Gesundheit und Erwerbstätigkeit stehen in enger Beziehung zueinander.
Dies ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass der Mensch ca. ein Drittel seines
Lebens am Arbeitsplatz verbringt und dort bestimmten Anreizen und Risiken ausgesetzt ist. Die Art der Arbeit, das betriebliche Umfeld und die Höhe des Lohnes beeinflussen auch die private Lebenslage und den Lebensstil in erheblichem Umfang. „Arbeit kann sich sowohl positiv als auch negativ auf das körperliche und psychische Befinden und den Gesundheitszustand der
Beschäftigten auswirken“ (MASQT, 2004). In diesem Kapitel werden sowohl gesundheitsfördernde als auch gesundheitsgefährdende Aspekte aufgegriffen, an die Arbeitsschutz und betriebliche Gesundheitsförderung anknüpfen sollten.
Für das weitere Verständnis ist es zunächst wichtig, sich mit dem Begriff
„Gesundheit“ auseinander zu setzen. Bisher gibt es noch keine eindeutige und allgemein gültige Definition. Die Unterschiede der Begriffsbestimmungen sind auf verschiedene Ansätze und Auffassungen zurückzuführen.
„Unterschiede finden sich nicht nur in den Definitionsbestandteilen, sondern auch in Annahmen darüber, wie Gesundheit erhalten, geschwächt oder stabilisiert werden kann“ (Greiner, 1998, S. 39). Trotzdem gibt es grundlegende
Übereinstimmungen im Hinblick darauf, dass Gesundheit mit Wörtern wie z. B. „positiv“, „richtig“, „wünschenswert“, „normal“ assoziiert werden kann (vgl. Greiner, 1998, S. 39-40).
Das traditionelle biomedizinische Modell konzentriert sich eher auf Krankheit als auf Gesundheit. Demnach wird unter Gesundheit „[…]überwiegend das Freisein von (vorübergehenden) Krankheiten verstanden, welche die phys. Funktionen (Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit) und psych. Befindlichkeit beeinträchtigen“ (Brockhaus, 1989, S. 439). Diese biomedizinische Sichtweise geht von der Annahme aus, dass jede Erkrankung eine spezifische Ursache hat, und
beschränkt sich auf organische Schäden. Psychische Krankheiten und soziale Störungen finden darin keine Beachtung, und das trotz ihrer steigenden
Tendenz in der heutigen (Arbeits-) Welt.
Im Laufe der Zeit hat sich deshalb ein positiver Gesundheitsbegriff durch-gesetzt, der unter Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit versteht. Die in diesem Zusammenhang wohl am häufigsten zitierte Definition wurde 1948 von der Weltgesundheitsorganisation[1] (WHO) ins Leben gerufen und gilt als Grundlage eines neuen umfassenden Gesundheitsverständnisses. Demnach ist Gesundheit „[…]der Zustand vollkommenen phys., psych. und sozialen Wohlbefindens, nicht lediglich die Abwesenheit von Krankheit“ (Brockhaus, 1989, S. 439). Dieser Ansatz geht von einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen aus und räumt der Erhaltung und Förderung der Gesundheit
einen hohen Stellenwert ein. Neben der körperlichen und seelischen Verfassung werden auch die Einflüsse der Umgebung und die Lebenssituation des Menschen berücksichtigt, da sich diese ebenfalls auf das Wohlbefinden positiv oder negativ auswirken können (vgl. Bedner, 2001, S.17). In diesem Sinne wird Gesundheit als ein Potenzial oder eine Fähigkeit verstanden, ein Gleichgewicht zwischen dem Individuum und seiner Umwelt herzustellen. Da eine ständige Anpassung an neue Veränderungen der Umweltbedingungen notwendig ist, wird Gesundheit nicht mehr als Zustand, sondern eher als
Prozess betrachtet (vgl. Greiner, 1998, S. 44).
Da im weiteren Verlauf dieses Kapitels vor allem die negativen Auswirkungen der Arbeit im Vordergrund stehen, werden zunächst die positiven und gesundheitsfördernden Seiten der Erwerbstätigkeit aufgezeigt.
In der heutigen Industriegesellschaft stellt Arbeit einen wichtigen Lebensbereich dar, der nicht nur zur Einkommens- und Unterhaltssicherung dient, sondern den Menschen ein großes Entfaltungspotenzial bietet.
„Wer in der Arbeit Möglichkeiten hat, Neues zu lernen, wer dort Entscheidungen treffen kann, soziale Situationen gestalten darf und vielfältige Erfahrungen macht, entwickelt gleichzeitig seine Fähigkeiten und Möglichkeiten ständig
weiter“ (Resch, 1994, S.17). So kann eine interessante Arbeit mit hohen Handlungsspielräumen zur allgemeinen Zufriedenheit und Selbstbestätigung beitragen und damit einen wertvollen Beitrag zu einem positiven Selbstwertgefühl und zur körperlichen und seelischen Gesundheit leisten.
