Einleitung
Richtig bewegen, schmerzfrei leben
Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates zählen zu den häufigsten Ursachen für Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte und Arbeitsausfälle. Allein der klassische sogenannte Kreuzschmerz, im Fachjargon als Lumbalgie oder unspezifischer Kreuzschmerz bezeichnet, verursacht in Deutschland jährlich Kosten in Milliardenhöhe. Jedes Jahr konsultieren rund 20 Millionen Deutsche wegen Rückenschmerzen einen Arzt. Im Durchschnitt kostet ein Rückenschmerzpatient etwa 1.300 Euro im Jahr. Bei diesen Summen kann man getrost von einer Volkskrankheit sprechen.
Bei Zahlen wie diesen muss auch klar sein, dass es nicht ausreicht, allein die Schmerzen zu behandeln. Viel wichtiger ist es für die Patienten, ihre Bewegungsgewohnheiten umzustellen, damit kein langfristiger körperlicher Schaden entstehen kann.
Denn der Schmerz hat durchaus auch einen positiven Aspekt, er hat nämlich eine wichtige Warnfunktion, mit der sich der Bewegungsapparat schützt. Erst wenn die Warnung lange überhört wird und die Schädigung eingetreten ist, vor der uns der Schmerz gewarnt hat, bekommt er eine negative Bedeutung. Daher ist es wichtig, auf Schmerzen mit wirksamen Maßnahmen zu reagieren, um einer langfristigen Schädigung vorzubeugen. Dazu gehören wie erwähnt insbesondere die richtigen, unserem Körper entsprechenden Bewegungsabläufe.
Ein flexibler Rücken ist ein starker Rücken
»Ein starker Rücken kennt keine Schmerzen« – das predigen Spezialisten vom alten Schlag. Doch inzwischen wissen wir: Nur ein flexibler Rücken ist ein starker Rücken. Denn isoliertes Training verkürzt die ohnehin verspannten Muskeln noch mehr. Unser Körper wird dann erst schmerzfrei, wenn er endlich zu der natürlichen Bewegungsweise zurückfindet, die wir als Kinder praktizierten, bevor sie uns abtrainiert wurde.
Ist unsere Bewegungsweise uneingeschränkt und flexibel, arbeiten Muskeln und Knochen ganz ohne unser Zutun harmonisch zusammen. Wenn unsere natürlichen Bewegungsabläufe jedoch im Laufe der Zeit verkümmern und nicht mehr optimal ablaufen, wird mit der Zeit jede Bewegung anstrengend. Verletzungen und schmerzhafte Abnutzungen der Gelenke, Muskeln, Sehnen und Knorpel, wie zum Beispiel der Bandscheiben, können die Folge sein.
Eine gute Koordination all der unterschiedlichen Kräfte, die an jeder Bewegung beteiligt sind, ist für unsere Lebensfreude und Gesundheit bis ins hohe Alter von großer Bedeutung. Steifheit, Schmerzen und Unbeweglichkeit sind keine Frage der Lebensjahre, sondern ausschließlich der körperlichen Flexibilität.
Die goldene Mitte finden
Man kann davon ausgehen, dass richtige Bewegungsmuster in unserer Biologie hinterlegt sind. Doch unsere hoch technisierte Gesellschaft, in der körperliche Belastungen möglichst vermieden werden, führt dazu, dass wir diese Bewegungsmuster nach und nach verlernen.
Die technische Entwicklung der letzten Jahrhunderte, die schwere körperliche Arbeit weitgehend überflüssig macht, ist natürlich ein Segen. Allerdings sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass der Bewegungsapparat zunehmend zum größten medizinischen Problem wird. Bewegung zu vermeiden trägt also ganz offensichtlich nicht zur Gesundung bzw. Gesunderhaltung unseres Körpersystems bei. Die optimale Lösung liegt wahrscheinlich dazwischen: in regelmäßiger, effizienter Bewegung, ohne dabei körperliche Höchstleistungen vollbringen zu müssen.
Was ist »richtige« Bewegung?
Wie kann eine solche effiziente Bewegung aussehen? Allem voran geht es darum, richtige Bewegungsmuster wieder einzusetzen. Der Einzelne muss auch sich, seinen Körper und seine Bewegungen spüren können. Nur so besteht die Möglichkeit, dauerhaft falsche Bewegungsmuster zu vermeiden.
Hier kommt Feldenkrais ins Spiel. Mit meinen einfachen Übungen, die auf Feldenkrais basieren, führe ich Sie zu dieser uns innewohnenden Körperintelligenz zurück. In meinem Praxis-
kurs (siehe Kapitel »Gesunde Bewegungsmuster erlernen«), lernen Sie innerhalb kurzer Zeit, schädliche Bewegungsmuster durch körpergerechte zu ersetzen. Spannungsschmerzen im Bereich des Nackens und der Lendenwirbelsäule lösen sich auf, Sie werden eine fast vergessene Freude an der Bewegung wiederentdecken.
In meinem Praxiskurs lernen Sie, schädliche Bewegungsmuster durch körpergerechte zu ersetzen.
