• Vorwort
Es ist Donnerstagnachmittag, und ich sitze in der leeren Kirche. In ein paar Tagen ist Ostern. Über dreißigtausend Menschen kommen wahrscheinlich zu unseren Gottesdiensten am Osterwochenende, aber ich habe keine Ahnung, worüber ich predigen soll. Während ich hier sitze und hoffe, dass mir eine Idee kommt, spüre ich, wie der Druck wächst. Ich schaue mich in der leeren Kirche um und warte auf eine Eingebung. Aber statt einer Inspiration kommen nur Schweißausbrüche. Ich wische mir den Schweiß von der Stirn.
Diese Predigt muss gut werden. Es gibt Leute, die nur an Weihnachten und Ostern in die Kirche gehen. Ich will sie nicht vergraulen. Sie sollen schließlich wiederkommen. Was kann ich sagen, damit sie mir wie gebannt zuhören? Wie kann ich meine Predigt so interessant gestalten, dass sie innerlich nicht abschalten? Ich brauche einen kreativen Knaller, der einschlägt und über den die Leute noch tagelang reden.
Immer noch keine Eingebung. Auf dem Stuhl vor mir liegt eine Bibel. Ich schnappe sie mir. Mir fällt beim besten Willen keine passende Bibelstelle ein. Ich beschäftige mich schon mein ganzes Leben lang mit diesem Buch, und trotzdem fällt mir keine einzige Stelle ein, mit der ich die Leute, die nur ein- oder zweimal im Jahr in die Kirche gehen, vom Hocker reißen könnte. Ich könnte doch das tun, was ich als Kind manchmal getan habe: eine Frage stellen, die Bibel aufschlagen, blind auf eine Stelle deuten, und das, was da steht, nehme ich dann als Antwort auf meine Frage.
Schließlich kommt mir ein Gedanke: Was hat eigentlich Jesus gepredigt, wenn er ein großes Publikum hatte? Ich begebe mich auf die Suche. Was ich dabei entdecke, hat mich für immer verändert. Nicht nur als Prediger, sondern auch als Nachfolger von Jesus. Ich fand nämlich heraus, dass Jesus, wenn er ein großes Publikum hatte, meistens eine Predigt hielt, nach der ihm die Leute in Scharen davonliefen.
Als ich paar Tage vor Ostern in dieser leeren Kirche sitze, lese ich von einer solchen Gelegenheit, die im 6. Kapitel des Johannesevangeliums geschildert wird. Jesus spricht hier vor einer Menschenmenge, die wahrscheinlich auf über fünftausend Leute angewachsen ist. Er ist so populär wie noch nie. Seine Wunderheilungen und faszinierenden Predigten haben sich im ganzen Land herumgesprochen. Diese fünftausend Leute sind gekommen, um ihn zu bejubeln und zu feiern.
Sie haben ihm den ganzen Tag zugehört, und Jesus weiß, dass sie allmählich Hunger bekommen. Deshalb schaut er seine Jünger an und fragt sie, was diese ganzen Leute jetzt essen sollen. Philippus, einer von seinen Jüngern, rechnet Jesus vor, dass nicht einmal ein Jahreslohn ausreichen würde, um genug Brot für alle zu kaufen. Man kann einfach nichts machen. Ein anderer Jünger, Andreas, hat sich umgeschaut und berichtet Jesus, dass ein Junge da ist, der fünf Brote und zwei kleine Fische dabeihat. Jesus nimmt das Pausenbrot dieses Jungen und macht damit all die Menschen satt. In der Bibel heißt es, dass sogar noch jede Menge Essen übrig war, als sich alle satt gegessen hatten.
Nach dem Essen beschließen die Leute, draußen zu übernachten, damit sie am nächsten Tag wieder bei Jesus sein können. Jesus hat eine riesige Fangemeinde. Als die Menschen am nächsten Morgen aufwachen und wieder Hunger haben, schauen sie sich nach Jesus um – schließlich versorgt er sie mit Gratisessen –, aber er ist nirgends zu sehen. Die Fans hoffen, dass sich die Show vom Vortag wiederholen wird. Nach einer Weile kapieren sie, dass Jesus und seine Jünger sich auf die andere Seite des Sees abgesetzt haben. Als sie Jesus endlich wieder einholen, haben sie einen Bärenhunger. Sie haben gezwungenermaßen ihr Frühstück ausfallen lassen und wollen wissen, was es zu Mittag gibt. Aber Jesus macht Schluss mit „All you can eat“. Er verteilt kein kostenloses Essen mehr. Stattdessen sagt er zu den Leuten:
„Ich weiß, weshalb ihr zu mir kommt: doch nur, weil ihr von mir Brot bekommen habt und satt geworden seid; nicht weil ihr verstanden hättet, was dieses Wunder bedeutet“
(Johannes 6,26).
Jesus weiß ganz genau, dass diese Menschen die Strapazen und Mühen nicht etwa deshalb auf sich genommen haben und ihm nachgelaufen sind, weil sie ihm nachfolgen wollen, sondern weil sie etwas umsonst zu essen haben wollen. Wollten sie Jesus, oder interessierte sie nur, was er für sie tun konnte? Einige Sätze später (Vers 35) bietet Jesus sich selbst an, aber die Frage ist: Ist das den Leuten genug?