Arbeit ist zudem wichtig, um gesellschaftliches Ansehen zu erlangen.
„Über die Arbeit definieren wir unseren Status in der Gesellschaft. Wer
Erwerbsarbeit ausübt, fühlt sich als anerkanntes Mitglied dieser Gesellschaft“
(Resch,1994, S.16).
Die Gelegenheit, am Arbeitsplatz soziale Kontakte knüpfen zu können und gute Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten zu führen, ist für viele Beschäftigte ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Arbeit. Zu diesem Ergebnis gelangt auch eine Studie des Meinungsforschungsinstitutes TNS Emnid aus dem Jahre 1999 (vgl. MASQT, 2004).[2]
Die folgende Abbildung zeigt, dass insbesondere das Verhältnis zu Kollegen sowie die berufliche Entwicklung im Vordergrund stehen.
Abb. 1: Stellenwert der Arbeit, Quelle: MASQT, 2004
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Arbeitswelt in hohem Maße zu mehr Wohlbefinden und Gesundheit der Beschäftigten beitragen kann, wenn diese ihr Umfeld als sinnerfüllt und motivierend erleben können. Soziale Kontakte und Beziehungen spielen dabei eine große Rolle, wie auch die Möglichkeiten, sich beruflich weiter zu entwickeln.
Durch den heutigen Strukturwandel in der Wirtschaft, die fortschreitende
Globalisierung sowie den wachsenden Einsatz der Informationstechnologien verändern sich auch die Arbeitsbedingungen und die Anforderungen an die
Erwerbstätigen. Unternehmen, die sich mit flexiblen, prozessorientierten
Abläufen und flachen Hierarchien an die verschärften Wettbewerbsbedingungen anpassen, erwarten von ihren Mitarbeitern ein hohes Maß an Flexibilität, Eigeninitiative und Verantwortungsbereitschaft. Aufgrund der neuen Rahmenbedingungen ändern sich auch die Arbeitsbelastungen.
Im Gegensatz zum normalen Sprachgebrauch ist Belastung in der Arbeitswissenschaft ein neutraler Begriff, der als „[…]die Gesamtheit aller erfassbaren
Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn einwirken“ (Resch, 2003, S. 36) definiert wird. Diese Einflüsse können sich u. a. aus den Anforderungen der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsumwelt oder sozialen Faktoren, wie Führungsverhalten und Betriebsklima ergeben (vgl. Wenchel, 2001, S. 14). Nahezu jeder Aspekt der Arbeit ist in diesem Sinne eine Belastung und muss nicht unbedingt als schädlich eingestuft werden. Gleiche Arbeitsanforderungen werden von einem Mitarbeiter als aktivierend und motivierend empfunden,
während sich ein anderer völlig überfordert fühlt. Entscheidend ist, wie sich die Belastung auf den einzelnen Menschen auswirkt.
Die individuelle Reaktion des Beschäftigten auf Belastungen wird als
Beanspruchung bezeichnet (vgl. Resch, 2003, S. 36). Die Belastungsstärke, das Alter und die körperliche und psychische Konstitution einer Person sind
neben den individuellen Bewältigungsfähigkeiten ausschlaggebend dafür, wie intensiv die Beanspruchung auftritt und welche Auswirkungen sie hat.
Zu den negativen Beanspruchungsfolgen zählen kurz- bis langfristige Gesundheitsstörungen, die zu schwer wiegenden physischen und psychischen Krankheiten führen können und das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der
Betroffenen stark einschränken (vgl. Slesina/Beuels/Sochert, 1998, S. 21).
Die Ursachen, die zu körperlichen Belastungen führen, haben sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte verändert. Automatisierungsprozesse in der Industrie haben z. B. dazu beigetragen, dass schwere körperliche Arbeit insgesamt
zurückgegangen ist. Außerdem führt der Trend zur Dienstleistungsgesellschaft dazu, dass immer weniger Menschen den traditionellen Belastungen wie schwerer körperlicher Arbeit, Giftstoffen, Lärm und klimatischen Bedingungen ausgesetzt sind, die in Landwirtschaft und industrieller Produktion vorherrschend sind.
Trotzdem sind Arbeitsplätze mit (körperlich) anstrengenden und belastenden Arbeitsbedingungen nach wie vor weit verbreitet. Dies ergab eine Befragung der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen im Jahr 2000 (vgl. EU-Osha, Erwerbstätigkeit im Wandel, 2001,...