzgebieten auf kleinen Inseln heimisch.
Wo es viel Wasser gibt, ist auch die Vegetation üppig. Fast schon zu üppig, wie im neuseeländischen Busch, dem Urwalddickicht – und das in gemäßigtem Klima. Ähnlich dem tropischen Regenwald macht sich die Vegetation im neuseeländischen Busch auf verschiedenen Stockwerken breit. Unten Moose und Gräser, ganz oben Baumriesen wie der Totara oder der Rimu. Dazwischen Sträucher, 60 verschiedene Orchideen- und annähernd 200 verschiedene Farnarten. Einheimische Baumarten, sogenannte native trees, sind rar geworden. Bevor die europäischen Siedler ins Land kamen, waren zwei Drittel des Landes von Wald bedeckt. Heute sind es noch um die 25 Prozent. Schuld ist der Rodungswahn der Pioniertage, der ganze Waldregionen in Kahlschläge verwandelte, aber auch die Jagdlust der Maori, die bei der Hatz nach Moas Wälder in Brand setzten.
Hauptopfer war der Kauri, der uralte Gigant unter den neuseeländischen Bäumen, der einst den Holzreichtum der nördlichen Hälfte der Nordinsel ausmachte. Heute versucht die Regierung mit Abholzungsverboten und Nationalparks die heimische Flora zu schützen. Bereits 1898 wurde die Aufforstung in Angriff genommen, allerdings nicht mit native trees, sondern mit einer schnell wachsenden kalifornischen Kiefernart. Die farbigsten unter Neuseelands Bäumen sind zweifellos der Rata und der Pohutukawa, beide mit leuchtend roten Blüten. Letzterer entfaltet seine Pracht vor allem an den Küsten im Norden der Nordinsel zur sommerlichen Weihnachtszeit, was ihm den schmucken Beinamen »Neuseelands Weihnachtsbaum« einbrachte.
Wo alles noch scheinbar paradiesisch grünt und blüht, ist konsequenter Umweltschutz so eine Sache. Einerseits haben Grüne, Umwelt- und Naturschützer eine starke Lobby, andererseits werden an den Kassen der meisten Supermärkte nach...