Unspezifische Kreuzschmerzen – ein Warnsignal
Zwar gilt die Bandscheibe gemeinhin als der große Übeltäter im Wirbelsäulenbereich. Objektiv betrachtet sind jedoch zum Beispiel im Lendenwirbelsäulenbereich 85 Prozent der Probleme nicht bandscheibenbedingt. Aus medizinischer Sicht kann sogar gesagt werden, dass eine Bandscheibenproblematik, speziell ein Bandscheibenvorfall, leichter zu behandeln ist als der sogenannte unspezifische Kreuzschmerz. Der unspezifische Kreuzschmerz erfordert eine wesentlich aufwendigere und diffizilere Diagnostik, da hierbei meist mehrere Faktoren zusammenkommen, die dann in Schmerzen gipfeln.
Die Schmerzen sind eine Folge von regelmäßigen einseitigen, falschen Belastungen, kombiniert mit einem Bewegungsapparat, der darauf nicht ausreichend vorbereitet ist. Durch diese einseitigen Belastungen kommt es unter anderem zu muskulären Ungleichgewichten, was wiederum die Gelenke belastet – sie reagieren mit Schmerzen. Dieser Schmerz soll vor weiterer falscher Belastung warnen und damit bleibende Schäden verhindern. Wie oben erwähnt, hat der unspezifische Kreuzschmerz also eine Warnfunktion – wird er konsequent ignoriert, sind irgendwann die Strukturen geschädigt.
Warum ein Glas Wasser Rückenschmerzen verursachen kann
Was den meisten Menschen nicht bewusst ist: Bei jeder noch so kleinen Bewegung ist der Rücken beteiligt. Jede Bewegung, die Sie mit der Hand und dem Arm machen – ob Sie Holz hacken oder aus einem Glas trinken –, hat etwas mit Ihrem Rücken zu tun. Der Körper ist nämlich eine Einheit.
Sie meinen vielleicht, um Wasser aus einem Glas zu trinken, müssen Sie nur Ihre Hand und Ihren Arm bewegen. Doch es müssen noch viel mehr Körperteile mitarbeiten: die Schultern, der Nacken, der Rücken, dies setzt sich fort bis zu den Füßen. Es ist also durchaus möglich, dass Rückenschmerzen mit Handbewegungen zu tun haben.
Denken wir nur an die allgegenwärtigen Bandscheibenprobleme. Am Anfang stehen oft gar nicht die Bandscheiben selbst, sondern die Muskeln verkrampfen sich aufgrund einseitiger oder falscher Belastung. Die verkrampften Muskeln beeinträchtigen die Beweglichkeit der Wirbel, und erst dadurch werden die Bandscheiben beschädigt.
Dass der Körper bei schweren Arbeiten im Garten falsch belastet werden kann, wissen wir alle. Doch auch wenn Sie beim Trinken das Glas immer so in die Hand nehmen, dass sich der Rücken überflüssigerweise verspannt, und das über die Jahre unzählige Male, wird aus dem Glas Wasser ein ganzer Wasserfall. Denn wenn Sie einen sehr ungünstigen Armhebel benutzen, muss der Rücken jedes Mal einen Ausgleich schaffen, indem er seine Muskeln anspannt und dagegenhält. Leider neigen die Muskeln dazu, nach einiger Zeit dauerhaft unflexibel zu werden.
Die Frage, was denn nun ein günstiger Armhebel sein soll, können wir mit einem wichtigen Grundsatz im Feldenkrais beantworten: Wir sollten alles möglichst nah am Körper heben. Mehr dazu lesen Sie ab hier.
Ein wichtiger Grundsatz im Feldenkrais: Wir sollten alles möglichst körpernah heben.
Dahinter steckt eine der wichtigsten Botschaften von Feldenkrais und auch dieses Buches, das ja auf Feldenkrais aufbaut, nämlich: Bewege den Körper nicht schwer, sondern leicht. Bewegen Sie Ihren Körper so, dass Sie mit möglichst wenig Krafteinsatz eine maximale Wirkung erreichen. Dafür ist der Körper gebaut. Und wenn Sie das tun, wird er Ihnen weniger Beschwerden machen – im Idealfall Ihr Leben lang.
Bewegungslernen
Im Gegensatz zu Tieren wird der Mensch nicht nur von seinen Instinkten gesteuert, sondern er ist frei, sich in die verschiedensten Richtungen zu entwickeln. Das menschliche Gehirn ist sehr differenziert, der Mensch hat mehr Kapazitäten, Dinge zu lernen. Das gilt auch für seine Bewegungen. Ein Fohlen steht gleich nach der Geburt auf und unternimmt die ersten staksigen Schritte. Der Mensch braucht etwa ein Jahr, bis er laufen kann, und er verbringt weitere Jahre damit, allmählich zu begreifen, wie er seinen Körper und alle seine Körperteile bewegen kann. So lernt er essen, einen Ball fangen, Rad fahren, schreiben, vielleicht diverse Sportarten.
Die meisten von uns hören mit dem Bewegungslernen auf, wenn wir das Gefühl haben, genug zu können, um uns im Alltag zurechtzufinden. Wir verlieren die Neugierde auf Bewegung, die Kinder auszeichnet, und nehmen immer weniger wahr, wie sich Bewegung anfühlt. Wir sind zufrieden mit dem, was wir erreicht haben, hören auf, die Bewegungen zu verfeinern und unser Körperbewusstsein zu vertiefen. So werden wir allmählich zu eher mäßig funktionierenden Automaten, die nur einen kleinen Teil ihrer Bewegungsmöglichkeiten nutzen. Und das, was wir tun, gehen wir häufig schlecht an, also mit viel zu viel Aufwand und einseitig. Dadurch wird Bewegung zur Last, und im Laufe der Zeit stellen sich immer mehr Beschwerden ein. Beschwerden, die...