„Ich bin das Brot des Lebens“, sagte Jesus zu ihnen. „Wer zu mir kommt, wird niemals wieder Hunger leiden, und wer an mich glaubt, wird nie wieder Durst haben.“
Jesus sagt: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Plötzlich ist Jesus das Einzige, was auf der Speisekarte steht. Die Leute müssen sich entscheiden, ob er ihnen genügt oder ob sie Appetit auf etwas anderes haben. Am Ende des Kapitels lesen wir:
Nach dieser Rede wandten sich viele, die ihm gefolgt waren, von Jesus ab und gingen nicht mehr mit ihm
(Johannes 6,66).
Viele Fans lassen ihn stehen und gehen heim. Mir fiel auf, dass Jesus ihnen nicht nachläuft. Er formuliert seine Worte nicht vorsichtiger, um den Leuten Honig um den Mund zu schmieren. Er schickt seine Jünger nicht mit dem Auftrag los, den Menschen nachzulaufen und sie mit einem kreativen Flyer zu einem Eis-mit-Sahne-Nachmittag einzuladen, bei dem sich jeder seinen Eisbecher selbst zusammenstellen kann. Es scheint ihm nichts auszumachen, dass seine Popularität im Keller ist.
Während ich zwischen den vielen leeren Stühlen in der Kirche saß, ging mir ein Licht auf: Jesus ging es nicht um Anhängerzahlen. Ihn interessierte, wie ernst die Menschen es mit ihm meinen.
Ich legte die Bibel wieder auf den Stuhl zurück.
Ich weinte.
Gott, es tut mir leid.
Kaum hatte ich das gesagt, begriff ich, dass das noch längst nicht alles war, was ich tun musste. Ein paar Tage später, am Ostersonntag, stand ich vor mehreren Tausend Menschen in der Kirche und begann meine Predigt mit einer nervösen Entschuldigung. Ich sagte den Leuten, dass es falsch von mir gewesen sei, mir Sorgen darüber zu machen, was sie wohl denken würden und wie viele von ihnen an Weihnachten wieder in die Gemeinde kommen würden. Ich hatte all die Jahre wirklich gute Absichten gehabt; ich wollte Jesus so anziehend wie möglich aussehen lassen, damit die Menschen bei ihm das ewige Leben fanden. Ich bot den Menschen Jesus an, aber ich verteilte dabei gleichzeitig sehr viel Gratisbrot. Und dabei hatte ich das Evangelium zu einer billigen Ware abgewertet.
Stell dir vor, meine älteste Tochter wird fünfundzwanzig. Sie ist nicht verheiratet, aber sie würde wirklich gern heiraten.1 Ich beschließe, ihr dabei zu helfen. Also gebe ich eine Anzeige in der Zeitung auf, stelle ein großes Schild auf und lasse T-Shirts drucken, auf denen ich darum bettle, dass jemand kommt und sie heiratet. Ich biete sogar ein paar reizvolle Geschenke als Lockmittel an. Setze ich damit nicht ihren Wert herab? Sieht es dadurch nicht so aus, als würde der Mann, der sie heiratet, ihr einen Gefallen tun? So etwas käme mir nie in den Sinn! Ich würde die Messlatte sehr hoch legen. Ich würde einen möglichen Interessenten auf Herz und Nieren prüfen und käme mit einem Lügendetektor vorbei. Er müsste umfangreiche Anträge mit dreifachem Durchschlag ausfüllen. Ich würde Referenzen einfordern und Überwachungskameras installieren. Wenn du eine Beziehung mit ihr eingehen willst, rate ich dir, ihr dein Bestes zu geben. Ich will von dir nicht nur hören, dass du sie liebst; ich will wissen, ob du alles für sie tun würdest. Ich will wissen, dass du dein Leben für sie geben würdest.
Ich habe in meinen Predigten viel zu oft versucht, die Leute zu überreden, Jesus nachzufolgen. Ich wollte ihnen diese Sache so verlockend, angenehm und bequem wie möglich machen. Dafür will ich mich jetzt entschuldigen. Ich weiß, dass es ungewöhnlich ist, ein Buch mit einer Entschuldigung zu beginnen, aber du sollst wissen, dass der Weg, zu dem ich dich einlade, ein Weg ist, den ich selbst gegangen bin. Ein Weg, dem ich noch heute folge, und ich will dir ehrlich sagen, dass es kein leichter Weg ist. Es war bequemer, mit der Masse mitzulaufen.
Ich weiß, dass man in der Einleitung normalerweise etwas schreibt, das bei den Lesern den Wunsch weckt, das Buch zu lesen. Man bittet einen Promi2, das Vorwort zu schreiben, oder man lässt es von jemandem verfassen, der den Lesern sagt, wie genial der Autor ist. Doch das Allermindeste ist, dass der Autor, wenn er das Vorwort schon unbedingt selbst schreiben muss, in der Einleitung eines Buches zumindest etwas schreibt, das bei den Leuten den Wunsch weckt, es zu lesen. Ich bin nicht sicher, ob ich das getan habe. Wahrscheinlich nicht. Ich schätze, jemand, der sich entschuldigt, weil er etwas lange falsch gemacht hat, flößt nicht unbedingt Vertrauen ein. Aber ich wollte klarstellen, dass es in diesem Buch nicht nur um Informationen zu einem Thema oder um die Auslegung verschiedener Bibelstellen geht. Dieses Buch wurde von einem Mann verfasst, der in der großen Menschenmenge mitlief, die im 6. Kapitel des Johannesevangeliums beschrieben wird. Von einem, der große Stücke auf Jesus hielt, dem es aber in Wirklichkeit um das kostenlose Essen ging.
Ich hoffe, du liest dieses Buch und erkennst wie ich, was es wirklich bedeutet, Jesus nachzufolgen. Ich werde mehr über Umkehr als über Vergebung...