Sie sind hier
E-Book

Nudge

Wie man kluge Entscheidungen anstößt | Der Klassiker der Verhaltensökonomie in Neuauflage

AutorCass R. Sunstein, Richard H. Thaler
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2022
Seitenanzahl432 Seiten
ISBN9783430920032
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Seit der Erstveröffentlichung von Nudge im Jahr 2008 und dem Nobelpreis für Richard Thaler 2017 ist dieses Buch zu einem Klassiker geworden. Regierungen auf der ganzen Welt, Geschäftsleute, politischen Entscheidungsträger, Wissenschaftler, engagierten Bürger, Verbraucher und Verhaltensökonomen haben sich davon inspirieren lassen. Dieses Buch hat gezeigt, wie wir eine durchdachte Entscheidungsarchitektur nutzen können, um bessere Entscheidungen für uns selbst, unsere Familien und unsere Gesellschaft zu treffen. Jetzt haben Richard Thaler und Cass Sunstein das Buch überarbeitet und dabei ihre Erfahrungen innerhalb und außerhalb der Regierung in den letzten zwölf Jahren sowie eine Fülle neuer Forschungsergebnisse eingebracht. Diese aktualisierte Ausgabe bietet sowohl eingefleischten Fans als auch Neulingen eine Fülle neuer Einblicke in ein breites Spektrum von Themen, mit denen wir in unserem täglichen Leben konfrontiert sind: Gesundheit, persönliche Finanzen, Klimawandel und 'Sludge' (Papierkram und andere Belästigungen die uns davon abhalten, das zu bekommen, was wir wollen) - und das alles unter Einhaltung einer der Grundregeln des Anstupsens: Haben Sie Spaß!

Richard H. Thaler, geboren 1945 in New Jersey, ist Professor für Verhaltensökonomie an der Universität Chicago. Er gilt als führender Kopf auf diesem Gebiet und beriet unter anderem Barack Obamas Wirtschaftsexperten. 2017 erhielt er den Wirtschafts-Nobelpreis. Cass R. Sunstein, geboren 1954, ist Jurist und Inhaber des Felix-Frankfurter-Lehrstuhls an der Harvard Law School.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Einleitung


Die Cafeteria

Stellen Sie sich vor, eine Ihrer Bekannten, nennen wir sie Carolyn, wäre Leiterin des für Schulverpflegung zuständigen Dezernats einer großen Stadt. Das heißt, sie ist verantwortlich für Hunderte von Schulen, und Hunderttausende von Kindern essen jeden Tag in ihren Kantinen und Cafeterias. Carolyn ist ausgebildete Ernährungswissenschaftlerin mit Hochschulabschluss. Sie ist ein kreativer Typ und legt gerne schon mal eine unkonventionelle Weise an den Tag. Carolyns Freund Adam ist Managementberater und Statistikexperte; er berät hauptsächlich Supermarktketten.

Eines Abends brüten die beiden bei einer guten Flasche Wein eine interessante Idee aus. Sie wollen untersuchen, ob die Art und Weise, wie die Speisen in der Schulcafeteria angeordnet und arrangiert sind, einen Einfluss darauf hat, für welches Essen sich die Kinder entscheiden – ohne das Angebot zu verändern. Carolyn gibt anschließend Dutzenden von Schulkantinen genaue Instruktionen, wie sie die Gerichte anbieten sollen. Die Plazierung ist von Schule zu Schule unterschiedlich. In einigen Schulen ist der Nachtisch nun am Anfang der Theke erhältlich, in anderen am Ende, oder die Kinder müssen sich dafür an einer gesonderten Ausgabe anstellen. In manchen stehen die Pommes frites auf Augenhöhe, in anderen die Karottenstäbchen.

