Zur Beantwortung der Forschungsfrage ist zunächst die Leistungsform des Persönlichen Budgets in ihrer Ganzheitlichkeit vorzustellen, um den Leser*innen grundlegende Kenntnisse über die neue Form der Leistungsgestaltung zu vermitteln.
Bei dem Persönlichen Budget handelt es sich um eine Geldleistung, mit der Menschen mit Behinderung, die diese in Anspruch nehmen, selbstbestimmt Leistungen einkaufen können. Damit stellt es eine alternative Wahlleistung zu den bisher im Regelfall angewandten Sach- und Dienstleistungen dar. Mit dem zur Verfügung gestellten Geld bezahlen sie „eigenverantwortlich, selbstständig und selbstbestimmt“ (BMAS 2014, S. 7) die Leistungen für ihren individuellen Hilfebedarf.
Auf diese Weise kommt Menschen mit Behinderung anstelle der klassischen, eher passiven Rolle als Hilfeempfänger*in im Objektstatus eine aktive Rolle zu, in welcher der Leistungsprozess mitgestaltet werden kann (vgl. Schäfers, Wacker & Wansing 2009, S. 26 f.). Die Budgetnehmer*innen sind Expert*innen in eigener Sache. Das bedeutet konkret, sie selbst können am besten entscheiden, welche Hilfen von wem, zu welchem Zeitpunkt, für sie die beste Wahl sind. Das so gegebene Wahl- und Wunschrecht fördert die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung, was entsprechend das Ziel der neuen Form der Leistungsausführung umfasst (vgl. BMAS 2014, S. 7).
Die übergeordneten Ziele des Persönlichen Budgets lassen sich wie folgt zusammenfassen. Anstelle von standardisierten Leistungen im Rahmen der wohlfahrtstaatlichen Fürsorge soll das Persönliche Budget
„die Subjektstellung des Einzelnen fördern,
eine selbstbestimmte Lebensführung und
die Eigenverantwortlichkeit für die Bewältigung von Lebenslagen unterstützen,
Risiken der Ausgrenzung mindern oder beseitigen und
die umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Leben der Gesellschaft verwirklichen“ (Metzler et al. 2007, S. 25).
Weiterhin wird erwartet, dass „der eigenverantwortliche Einsatz der Ressourcen durch die Leistungsberechtigten selbst
den Wettbewerb im Bereich der Sozialen Dienste erhöht und einen nachfrageorientierten Angebotswandel zugunsten ambulanter Leistungen unterstützt,
persönliche Ressourcen der Leistungsberechtigten und informelle Unterstützungssysteme (wieder-)belebt und stärkt sowie
die Qualität und Passgenauigkeit sozialer Leistungen durch Partizipation steigert“ (ebd., S. 26).
Zur genaueren Beschreibung der Kernelemente der Begrifflichkeit werden die Begriffe „persönlich“ und „Budget“ nachfolgend einzeln und differenziert im Hinblick auf die Wahlleistung betrachtet.
Nach Meyer (vgl. 2011, S. 31 f.) verweist der Begriff persönlich auf den individuellen persönlichen Bedarf, welcher durch die Nutzung des Budgets gedeckt werden soll. Persönlich ist das Budget insbesondere dadurch, dass es sich auf den persönlichen „Hilfe- und Unterstützungsbedarf“ (ebd., S. 31) bezieht. Zudem verweist Meyer (vgl. 2011, S. 32) darauf, dass der Begriff „persönlich“ auch auf andere Weise verstanden werden kann. Dieses Verständnis ist hinsichtlich des Forschungsvorhabens besonders relevant für die vorliegende Arbeit.
„Das Persönliche Budget ist insofern „persönlich“, weil es einer bestimmten Person bewilligt wurde und im Kontext der Lebenssituation dieser Person einen spezifischen Nutzen erfüllt. Es handelt sich also immer auch um einen „persönlichen“ Geldbetrag, der einer Person – und nur dieser Peron – aufgrund leistungsrechtlicher Ansprüche zur Verfügung gestellt wird und über den diese Person im Kontext ihrer „persönlichen“ Lebenssituation verfügen darf.“ (Meyer 2011, S. 32)
Das Budget wird entsprechend persönlich, indem es die persönliche, individuelle Lebenssituation sowie die Erwartungen der jeweiligen Person mit einbezieht. Der Inhalt sowie die Verwendung für einen persönlichen Bedarf unterliegen entsprechend dem jeweiligen persönlichen Nutzen (vgl. ebd.).
