2. Gruppen als Erkenntnisobjekt verhaltenswissenschaftlicher Forschung
Obgleich „Gruppen so alt wie die Menschheit selbst“[3] sind, ist der Ausdruck Gruppe in seiner heutigen Bedeutung in der deutschen Sprache relativ neu. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts wurde er aus dem Italienischen und Französischen übernommen. Diese Tatsache verhindert freilich nicht, daß in der heutigen Zeit die Verwendungshäufigkeit und Bedeutungsvielfalt des Gruppenbegriffs in verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen eine allgemeingültige Definition kaum möglich machen. Ziel der vorliegenden Arbeit kann es somit nur sein, einen zweckmäßigen, der Fragestellung angepaßten Konstruktionsbegriff zu liefern.
2.1. Definition des Gruppenbegriffs
Im weiteren wird von Gruppen gesprochen, wenn diese folgende Merkmale aufweisen:
Personenmehrheit: Weitgehend Einigkeit herrscht in der Fachliteratur darüber, daß eine Dyade (Zweipersonengruppe) noch keine Gruppe im sozialwissenschaftlichen Sinne ist, da in ihr einige „bedeutsame sozialpsychologische Phänomene wie z.B. Koalitionsbildung oder Mehrheitsentscheidung“[4] nicht auftreten können. Schwieriger ist die Festlegung einer Obergrenze der Personenzahl, bei deren Überschreiten nicht mehr von dem Aggregatzustand einer Gruppe, sondern von einer Institution oder Masse gesprochen werden muß. Das Gros der Autoren nennt in diesem Zusammenhang keine konkreten Zahlen, sondern führt die Überschaubarkeit und die Möglichkeit der direkten, unmittelbaren Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern als Kriterien an.
Direkte interne Interaktion: Den Mitgliedern muß es möglich sein, mit jedem anderen Gruppenmitglied direkt in Kontakt zu treten. In der Regel ist diese Interaktion an Interdependenzbeziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern gekoppelt. Keine Angabe findet sich in der Fachliteratur über das minimal notwendige Ausmaß der Interaktion.
Gemeinsames Ziel oder Motiv: Zielorientierung gilt als allgemeine Eigenschaft sozialen Handelns und strukturiert daher auch jedes Miteinander in Gruppen. Schütz[5] stellt allerdings fest, „daß der Zielbegriff in der gängigen sozialpsychologisch orientierten Gruppenliteratur eine eher untergeordnete Rolle spielt und häufig nur marginal vorkommt.“ Er führt dies auf die Tatsache zurück, daß sich kaum eine allgemeine Aussage darüber treffen läßt, wie Gruppen mit ihren Zielen umgehen. Auch die Frage nach der Zielgewinnung von Gruppen ist nur schwer und nicht eindeutig zu beantworten. Oft werden Ziele und Motive erst während oder nach der Gruppengründung konstituiert. Überdies können sie auf höchst unterschiedliche Weise – zum Beispiel durch Kompromiß, [ ] ird.“[6] Zumeist ergibt sich ein „System mehr oder minder differenzierter Positionen und Rollen.“[7]
Existenz von gemeinsamen Normen:[8] Solche Normen regeln die zwischenmenschlichen Beziehungen sowie die zielgerichteten Aktivitäten und machen somit das Funktionieren der Gruppe erst möglich.[9] Normen knüpfen an die gruppeneigenen Rollen als Verhaltensanforderungen an. Porter, Lawler und Hackman[10] nennen drei Merkmale, die Gruppennormen charakterisieren: Erstens betreffen sie grundsätzlich nur das Verhalten, nicht aber die Gedanken und Gefühle der Gruppenmitglieder. Zweitens werden sie nur für Verhaltensweisen entwickelt, die die Mehrheit der Mitglieder als wichtig ansieht, und drittens geben sie in der Regel nur ein Intervall an, innerhalb dessen Grenzen sich das Verhalten zu bewegen hat.
Zusammengehörigkeits- oder Wir-Gefühl: Dieses Gefühl steigt mit der Häufigkeit der Interaktion. Die Mitglieder nehmen die Gruppe als solche wahr und können klar zwischen Mitgliedern und Nichtmitgliedern trennen. Andererseits wird die Gruppe durch ihr Auftreten von anderen Gruppen oder Nichtmitgliedern als Gruppe identifiziert.
Dauerhaftigkeit: Diesem Merkmal kommt eine Klammerfunktion zu. Denn eine gewisse Dauerhaftigkeit des Gruppenverbunds ist für das Entstehen von Interaktion, Rollendifferenzierung, der Ausbildung gemeinsamer Ziele, Motive und Normen sowie eines Zusammengehörigkeits- und Wir-Gefühls unabdingbar.
2.2. Formen von Gruppen
Ebenso vielfältig und uneinheitlich wie die Definitionen des Gruppenbegriffs ist in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur auch die Kategorisierung von Gruppen in einzelne Ausprägungsformen. Daher sollen im folgenden nur die für die vorliegende Arbeit relevanten Klassifizierungen kurz dargestellt werden. Man unterscheidet:
Klein- und Großgruppen: Als numerische Grenze werden üblicherweise 15 bis 20 Personen genannt.
Primär- und Sekundärgruppen: Primärgruppen ermöglichen eine „dauerhafte, persönliche Bindung“[11], Sekundärgruppen sind „vergleichsweise unpersönlich und stärker formal geregelt.“[12] In ähnlicher Weise differenziert Wiswede[13] zwischen instrumentellen (aufgabenorientierten) und sozio-emotionalen Gruppen.
Formale und informale Gruppen:[14] Formale Gruppen entstehen auf Basis makrostruktureller Regelungen (zum Beispiel eines Organisationsplans), informale Gruppen bilden sich hingegen spontan und aufgrund persönlicher und emotionaler Faktoren (zum Beispiel Sympathie).[15] Für informale Gruppen ist außerdem die Bezeichnung Cliquen gebräuchlich. Im Bereich der Betriebspsychologie unterteilt Dalton[16] je nach hierarchischer Stellung der Gruppenmitglieder im Unternehmen die informalen Gruppen in horizontale Cliquen, die von Personen unterschiedlicher Arbeitsbereiche und Abteilungen aufgrund eines gemeinsamen Merkmals (zum Beispiel gemeinsame Ausbildung) gebildet werden, vertikale Cliquen, die innerhalb einer Abteilung von unterschiedlichen Hierarchieebenen angehörenden Personen gebildet werden, und gemischte oder zufällige Cliquen („random cliques“), denen Personen unterschiedlicher Abteilungen und Hierarchieebenen angehören.
Eigen- und Fremdgruppen:[17] Eine Eigengruppe ist eine Gruppe, deren Mitglied ein...