Adam hat bereits Grundrisse von Supermärkten konzipiert, deshalb ist er überzeugt, dass die Ergebnisse sehr aussagekräftig sein werden – und er behält recht. Nur aufgrund ihrer Positionierung kann Carolyn den Kauf vieler Speisen um bis zu 25 Prozent steigern oder senken. Sie hat viel daraus gelernt: Schulkinder lassen sich – ebenso wie Erwachsene – schon durch kleine Veränderungen der Rahmenbedingungen stark beeinflussen. So kann man sowohl Gutes als auch Schlechtes bewirken. Carolyn kann beispielsweise auf diese Art und Weise den Konsum von gesundem Essen fördern und gleichzeitig den Genuss ungesunder Lebensmittel reduzieren.

Nachdem sie ihren Versuch an Hunderten von Schulen durchgeführt und mit der Hilfe studentischer Freiwilliger die Ergebnisse gesammelt und analysiert hat, ist sie davon überzeugt, beeinflussen zu können, wie die Kinder sich ernähren. Carolyn überlegt, wie sie ihre neuentdeckte Macht einsetzen soll. Hier einige teils ernst, teils ironisch gemeinte Vorschläge ihrer Freunde und Kollegen:

  1. Arrangiere die Speisen so, dass es den Schülern unterm Strich den größten Nutzen bringt.
  2. Ordne die Speisen nach dem Zufallsprinzip an.
  3. Versuche das Angebot so zu gestalten, dass die Kinder sich für die Speisen entscheiden, die sie auch von sich aus gewählt hätten.
  4. Erhöhe den Umsatz von Produkten, deren Lieferanten die höchsten Schmiergelder zahlen.
  5. Maximiere den Gewinn und fertig.

Die Vorzüge der ersten Empfehlung liegen auf der Hand. Allerdings würde man die Kinder quasi bevormunden – man könnte auch von Paternalismus sprechen. Die Alternativen sind jedoch schlimmer!

Variante 2, die zufällige Anordnung, könnte man als fair, prinzipientreu und in gewissem Sinne neutral bezeichnen. Doch wenn alles dem Zufall überlassen bleibt, dann werden sich die Kinder in einigen Schulen weniger gesund ernähren als in anderen. Ist das wünschenswert? Soll Carolyn sich neutral verhalten, wenn es ihr ein Leichtes ist, den meisten »ihrer« Schüler etwas Gutes zu tun? Wenn sie doch sogar dazu beitragen kann, ihre Gesundheit zu verbessern?

Ratschlag 3 wirkt wie der ehrenwerte Versuch, jegliche Einmischung zu vermeiden und sich an den Wünschen der Kinder zu orientieren. Doch bei genauem Hinsehen wird einem bewusst, dass das gar nicht zu bewerkstelligen ist. Das Experiment hat ja gerade gezeigt, dass die Wahl der Schüler davon abhängt, wie die Speisen dargeboten werden. Was sind also ihre echten Vorlieben? Welche Lebensmittel würden die Kinder »von sich aus« wählen? Es ist ja schließlich unmöglich, in einer Cafeteria das Essensangebot nicht in irgendeiner Weise zu sortieren.

Möglichkeit 4 gefiele Carolyn vielleicht dann, wenn sie korrupt und darauf aus wäre, ihre Macht zu missbrauchen. Doch unsere Carolyn ist ehrlich und denkt über diese Option nicht ernsthaft nach. Wie die Varianten 2 und 3 hat auch Nummer 5 etwas für sich, besonders, wenn Carolyn diejenige Cafeteria für die beste hält, die am meisten Geld verdient. Doch sollte Carolyn wirklich versuchen, den Gewinn zu maximieren, wenn das bedeutet, dass sich die Kinder weniger gesund ernähren? Schließlich ist ihr Arbeitgeber der Schulbezirk.