Der Begriff „Budget“ weist ebenfalls zwei Deutungsebenen auf. Zum einen handelt es sich bei dem Budget um einen Geldbetrag. Die Unterstützung, welche die jeweilige Person benötigt, kann entsprechend aus diesem Geldbetrag bezahlt werden und ermöglicht es den Budgetnehmer*innen auf diese Weise, ihren Bedarf und die damit verbundenen Ausgaben zu planen (vgl. Meyer 2011, S. 31 f.). Diese Planung ist nur möglich, wenn der zur Verfügung stehende Geldbetrag hinsichtlich seiner Höhe und Regelmäßigkeit bzgl. des Auszahlungszeitpunktes gleichbleibend und entsprechend erwartbar ist (vgl. Kastl & Metzler 2005, S. 13).
Zudem beinhaltet der Begriff „Budget“, dass Menschen ihre Leistungen eigenverantwortlich finanzieren. Durch das Persönliche Budget können die Menschen „mehr oder weniger frei“ (ebd.) über den Geldbetrag verfügen. Ihnen werden Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume ermöglicht, wodurch der Aspekt der Selbstbestimmung vermehrt in den Fokus rückt.
„Mit den Geldleistungen können Menschen mit Behinderungen bedarfsgerecht und wunschgemäß Unterstützung bei professionellen Dienstleistern erwerben, nach dem Arbeitgebermodell Persönliche Assistenten einstellen oder Hilfen privat organisieren. Dabei werden wesentliche sachliche, soziale und zeitliche Entscheidungsspielräume geschaffen, welche zu einer individualisierten Lebensführung beitragen und dem Budgetnehmer mehr Kontrolle über das eigene Leben ermöglichen.“ (Wacker, Wansing & Schäfers 2009, S. 31)
Sachliche Entscheidungsspielräume beziehen sich hierbei auf das „Was“ und das „Wie“ der Leistungserbringung, welche es den Budgetnehmer*innen ermöglicht, auf den Inhalt der Leistungen und auf die Art der Ausführung Einfluss zu nehmen (vgl. Meyer 2011, S. 38). Der soziale Entscheidungsspielraum bezieht sich auf die Auswahl der Leistungsanbieter*innen, also entsprechend das „Wer“. Der zeitliche Entscheidungsspielraum schließlich umfasst das „Wann“ und „Wie oft“ und ermöglicht es den Budgetnehmer*innen, den Zeitpunkt der Leistungserbringung selbst wählen zu können (vgl. Kastl & Metzler 2005, S. 14).
Als letztes Charakteristikum der Grundidee des Persönlichen Budgets ist zu erwähnen, dass das Persönliche Budget nicht als neue Leistungskategorie, sondern als eine neue Form der Leistungsausführung zu verstehen ist (vgl. Meyer 2011, S. 38). Das Leistungsrechtliche Dreieck wird reduziert und aus einer dreiseitigen Beziehung, wie es im Sachleistungsbezug der Fall ist, werden zwei zweiseitige Beziehungen. Dieses neue System wird im folgenden Abschnitt (siehe Kapitel 3.2) der Arbeit genauer betrachtet.
Die Implikationen der ausgeführten Definitionen und die damit einhergehende Grundidee des Persönlichen Budgets lassen sich nach Kastl & Metzler (2005) in wenigen Worten zusammenfassen:
„Menschen mit Behinderung erhalten einen bedarfsbezogenen Geldbetrag, mit dem sie selbst die für sie erforderlichen Unterstützungsleistungen auswählen und diese finanzieren. Intendiert ist mit diesem Ansatz, Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume für ihr Alltagsleben auszuweiten sowie ihre sozialen Teilhabechancen zu erhöhen.“ (Kastl & Metzler 2005, S. 13)
Jener Aspekt der benannten Grundidee des Persönlichen Budgets, das Konzept der Auflösung des leistungsrechtlichen Dreiecks zur Förderung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung, wird im Folgenden dargestellt und erläutert.
Die neue Form der Leistung, Geldleistung statt Sachleistung, stellt die Beziehungen im Rehabilitationssystem auf eine ganz neue Basis, indem es die Kräfteverhältnisse verlagert. Es setzt nicht, wie bisherige Finanzierungsformen, an der Erbringer*innenseite von Leistungen an, sondern steuert die relevanten Ressourcen (Geldressourcen ebenso wie Zuständigkeiten und Macht) radikal zu Gunsten der Nutzer*innen um (vgl. Metzler et al. 2007, S. 27). Um diese Veränderung zu veranschaulichen, wird zunächst das klassische Sachleistungsprinzip dargestellt.
Abbildung 2: Leistungsbeziehungen nach dem Sachleistungsprinzip (Eigene Bearbeitung nach Metzler et al. 2007, S. 27)
Wie aus Abbildung 2 ersichtlich wird, erfolgt im klassischen Sachleistungsprinzip sowohl die Abwicklung der Kosten als auch die Vereinbarung über Inhalt, Umfang und Qualität der Leistung zwischen dem Leistungsträger und den Anbieter*innen der Leistung. Die Anbieter*innen führen die vereinbarten Leistungen aus, und die Nutzer*innen empfangen die Leistungen, welche für sie ausgehandelt wurden und auf...