Carolyn kann in ihrer Position also das Umfeld organisieren, in dem Menschen Entscheidungen treffen – wir bezeichnen sie deshalb als Entscheidungsarchitektin. Zwar haben wir uns Carolyn nur ausgedacht, doch viele Menschen erweisen sich genau gesehen als ebensolche Entscheidungsarchitekten – oft, ohne dass sie sich dessen überhaupt bewusst sind. Wenn Sie beispielsweise die Stimmzettel gestalten, mit denen Kandidaten für ein Amt gewählt werden, dann sind Sie ein Entscheidungsarchitekt. Wenn Sie Arzt sind und einem Patienten die verschiedenen Therapiemöglichkeiten für seine Krankheit erklären müssen, sind Sie ebenfalls einer. Das Gleiche gilt, wenn Sie das Formular entwerfen, mit dem sich neueingestellte Mitarbeiter bei der Krankenversicherung ihres Arbeitgebers anmelden, oder wenn Sie als Mutter oder Vater Ihrem Kind erklären, welche Bildungsoptionen ihm offenstehen. Und wenn Sie Verkäufer sind, dann sind Sie ebenfalls ein Entscheidungsarchitekt – aber das haben Sie sich bestimmt schon gedacht.

Dabei gibt es zahlreiche Parallelen zur traditionellen Architektur. Eine davon ist, dass es so etwas wie neutrale Gestaltung oder Bauart nicht gibt. Stellen Sie sich vor, ein Architekt müsste ein neues Universitätsgebäude entwerfen. Dafür bekommt er eine Reihe von Vorgaben. Es muss Platz sein für 120 Büros, 8 Seminarräume, 12 Gemeinschaftsräume für Studenten und so weiter. Das Gebäude soll auf einem bestimmten Grundstück errichtet werden. Daneben wird es Hunderte von weiteren Vorgaben geben, die juristischer, ästhetischer und praktischer Art sind. Am Ende muss der Architekt ein konkretes Gebäude planen, mit Türen, Treppen, Fenstern und Fluren. Jeder gute Bauherr weiß, dass scheinbar willkürliche Entscheidungen – wo sich beispielsweise die Toiletten befinden – subtile Auswirkungen auf die Menschen in diesem Gebäude haben. Der Gang zur Toilette kann etwa die Chance oder das Risiko (je nachdem) in sich bergen, Kollegen über den Weg zu laufen. Ein gutes Gebäude ist so gesehen nicht nur schön, es »funktioniert« auch.

Kleine und scheinbar unwichtige Details können großen Einfluss darauf haben, wie Menschen sich verhalten. Eine gute Faustregel ist, davon auszugehen, dass alles wichtig ist. Einzelne Faktoren können die Aufmerksamkeit der Benutzer in eine bestimmte Richtung lenken und sehr wirkungsmächtig sein. Ein wundervolles Beispiel findet sich – ausgerechnet – auf der Herrentoilette des Amsterdamer Flughafens Schiphol. Dort hat die Flughafengesellschaft in jedem Urinal das Bild einer schwarzen Stubenfliege anbringen lassen. Offenbar achten Männer nämlich meist nicht so genau darauf, wo sie hinzielen, was recht unschöne Folgen haben kann. Sobald sie allerdings ein Ziel erblicken, werden Aufmerksamkeit und damit auch Zielgenauigkeit deutlich gesteigert. Nach Aussage des Mannes, der diese Idee hatte, wirkt der Trick Wunder. »Es wird besser gezielt«, erklärt Aad Kieboom. »Wenn ein Mann eine Fliege sieht, dann versucht er, sie zu treffen.« Kieboom ist Ökonom und leitet die Erweiterung der Flughafengebäude. Sein Team hat Untersuchungen über die Wirkung der Fliege im Urinal angestellt und herausgefunden, dass nun 80 Prozent weniger »danebengeht«.1

Die Erkenntnis, dass alles wichtig ist, kann sowohl lähmend als auch inspirierend sein. Ein guter Architekt weiß, dass es zwar unmöglich ist, das perfekte Gebäude zu bauen, dass seine baulichen Entscheidungen aber trotzdem positive Auswirkungen haben können. Offene Treppenhäuser zum Beispiel sorgen für mehr Interaktion am Arbeitsplatz und dafür, dass mehr gelaufen wird. Beides ist zu begrüßen.

Genauso wie ein Architekt also ein konkretes Gebäude baut, muss sich ein Entscheidungsarchitekt wie Carolyn schließlich auf eine bestimmte Anordnung der Speisen in der Cafeteria festlegen. Dadurch kann sie andere beeinflussen und ihnen bei ihrer Entscheidung einen kleinen Schubs geben – einen Nudge*.

Libertärer Paternalismus

Wenn Sie alles in allem der Meinung sind, dass Carolyn ihre Einflussmöglichkeit nutzen und die Kinder ein wenig in Richtung einer besseren Ernährung schubsen sollte (also Variante 1), dann möchten wir Sie in Ihrer neuen Bewegung willkommen heißen: dem libertären Paternalismus. Uns ist vollkommen klar, dass diese Bezeichnung auf den ersten Blick nicht unbedingt einladend aussieht. In der Tat schrecken beide Worte eher ab und sind zuweilen mit Klischees aus populärer Kultur und Politik behaftet. Hinzu kommt noch, dass die dahinterstehenden Ideen einander zu widersprechen scheinen.

Warum sollte man also zwei weithin abgelehnte und widersprüchliche Konzepte verbinden? Wir...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Nachschlagewerke Wirtschaft - Wirtschaftswissenschaften

Informationsmanagement

E-Book Informationsmanagement
Format: PDF

Informationsmanagement hat die Aufgabe, den für das Unternehmensziel bestmöglichen Einsatz der Ressource Information zu gewährleisten. Das Buch zeigt, dass Informations- und Kommunikationstechniken…

Informationsmanagement

E-Book Informationsmanagement
Format: PDF

Informationsmanagement hat die Aufgabe, den für das Unternehmensziel bestmöglichen Einsatz der Ressource Information zu gewährleisten. Das Buch zeigt, dass Informations- und Kommunikationstechniken…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Weitere Zeitschriften

Menschen. Inklusiv leben

Menschen. Inklusiv leben

MENSCHEN. das magazin informiert über Themen, die das Zusammenleben von Menschen in der Gesellschaft bestimmen -und dies konsequent aus Perspektive der Betroffenen. Die Menschen, um die es geht, ...

Atalanta

Atalanta

Atalanta ist die Zeitschrift der Deutschen Forschungszentrale für Schmetterlingswanderung. Im Atalanta-Magazin werden Themen behandelt wie Wanderfalterforschung, Systematik, Taxonomie und Ökologie. ...

FREIE WERKSTATT

FREIE WERKSTATT

Die Fachzeitschrift FREIE WERKSTATT berichtet seit der ersten Ausgaben 1994 über die Entwicklungen des Independent Aftermarkets (IAM). Hauptzielgruppe sind Inhaberinnen und Inhaber, Kfz-Meisterinnen ...

crescendo

crescendo

Die Zeitschrift für Blas- und Spielleutemusik in NRW - Informationen aus dem Volksmusikerbund NRW - Berichte aus 23 Kreisverbänden mit über 1000 Blasorchestern, Spielmanns- und Fanfarenzügen - ...

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum

Das Grundeigentum - Zeitschrift für die gesamte Grundstücks-, Haus- und Wohnungswirtschaft. Für jeden, der sich gründlich und aktuell informieren will. Zu allen Fragen rund um die Immobilie. Mit ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

Deutsche Tennis Zeitung

Deutsche Tennis Zeitung

Die DTZ – Deutsche Tennis Zeitung bietet Informationen aus allen Bereichen der deutschen Tennisszene –sie präsentiert sportliche Highlights, analysiert Entwicklungen und erläutert ...

DSD Der Sicherheitsdienst

DSD Der Sicherheitsdienst

Der "DSD – Der Sicherheitsdienst" ist das Magazin der Sicherheitswirtschaft. Es erscheint viermal jährlich und mit einer Auflage von 11.000 Exemplaren. Der DSD informiert über aktuelle Themen ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...